Titel: Das Treffen der Verschwörer (1/2)
Autorin: Antares
Fandom: Merlin
Rating: PG
Genre: Gen
Inhalt: Merlin und Arthur sind inkognito als “Verschwörer” unterwegs
Wörter: ca. 9400
Beta: Ganz, ganz herzlichen Dank an Tamara!
Anmerkung: Geschrieben für Chayianas "Verschwörungs"-Challenge
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(Credits: Hintergrundbild von Richard Sidney Percy + Photo der Isle of Skye)
Es hatte schon seit einigen Tagen so stark geregnet, dass kaum jemand Camelot freiwillig verlassen wollte. So war es eine willkommene Abwechslung als Gwyndurr, der mittlere Sohn des Grafen von Athelton, in Camelot einritt und für zwei, drei Tage um Unterkunft bat. Nur König Uther war nicht begeistert, denn der alte Graf war nicht immer auf seiner Seite, manchmal neigte er auch dazu, verfeindete Herzöge zu unterstützen. Aber im Moment lebten sie immerhin nicht im Kriegszustand und so hieß er den jungen Herrn und seinen Begleiter – einen Edelmann von jenseits des Kanals – halbherzig willkommen.
Arthur war begeistert, denn Gwyndurr war ungefähr in seinem Alter und brachte eine lebhafte und offene Lebenseinstellung mit. Er war nicht der designierte Erbe und das merkte man ihm an, etliche Zwänge, denen sich Arthur ausgesetzt sah, galten für ihn nicht. Und so rannten die beiden jungen Herren schon nach einem halben Tag zusammen durchs Schloss, kämpften spielerisch mit ihren Schwertern im Thronsaal gegeneinander und versuchten, sich gegenseitig beim Kartenspielen zu betrügen, was zu viel Gelächter führte.
Am zweiten Tag des Aufenthalts jedoch hatte Gwyndurr am Abend etwas zu viel des guten Weines getrunken und in einem unbedachten Moment rutschte ihm heraus, das er auf dem Weg zur Herrin von Skye war. Uther hatte Mühe, seine Gesichtszüge ausdruckslos zu halten, denn die bloße Erwähnung dieses Namens konnte ihn zur Weißglut treiben. Nicht nur hatte Ingesolde von Skye vor Jahren seine vorsichtige Anfrage, eventuell Arthur mit ihrer ältesten Tochter zu verheiraten, rundheraus abgelehnt, obwohl das für Camelot außerordentlich günstig gewesen wäre, sie unterstützte auch noch seine Feinde, die Uthers Reich immer wieder im Norden bedrohten.
Und genau dorthin wollte jetzt ihr Gast reisen! Würden sie zu einem Übereinkommen welcher Art auch immer kommen, könnten sie Uther auf lange Sicht vielleicht sogar gefährlich werden. So versuchte der König mit noch mehr Wein und viel jovialem Gerede, den jungen Gwyndurr zu ein paar weiteren Vertraulichkeiten zu verleiten und wusste am Ende des Abends immerhin, dass Gwyndurr nicht der einzige war, der dort erwartet wurde. Der junge Gast hielt sich auch im betrunkenen Zustand sehr bedeckt, aber es klang deutlich heraus, dass dort noch einige wichtige Leute erwartet wurden. Und niemand aus Camelot war zugegen!
Uther spürte Wut und Furcht in sich aufsteigen, denn Camelot wäre trotz seiner schlagkräftigen Armee und seiner tapferen Ritter nicht in der Lage, Angriffe von mehreren Seiten gleichzeitig abzuwehren. Falls es Ingesolde von Skye gelingen sollte, eine schlagkräftige Allianz im Norden zu formieren …
Er überwand seine sowieso nicht sehr stark ausgeprägten Skrupel und ließ das Zimmer seines Gastes in dessen Abwesenheit durchsuchen. Es kam ein Schreiben zum Vorschein, das Gwyndurr und seinen Freund Raymond de Westlande nach Skye einlud. Das Datum war in sechs Tagen – und Uther brütete eine ganze Nacht, was er mit dieser Information anfangen wollte.
