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Thema: [Sherlock] Das letzte Problem

  1. #1
    First Lieutenant Avatar von sethos
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    Standard [Sherlock] Das letzte Problem

    Das letzte Problem
    sethos

    Sherlock - BBC

    Thriller
    Pairing: keine
    P -12

    Staffel 1 und 2 / besonders Skandal in Belgravia und Reichenbachfall
    Spoilerwarung für Nach-Reichenbachentwicklung

    Anmerkung: Diese FF ist meinem Beta Garfield gewidmet. Garfield, die mir in zahlreichen Mails und Telefonaten zur treuen Mitstreiterin und gleichzeitigem widersprechenden Mephisto wurde – eine unschätzbare Eigenschaft wenn man sich quält. Und diese FF war definitiv eine Qual. Garfield, die mich, wenn ich himmelhochjauchzend zu den Sternen aufstieg oder mutlos im Tal der Verzweiflung festsass, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Und mit der ich einen ganz besonderen, damals noch sehr naiven Moment teilte. Dank Internet und heutiger Telefontechnik vermochten wir beide – sie in einem Flugzeug in London festsitzend, ich auf einem Hundespaziergang im Wald - den an Sherlock ergangenen Befehl: Jump! zu teilen und zu folgen.
    Danke Garfield, dafür, dass Du mit mir gesprungen bist.


    Inhalt: Eine mögliche Version für eine Nachreichenbachentwicklung
    vieles wird mit Sicherheit anders verlaufen, einiges mag stimmen.
    Noch einmal sei intensiv vor Spoilern gewarnt und auch davor, dass einigen Figuren möglicherweise bitter Unrecht getan wird


    Disclaimer: sämtliche Rechte an den Jung's und anderen Charakteren gehören nicht mir.
    Diese Fanfic wurde lediglich zum Spaß geschrieben und nicht um damit Geld zu verdienen. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.






    Das letzte Problem











    Prolog







    „Ich muss etwas erledigen!“

    „Kann ich helfen?“, einem getreuen Labrador gleich schien John nur darauf zu lauern das Sherlock ihm den Apportierball zuwarf. Doch das hier war schon lange kein Spiel mehr.

    „Das mache ich alleine!“ Abrupt wandte er sich ab und ließ John orientierungslos zurück.
    Sherlock war sich absolut sicher, dass John ihm nicht folgen würde. John hatte gehorchen gelernt.

    Er eilte mit wehendem Mantel durch die nächtlichen Londoner Seitenstraßen. Sherlock wusste, dass die Polizei ihn suchte, aber auch, dass bestimmte Personen dafür sorgen würden, das sich der dafür benötige Enthusiasmus in Grenzen hielt. Wenn er sich nicht zu auffällig gab, schien er vorerst sicher. Doch er musste schnell handeln. Die Zeit lief.
    Er rannte nicht, aber seine Schritte stürmten dahin, seine Gedanken rasten und in seinem Inneren tobte ein bis dato unbekannter Hurrikan.
    Vertrauen?
    Wem ausser John hatte er je vertraut?
    Hatte ihm das Leben nicht mit jedem Atemzug bewiesen, dass Vertrauen Schwäche bedeutete. Schlimmer noch - Emotionen! Das Haar in der Suppe. Das Sandkorn auf der Linse. Nichts weiter als ein genetischer Defekt auf der Verliererseite.
    Wie sollte er nun, da er sich nichteinmal mehr Johns Loyalität absolut sicher war, bereit sein, sein Leben auf Emotionen zu setzen? Wie konnte er, ein Kopf der immer und ausschliesslich der Logik den Vorrang gab, ja sie zu seinem einzigen Gott erhoben hatte, jemandem vertrauen, den er doch so sehr für oberflächlich und wankelmütig befand. Vieles hatte sich verändert durch die Erlebnisse des letzten halben Jahres. Dennoch, noch vor knapp einer Stunde wäre ihm auch nur der kleinste Gedanke an sein jetziges Tun absurd erschienen.
    Schach!
    Moriarty`s Zug lag klar vor ihm. Er brauchte mehr Zeit um seine Antwort, um einen Gegenzug, zu überdenken. Voreiligkeit führte zur unvermeidbaren Niederlage. Doch die Zeit lief. Er musste sich entscheiden, auch wenn sich die Erkenntnis über die Höhe des Wagnisses schmerzlich in seine Eingeweide frass. Aber jedes weitere Zögern schwächte die wenige Kraft die ihm für den Kampf noch übrig blieb.
    Er wusste, dass sie auf sein Kommen wartete - notfalls die ganze Nacht warten würde. Der Tod schritt bereits an seiner Seite, pulste hämisch grinsend durch seine Adern und ließ seinen Widerstand immer kraftloser werden. Sein Leben, sein Körper, seine Seele brannten. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann das Feuer ihn vernichten würde und alleine besass er nicht mehr die Kraft daran noch etwas zu ändern. Der Kreis um ihn zog sich immer enger. Zuviele, zu mächtige Hunde jagten das bereits erschöpfte Wild. Er war gefangen. Ein verzweifeltes Tier in der Falle. Wenn er leben wollte, würde er sich von etwas sehr wertvollem trennen müssen, um notfalls als Krüppel weiterzuhumpeln. Geschädigt, aber am Leben – nur das zählte. Kurz kämpfte er noch dagegen an, dann stand Sherlocks Entschluss fest. Lieber einen notwendigen Teil seines Selbst opfern, als völlig unterzugehen.

    Er hatte sich nicht geirrt. Sie erwartete ihn. Und er erkannte, dass sie wusste wie schwer es ihm gefallen war zu ihr zu kommen. Trotzdem war ihr kein Triumph anzumerken. Sie schenkte ihm die Gnade der Sachlichkeit. Doch jetzt, da er sich dazu durchgerungen hatte diesen Schritt zu tun, gestand er ihr auch das Recht seiner zutiefst empfundenen Hochachtung zu.
    „Ich habe dich unterschätzt.“
    Das einst selbst in der Nähe distanzierende Sie erschien nun nur noch ein Absurdum.

    Sie lächelte matt: „Was hast du unterschätzt? Dass ich bereit bin dir zu helfen oder dass ich die notwendigen Mittel dafür besitzen könnte?“

    „Beides!“

    „Verstehe. Aber die Vorbereitungen sind alle bereits getroffen. Ich benötige noch ein paar weitere Helfer, aber alles andere bekomme ich hin.“

    „Ich verschaffe dir mehr Leute.“

    „Gut. Wie soll es geschehen?“

    „So spektakulär und öffentlich wie irgend möglich.“

    Sie hob erstaunt den Kopf, ihre Augen suchten in seinem ausdruckslosen Gesicht nach Hinweisen.
    „Du willst Moriartys Spiel nach seinen Regeln zuende bringen?“

    „Nein, das ist nur ein netter Nebeneffekt. Wir lassen ihn in dem Glauben, dass er das ganze Programm bekommt. All die Öffentlichkeit die er sich wünscht. Zeitungen, Presserummel, weltweite Medien....“

    Sie nickte und in ihren Augen leuchtete bewundernder Respekt: „Ich verstehe. Du willst die Anderen schützen.“

    „Sie müssen wissen, dass ich tot bin. Ebenso wie alle anderen. Jeder muss es wissen. Es darf für niemanden Zweifel geben!“

    „Ich werde es wissen!“

    „Ja“, antwortete er schlich.

