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Thema: [Advent 2015] [The 100] Stille Nacht, heilige Nacht

  1. #1
    Lieutenant General Avatar von Antares
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    Standard [Advent 2015] [The 100] Stille Nacht, heilige Nacht


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    Titel: Stille Nacht, heilige Nacht
    Autor: Nyada
    Fandom: The 100
    Genre: Familie, Friendship, Hurt/Comfort, UST, evtl. Romance
    Charaktere/Pairing(s): Octavia Blake, Bellamy Blake, Lincoln, Clarke Griffin; Octavia/Lincoln, evtl. Bellamy/Clarke- je nachdem, wie man es betrachtet
    Staffel/Zeitliche Einordnung: post-Epi 2x16 „Das gelobte Land“

    Anmerkung(en) der Autorin: Dies ist mein erster Versuch, eine Nicht-Stargate-FF bzw. eine „The 100“-FF zu schreiben, und ich bin ziemlich aufgeregt. Natürlich bin ich für jede konstruktive Kritik offen, aber da es mein allererstes Mal ist, lasst doch bitte etwas Gnade walten.


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    Stille Nacht, heilige Nacht

    written by Nyada



    Believe in what your heart is saying
    Believe in what you feel inside
    When it seems that we have lost our way
    We find ourselves again on Christmas day





    Begleitet von einem tiefen Seufzen hob Octavia Blake ihr Angesicht und beobachtete fasziniert den bizarren Tanz der Schneeflocken, die zu Hunderttausenden durch die Luft wirbelten und vom Himmel herunterschwebten.

    „Ich habe noch nie etwas derart Schönes gesehen“, sagte sie leise, und die Luft knisterte eisig, als ihr warmer Atem vor ihren Lippen kondensierte. „Schneit es jedes Jahr?“, wandte sie sich fragend an Lincoln, den großen, schweigsamen Grounderkrieger, der neben ihr saß und ebenfalls den Kopf in den Nacken gelegt hatte und das Schneetreiben beobachtete.

    „Nicht jedes Jahr“, antwortete er, legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie zu sich. Ein leises Seufzen entrang sich Octavias Kehle, und sie schmiegte sich eng an seinen wärmenden Körper, legte eine Hand auf seine Brust und starrte in die knisternden Flammen des Feuers, das Lincoln entfacht hatte. Geschützt vor Wind und Kälte saßen sie unter dem Vordach ihrer kleinen Baracke, die sich am Rand des Camps befand, eingehüllt in einen wärmenden Umhang aus Tierfell. Octavia hätte zu gern gewusst, von welchem Lebewesen es stammte, und strich mit den Fingern durch das dichte, dunkle Fell.

    „Du bist so still“, vernahm sie plötzlich Lincolns Stimme über sich und spürte, wie er sie fester umarmte.

    „Ist das Deine Art, mir zu sagen, dass ich zu viel rede?“, fragte sie schmunzelnd.

    „Nein“, antwortete der ältere Grounder ruhig, „mir ist nur aufgefallen, dass Du Dich heute Abend nicht so gut amüsiert hast wie die anderen.“

    Octavia seufzte.

    „Mir ist nicht nach Feiern zumute, Lincoln“, sagte sie, kuschelte sich tiefer in seine Arme und sah zu einer der etwas größeren, hell erleuchteten Baracken hinüber, in der der Großteil der Bewohner des Camps Jaha gemeinsam feierte und sich an Monty Greens selbstgebranntem Schnaps labte.

    „Sollen die anderen doch ihren Spaß haben“, brummte Octavia leise und wandte ihren Blick ab. Lincoln schwieg, aber sie wusste, dass er darüber nachdachte, wie er das Thema, das ihr auf dem Herzen lag, am besten ansprechen sollte.

    „Ist es wegen Bellamy?“, fragte er sie schließlich geradeheraus, und obwohl sie es hatte kommen sehen, ließen sie seine Worte zusammenzucken.