Am nächsten Morgen wusste er, was zu tun war: Arthur würde Gwyndurrs Platz einnehmen und herausfinden, was diese machtgierige Hexe aus dem Norden plante. Es traf sich gut, dass die beiden jungen Männer ungefähr gleich groß waren, dieselbe Haarfarbe hatten und sich auch figürlich durchaus ähnelten. Gwyndurr trug zwar einen ordentlich gestutzten Vollbart – aber den könnte sich Arthur auf der Reise nach Skye noch zulegen. Und es schien Uther durchaus von Vorteil, dass Gwyndurrs hervorstechendstes Merkmal eine Augenklappe über dem linken Auge war, wo er vor Jahren von einem Schwerthieb verletzt worden war. Denn diese Augenklappe war so eng mit Gwyndurr verbunden, dass wer immer sie trug, schon gleich ohne viele Nachfragen für ihn gehalten wurde.
Für „Gwyndurrs“ Begleitung hatte er auch schon jemanden auserkoren: Merlin mit seinen rabenschwarzen Haaren würde einen perfekten Raymond de Westlande abgeben. Es schien dem König durchaus vertretbar, seine beiden jungen Gäste für den Zeitraum, den Arthur und Merlin brauchten, um nach Skye und wieder zurück zu reisen, so lange auf Camelot mit mehr oder weniger Zwang festzuhalten, bis er wusste, worum es bei dem Treffen mit Ingesolde ging. Als erstes würde er einem von ihnen etwas Verdorbenes servieren, dann dem nächsten, so dass sie für ein paar Tage außer Gefecht gesetzt sein würden. Ehe sie überhaupt bemerkten, dass ihre Einladungen nicht mehr in ihren Reisetaschen waren, würden Arthur und Merlin schon bei dem Treffen der Verschwörer sein.
Wie vorausgesehen, billigte sein manchmal etwas zu integrer Sohn nicht die Umstände, unter denen er die Information und die Einladung erlangt hatte, musste im Endeffekt aber zustimmen, dass sie sich diese Gelegenheit, die der Zufall ihnen in die Hände gespielt hatte, nicht entgehen lassen konnten. Merlin schaute rehäugig und unbedarft wie immer in die Runde und schien fast mehr Interesse an der neuen, teuren Garderobe, die ihm für diese Unternehmung zur Verfügung gestellt wurde, zu zeigen, als für den Anlass dieser Reise. Uther war zufrieden und schickte die beiden ohne Eskorte auf den Weg. Einmal, damit sie rasch durchreiten konnten und noch rechtzeitig in Skye eintrafen, dann aber auch, weil er nicht davon abweichen wollte, wie Gwyndurr und Raymond reisten.
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Arthur und Merlin ritten jeden Tag vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang und mit Einbruch der Dunkelheit fielen sie müde in die Betten, die sie das Glück hatten, jeden Abend in kleinen Gasthäusern entlang der Wege zu finden. Sie waren meist so erschöpft, dass sie nur wenig miteinander redeten, auch wenn Merlin Arthur von Zeit zu Zeit daran erinnerte, dass er auf dieser Unternehmung nicht sein Diener, sondern der ihn begleitende Edelmann war.
„Das gilt ab dem Moment, in dem wir das Tor der Burg passieren, nicht zuvor“, hatte Arthur ihm unmissverständlich mitgeteilt, und Merlin in die Schankstube geschickt, um ihm noch einen Krug mit Bier zu holen.
Doch jetzt waren sie nur noch eine halbe Stunde von ihrem Ziel entfernt und Arthur ging mit Merlin noch einmal die spärlichen Informationen durch, die sie über die beiden Personen hatten, die sie die nächsten Tagen verkörpern würden. Das war wenig genug – eine Liste mit Namen aus der nächsten Verwandtschaft, die Arthur auswendig gelernt hatte, damit er wenigstens in ein paar Worten über seine Geschwister oder seine Eltern sprechen konnte. Über Raymond wussten sie nichts, aber sie hofften einfach mal, dass die anderen Raymond auch nicht kannten und so hatten sich Arthur und Merlin eine Geschichte zurechtgelegt, wo und wann sie sich kennengelernt hatten.
„Was glaubt Ihr, worum es bei diesem Treffen geht?“, fragte Merlin nicht zum ersten Mal auf dieser Reise.