    Sie atmete schwer durch. Ihre Lippen bebten kaum merklich und zeugten davon, wie tief seine Antwort sie getroffen hatte. Sie schloss kurz die Augen und versuchte das Rasen in ihrem Inneren wieder unter Kontrolle zu bekommen. Wer zwang hier eigentlich wen in die Knie? Er war bereit zu vertrauen, obwohl sie ihm nie Anlass dafür gegeben hatte. Scham erfüllte sie zutiefst.
    „Danke“, flüstert sie leise. „Das ist mehr als ich erwarten konnte...“
    Dann schluckte sie ihre Reue hinunter und kehrte zur Notwendigkeit zurück.
    „Öffentlichkeit....das macht die Sache schwieriger, sehr viel schwieriger. Aber ich denke, wir bekommen das hin. Möglicherweise....“, sie stockte kurz.

    „Was?“

    „Möglicherweise könnten Unbeteiligte hineingeraten.“

    „Nein. Sorge dafür, dass das nicht geschieht!“

    „Wie? Ein Sicherheitsrisiko ist bei soviel erwünschter Öffentlichkeit nicht auszuschliessen...Ich weiss, dass du das nicht willst...aber ich denke, ich werde ein paar Vorsichtsmassnahmen treffen müssen...Es steht zuviel auf dem Spiel!“

    „Nur im äussersten Notfall! Du weisst, dass ich deine Art von Vorsichtsmassnahmen nicht besonders schätze. Versuch es anders abzusichern.“

    „Ich gebe mir Mühe.“

    „Und lass John raus.“

    „Wie du willst. Wo ist er jetzt?“

    „Das weiss ich nicht. So wie ich ihn kenne versucht er mir auf seine ganz individuelle Art zu helfen.... Und das bedeutet wohl....“ Sherlock schüttelte zynisch den Kopf, „dass er zu Mycroft gerannt ist.“

    „Oh!“ Ihr Lächeln bekam etwas Anzügliches. „Guter Junge! Das gibt uns die nötige Zeit. Ich denke“, ihre Stimme sank zu einem fast zärtlichen Flüstern, „dass ich zwar eine wichtige, aber nicht deine einzige Option bin. Wenn du also noch einen Plan B versuchen möchtest....“

    Sherlocks Augen hielten die ihren sekundenlang fest bevor er respektvoll antwortete. „Ich habe dich mit Sicherheit unterschätzt...und ich habe nie geglaubt, dass ich dir das irgendwann zugestehen würde.“

    „Ich weiss...“, doch besaß ihr Lächeln nun tiefe Wärme und keinerlei Anzeichen von berechtigter Häme.
    Sie trat eng an ihn heran. Er vermochte ihre sinnliche Körperlichkeit durch seinen Mantel hindurch zu spüren. Ihr Parfüm umschmeichelte seine Konzentration. Mehr als reine Chemie. Ihre unmittelbare Nähe beruhigte sein aufgewühltes Inneres auf eine merkwürdige Weise. Still begann das Leben wieder durch seine Adern zu pulsen, seine wildkreisenden Gedanken sich zu ordnen. Miteinmal erschien seine Entscheidung für sie von der Bitternis der Niederlage, um den Verlust der reinen Rationalität befreit, durchströmte tiefes Vertrauen für diese noch immer so merkwürdig erscheinende Emotionalität seine Seele. Dennoch, sollte er sich falsch entschieden haben, würde es keine Zeit der Reue mehr für ihn geben.
    Liebkosend hob sie ihre Hand und legte sie sanft auf seinen linken Arm. Er ließ es abwartend zu. Seine Augen folgten beobachtend dem zärtlichen Spiel ihrer langsam dahingleitenden Finger.
    „Ich brauche noch ein wenig persönliches Engagement vor dir“, flüsterten ihre Lippen an seinem Ohr.
    Sherlock nickte. Und als sie ihre Hand von seinem Arm nahm zog er schweigend den Mantel und das darunterliegende Jackett aus und setzte sich auf die an der Wand stehende Couch – dem einzigen bequemen Möbelstück in dem ansonsten fast steril wirkenden Arbeitsraum. Sie verschwand kurz im Nebenzimmer und als sie mit den notwendigen Dingen zurückkehrte hatte er das Hemd bereits geöffnet.
    Sie glitt an seine Seite und hielt ihm verführerisch neckend den langen schwarzen Schlauch entgegen. „Soll ich dich fesseln oder...?“
    Sherlock schniefte schwach ironisch. „Überschreite nicht deine Kompetenz...“ Er griff nach dem Schlauch. Routiniert zurrte er ihn um seinen linken Oberarm fest.
    „Nicht unbedingt genau einen halben Liter!“

    Sie lächelte frech. „Hältst du mich für so dumm? Keine Sorge ich werde mit deinem Leben sorgsamer umgehen.“ Ihre langen Fingernägel tasteten suchend nach der passenden Ader in der Ellenbeuge.
    Die Nadel war spitz, so dass er den Einstich kaum spürte. Fasziniert verfolgten sie beide wie sein dunkles Blut den Druckbehälter der Spritze füllte. Viermal wechselte sie ihn gegen leere Ampullen aus, bevor sie zuließ, dass er den Schlauch löste.
    „Genug“, flüsterte sie und ihre Augen suchten für einen kurzen besonderen Augenblick die Tiefe der seinen. Vorsichtig zog sie die Kanüle zurück während ihre Finger zärtlich über seinen Arm glitten und mit sanftem Druck die winzige Wunde verschlossen. Für den Bruchteil einer einzigen Sekunde schien alles vergessen - das Vorher und das Nachher - das was einst gewesen und das was sie nun planten. Nur das gemeinsame Jetzt schien von Bedeutung.
    Mit einem Ruck stand er auf, zog den Arm nach oben und drückte die eigenen Finger auf die Wunde. Das Jetzt zerriss jäh. Sein Blick wandte sich ab.
    Sie lächelte schmerzlich und ihre Augen verloren ihren Glanz. „Verzeih, ich wollte es dir nicht noch schwerer machen, als es schon ist. Es ist nur...es ist auch für mich nicht leicht...“

    „Ich weiss.“ Er stand mit dem Rücken zu ihr - dunkel, groß und obwohl seine tiefe Stimme einem sanften Hauch geglichen hatte, urplötzlich doch wieder hart wie eine uneinnehmbare Wand aus Stein. Trotzdem vermochte sie den Schmerz der in seinem Inneren tobte fast körperlich auf ihrer Haut zu spüren. Hart kämpfte sie gegen den Impuls an, zu ihm zu gehen und sich einfach nur schützend an ihn zu lehnen. Ihre Arme um ihn zu breiten, den Sturm in seinem Inneren zu stillen und ihm geduldig zu zeigen, dass soviel mehr möglich war, ohne dass er sich dabei verlor. Sie wusste nun, sie besass die Kraft ihn an dieses Leben zu fesseln, etwas das sie nicht tun durfte, wenn sie sein Leben retten wollte. Wenn es ihm nicht gelang einen anderen Ausweg zu finden würde er sterben müssen, konsequent und gnadenlos. Jetzt etwas in ihm zu wecken, dass seinen Verlust nur vergrößerte, käme einer wirklichen Hinrichtung gleich.
    Es ging sie hart an, aber sie blieb sitzen ohne noch einmal den Kontakt zu seinen Augen zu suchen.
    „Ich brauche auch den Rest von dir. Ist etwas unangenehm...“