    „Ja“, war alles, was sie mit eisiger Stimme erwiderte. Ihr Blick glitt in die Ferne, und trotz der Dunkelheit und dem dichten Schneefall dauerte es nicht lange und sie entdeckte die Umrisse der Person, die vor dem Haupttor Position bezogen hatte. Bereits seit Stunden harrte ihr älterer Bruder in der Kälte aus, und Octavias Ärger darüber, dass er sich schon wieder freiwillig zum Wachdienst gemeldet hatte, verwandelte sich allmählich in echte Sorge.

    „Er steht schon den ganzen Tag vor diesem verdammten Tor“, raunte sie leise. „Er wird sich da draußen noch den Tod holen.“

    „Bellamy weiß, was er tut“, entgegnete Lincoln. Nein, das tut er nicht, schoss es Octavia verärgert durch den Kopf und es kostete sie wirklich große Mühe, sich den scharfzüngigen Kommentar zu verkneifen, der ihr auf der Zunge lag. Grübelnd sah sie wieder zu ihrem Bruder hinüber, der vor dem Haupttor seine Kreise zog, hin und wieder stehenblieb und sehnsüchtig in die Ferne starrte. Octavias Blick verfinsterte sich, denn sie wusste nur zu gut, nach was, beziehungsweise nach wem ihr Bruder seit etwas mehr als einem Monat tagtäglich mit traurigen Augen Ausschau hielt.

    „Glaubst Du, sie kommt irgendwann zurück?“, fragte sie Lincoln, der daraufhin nachdenklich die Stirn runzelte und statt ihr zu antworten lediglich die Lippen aufeinanderpresste. Etwas in der Art, wie er sie hielt, veränderte sich, und Octavia spürte die Anspannung, die plötzlich von seinem Körper Besitz ergriff. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen vertiefte sich, und der Grounder wirkte für einen Moment wie weggetreten. Nachdenklich starrte er zu Bellamy hinüber, der jetzt mit dem Rücken an einem Pfeiler des Haupttors lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt, den Jackenkragen hochgeschlagen. Plötzlich seufzte er, holte tief Luft, sah sie an und verkündete leise:

    „Ich weiß, wo Clarke ist.“

    Octavia wirbelte herum und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Was?!“, flüsterte sie kaum hörbar und rückte erschrocken von ihm ab. Konnte es sein, dass sie sich verhört hatte? Sie blinzelte verwirrt. Oder dass sie sich nur eingebildet hatte, dass Lincoln ihr gerade offenbart hatte, dass er wusste, wo sich die abtrünnige Clarke Griffin befand?

    „Ich weiß, wo Clarke sich aufhält“, wiederholte der Grounder mit fester Stimme, und seine klaren Worte gingen Octavia durch Mark und Bein. Sie erschauderte, sprang auf und ging ein paar Schritte, um die Informationen, die sie soeben erhalten hatte, zu verarbeiten. Sie dachte an ihren Bruder, der tagein tagaus vor dem Haupttor ausharrte, in der Hoffnung, dass Clarke zurückkehrte, und als sie zur Feuerstätte zurückkehrte und sich wieder zu Lincoln setzte, blitzte Entschlossenheit in ihren blauen Augen auf.

    „Wo?“, fragte sie und war überrascht, als sie hörte, dass ihre Stimme zitterte. Sie räusperte sich und starrte ihr Gegenüber herausfordernd an, doch Lincoln schüttelte mit dem Kopf.

    „Das werde ich Dir nicht sagen“, entgegnete er ruhig, aber bestimmt.

    „Wo. Ist. Sie?“, verlangte Octavia noch einmal von ihm zu wissen und betonte dabei jedes einzelne Wort.

    „Wenn ich es Dir verrate“, meinte Lincoln, „würdest Du es dann Deinem Bruder sagen?“

    Octavia nickte nach einem kurzen Moment des Zögerns.

    „Vermutlich ja.“

    „Und genau aus diesem Grund werde ich Dir nicht sagen, wo Clarke ist“, erklärte Lincoln. „Bellamy würde sich sofort aufmachen und versuchen, sie zurückzuholen. Und hierher zurückzukehren ist zurzeit das Letzte, was Clarke will.“

    „Es geht hier aber nicht darum, was die Prinzessin will“, rief Octavia aufgebracht, was zwei in der Nähe patrouillierende Gardisten auf den Plan rief. Alarmiert schauten sie zu ihnen herüber und einer von ihnen musterte Lincoln abschätzend von Kopf bis Fuß. Rasch wandte Octavia den beiden den Rücken zu und wartete, bis sie hörte, dass sich ihre Schritte entfernten. Erst als sie sich mit einem kurzen Blick über ihre Schulter vergewissert hatte, dass sie zwischen den Baracken verschwunden waren, wandte sie sich wieder Lincoln zu.