„Wenn ich weiß, wer die anderen Gäste sind, kann ich verlässlichere Auskunft geben. Ich bin mit unseren Beratern noch einmal durchgegangen, mit wem Camelot durch welche Verträge verbunden ist und wer in letzter Zeit welche Allianzen eingegangen ist. Ich denke, wir sollten recht schnell herausfinden, von wem Treueschwüre und Verträge gebrochen wurden.“
„König Uther kann aber nicht gegen alle gleichzeitig vorgehen“, wandte Merlin ein.
„Nein, sicher nicht. Aber vielleicht haben wir Glück und stellen fest, dass sie genauso viel Mühe haben, eine Übereinkunft zu finden, wie das für gewöhnlich der Fall ist, wenn mehrere Parteien daran beteiligt sind.“
„Aber ich würde …“
„Merlin, deine Aufgabe ist es, zuzuhören. Was du erfährst, teilst du mir mit, mehr nicht. Du sollst um Himmels Willen keine eigene Politik machen“, warnte ihn Arthur.
„Ich? Politik machen?“ Merlin schaute Arthur so an, als hätte der Prinz ihm gerade angeboten, sein Badewasser selbst in die Wanne zu lassen.
„Hervorragend, wenn wir uns in diesem Punkt einig sind“, sagte Arthur, als das Tor des Schlosses vor ihnen auftauchte. „Dann, Raymond de Westlande, will ich hoffen, dass du dich auch gleich dran erinnerst, wenn du den Herrn spielst.“
„Aber sicher doch, Herr“, meinte Merlin mit einer spöttischen Verbeugung. „Mein guter Freund Gwyndurr wird keinen Grund zur Klage haben.“
Arthur zog seine Augenklappe über das linke Auge und Merlin klopfte an.
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Wie Uther schon prophezeit hatte, war die Augenklappe mindestens eine ebenso gute Eintrittkarte wie das Einladungsschreiben nach Skye. Niemand zweifelte ihre Identität an und ihnen wurde ein Zimmer im Nordturm zugewiesen. Es war sicher nicht der prächtigste Raum in der ganzen Burg, aber das Bett war groß und weich, die Tapisserien an den Wänden so dick und ausladend, dass sie den schlimmsten Zug abhielten und das Feuer im Kamin heizte den Raum angenehm auf.
Merlin trat ans Fenster und schaute über die Insel, die sich ihm im letzten fahlen Licht des Tages darbot. Wiesen, die mit Steinen durchsetzt waren, ein paar Schafe, die am Horizont grasten – Skye war sicher keine Besitzung, mit der man großen Reichtum erwirtschaften konnte. Merlin wusste, dass Ingesolde auch noch Ländereien jenseits der Insel gehörten, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass die Natur dort verschwenderischer mit ihren Gaben umgegangen war. Es war ein raues, herbes Land, über das sie herrschte.
„Merlin! Halt dort am Fenster nicht Maulaffen feil, sondern sag mir lieber, in welche Satteltasche du mein Hemd gepackt hast, und hilf mir endlich aus diesen Reitstiefeln heraus. Ich habe den Eindruck, ich hätte sie die ganze letzte Woche nicht ausgezogen.“
„Der Geruch Eurer Strümpfe bestätigt diese Theorie“, sagte Merlin, der sich zu dem Sessel bequemt hatte, auf dem Arthur saß und nun an Arthurs linkem Stiefel zog.
„Aua!“, beschwerte er sich, als ihn der bestrumpfte Fuß daraufhin an der Flanke traf.
Glücklicherweise stand eine große Schüssel mit erwärmtem Wasser bereit, so dass Merlin die königlichen Füße von dem durchdringenden Geruch befreien konnte. Er fühlte sich nicht sehr wie der Edelmann Raymond de Westlande, als er auch noch Kleidung für seinen Prinzen bereitlegte und ihm beim Ankleiden half.
Erst als er sein eigenes mit Samt verziertes Wams anzog, änderte sich das. Er spazierte vor dem Spiegel auf und ab und drehte sich nach rechts und links, bis Arthur ihn am Ärmel aus dem Zimmer zog.
