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n-tv
Virtuelle Unsterblichkeit
Selbstmord-Serie in Wales
Die siebzehn Jahre alte Natasha Randall war ein beliebter Teenager mit vielen Freunden, hatte keine Depressionen und nahm auch keine Drogen. Trotzdem erhängte sie sich in ihrem Zimmer, und wurde als einziges Mädchen das siebte Opfer einer Selbstmordserie in der walisischen Kleinstadt Bridgend. Wie die jungen Männer, die sich vor ihr das Leben nahmen, verbrachte sie unter dem Namen "Wildchild" täglich mehrere Stunden in Internet-Chatrooms. Genau hier vermutet die Polizei einen Zusammenhang: Die Selbstmörder kannten einander, entweder persönlich oder über das Internet. Die Toten bekamen von ihren Freunden virtuelle Gedenkseiten eingerichtet. Einige dieser Freunde, genau wie Natascha, nahmen sich später selbst das Leben.
Die Polizei spricht von einem Nachahmungseffekt. Nur 24 Stunden nach dem Tod von Natasha versuchten zwei ihrer Freundinnen, sich das Leben zu nehmen. Bei der 15-jährigen Leah fehlten nur wenige Sekunden, ihre Eltern fanden sie gerade noch rechtzeitig. Sie hatte versucht, sich mit dem Gürtel ihres Bademantels zu erhängen, und verbrachte danach drei Tage auf der Intensivstation. "Sie weiß nicht, warum sie es getan hat", sagte ihre Mutter in einem Radiointerview, "sie konnte mir nichts dazu sagen". Die Frage nach dem "Warum?" quält alle Eltern der Selbstmörder. "Es ist schrecklich, nicht zu wissen, warum er es getan hat", erklärte die Mutter von Gareth Morgan, der sich Anfang Januar erhängte.
Der Untersuchungsrichter der Stadt Bridgend, Philip Walters, sagte der britischen BBC, im vergangenen Jahr hätten sich im Umkreis sogar 13 junge Menschen unter 26 Jahren das Leben genommen. Die Polizei von Bridgend, der Gemeinderat und mehrere Schulen haben eine Initiative gegründet, um weitere Selbstmorde und Selbstmordversuche zu verhindern. "Wir sind sehr besorgt und wollen dazu beitragen, dass es nicht noch mehr Opfer gibt", sagte Tim Jones von der Polizei in Bridgend.
Die Antwort liegt im Internet
Einige der Eltern und auch die Polizei vermuten die Antwort im Internet. Alle sieben Selbstmordopfer waren Teil einer virtuellen Gemeinschaft, hatten Kontakt über E-Mail oder Internet-Kontaktseiten. "Irgendwann und irgendwie ist Selbstmord in unserer Gegend cool geworden", sagte Anne-Marie Eagle, eine Freundin von Natasha, der Zeitung "Sun". Natasha sei davon fasziniert gewesen, sie habe viel darüber gesprochen. Die Selbstmorde der jungen Männer hätten sie sehr berührt, vor allem der Tod von Liam Clarke, mit dem sie oft zusammen im Pub war und der sich am zweiten Weihnachtsfeiertag erhängte. "Ruhe in Frieden Clarky-Boy, wir hatten schöne Zeiten zusammen und du wirst mir fehlen", hatte Natascha im Internet geschrieben.
Unmittelbar nach Nataschas Selbstmord erschien im Internet eine Gedenkseite mit Abschiedsbotschaften an das Mädchen. "Süße Träume, mein Engel", und "Schlaf' gut, Prinzessin", hatten Jugendliche geschrieben. Britische Psychologen sprechen von einer "virtuellen Unsterblichkeit", die die Jugendlichen fasziniere. Der Tod mache sie zu tragischen, ewig jungen Helden, und für kurze Zeit sei ihnen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit gewiss, erklärte eine Psychologin in einem Interview mit der britischen BBC. Diese Gewissheit allein reiche aus, die Opfer müssten sie nicht selbst erleben.