    „Es geht hier nicht um Clarke“, wiederholte sie etwas leiser und deutete mit dem Kopf vage in die Richtung des Haupttores. „Sieh ihn Dir an, Lincoln“, befahl sie. „Er wird nicht aufhören, an diesem verdammten Tor auf sie zu warten. Ich kenne Bellamy. Er mag sich noch so unnahbar geben, aber er wird daran zugrunde gehen, Lincoln. Ich erkenne ihn jetzt schon kaum noch wieder!“, seufzte sie.

    „Ich kann es Dir nicht sagen, Octavia“, beharrte Lincoln. „Ich habe es Clarke versprochen-“

    „Und Du hast mir versprochen, immer ehrlich zu sein“, erinnerte Octavia ihn und griff nach seinen Händen. „Bitte, Lincoln“, sagte sie, „sag es mir.“

    „Nein.“

    Octavia seufzte. Okay, er war stur, das hätte sie wissen müssen. Er hatte schweigend tagelanger Folter standgehalten, bevor es ihr endlich gelungen war, ihn zu befreien. Nur weil sie ihn nett darum bat, würde er ihr nicht verraten, wo sich Clarke aufhielt. Zumal es sie auch nicht interessierte, wo die ‚Prinzessin‘ war. An Clarke Griffins Händen klebte das Blut hunderter unschuldiger Menschen, und sie hatte übereilte und unüberlegte Entscheidungen getroffen, für die sie von einigen Menschen im Camp regelrecht gehasst wurde. Auch Octavia fiel es schwer, Clarke das, was sie getan hatte, zu verzeihen und es war ihr schleierhaft, wie ihr Bruder über die Zerstörungen, die Clarke zurückgelassen hatte, hinwegsehen konnte.

    Vermutlich aus demselben Grund, der ihn tagtäglich am Tor auf sie warten lässt, antwortete eine leise Stimme in ihrem Kopf, die Octavia zuerst zu ignorieren versuchte, doch wenn sie ehrlich war, wusste sie, dass die Stimme Recht hatte. Aus irgendeinem Grund- sie konnte ihn nicht genau benennen- bedeutete Clarke ihrem Bruder etwas, und dieser Grund veranlasste ihn, selbst bei klirrender Kälte und immer dichter werdendem Schneefall am Tor nach ihr Ausschau zu halten.

    „Bitte, Lincoln-“ Das Wohlergehen ihres geliebten Bruders im Sinn, startete Octavia einen letzten Versuch, den Grounder davon zu überzeugen, ihr zu sagen, wo sich Clarke aufhielt. „Ich muss wissen, wo sie ist. Bellamy muss es wissen.“

    Lincoln seufzte und kratzte sich hilfesuchend am Hinterkopf.

    „Du gibst wohl niemals Ruhe, oder?“, fragte er.

    Octavia grinste.

    „Nicht, wenn es um meinem Bruder geht“, erwiderte sie dann sehr ernst. Mein Bruder, meine Verantwortung.

    „In Ordnung“, meinte Lincoln, verkündete aber gleich darauf: „Ich werde ihn nicht zu ihr bringen.“ Octavia akzeptierte seine einfache Bedingung mit einem kurzen Nicken; sie an seiner Stelle wäre auch nicht gern in Clarkes Nähe, wenn diese herausfand, dass ihr geheimer Standort verraten worden war.

    „Du wirst ihn nicht zu ihr bringen, klar“, echote sie und musterte Lincoln abwartend. Sie verstand ihn und respektierte seine Entscheidung, sein Versprechen Clarke gegenüber nicht brechen zu wollen, indem er jemanden zu ihr brachte. Sie würde schweigen und sie wusste, dass auch Bellamy ihn nicht bei Clarke verraten würde.
    „Ich werde ihn nicht zu ihr bringen“, wiederholte er, „aber ich kann auch nichts dafür, wenn er sie zufällig in meinem alten Versteck findet.“

    Ein Stein, nein, ein Fels fiel Octavia vom Herzen. Sie schenkte dem Grounder ein dankbares Lächeln und erhob sich. Sie wusste nun, wo sie Clarke finden konnte und das war mehr, als sie erwartet hatte zu bekommen.