„Komm schon, du eitler Geck, wir sind hier, um Verschwörer zu fangen, nicht, um auf Brautschau zu gehen!“
„Ja, ja“, meinte Merlin und strich noch einmal mit seiner Hand über den weichen Stoff, ehe sie gemeinsam den großen Saal der Burg betraten.
„Sir Gwyndurr von Athelton und der Edle Raymond von Westlande“, verkündete der Herold mit sonorer Stimme.
Gewohnt forsch schritt Arthur voran, sicher in dem Wissen, dass Merlin ihm folgen würde.
In dem Saal befanden sich schon gut zwei Dutzend Personen. Die langen, gedeckten Tische verrieten aber, dass damit kaum die Hälfte der Gäste anwesend war, die noch erwartet wurden. Die trutzigen grauen Mauern waren mit schweren Teppichen behängt, die Sagenmotive darstellten. Einhörner sprangen darauf umher, Drachen spieen Feuer und geflügelte Greife saßen majestätisch auf Balustraden. Der Boden des Saals war dick mit Stroh ausgelegt und in dem riesigen Kamin briet mit verführerischem Duft ein großes Tier auf einem Drehspieß, das drei Köche aufmerksam umsorgten.
Eine kleine, dunkelhaarige Frau trat auf sie zu – und obwohl sie zu Arthur und Merlin aufschauen musste, strahlte sie etwas Königliches aus und es war, noch ehe sie etwas sagte, klar, dass sie die Burgherrin war.
„Gwyndurr, Raymond, wie schön, dass ihr es einrichten konntet. Es ist schon so lange her, dass ich euch gesehen habe. Da wart ihr kaum den Spielhosen entwachsen.“ Sie ließ ein amüsiertes Lachen hören und statt ihnen die Hand zum Kusse hinzuhalten, zog sie die beiden Männer einfach in eine Umarmung.
Arthur musste sich zwingen, sich nicht zu versteifen, denn so ein Benehmen war er von Camelot nicht gewohnt. Merlin, mit seinem Großen-Jungen-Charme, schien das leichter zu fallen, wie er aus den Augenwinkeln beobachten konnte.
„Deine Ohren sind ja noch eindrucksvoller geworden“, neckte Ingesolde Merlin und zog ihn einmal daran, was seinen Diener zum Erröten, aber auch zum Grinsen brachte.
„Gwyndurr!“, rief ein Riese von Mann, der sich aus der Menge herauslöste und Arthur mit viel Schwung auf die Schulter schlug. „Das verspricht viel Spaß, wenn du auch da bist. Weißt du noch, wie wir bei unserem letzten Treffen die Ziege in Sir Geoffreys Schlafzimmer gesperrt haben?“
Arthur wollte gerade mit einer Lüge antworten, als eine junge Frau dem Riesen eine Hand auf den Arm legte. „Wulfgard, Gwyndurr ist noch nicht ganz im Saal und du stiftest ihn schon zu Unsinn an? Schäm dich.“ Sie streckte Arthur die Hand hin: „Sei gegrüßt, Gwyndurr.“
„Sei gegrüßt“, erwiderte Arthur, schüttelte die dargebotene Hand und versuchte, sich alle Namen zu merken. Obwohl, Wulfgard sah so wölfisch aus, das würde er bestimmt nicht vergessen.
„Raymond, du hältst es immer noch mit ihm aus?“, neckte sie Merlin und streckte ihm ebenfalls die Hand hin.
„Sieht so aus“, meinte Merlin. „Obwohl es nicht immer leicht ist. Er kann ganz schön anstrengend sein“, fügte er noch hinzu, einfach weil er konnte.
Sie setzten sich an die ihnen zugewiesenen Plätze und Merlin wurde schnell klar, dass es nicht ihre größte Sorge sein würde, sich die Namen der Verschwörer zu merken. Denn mit jedem Gast, der eintraf, wurde es ihm immer deutlicher, welcher Art diese Runde im Endeffekt sein würde: Druidinnen und Druiden, Heiler und Heilerinnen – und er spürte es mit jedem Moment deutlicher, hier gab es durchaus auch ein paar Personen, die in der einen oder anderen Form über Magie verfügten! Er konnte natürlich nicht sagen wer, aber er spürte es.