    Er nickte. „Das ist nun mal nicht zu vermeiden. Gründlichkeit ist absolut erforderlich. Wo?“

    Sie wies zum Nebenzimmer „Ich hoffe, ich habe nichts übersehen...“

    „Ich prüfe es.“ Rationales Denken beherrschte nun wieder jeden seiner Atemzüge. Sherlock verschwand, um nur Minuten später komplett und doch völlig identisch umgezogen wieder zu erscheinen. Es war die Zeit die sie gebraucht hatte um sich ebenfalls zu fangen. Völlig ruhig streifte sie seine Erscheinung und nickte mit dem Ergebnis zufrieden. „Kein Unterschied zu erkennen. Denke daran...“
    Er unterbrach sie mit einer unwirschen Geste. „Es wird nichts zurückbleiben von mir.“

    Sie schluckte auch die letzten Gefühle hinunter und lächelte hart mit ihrem alten professionellen Selbstbewusstsein. Ihre schönen Gesichtzüge erschienen maskenhaft.
    „Gut. Ich werde bereit sein, wenn du es bist. Gib mir Bescheid, wenn du alles andere erledigt hast.“, sagte sie durch sein distanziertes Gebaren nun ebenfalls dazu fähig die emotionale Fessel zu lösen.

    „Natürlich. Und du kümmerst dich um John.“

    „Ja. Verlass dich auf mich.“

    Er griff nach dem Mantel, den sie für ihn bereit gelegt hatte und der dem seinen, den er auf der Couchlehne zurückgelassen hatte, bis ins allerletzte Detail glich. Ohne sich noch einmal umzudrehen ging er zur Tür.
    „Das tue ich. .... bis später.“



    ***
    Geändert von sethos (24.09.2012 um 17:24 Uhr)

  2. Danke sagten:


  3. #2
    Ägypten-Fan Avatar von Valdan
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    Wow - das ist mal ein Einstieg. Da hast du ganze Arbeit geleistet. Es sind genug Andeutungen da, um sich ein schwaches Bild davon machen zu können, was Sherlock vor hat, aber das wird sich bestimmt erst festigen oder wieder auflösen, wenn es weiter geht. Ich freu mich drauf

    LG Val

    *die sich glaube ich heute abend noch mal den Reichenbach Fall anschauen sollte *gg**
    "Der Mensch fürchtet die Zeit, doch die Zeit fürchtet die Pyramiden."
    arabisches Sprichwort

    ***


  4. #3
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    Danke Valdan für das erste anschubsen. Denke das die Sache sich erst noch ein wenig entwickeln muss. Aber Dein guter Vorsatz für heute Abend findet natürlich meine absolute Begeisterung.



    Um die Sache in Gange zu bringen folgen nun gleich zwei Kapitel - wird kein Dauerzustand, versprochen.

    Da ich nicht voraussetzen kann, dass sich jeder Leser sowohl in der Serie als auch im Sherlock Holmes Original-Canon von Sir Arthur Conan Doyle auskennt, hänge ich unten die nötigen Erklärungen für die Zusammenhänge ran. Hoffe so geht das.








    I



    John starrte auf die Uhr, deren Zeiger sich unaufhaltsam der Zwölf näherten, während hinter ihm bereits klirrend die Gläser gefüllt wurden und unten auf der Straße ein paar übereifrige Passanten in wildes alkoholgetränktes Gegröle ausbrachen. Rein sachlich betrachtet, musste er das sich nun so akut dem Ende zuneigende Jahr als ein persönlich erfolgreiches zählen. Die Beziehung mit Mary* lief gut. Seit einem halben Jahr lebten sie zusammen. Der neue Job in der Praxis in Paddington* war einträglich und mit den Kollegen verstand er sich ausgezeichnet. Ja, selbst mit Harry versöhnte er sich soweit, dass sich seine Schwester zu einem Weihnachtsbesuch bei ihm und Mary herabließ. Mary war ein Schatz. Sie erwies sich als ungemein geduldig und tröstend und machte sich sogar die Mühe, Mrs Hudson sowohl zum Weihnachtsessen, als auch zur Silvesterfeier dazu zu bitten. Trotzdem ließ sie ihm unmissverständlich spüren, dass sie dieses für ihn und nicht für Mrs Hudson tat und mit Sicherheit darunter litt, wenn diese ihr erklärte, dass er, John Watson, am Heiligen Abend nun mal lieber Truthähne mit Hackfleisch gefüllt, so wie Mrs. Hudson sie zubereitete, bevorzugte, als getrüffeltes Steinbuttfilet auf Sojasprossen.* Trotzt der daraus folgenden unerquicklichen kleinen Diskussion gab es aber kaum Differenzen zwischen Mary und ihm, allerdings auch keine größere Leidenschaft mehr. Manchmal, in ruhigen Minuten, kam ihm der Gedanke, dass seine Beziehung wohl eher einen Schutzmechanismus für ihn darstellte, aber auch das war im Moment gut so. Wenn man also von dem zutiefst bitteren Fakt abrückte, dass sein bester Freund vor knapp sieben Monaten Selbstmord begangen hatte, war das vergangene Jahr ein respektables gewesen.
    Die Wohnzimmeruhr begann mit unaufhaltsamer Präzision ihren tiefdunklen Westminsterschlag anzustimmen und hinter ihm kreischten die Gäste hysterisch „Happy New Year“, während Marys Lippen feucht auf seine Wange schmatzten. Gläser schepperten, die Uhr endete im zwölften Schlag und das unvermeidliche geschah. Zehn halbbetrunkene Silvestergäste stimmten wonnetaumelnd 'Auld Lang Syne' * an. John spürte wie ihm die Kehle zugeschnürt wurde und sein Herzschlag stockte. Luftringend stürzte er aus dem Zimmer ins Bad, warf sich gegen die beruhigende Kühle der Wandfliesen und kämpfte gegen den heftigen Reiz an, sich über der Toilette übergeben zu müssen. Was für eine nette Geste jedes Silvester der Verstorbenen zu gedenken – wie wundervoll traditionell. Vor genau einem Jahr hatte er in seinem Sessel in der Baker Street gesessen und sein bester Freund war seiner bohrenden Frage, nach dessen Befinden, mit genau diesem Lied ausgewichen. Damals hatten sie beide vom Überleben Irene Adlers erfahren. Mittlerweile war sie einen ebenso sinnlosen Tod gestorben wie einige Monate später Sherlock.