    Sie beugte sich zu Lincoln hinunter und küsste ihn auf die Stirn. Dann machte sie sich auf, stiefelte durch den frisch gefallenen Schnee, vorbei am Festzelt, aus dem lautes Gelächter und schiefer Gesang zu hören war. Octavia hatte nur noch sehr verschwommene Erinnerungen an die Weihnachtsfeste auf der Ark. Genaugenommen hatte es für sie als Familie nie ein Fest gegeben, doch Bellamy hatte stets dafür gesorgt, dass sie am Weihnachtsmorgen ein kleines, hübsch verpacktes Geschenk mit handgeschriebener Karte auf ihrem Nachttisch vorfand.
    Ein Lächeln stahl sich auf Octavias Lippen, als sie daran dachte, dass heute der Tag gekommen war, dass sie ihm ein Geschenk machen konnte, auch wenn das für sie bedeutete, über ihren Schatten zu springen und die Vergangenheit ruhen zu lassen. Denn eines war ihr klar.

    Ohne Clarke würde Bellamy nicht ins Camp Jaha zurückkehren.


    ooOOoo


    Es war kurz vor Mitternacht, als ein lauter, kehliger Schrei Clarke Griffin unsanft aus dem Schlaf riss. Für einen Moment glaubte sie ihn sich nur eingebildet zu haben, doch dann ertönte plötzlich ein dumpfer Laut außerhalb ihres Verstecks, und Clarke setzte sich so ruckartig auf, dass ihr schwindelig wurde. Mit pochendem Herzen tastete sie nach dem Griffteil ihres Messers, zog es unter dem Kopfkissen hervor und erhob sich von ihrem Nachtlager, das sie aus Ästen und Zweigen selbst gefertigt hatte.

    Die Geräusche wurden lauter; offenbar war ein Waldtier in ihre Falle gelaufen und versuchte sich nun zu befreien. Das panische Zappeln war deutlich zu hören, und als Clarke auf leisen Sohlen die Höhle verließ, um nachzusehen, vernahm sie angestrengtes Atmen und Keuchen. Endlich, dachte sie, und ihr leerer Magen stimmte grummelnd in ihren Triumph ein. Es war Tage her, seit sie das letzte Mal etwas Vernünftiges zwischen die Zähne bekommen hatte, und auch Lincolns letzter Besuch lag inzwischen zwei Tage zurück. Er hatte ihr gesagt, dass er von nun an vorsichtiger sein musste, dass es langsam aufzufallen begann, dass er jeden Tag bis Sonnenuntergang in den Wäldern unterwegs war und nur mit wenig Beute ins Camp zurückkehrte. Clarke teilte seine Sorge, dennoch vermisste sie die Besuche des Grounders, dem sie dieses Versteck überhaupt zu verdanken hatte.

    Eher zufällig hatten sich ihre Wege eine Woche, nachdem sie das Camp verlassen hatte, im Wald gekreuzt. Sie hatte bis zu diesem Tag in dem unterirdischen Bunker in der Nähe des abgestürzten Dropships gehaust, den Finn ihr gezeigt hatte, aber jede Nacht war sie von schrecklichen Alpträumen heimgesucht und tagsüber von Schuldgefühlen geplagt worden, weswegen sie Lincolns Angebot, vorerst in seinem Versteck zu bleiben, dankbar angenommen hatte.

    Sie wusste bis zum heutigen Tag nicht, warum der Grounder sich bereiterklärt hatte, ihr zu helfen. Aus irgendeinem Grund schien er sie für das, was sie getan hatte, nicht zu verurteilen und hatte ihr versprochen, über ihren Aufenthalt zu schweigen. Clarke vertraute ihm, denn so wie sie hatte Lincoln vieles zurückgelassen, nachdem besiegelt gewesen war, dass er zusammen mit Octavia im Camp Jaha bleiben würde. Seine Besuche waren eine willkommene Abwechslung und seine Gesellschaft heiterte sie auf, auch wenn sie keine tiefschürfenden Konversationen führten. Allein, dass er da war und sie mit Geschichten aus dem Camp versorgte, verhinderte, dass sie hier draußen in der Wildnis völlig vereinsamte.
    Sie musste gestehen, dass sie den Grounder irgendwie… vermisste. Zumal ihre Vorräte sich allmählich dem Ende zuneigten.