Oh nein! Das durfte doch nicht wahr sein, dass ausgerechnet er dazu auserkoren war, die Leute als Verschwörer zu brandmarken, die so viel mit ihm teilten! Glücklicherweise schien Arthur bisher erfreulich ahnungslos, er äußerte nur einmal sein Erstaunen darüber, dass es hier so viele Gäste gab, die sich wie Druiden kleideten. Merlin hätte gerne seinen Kopf auf den Holztisch gehauen, wenn es nicht so ernst gewesen wäre. Vorsichtshalber gähnte Merlin schon mal demonstrativ, vielleicht konnte er Arthur so bewegen, sich früh zurückzuziehen.
Als Arthur aber nur anmerkte, er würde ihn gern entschuldigen, wenn er kaum noch die Augen offen halten könnte und ins Bett gehen wollte, er würde jedenfalls noch einen Moment hier im Saal bleiben, stellte er das Gähnen sofort wieder ein. Er würde Arthur mit Sicherheit nicht in diesem Gewirr aus magischen Strömungen alleine lassen, das er mit jedem Moment deutlicher spürte!
Das Essen wurde – der großen Göttin sei Dank – nicht mit magischen Tricks serviert, sondern ganz klassisch und herkömmlich von livrierten Dienern herumgetragen. Auch die anschließenden Darbietungen der Gaukler und Spielleute bewegten sich im Rahmen des für normale Menschen Machbaren und Merlin entspannte sich ein wenig. Aber es war ihm natürlich klar, dass er bis spätestens zum nächsten Tag irgendeine Lösung finden musste, er konnte Arthur ja nicht ganze Zeit unter irgendeinem Vorwand in ihr Zimmer verbannen oder ohne Unterlass bewusstlos schlagen. Er hatte keine Ahnung, wie er weiter vorgehen sollte und entschied sich, eine Nacht darüber zu schlafen.
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Am nächsten Morgen beschloss Merlin, erst einmal das zu tun, was er immer tat – für seinen Prinzen das Frühstück holen. Er marschierte die Treppe hinunter und ging direkt in die Küche.
Erstaunt und mit offenem Mund blieb er in der Tür stehen: die Bediensteten benutzten Magie, um das Feuer anzufachen! Sie sprachen einen Zauberspruch, um das Omelett in der Pfanne zu wenden! Und als Merlin wie angewachsen stehenblieb, schickte ihm ein besonders freches Dienstmädchen ein frittiertes Gebäckstück, das in Honig gewälzt worden war, entgegen. Merlin stoppte es ohne nachzudenken im Flug, so dass es weder zu Boden fiel, noch er sich die Hände schmutzig machte.
Das Dienstmädchen lachte und sagte anerkennend: „Gut reagiert. An Eurer Stelle würde ich es aber trotzdem versuchen, es ist köstlich.“
Merlin ‚pflückte’ das Gebäckstück aus der Luft und biss herzhaft hinein. „Mhmm, sehr gut“, stellte er mit vollen Backen kauend fest.
Er trat näher und erkundigte sich: „Könnt Ihr mir ein Tablett fertig machen, dass ich für Gwyndurr und mich mit nach oben neben kann? Der Faulpelz schläft nämlich immer noch. Vielleicht bekomme ich ihn mit gutem Essen wach.“
„Oh, hat er gestern etwas zu tief ins Glas geschaut? Wartet, ich werde Euch etwas zusammenstellen.“
Merlin schaute sich um. Eine so offene Zurschaustellung von Magie hatte er noch niemals erlebt! Er wusste gar nicht, dass es solche Orte gab, wo so etwas noch möglich war. Es war, als wäre in der Zeit um Jahrhunderte zurück gefallen.