    „Huhu John?“ Mrs Hudson steckte vorsichtig den Kopf zur Tür hinein. „Alles in Ordnung, mein Junge?“

    „Ja, ja, natürlich. Alles bestens.“ Und er dachte gleichzeitig rebellisch, wenn ich jetzt Sherlock wäre, würde ich ihr etwas von Beruhigungsmitteln erzählen und ihr die Tür vor der Nase zudrücken. Aber als er zu ihrem tiefmütterlichen Gesicht aufsah und in ihre rotgeränderten Augen blickte, begriff er entsetzt, dass er nicht der Einzige war, der in diesem Augenblick litt. „Ein gutes Neues Jahr Mrs Hudson“, flüsterte er reuig, nahm sie fest in die Arme und wiegte ihre kleine schniefende Gestalt minutenlang tröstend.

    „Es war nicht fair, John, nicht wahr, es war nicht richtig...“, schluchzte sie leise in sein Sakko.

    „Nein, nein, das war es nicht. Aber...“

    „Es ist ja einfach nur, weil ich immer noch wissen will warum, John. Ich will doch einfach nur wissen wer ihm diese schreckliche Sache angetan hat.“

    John schob abrupt ihren schmalen Oberkörper vor sich her und sah ihr intensiv in die Augen. „Mrs Hudson, aufhören! Sie hören jetzt und hier augenblicklich damit auf. Das ist ein neues Jahr. Wir fragen seit fast sieben Monaten* nach dem Warum, nach dem Wer, nach dem Weshalb. Wir müssen akzeptieren, dass wir keine Antwort erhalten werden. Wir müssen endlich damit aufhören wütend zu sein, Mrs Hudson. Unsere Fragen wird uns nie jemand beantworten. Wir müssen lernen damit zu leben. Und ein neues Jahr ist ein sehr guter Anfang dafür.“

    Sie versuchte so etwas wie ein Lächeln unter ihrem Schniefen. „Sie sind ja ein richtiger Psychologe geworden, John. Ich dachte Sie wären Allgemeinmediziner.“

    „Bin ich. Und als solcher verschreibe ich uns beiden das passende Rezept. So, jetzt gehen wir wieder brav zu den anderen zurück und trinken die Punschschüssel leer. Ein ordentlicher Rausch ist zwar nicht immer ein empfehlenswertes Medikament, aber hat in meiner Familie eine tiefe Tradition.“






    ***



    Mary – im Canon heiratet Watson lange vor Holmes „Tod“ Mary Morstan, eine ehemalige Klientin von Holmes und Watson und verlässt die Wohngemeinschaft mit Holmes, begleitet diesen aber weiterhin, wenn ihm die Zeit dafür bleibt, auf dessen Ermittlungen. Kurz vor dem Wiederauftauchen Holmes stirbt Mary und Watson zieht danach wieder mit Holmes zusammen. Doyle begann wieder über Holmes zu schreiben um somit den frühen Tod seiner eigenen Frau trauermäßig besser verarbeiten zu können. Mary ist daher canonmäßig recht wichtig und tritt in vielen FFs auf. In der Serie werden zwar Johns zahlreiche Freundinnen erwähnt und auch gezeigt, eine Mary ist allerdings nicht darunter. Ich nahm mir die Freiheit ihm nur eine Lebensgemeinschaft, aber keine Heirat zuzugestehen. Weder für das Auftauchen Marys, noch für eine Trennung ist heutzutage noch unbedingt eine Heirat oder ein früher Tod notwendig


    Paddington - im Canon betreibt Watson nach seiner Heirat eine eigene Praxis in Kensington, beschreibt aber, dass er den Hauptteil seiner Patienten aus der Eisenbahnergegend um Paddington bezieht. In späteren Episoden wiederum befindet sich seine Praxis in Paddington. - Sir A.C. Doyle war, was die Kontinuität seiner Geschichten und Figuren anging, manchmal etwas nachlässig.
    Die wahrscheinlich typischen Edelkliniken von Kensington wären wohl Johns normal gestrickten Charakter wenig zuträglich, daher entschied ich mich für Peddington


    Truthahn mit Hackfleisch – lieber Mr Freeman (Darsteller des John Watson), es tu mir unsäglich leid, ihrem Vegetarismus einen akuten Würgreiz beschert zu haben, aber im Canon sind weder Watson noch Holmes Fleischabstinenzler, lassen wir sie also bei den Fleischtöpfen

    Auld Lang Syne - http://de.wikipedia.org/wiki/Auld_Lang_Syne


    fast sieben Monaten – laut Johns Blog starb Sherlock am 15. 06. 2012 http://www.johnwatsonblog.co.uk/














    II



    Ja, das konnte man nun doch wirklich einen gelungenen Start ins neue Jahr nennen. Ein falschgeleiteter Tischböller hatte ein Loch in die Couch gebrannt, eine von Marys Freundinnen in den Flur gekotzt, während man ihren Mann, zu vorgerückter Stunde, mit Marys Kusine kuschelnd im Schlafzimmer vorfand. Deren Mann wiederum, drohte ausgerechnet John mit einer Tracht Prügel, weil dieser sich zu einem anzüglichen Lachkrampf hatte hinreißen lassen. Das Ganze endete in einem lautstarken Streit, ausgerechnet zwischen ihm und Mary, so dass John es vorzog, die Wohnung schleunigst zu verlassen und Mrs Hudson nach Hause zu geleiten. Nun sass er übernächtigt und verkatert in ihrer Küche und ließ sich mit Kaffee und Toast verwöhnen. Glücklich summend stand die alte Dame an ihrem Herd und zauberte Rühreier und Würstchen.

    „Mrs Hudson“, stöhnte John, Sie haben meine absolute Bewunderung. Die ganze Nacht kein Auge zugetan und mindestens acht Gläser Punsch und Sie summen?“

    „Ach John, Sie sind jung.... Sie vertragen nichts. Zu meiner Zeit...“

    „Jung? Ich fühle mich wie achtzig.“

    „Das liegt nicht am Punsch, das liegt an den Sachen die Ihre Freundin Ihnen kocht.“ Selbstzufrieden schaufelte sie ihren Pfanneninhalt auf seinen Teller. „ Jamie Oliver, mediterrane Küche, das ist doch nichts für einen Mann wie Sie. Da müssen Sie ja Ihre Kondition verlieren.“

    „Ich dachte Sie mögen Mary“, John stopfte Rühreier ins sich hinein.

    „Tu ich auch. Aber das gibt mir trotzdem das Recht, mich um Sie zu sorgen. Ich denke, dass geht so auf die Dauer nicht gut mit ihnen beiden. Wenn sie Sie bemuttern will, dann muss sie das auch ordentlich tun.“

    „Sie ist meine Freundin, Mrs Hudson. Nicht meine Mutter.“

    „Eben. Früher, Sie wissen schon, davor, da war das mit Ihnen und Mary ganz anders. Aber ich habe den Eindruck, dass sie seit Sherlocks Tod nur noch eine Art Trostpflaster spielt.“

    Da stand es wieder im Raum, das Wort, der Name, den sie beide nicht aussprechen wollten und auf den sich nun doch wieder alles reduzierte. Eine große dunkle Gestalt schien, einem Gespenst gleich, schweigend den Raum zu durchschreiten. Ein Frosthauch legte sich auf ihre gerade noch so anheimelnde Zweisamkeit.