    Apropos Vorräte, schoss es Clarke durch den Kopf, und sie schüttelte mit dem Kopf, um sich wieder zu konzentrieren. Irgendetwas war ihr in die Falle gegangen, und wenn sie Glück hatte, musste sie sich bis zu Lincolns nächstem Besuch zumindest keine Gedanken mehr um ihren knurrenden Magen machen.

    Vorsichtig schlich sie aus der Höhle und atmete draußen erst einmal tief die frische Luft ein. Es hatte wieder zu schneien begonnen, und die feinen Schneeflocken verfingen sich in Clarkes Wimpern. Lächelnd dachte sie an ihren ersten Schnee, den sie miterlebt hatte. Stundenlang hatte sie dort im Wald gestanden, die Arme weit von sich gestreckt, und sich lachend so lange um ihre eigene Achse gedreht, bis ihr schwindelig geworden war. Es war bei Weitem das Schönste, was sie je gesehen hatte, und sie hatte versucht, jede einzelne Schneeflocke, die zu Boden fiel, zu zählen. Manche waren sofort, nachdem sie auf dem weichen Waldboden gelandet waren, geschmolzen, andere Schneeflocken wiederrum hatten langsam eine dünne Schneeschicht gebildet, die im Laufe der Nacht immer dichter geworden war.

    Jetzt knirschte der Schnee bereits unter Clarkes Stiefeln, als sie sich ihren Weg durch die tiefhängenden Äste der Nadelbäume bahnte, um nachzusehen, welches Tier ihr wohl in die Falle gegangen war. Dem wütenden Schnauben nach zu urteilen, musste es ein großes Tier sein, vielleicht ein Reh oder sogar ein Hirsch. Clarke triumphierte innerlich, umklammerte den Griff ihres Messers fest mit der Hand und spähte durch die Zweige hindurch. Das Netz, das sie mit Lincolns Hilfe auf dem Erdboden unter Ästen, Blättern und Moos versteckt hatte, baumelte in etwa zwei Metern Höhe, und Clarke erschrak, als sie zwei Hände erkannte, die an den Seilen zerrten.

    Es war ein Mann, der wild schnaubend um sich trat und sich aus dem Netz zu befreien versuchte. Vorsichtig näherte sich Clarke dem über ihrem Kopf schwebenden Netz, als plötzlich…

    „So eine verdammte Scheiße!“

    Benommen taumelte Clarke einige Schritte zurück und schüttelte mit dem Kopf. Nein, das kann nicht sein, sagte sie sich, er hat versprochen, nichts zu sagen.

    „Clarke?“, ertönte da auf einmal ein heiseres Flüstern über ihr, und die zerrenden Geräusche verstummten. Clarke schwang den Kopf herum, als seine wohlbekannte Stimme an ihr Ohr drang.

    „Bellamy?“, flüsterte sie kaum hörbar. Es dauerte noch einen Moment, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und dann, plötzlich, erkannte sie ihn. Etwas unglücklich hing er in dem Netz, und seine langen Beine und Arme hatten sich in den Seilen verfangen. Seine braunen Augen strahlten inmitten der Dunkelheit, ebenso wie sein Lächeln.

    „Clarke.“ Beinahe ehrfürchtig sprach er ihren Namen aus. „Ich habe Dich gefunden.“

    Clarke nickte.

    „Bell…“ Sie brach ab, als sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, und sie blinzelte rasch, bevor ihr Freund etwas bemerkte. „Was machst Du hier?“, fragte sie ihn, worauf sich Bellamys Lippen zu einem schiefen Grinsen verzogen.