Die junge Frau suchte Brot, Käse, Wurst, Eier, kandierte Früchte, Obst und Gebäckstücke aus, dazu mit Wasser verdünnten Wein und fragte Merlin mit einem Augenaufschlag: „Kann ich noch mit etwas behilflich sein?“
Es war etwas kokett, aber auch mit einem leicht spöttischen Lächeln gesagt, so dass Merlin keine Ahnung hatte, was er daraus machen sollte und er fragte stattdessen: „Beherrschen hier alle Bediensteten Magie?“
„Ja.“ Sie nickte. „Die Herrin stellt nur Leute ein, die sonst vom Tode bedroht wären, wenn herauskommt, dass sie über magische Kräfte verfügen. Hier auf der Insel ist es nicht verboten, aber es gibt genügend Reiche, wo das der Fall ist.“
„Und die Gaukler gestern Abend?“
„Das waren ganz normale Leute. Sie sind heute früh abgereist. Wir sind jetzt unter uns.“
Merlin schaute sich um – und weil er sich konzentrierte und es zuließ, ‚sah’ er die Magie, die wie filigrane Goldfäden durch den Raum schwebte, sich an einigen Stelle etwas verdichtete, wenn diese Person über stärkere Zauberkräfte verfügte und sanft wirbelnd und wogend zur Decke aufstieg, wo sie sich dann verflüchtigte. Er konnte nicht aufhören zu staunen, dass es tatsächlich einen solchen Ort gab, wo so viele Menschen zuließen, dass ihre Magie sichtbar wurde, wo sie sich ihrer mit einer Unbekümmert und Freude bedienten, die er nie gekannt hatte. Es war, als wäre der ganze Raum in goldenen Sonnenschein getaucht. Für eine Sekunde schloss er die Augen und ließ die Wärme, die dieses Gefühl ihm gab, gegen seine geschlossenen Lider fluten. Als er die Augen wieder öffnete, hielt er seine eigene Magie etwas in Schach, denn er hatte keine Ahnung, ein wie starker Zauberer Raymond war.
Als seine Augen wieder offen waren, fragte die junge Bedienstete: „Möchtet Ihr noch etwas anderes?“
„Nein, nein. Das ist ganz wunderbar. Vielen Dank.“
„Gern geschehen.“ Mit einem Fingerzeig schwebte das Tablett auf ihn zu.
Merlin krümmte seinen Zeigefinger, machte eine ‚Komm-Her!’– Bewegung und ließ das Tablett wie ein folgsames Hündchen hinter sich herschweben. Das Küchenpersonal lachte – es schien also genau das zu sein, was von ihm erwartet worden war.
Auf der Treppe nach oben verfinsterte sich Merlins Miene. Arthur würde heute hier herausstechen wie ein schwarzes Schaf unter lauter weißen. Gestern Abend war es glücklicherweise anders gewesen, da hatten sich alle zurückgehalten. Aber heute musste man nicht über Zauberkräfte in seiner Stärke verfügen, um Magie zu sehen, wahrscheinlich war die Hälfte der hier Anwesenden dazu in der Lage. Das konnte nicht gut ausgehen. Denn rasch würde man herausfinden, dass Arthur nicht Gwyndurr sein konnte – und dann flog ihre ganze Tarnung auf. Merlin musste Arthur also unbedingt im Zimmer halten und versuchen, selbst herauszufinden, ob und gegen wen hier eine Allianz geschmiedet werden sollte.
Glücklicherweise schlief Arthur noch friedlich als er das Zimmer betrat und so warf er sofort einen Schlafzauber über den Prinzen, der ihn erst wecken würde, wenn er, Merlin, das erlaubte. Er stellte das Tablett neben Arthur ab und huschte sofort wieder aus dem Zimmer. Dieses Mal begab er sich nicht in die Küche, sondern ging in den großen Festsaal, wo sich bereits einige der Gäste versammelt hatten.
Er grüßte nach links und rechts und nahm sich einen Becher Milch und ein süßes Gebäck und wurde von Wulfgard an den Tisch gewinkt. Er folgte der Einladung und ließ sich neben ihm auf dem Stuhl nieder. Seine Arbeit als Verschwörer konnte beginnen.
„Wo ist Gwyndurr?“, fragte der andere Mann und schwenkte das Hühnerbein, an dem er gerade nagte, von rechts nach links.
„Der schläft noch“, erklärte Merlin und es war noch nicht einmal eine Lüge.
„Gwyndurr hat mir versprochen, mal eine Runde mit mir zu fechten. Er behauptet ja immer, er wäre wendiger und besser als ich. Aber das glaube ich nicht.“
„Ich würde Gwyndurr nicht unterschätzen“, verteidigte Merlin Arthur. „Er ist ein geschickter Kämpfer.“
„Und ich habe die Kraft“, lachte Wulfgard polternd und haute seine Pranke auf den Tisch.