    „Davor, wie Sie es nennen, waren wir frisch verliebt.“ , versuchte John den Ansatz eines verärgerten Protestes. „Jetzt sind wir schon fast ein Jahr zusammen. Da schleicht sich Routine ein. Außerdem will Mary London verlassen. Es wird ihr einfach zufiel, was in letzter Zeit hier los ist.“ John nickte mit dem Kopf in Richtung mehrerer Stapel alter Tageszeitungen, die ungelesen auf dem Küchenschrank lagen. Bilder und großlettrige Meldungen von weltweiten Terroranschlägen, Regierungsumbildungen und
    Verfassungsschutzskandalen prangten auf ihren Titelseiten.
    „Tja, für einige war das wirklich kein gutes Jahr. Der Naheosten und Afrika brennen, die Russen scheinen zum Zarentum zurückzukehren, Amerika steckt in der Dauerkrise und auf dem Kontinent werden immer mehr Staaten unregierbar. Italiens ehemaliger Präsident stellt sich als Pornokönig heraus, Frankreichs als Zwerg Nase und die ach so vorbildlichen Deutschen schmücken sich mit einem korrupten Präsidenten und einem gesetzlosen Geheimdienst. Wer will sie noch kontrollieren, all diese Großen, wenn sie sich selber nicht mehr im Griff haben.“

    „Aber John, was stört das Ihre Freundin.“

    „Oh, das stört sie nicht. Wie auch? Wir übertreffen doch alle noch miteinander. Zwei Minister, die in den letzten sieben Monaten, wegen Skandalen ihren Hut nehmen mussten. Drei Kabinettsumbildungen und zwei Traditionsbanken die Pleite gegangen sind. England geht unter, aber das mit wehenden Fahnen und einem Lied auf den Lippen. Ganz London steckt im Dauerfrust fest. Denke, Mary hat einfach die Nase voll, jeden Morgen in der U-Bahn diese verdammte Stimmung zu geniessen und dann auf der Arbeit von nichts anderem zu hören. Die Kinder sind aggressiv, die Kollegen auch und von den Eltern ganz zu schweigen. Sie ist Lehrerin. Sie denkt, irgendwo beschaulich auf dem Land....“

    „Oh, das kann ich verstehen“, Mrs. Hudson setzte sich zu ihm und tätschelte verzeihend seinen Unterarm. „Und Sie John, Sie können es sich nicht vorstellen, so ein solides Landleben?“

    „Viel frische Luft, geregelte Arbeitszeiten, am Wochenende Fahrradfahren im Grünen, oder mit dem Hund joggen gehen....“ Er hob seine rechte Hand über die Tischplatte. Sie zitterte. „Der Tremor, Mrs Hudson, seit einiger Zeit ist er ab und zu wieder da. Was glauben Sie wie mir das Landleben bekommen wird?“

    „ Er ist wieder da, weil Sie aufgehört haben zu ermitteln.“

    Er schlug mit der Faust auf den Tisch, so dass Mrs Hudson erschrocken aufquietschte.
    „Ermitteln? Was gibt es noch zu ermitteln? Er ist tot, Mrs Hudson. Er ist vom Dach des Barts gesprungen. Das war's.“

    „Aber Sie haben doch versucht diesen Moriarty aufzuspüren. Sie sagten, dass er an allem schuld ist.“

    „ Tja, nur leider besteht das Problem darin, dass es keinen Moriarty gibt, Mrs. Hudson. All meine Versuche das Gegenteil zu beweisen, sind leider gescheitert. Alle Recherchen, Befragungen, Suchen – es gibt keinen Moriarty und einen Richard Brook gibt es komischerweise auch nicht mehr. Aber der ist wahrscheinlich einfach nur von Mycroft umquartiert worden. Zeugenschutz, oder Guantanamo*, oder sowas ähnliches.“

    Mrs. Hudson schüttelte den Kopf „Meinen Sie? Mycroft? Naja, ich habe ihm ja noch nie wirklich getraut. Allerdings war er so nett, mir Sherlocks Sachen zukommen zu lassen, als ich danach gefragt habe.“

    John schnellte hoch wie eine zu scharf angezogene Stahlfeder. „Sie haben Sachen von Sherlock erhalten?“

    „Naja, ich habe Mycroft geschrieben. Sie wissen doch, das Geld für die Miete, für die Zeitungen, Telefon, Internet...geht alles immer noch per Dauerüberweisung von Sherlocks Konto ab. Mycroft hat das all die Monate nicht gestoppt. Ihm müssten ja nun alle Vollmachten über das Konto gehören...als dem nächsten erbenden Angehörigen. Aber da alles wie gehabt weiterläuft, hat er es scheinbar bis heute nicht geschlossen oder übernommen. Ich denke, ihm fehlt einfach die Zeit dafür oder er ist mit anderen Dingen beschäftigt, jetzt wo Sie doch selber sagen, dass es in der Regierung soviele Unruhen gibt.
    Ich habe Mycroft geschrieben, dass er Sherlocks Sachen abholen kann und dass ich die Wohnung nicht neu vermiete, solange ich immer noch das Geld bekomme. Wäre doch nicht richtig....Es wird ja immer noch bezahlt, da kann ich doch nicht...“

    „Und Mycroft hat nicht reagiert?“ Johns Blick fixierte die Decke, als könnten seine Augen die Barriere durchdringen und zu den Räumen im darüberliegendem Stockwerk zurückkehren.

    „Nun, nicht so wie ich dachte. Die Miete läuft weiter. Vielleicht, will er ja auch, dass alles so bleibt. Aber als ich ihm schrieb, ob es vielleicht noch persönliche Dinge von Sherlock gibt, da hat er mir seinen Mantel geschickt. Den Mantel und das Handy.“

    „Was?!“ John keuchte fassungslos. „Wann?!“

    „Gleich nach der Beerdigung.“

    „Und das sagen Sie mir erst jetzt?“

    „Es ist nichts da, was irgendetwas erklären könnte, John. Die Manteltaschen waren leer. Und der Mantel voller altem Blut. Ich wollte ihn erst so dort oben zurücklegen. Aber irgendwie konnte ich es nicht. War einfach zu schrecklich. Die Reinigung hat fast zwei Wochen gebraucht, bis sie alles raus hatte....Naja, und das Handy....mit soetwas habe ich es nicht so, Sie wissen doch....“