    „Wie wäre es, wenn Du mich erst einmal runterlässt, bevor ich Dir diese Frage beantworte?“, schlug er vor, was Clarkes Augen für die Realität öffnete. Ein paar entschuldigende Worte murmelnd, eilte sie davon und durchtrennte mit ihrem Messer das angespannte Seil, das das Netz in der Luft hielt.

    „Was- Nein, warte, nein!“, hörte sie Bellamy aufgeregt rufen und sah, als sie sich umdrehte, wie das Netz hinunterschnellte und hart auf dem Boden aufschlug.

    „Bellamy!“, rief sie erschrocken und lief zu ihm. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schloss er seine braunen Augen und rollte sich ächzend auf den Rücken, als sie hastig die Seile durchtrennte, aus denen das Netz gewoben war. „Oh Gott, Bell, es tut mir leid“, beteuerte sie, befreite ihn und half ihm, sich aufzurichten. Offensichtlich hatte er keine nennenswerten Verletzungen davongetragen, denn als sie ihn ansah, lächelte er.

    „Clarke…“, murmelte er, und seine Augen leuchteten heller als die Sterne am Himmel. Einen Moment lang standen sie sich schweigend gegenüber, nachdem er sich den Dreck von der Kleidung geklopft hatte, dann machte er plötzlich einen Schritt auf sie zu, und bevor Clarke wusste, wie ihr geschah, schlang Bellamy seine Arme um ihren Körper.

    „Ich habe Dich gefunden“, verkündete er erleichtert, vergrub seine Nase in ihrem langen blonden Haar und zog sie so fest zu sich, dass es ihr fast die Luft zum Atmen raubte. Überrumpelt von den Eindrücken, die sie in diesen Augenblicken überkamen, warf Clarke ihm übermütig die Arme um den Hals. Lachend taumelte Bellamy ein paar Schritte zurück, legte seine Arme fest um ihre Taille und wirbelte sie durch die Luft. Die Umgebung um sie herum verschwamm, bis Clarke nichts mehr wahrnahm außer den leuchtenden Augen ihres Gegenübers.

    „Mögen wir uns wiedersehen“, flüsterte er nahe bei ihrem Ohr, doch dieses Mal war es kein Versprechen, sondern eine Bestätigung. Er hatte sie gefunden, und Clarke war es in diesem Moment egal, dass Lincoln sein Versprechen gebrochen und Bellamy ihren Aufenthaltsort verraten hatte. Überglücklich starrte sie ihren Freund an, als dieser sie sanft absetzte.

    „Mögen wir uns wiedersehen“, echote sie und musterte ihn. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber Bellamy hatte sich in der Zeit, die vergangen war, seit sich ihre Wege getrennt hatten, nicht verändert. Andächtig studierte sie seine Züge, und Bellamy rührte keinen Muskel, als sie sein Gesicht berührte. Im fahlen Mondlicht, das in diesem Augenblick durch eine Wolkenlücke hindurchschimmerte, wirkte er um Jahre älter als er eigentlich war. Vorsichtig berührte Clarke seine mit Sommersprossen übersäte Wange und strich ihm sacht durch sein dunkles, lockiges Haar, in der Hoffnung, dass sich dieser Moment nicht als ein Traum entpuppte.

    „Du bist wirklich hier“, flüsterte sie, als sie seine warme Haut unter ihrer Hand spürte.

    „Ja“, war alles, was Bellamy erwiderte, und seine tiefe Stimme ließ Clarke erschaudern. „Ja, ich bin hier, Prinzessin.“

    Clarke lachte einmal laut auf und schlang ihre Arme wieder um seinen Hals. Wieder erwiderte Bellamy die Umarmung und zog sie fest an sich, doch dieses Mal verharrten sie länger in dieser Position. Clarke spürte, wie seine Körperwärme ihre Kleidung durchdrang, schmiegte ihre Wange an seinen Hals und atmete tief seinen Duft ein, den sie schon so lange nicht mehr in ihrer Nase wahrgenommen hatte.
    Als sich Bellamy schließlich von ihr löste und sie sanft von sich wegschob, hatte Clarke Tränen in den Augen.

    „Nicht weinen, Prinzessin“, ermahnte er sie, hob seine Hand und wischte ihre Tränen von den Wangen.