„Protzt du mal wieder?“, meinte eine nicht mehr ganz so junge Frau, die sich als Berecynthia, Tochter des Herzogs von Kergulac vorstellte. „Mein Vater ist leider kein Frühaufsteher und hat noch nicht aus dem Bett gefunden“, schloss sie schulterzuckend und setzte sich zu den beiden Männern. Sie schaute Merlin offen an und fragte: „Raymond de Westlande? Bist du mit den Westlandes aus Kermoysan verwandt?“
„Das ist mir nicht bekannt – wenn, dann aber nur über so viele Ecken, dass wir keinen Kontakt miteinander haben.“ Da ging ihre Hoffnung dahin, dass niemand Raymond kannte und sie beliebig seine Familiengeschichte erfinden konnten! Merlin gab sich große Mühe, sich alles genau zu merken, was er ab dann zusammenfabulierte, damit er Arthur später einweihen konnte. Aber erst einmal müsste er ihn dazu wecken. Und dazu müsste er ein paar Fakten haben, worum es bei diesem Treffen hier eigentlich ging.
In einer Gesprächspause fragte er also: „Gibt es eigentlich so etwas wie einen … uhm … Tagesplan? Die Einladung war ja nur ganz allgemein gehalten.“
„Nein“, antwortete Wulfgard, „es gibt keinen festen Plan. Warum sollte es? Wir sind hier, um miteinander zu reden und die alten Geschichten zu erzählen, auf dass sie nicht vergessen werden. Einige wollen sich auch über die Wechselwirkung von Zaubersprüchen und neueren Heilmethoden austauschen.“
„Und Lady Agalaya hat wohl das ‚Buch der Weisen Frauen’ mitgebracht, das sie nur zu diesem Anlass aus seinem Geheimversteck geholt hat.“
„Ist es so wertvoll?“, wollte Merlin wissen.
„Ja, es enthält uraltes Wissen und Beschwörungsformeln, die weit bis in das Dunkel der Zeiten zurückreichen. Man sagt, dass viele Zauber darin heute schon nicht mehr funktionieren können, weil die Magie in der Welt dazu nicht mehr ausreicht“, erklärte Berecynthia.
„Und wann sprechen wir über Politik? Nach dem Mittagessen?“ Merlin hoffte, dass die Frage, wenn er sie so formulierte, beiläufig genug klang.
„Politik? Wenn es sich vermeiden lässt hoffentlich gar nicht.“ Wulfgard schüttelte den Kopf. „Das ist doch immer dasselbe. Die Reiche, die noch Magie zulassen, werden immer weniger. Die christlichen Missionare gewinnen immer mehr an Einfluss. Und das wissen wir doch alle. Das brauchen wir ja nicht lang und breit erörtern, zumal wir nichts dagegen machen können, außer das alte Wissen und die alte Religion zu bewahren und unseren Freunden in Not zu helfen.“
Berecynthia nickte. „Aber dennoch gibt es einen Bereich, in dem könnten wir etwas tun. Wir sollten besprechen, ob und wie wir die Drachen besser schützen können“, fuhr sie fort.
Wulfgard nickte. „Ja, das stimmt. Wir haben mit den Drachen, die bei uns leben, ein Abkommen getroffen. Sie greifen nicht mehr unsere Städte an, dafür gewähren wir ihnen Zuflucht in den westlichen Wäldern und verpflichten uns, dort keine Ansiedlungen zu erlauben.“
„Wir versuchen die Leute dazu zu bewegen, Dracheneier, die sie zufällig finden, bei uns abzugeben, statt sie zu vernichten“, sagte Ingesolde, die die letzten Sätze mitgehört hatte und sich jetzt zu ihnen an den Tisch setzte.
Bei diesen Worten spürte Merlin einen Stich des Bedauerns, als er an Kilgharrah dachte. Der alte Drache trieb ihn zwar manchmal zur Weißglut mit seinen betont zweideutigen Antworten, aber sicher rechtfertigte das nicht, ihn dort unten in den Höhlen unter Camelot angekettet zu halten.