    „Verdammt, wo?!“ John stürzte durch die Küchentür und rannte die knarrenden Stufen der Treppe hinauf. Plötzlich zögernd blieb er vor der Wohnungstür stehen. Der brausend aufgekommene Elan stoppte abrupt. Gehemmt legte er die Hand an den Türknauf. Mit einem tiefen sonoren Ton schwang die Tür auf. Die dahinterliegenden Räume lagen im sanften Dämmern eines grauen Wintermorgens, nur fahl schimmerte Licht über die zum Hof gelegenen Fenster herein. Zur Straßenseite hin verdunkelten die vorgezogenen Vorhänge* den Raum. Nichts schien verändert, seit Johns letzter Anwesenheit am Tage nach Sherlocks Tod. Unverrückt standen sich ihre beiden Sessel vor dem Kamin gegenüber, auf dem dahinterstehend Schreibtisch häuften sich Bücher und Papiere. Sherlocks Laptop ruhte daneben, nach Monaten ohne Stromzufuhr längst der technischen Stasis verfallen. Langsam betrat John den Raum. Selbst der altbekannte Geruch hatte sich nicht verändert, zauberte in ihm für Sekunden die Illusion anheimelnder Normalität.
    Die Wohnung erschien sauber und doch in mit all ihrem Kram und vollgestopften Kisten absolut authentisch. Für John fühlte es sich an, als schreite er durch die Kulisse eines von Mrs Hudson sorgsam erhaltenen Gedenkschreines. Hinten, auf dem Küchentisch, stapelten sich, in offenen Kartons verpackt, Sherlocks Mikroskope, Laborgläser und technischen Geräte, doch zu mehr Veränderung hatte sich Mrs Hudson nicht hinreißen lassen.
    Gleich neben dem Laptop machten Johns Augen Sherlocks ehemaliges Handy aus. Er ging darauf zu.
    Mrs Hudson wuselte hinter ihm ins Zimmer und betätigte resolut den Lichtschalter. Blendend leuchtete Helligkeit auf und nahm dem stillen Winterschlaf des Mausoleums seine melancholische Gemütlichkeit. Zwei unschöne Sprünge, quer über das Display des Handys verlaufend, stachen John grell ins Auge. Seine bereits danach ausgestreckte Hand zögerte.

    „Es ist kaputt. Hatte es wohl bei sich als er... Oder es wurde schon davor zerstört.“ Mrs Hudson scheute sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. John konnte sich eine gehörigen Portion Respekt für die ältere Dame nicht verwehren. Sie lebte seit Monaten mit diesen zum Monument gewordenen Erinnerungen, sie litt und trotzdem schaffte sie es um einiges besser damit zurecht zu kommen als John, der es irgendwann einfach vorgezogen hatte, alles totzuschweigen und in ein neues Leben zu fliehen.
    „Ist die Festplatte noch erhalten?“

    „Was weiss ich, kenne mich mit sowas doch nicht aus. Nehmen Sie es mit John und laden Sie es auf, dann werden Sie ja sehen. Aber wenn Sie mich fragen“, miteinmal stand sie neben ihm und legte ihm fast beschwörend die Hände auf den Arm, „lassen Sie es einfach hier liegen. Es ändert nichts mehr.“

    John starrte sie entgeistert an. Sie hatte ja so Recht. Noch vor wenigen Stunden hatte er selbst ähnliche Worte ihr gegenüber gebraucht. Dennoch begriff er, dass er noch immer nicht bereit war zu akzeptieren. Und wenn, dieses Handy zum Leben zu erwecken, dass Letzte war, was er tat, die letzte Möglichkeit darstellte, die es auszuschöpfen galt, um vielleicht doch ein wenig verstehen zu können, so musste er es tun. Dann, ja dann, würde er aufhören - schwor er sich - dann erst wäre es vorbei. Aber er musste verstehen, nur so konnte er abschließen. Fahrig griff er zu und stiess ungeschickt mit den Fingern, seiner gelegentlich wieder zitternden Hand, gegen die glatte Oberfläche des Gerätes. Der Schwung verpasste ihm ein kurzes Eigenleben. Frech sprang es aus seiner kraftlosen Hand und landet mit einem sanften Plopp auf dem Teppich.

    „John“, tadelte Mrs Hudson und bückte sich fast gleichzeitig mit ihm nach dem Gerät. Beinahe wären sie am Boden mit den Köpfen zusammengestoßen, als über ihnen ein Schuss kreischend hinwegpeitschte. Eine Fensterscheibe klirrte scharf. Mrs Hudson schrie auf und John riss sie geistesgegenwärtig an sich und gemeinschaftlich unter den Schreibtisch in Deckung. Ihre Herzen wummerten. Mrs Hudson zitterte wie Espenlaub.

    „John war das...War das...?“

    „Ein Schuss Mrs. Hudson“, zischte er leise, „Man hat auf uns geschossen!“

    „Wer?“

    „Woher soll ich das wissen? Sehen Sie, der Vorhang ist zerfetzt, die Scheibe zerstört. Ein gezielter Schuss durchs Fenster. Sieht mir nach einem Präzisionsschützen aus.“

    Er schob die ältere Dame noch ein wenig tiefer unter den Tisch, um so mehr Platz für sich zu bekommen. „Bleiben Sie unten, ich versuche zum Lichtschalter zu kommen.“

    „Zum Licht?“

    „Der Schatten, Mrs Hudson, man hat auf unseren Schatten geschossen. Als das Licht anging waren unsere Schatten durch die Vorhänge zu sehen.“ Vorsichtig kroch John los. All die einst geschulte soldatische Übung erwachte mit einem Schlag wieder zur Präsens. Weder sein Bein, noch seine Hand versagten mehr ihren Dienst. Für den Augenblick war der Krieg zurückgekehrt. Er erreichte den Eingangsbereich, hechtete nach oben und schlug den Lichtschalter aus. Schützend umgab wieder gnadenvolles Dämmerlicht die Räume.

    „Jetzt Mrs Hudson!“, winkte John zu ihr herüber. „Kommen Sie her! Aber bleiben Sie vorsichtig.“

    Stöhnend kroch sie zu ihm herüber. „Und das mit meiner Hüfte. Sowas in meinem Alter.“

    Doch John musste innerlich über die bemerkenswerte Courage dieser Frau lächeln. Anstatt sich in ein hysterisches Wrack zu verwandeln, robbte sie gehorsam bis in den schützenden Treppenflur, stand dann keuchend auf und schimpfte wütend wie ein Rohrspatz. „Meine schönen Gardinen, und erst das Fenster, was das nur wieder kostet. Sie wissen doch, John, wie lange die Glaser damals gebraucht haben die neuen Scheiben nach dieser Gasexplosion* neu einzusetzen. Tagelang war es eiskalt in Ihren Zimmern. Und jetzt schon wieder. Wenn Sherlock da wäre, er würde...“, mitten im Satz verstummte sie erschrocken. Ihr Mund stand noch für Sekunden hilflos offen. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht und schniefte, über sich selbst entsetzt. John legte ihr tröstend den Arm um die Schulter und wartete bis sie sich wieder gefangen hatte. Trotzig zog sie die Hände vom Gesicht und sah herausfordernd zu ihm hoch. „Wer schießt hier so einfach auf uns, John? In meinem eigenen Haus?“

    Er schüttelte den Kopf und drehte skeptisch Sherlocks Handy, welches er noch immer in der Hand hielt. „Ich weiß nicht. Möglicherweise weil ich das hier holen wollte?“

    „Meinen Sie, John?“, Mrs Hudson runzelte misstrauisch die Stirn. „Das liegt schon seit fast sechs Monaten hier. Niemand konnte wissen, dass ich vergessen habe, Ihnen davon zu erzählen. Und Sie sagen doch, durch die Vorhänge sieht man nur Schatten. Wer will also erahnen, was Sie eben erst planten mitzunehmen?“

    John musste zugeben, dass sie nicht ganz unrecht hatte. „Naja, Mrs Hudson, seit dem Vorfall mit der Kamera, mit der man damals unsere Wohnung beobachtete, bin ich vorsichtig geworden.“

    „Ich auch! Ich habe alle Räume mindestens zweimal im Monat gründlich durchgeputzt. Glauben Sie mir John, wenn dort weitere Kameras wären, hätte ich sie gefunden.“

    Ein Widerspruch und der Hinweis auf die noch größere Cleverness, zu denen entschlossene Verbrecher fähig waren, verbot sich bei Mrs Hudsons überzeugender Vehemenz von selbst. John befand, dass es Zeit war die Profis hinzuziehen. Er zog sein eigenes Handy aus der Tasche und wählte die altbekannte Nummer.