    „Was tust Du hier draußen, Bell?“, fragte sie ihn noch einmal, da sie noch immer keine Antwort von ihm bekommen hatte.

    „Dir Dein Weihnachtsgeschenk bringen“, antwortete er knapp und griff in die Innentasche seiner Jacke.

    „Aber die Geschenke werden doch erst morgen verteilt“, erwiderte Clarke, woraufhin Bellamy einen Blick auf die Uhr warf.

    „Nun, genaugenommen ist es schon morgen“, sagte er, beförderte ein schmales Lederetui ans Tageslicht und reichte es ihr mit einem Lächeln. „Frohe Weihnachten, Clarke.“

    Bedächtig fuhr Clarke mit den Fingern über das braune Leder, das sich warm und weich anfühlte. „Was ist das?“, fragte sie neugierig.

    „Mach es auf“, forderte Bellamy sie mit sanfter Stimme auf, und Clarke tat, wie ihr geheißen, und begann das hochwertig verarbeitete Etui vorsichtig zu öffnen, nicht ohne sich zu fragen, wo um alles in der Welt Bellamy etwas so Wertvolles aufgetrieben hatte. Sie spielte mit dem Gedanken, ihn zu fragen, verwarf diese Idee aber recht schnell wieder. Vermutlich hatte er es in den Trümmern der Ark gefunden. Oder während eines Trips in die verlassene Mount Weather-Bunkeranlage.

    Clarke erschauderte bei der Vorstellung, dass das Etui vielleicht einmal einem Mountainmen gehört haben könnte. Sie verdrängte den Gedanken daher rasch und öffnete das Etui, und ein glänzender goldener Füllfederhalter kam zum Vorschein.

    „Oh, Bell“, flüsterte sie ergriffen und richtete ihre blauen Augen auf ihn.

    „Gefällt er Dir?“, fragte er.

    „Ja, natürlich gefällt er mir“, rief sie und presste das Etui an ihre Brust. „Bellamy-“ Sie umarmte ihn herzlich und drückte einen sanften Kuss auf seine Wange. „Danke.“

    Ihr Gegenüber errötete.

    „Keine Ursache“, erwiderte er.

    „Leider habe ich kein Geschenk für Dich“, stellte Clarke bedauernd fest und wurde sich wieder der Absurdität dieses Moments bewusst. Bellamy war nicht nur hergekommen, um ihr sein Weihnachtsgeschenk zu überreichen, auch wenn sie sich eingestehen musste, dass sie von seiner Geste sehr gerührt war. Er hatte einen fast zweistündigen, beschwerlichen Weg durch den dunklen, verschneiten Wald auf sich genommen, um zu ihr zu gelangen, und es tat Clarke fast ein wenig leid, dass er ohne sie ins Camp zurückkehren würde.

    „Ich werde nicht ohne Dich zurückkehren“, verkündete Bellamy in diesem Augenblick und musterte sie dabei so intensiv, dass Clarke sich fragte, ob er ihr wohl angesehen hatte, woran sie gerade gedacht hatte.

    „Bell…“ Sie schüttelte mit dem Kopf und machte einen Schritt nach hinten. „Nicht.“

    „Ich werde nicht ohne Dich ins Camp zurückkehren“, wiederholte er mit fester Stimme und bekam sie am Handgelenk zu packen, bevor sie ihm endgültig entglitt. „Wenn nötig, werde ich solange hierbleiben, bis Du bereit bist, zurückzukommen.“

    Clarke schüttelte mit dem Kopf, versuchte jetzt aber nicht mehr, sich ihm zu entziehen.

    „Man wird nach Dir suchen“, gab sie zu bedenken.

    „Vermutlich wird man das“, erwiderte Bellamy und sah nun selbst ein, dass er die Idee nicht wirklich gut durchdacht hatte. Seufzend rieb er sich den Nacken und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Dann lass mich wenigstens heute Nacht bei Dir bleiben. Auf eine vollkommen unbedenkliche, freundschaftliche Art und Weise, ohne Hintergedanken“, fügte er rasch hinzu, als Clarke die Augenbrauen hochzog.