„Können wir nicht mehr Einfluss auf die Gesetze nehmen?“, fragte Merlin. „So dass dort fest verankert wird, dass Drachen geschützt werden müssen?“
„Raymond, wer es noch nicht einmal ertragen kann, dass man ein wenig für den Hausgebrauch zaubert, der wird sicher keine Drachen in seinem Land dulden“, tadelte ihn Ingesolde sanft.
„Es sei denn in Ketten“, merkte Berecynthia düster an.
Das Thema wurde fallen gelassen, weil es zunehmend voller wurde im Saal und sich weitere Personen an den Tisch setzten, die lieber über gemeinsame Bekannte plaudern wollten und ob es in einer neueren lateinischen Beschwörungsformel nun ‚niemand’ oder ‚keiner’ heißen musste, oder ob das egal war.
Merlin verabschiedete sich und ging langsam die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Nein, das hier sah nicht nach Staatsverschwörung aus. Hier sollten keine Allianzen geschmiedet werden, um ein vereintes Britannien unter einem Hochkönig zu schaffen, der nicht Uther Pendragon hieß. Hier trafen sich Leute, die eine ganz andere Sorge einte: der Verlust ihrer alten Werte, ihrer Religion, ihrer Magie und ihrer Geschichte. Sicher gab es auch Zauberer, die ihre Kräfte in den Dienst von Umsturz und Gewalt stellten, aber diese Leute, die sich hier versammelt hatten, machten auf Merlin nicht den Eindruck.
Das Dumme war nur, Arthur würde sein Wort nicht ohne Beweise glauben. Prinz Dickkopf würde nicht eher ruhen, ehe er sich selbst davon überzeugt hatte. Aber es ‚mit eigenen Augen sehen’ oder ‚eigenen Ohren hören’ konnte er nur, wenn er über Magie verfügte. Was er, wie Merlin genau wusste, nicht tat. Nicht einmal ein kleines bisschen. Die Magie, die im Hause Pendragon zu verteilen gewesen war, war vollständig auf Morgana übergegangen.
Merlin öffnete die Tür, betrat das gemeinsame Zimmer und blickte auf den schlafenden Prinzen herunter. Wie kamen sie am besten aus dieser Klemme heraus? Ohne dass es zum Eklat kam? Er würde Arthur sicher nicht mit gezücktem Schwert da reinmarschieren lassen – denn ihm war klar, selbst wenn er Arthur helfen wollte, konnte er es nicht mit allen Anwesenden zugleich aufnehmen.
Merlin nahm sich einen Apfel und biss hinein. Langsam dämmerte ihm, dass es eventuell eine Möglichkeit gäbe. Nur leider erforderte dieses Vorgehen, dass er Arthur als erstes einmal mitteilte, dass er über Magie verfügte.
Merlin verzog das Gesicht. Das kam bestimmt gut an bei dem Prinzen. Er seufzte. Das klang wie ein todsicherer Plan, um nicht wieder nach Camelot zurückkehren zu können. Das … das … war vielleicht wirklich die Lösung! Denn er befand sich an einem Ort, an dem zu leben, er sich zur Not vorstellen konnte. Wenn man über Magie verfügte, konnte man sich kaum einen bessern Platz wünschen. Die Prophezeiungen des Drachen hin oder her, dass Arthur und er zwei Seiten einer Medaille waren – der griesgrämige Drache hatte wahrscheinlich nicht bedacht, dass Arthur sich ja auch mal nach Merlin richten konnte.
Früher oder später musste er Arthur sowieso sagen, wer er war und was er konnte. Er konnte nicht ewig die Charade aufrecht erhalten und seinen Prinzen ohnmächtig schlagen, für dumm verkaufen oder sich selbst als dusselig hinstellen, wenn er Magie anwendete, um den prinzlichen Hintern zu retten. Es brannte schon lange in ihm, für klare Verhältnisse zu sorgen, die Täuschung nicht länger aufrecht zu erhalten – aber bisher hatte sich noch nie eine Gelegenheit ergeben. Aber viel günstiger als jetzt würden die Umstände wohl nicht mehr werden.
Kurz entschlossen hob Merlin den Schlafzauber auf. „Na dèan cadal!“
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TBC...