    „Wen rufen Sie an?“

    „Lestrade.“

    „Denken Sie, dass das notwendig ist.“

    „Mrs Hudson, man wollte uns hier gerade erschießen. Oder zumindest einen von uns, meinen Sie nicht, dass dies ein Fall für die Polizei ist.“

    „Aber der arme Lestrade, am Neujahrsmorgen. Sie wissen, dass er an seiner Ehe schwer arbeitet. Und dann so etwas an einem freien Tag...“

    „Er ist wohl der Einzige, der uns und der Baker Street noch das nötige Feingefühl entgegen bringt, meinen Sie nicht auch?“

    „Gut gut“, sie schlurfte die Treppe hinunter und John musste erneut ihrem abgebrühten Mut Respekt zollen. „Dann werde ich mal Kaffee für den guten Greg aufsetzen.“

    „Bleiben Sie von den Fenstern weg.“

    „Ach John, wer soll denn jetzt noch für uns gefährlich sein. Sie haben doch gesagt, ein Präzisionsschütze, also ein Profi. Der wird wohl kaum warten bis die Polizei hier eintrifft. Er hat entweder erreicht was er wollte, in dem er uns Angst eingejagt hat oder gemerkt, dass er den, den er erwischen wollte, verfehlt hat. Auf jedenfall ist er über alle Berge. Sagen Sie Greg, wenn er noch seinen Kater ausschlafen will, soll er sich Zeit nehmen, das hier läuft nicht davon.“

    Johns Kinnlade klappte voll Bewunderung herunter, während das Freizeichen des Telefons an seinem Ohr piepte. Zweifelsohne, die bemerkenswerte Aura, fast zwei Jahre lang dem Haushalt eines gewissen beratenden Detektives vorgestanden zu haben, hatte auf Mrs Hudson ordentlich abgefärbt.

    „Jaaaaah?“ Erklang ein genervtes und mächtig leidend klingendes Grunzen an Ende der anderen Leitung.

    „Greg, hier spricht John.“

    „John? Welcher John...? Oh... John! Was ist los?“

    „Könnten Sie in die Baker Street kommen. Es gab hier einen Überfall.“

    „Oh mein Gott!“, Urplötzlich schien die eben noch so träge Stimme im Telefon elektrisiert.
    „Ein Überfall? Jesus. Schon wieder?“
    Hektisches Rascheln erklang und die Stimme erstickte kurz als wenn sich gerade jemand eilig Kleidung über den Kopf zog.
    „Ich komme! Ich komme sofort, John!
    Liegt der Kerl schon wieder auf den Mühltonnen?“

    ***


    Guantanamo - http://de.wikipedia.org/wiki/Gefange...Bay_Naval_Base


    vorgezogenen Vorhänge – ich hoffe doch sehr das das möglich ist und es sich nicht nur um Zierschale handelt

    Explosion – siehe Das große Spiel (3/1)
    Geändert von sethos (25.09.2012 um 08:53 Uhr)

  5. #4
    First Lieutenant Avatar von sethos
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    III



    Es dauerte noch fast zwei weitere Monate, bis John endlich bereit war sich einzugestehen, dass seine Beziehung zu Mary eindeutig das letzte Stadion einer akuten Krankheit erreicht hatte und nicht mehr zu retten war. Viel zulange hatten sie beide die Symptome geleugnet. Gewohnheit und Statik bildeten bemerkenswerte Fesseln. Letztendlich musste John jedoch zugeben, dass nur noch die Angst vor dem Alleinsein und eine gewisse Faulheit, gegenüber dem Umstand, schon wieder ein neues Leben zu beginnen, ihn in dieser Beziehung hielten. Mary war ein vernünftiger, guter Mensch und John verspürte zutiefst Dankbarkeit für sie, dass sie es letztendlich den Mut fand um den Schlussstrich zu ziehen und es ihnen beiden sogar gelang, die Sache als Freunde zu beenden. Es schmerzte daher nicht ganz so stark, man sah sich gelegentlich wieder, unterstützte sich wenn nötig und John musste nicht um jedes Hemd und jede CD aus seinem Eigentum kämpfen, um dieses hernach in seine neue Bleibe zu überführen.

    Eine neue Unterkunft stellte sich, nachdem er beschlossen hatte Marys Gastfreundschaft nicht mehr länger in Anspruch zu nehmen, als ziemliche Herausforderung dar. Vorerst kroch er bei Stamford* unter, doch wurde das Problem damit nicht behoben, sondern nur hinausgezögert. Bis John eines Nachts tief in sich ging und sich der Erkenntnis stellte, wo eigentlich seine wirklichen Prioritäten lagen. Es schmerzte, sich einzugestehen, dass er, ein Mann, akut auf die Vierzig* zusteuernd, in seinem bisherigen Leben noch niemals Eigenverantwortung für seine Lebensplanung entwickelt hatte. Seit Beendigung der Schulzeit unterwarf er sich, dahintreibend, von außen vorgegebenen Notwendigkeiten und gab sich mit dieser praktischen Fremdplanung zufrieden. Er hatte Studentenheime und später, als er zum Militär wechselte, Standortunterbringung als gewünschten Abstand von seinen schon damals gestörten Familienverhältnissen* empfunden und zugleich den höchst simplen Umstand genossen, sich um alltägliche Gegebenheiten nicht wirklich sorgen zu müssen. In der Zeit, in der sich frühere Freunde und andere Altergenossen ein Leben aufbauten, ihre Karrieren mehr oder weniger vorantrieben, heirateten und Kinder zeugten, jagte Dr. John Watson, nach außen erfolgreich erscheinend, durch die Weltgeschichte, von Tag zu Tag einfach dahinlebend, ohne Plan oder Zukunftsgedanken. Entscheidungen für solche Dinge wurden ihm abgenommen. Und da seine Umgebung aus vielen solcher Menschen wie er selbst bestand, empfand er diesen Umstand auch nicht wirklich als störend. Erst nach seiner Verletzung und dem damit einhergehenden Verlust dieses praktischen Lebensmodells, wurde ihm seine eigene Unzulänglichkeit, seine eigene Lebensziellosigkeit bewusst und hatte ihn zu einem hilflos Dahintreibenden gemacht. Die Wohngemeinschaft mit Sherlock war seine Rettung gewesen und ihr abruptes Ende dadurch für ihn umso brutaler. Nur mechanisch reagierend, hatte er sich zu Mary geflüchtet und war somit erneut in ein, so ungeheuer praktisches, fremdbestimmtes Leben abgetaucht. Wieder ein Fehlschlag und wenn er nicht ewig so weitermachen wollte, wurde es endlich Zeit, selbst daran etwas zu ändern und nicht darauf zu warten, dass ihm wieder von außen gnadenvoll eine zerbrechliche Brücke hingeschoben wurde. Er, John Watson, musste endlich erwachsen werden und Verantwortung für sich selbst übernehmen. Auch wenn das nicht bedeutete, dass er sich dafür völlig umkrempeln sollte, das er Dinge die er schätzte, Gewohnheiten die ihm Ruhe und Zufriedenheit verschafften, dafür aufgeben musste.