    „Komm schon, Prinzessin“, lockte er sie. „Niemand sollte an Weihnachten allein sein, nicht einmal die große Clarke Griffin.“

    Clarke presste nachdenklich die Lippen aufeinander und wägte ihre Möglichkeiten ab. Die Entscheidung fiel ihr leichter als gedacht, und Bellamy lächelte, als sie ihm ihre Hand hinhielt. Wortlos ließ er seine Hand in ihre gleiten und drückte sie sanft.

    „Frohe Weihnachten, Clarke“, sagte er leise und verflocht seine Finger mit ihren.

    „Frohe Weihnachten, Bell“, erwiderte Clarke, sah ihm tief in die Augen und verspürte zum ersten Mal seit sie auf der Erde gelandet waren so etwas wie… Seelenfrieden. Für einen Moment hörte alles um sie herum auf zu existieren, und als Bellamy sich vorbeugte und einen zärtlichen Kuss auf ihre Stirn hauchte, fühlte sich Clarke befreit von den Geistern der Schuld, die sie seit ihrem Weggang aus dem Camp Tag und Nacht verfolgten. Die Stimmen in ihrem Kopf verstummten, ihr aufgeregter Herzschlag beruhigte sich, und die Last, die sie die letzten sechs Wochen mit sich herumgetragen hatte, fiel mit einem Mal von ihren Schultern ab. Alles was zählte, war dieser Moment, und Clarke wünschte sich, dass er niemals endete.

    Frohe Weihnachten, sagte sie zu sich selbst, lehnte sich an Bellamys warme Brust und schloss dem Geräusch seines Herzens lauschend ihre Augen.

    Ende
    Geändert von Antares (15.12.2015 um 09:27 Uhr)

  2. Danke sagten:


  3. #2
    zigtausend Jahre alt ... ;-) Avatar von John's Chaya
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    Dies ist mein erster Versuch, eine Nicht-Stargate-FF bzw. eine „The 100“-FF zu schreiben, und ich bin ziemlich aufgeregt. Natürlich bin ich für jede konstruktive Kritik offen, aber da es mein allererstes Mal ist, lasst doch bitte etwas Gnade walten.
    Mal überlegen, lass ich Gnade walten ...?

    Spoiler 

    Aber natürlich!!! Deine FF ist wunderschön geschrieben!


    Lincoln und Octavia hast du meiner Meinung nach toll getroffen und was Clark und Bellamy angeht, hoffe ich mal, dass ihre Beziehung in der dritten Staffel so intensiv wird. Lincoln ist ein toller Mann und steht zu seinem Wort. Aber wenn er so lieb von Octavia angebettelt wird, kann er natürlich nicht widerstehen. Ich kann auch Octavia verstehen, sie hängt an ihrem Bruder, auch wenn sie nicht immer einer Meinung sind. Und Bellamy hängt nun mal an Clark, also wird Octavia sich damit anfreunden müssen. Ich sehe Bellamy richtig vor mir, wie er vor Clark im Netz hängt. Da hat sie sich ja eine tolle 'Mahlzeit' eingefangen. Und wie sie sich gefreut hat, war wirklich total schön. Süß, wie er ihr den Stift schenkt. Und was das Geschenk für ihn angeht - ich wüsste da was ...
    Dankeschön für dieses tolle Türchen!

    Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein.

  4. Danke sagten:


  5. #3
    Leitung: Forum Avatar von Redlum49
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    Wie gemein von Lincoln - verrät Clarkes Versteck, verliert aber kein Wort über die Falle, die er mit ihr zusammen aufgestellt hat

    Schöner weihnachtlicher OS. Schön dass es auch The 100 in den AK geschafft haben

  6. Danke sagten:


  7. #4
    Jack+Sam Shipper Avatar von AngiAngus
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    Zitat Zitat von Redlum49 Beitrag anzeigen
    Wie gemein von Lincoln - verrät Clarkes Versteck, verliert aber kein Wort über die Falle, die er mit ihr zusammen aufgestellt hat
    Da kann ich mich Redlum nur anschließen.

    Schön, dass Lincoln über seinen Schatten gesprungen ist und Octavias Betteln nachgegeben hat. Zumindest hat er damit Bellamy und Clarke ein kleines Weihnachtsgeschenk beschert.

    Schöne gefühlvolle kleine Geschichte.

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