    Nachdem er endlich wusste was er wollte, verließ er am nächsten Morgen, noch vor Beginn seiner Arbeitszeit Stamfords Apartment und ließ sich von einem Taxi in die Baker Street fahren. Die kurze Besprechung mit Mrs Hudson schien mehr eine Formsache und ihr tiefes Strahlen, als er ihr seinen Plan erläuterte, machte John klar, dass er hierbei, wie erwartet, nicht nur seinen, sondern auch ihren Wünschen entgegenkam.
    Und so kam es, dass sich nur wenige Tage später ein wildes Sammelsurium von Kisten, neuerworbenen Möbelstücken und diversen ergänzenden Speicherbodenfunden, aus Mrs Hudsons Sammlungen, ein chaotisches Stelldichein in der Souterrainwohnung Baker Street 221 C*, eine halbe Treppe tiefer als der Haupteingang des Hause gelegen, gaben.
    John hatte die Wohnung im Zusammenhang mit Sherlocks Ermittlungen bei ihrem ersten direkten Aufeinandertreffen mit Moriarty kennengelernt. Sie war kleiner, schäbiger als das hoch darüber liegende Apartment, mit niedrigen Decken, durchnässenden Bodenfenstern und beengenderer Zimmeraufteilung. Eine gewisse unangenehm riechende Feuchtigkeit wohnte den lange nicht gelüfteten Räumen inne. Doch zwei Wochen kontinuierliche Beheizung, gepaart mit einem kräftigen Durchzug behoben diese Mängel schnell.
    Mrs Hudson, von Freude über die Rückkehr „ihres“ Jungens, wie elektrisiert, jagte diverse Handwerker durch die Räumlichkeiten, ließ die abgeblätterten Wände mit den von ihr so sehr bevorzugten großgemusterten Tapeten überziehen, die Fenster abdichten, den gesperrten Gasanschluss für den Kamin wieder öffnen und die sanitären Anlagen überprüfen. Hingebungsvoll putzte sie auch noch den letzten Rest von Verwahrlosung davon und hängte die für sie so typischen schweren, altmodischen Vorhänge und Lampen auf. John ließ sie still gewähren, es gab wichtigeres im Leben als sich über Stilfragen größere Gedanken zu machen.
    Als John, nur wenige Tage nach seinem Auszug bei Stanford, den ersten Abend in einem nagelneuen und wie er befand, höllisch bequemen Ikeasessel vor dem Kamin saß und seine Beine dem Feuer entgegenstreckte, fühlte er zum ersten Mal ohne jeglichen Schmerz und Bitterkeit die Gewissheit, dass er endlich wieder den Weg nach Hause zurückgefunden hatte.
    Theoretisch betrachtet, waren die vergangenen achtzehn Monate seines gemeinschaftlichen Zusammenlebens mit Sherlock nur eine kurze Lebensepisode gewesen, doch hatte er darin mehr Qualitäten gefunden, als die bloße Faszination an Sherlocks Tun und die tiefverbundene Brüderlichkeit ihrer Freundschaft. Und er musste den eigenen Überlegungen, die ihn an diesen Ort zurückgezogen hatten, Recht geben. Der Umstand, der ihn zu Sherlock getrieben hatte, war das Fehlen bestimmter strukturgebender Elemente, in seinem bis zu diesem Zeitpunkt geordneten und von Befehlen und Gehorsam bestimmten Leben. Genau diese Gewohnheiten bescherten seinem Leben seit seinem Erwachsensein maßgebende Prägung und es war Sherlock gewesen, der diese Eigenschaften an ihm zu schätzen wusste, ja sie sogar aktiv von John einforderte, ohne ihn dabei zu einem reinen befehlsauführenden Mechanismus zu degradieren. Sherlock hatte ihm immer tiefe Achtung der Freundschaft bewiesen, ihm Intelligenz und Selbstbestimmung zugestanden, trotzt seiner eindeutigen und durchaus des öfteren unangenehmen Dominanz in ihrer Freundschaft. Erstaunlicherweise gestand Sherlock John sogar Kompetenzen zu, die dem selbsternannten Soziopaten und Logiker entschieden gegen die eigene Lebensauffassung gingen und die er, durch John verträglich gestaltet, nun zwangläufig akzeptieren lernte. Wenn John sich selbst über sein Verhältnis zu Sherlock Rechenschaft ablegte, so musste er sich eingestehen, dass Sherlock, obwohl dieser altersmäßig eigentlich jünger als John gewesen war, doch für John eher einem älteren Bruder nahekam. Vielleicht war es das, was John sich immer als Kind schon gewünscht hatte. Einen Bruder, den er bewundern und dem er nahe sein konnte, der ihn beschützte und lehrte und ihm trotzdem er selbst sein ließ. Johns zuvoriges militärisches Leben wurde von Leittieren geprägt und in Sherlock hatte er damals erneut das, für ihn überlebenswichtige, Leittier gesucht. Und wenn er es sich genau überlegte, mochte dieser Beweggrund auch von Sherlocks Seite her für ihre Freundschaft maßgebend gewesen sein. Sherlock, der schon früh bemerkt haben mochte, dass er mit seinen besonderen Fähigkeiten kaum zu normalen Freundschaften und Kameradschaften, die den Menschen in seinem Heranwachsen doch so maßgeblich prägten und beeinflussten, befähigt war und dessen einzige soziale Bindung zu einem, ihn stets übertrumpfenden und seiner eigenen Unzulänglichkeit bewusstmachenden größeren Bruder und dessen herablassender Bemutterung bestand. Zwischen Sherlock und John hatten sich diese Verhältnisse auf stille Weise umgedreht. Bei ihrer Freundschaft war es John, der den lernenden, den jüngere Part spielte und dem doch gleichzeitig zugestanden wurde, die notwendige Bemutterung für den anderen aufzubringen. So manches Mal hatte John, während seines Zusammenlebens mit Sherlock, darüber nachgedacht, mit welcher Ignoranz dieser, die aus tiefer Freundschaft und respektvoller Liebe erbrachten Zugeständnisse seiner direkten Umgebung entgegennahm, ja regelrecht abverlangte. Johns und auch Mrs Hudsons Tun schien ihm eine solche Selbstverständlichkeit, wie eine alltägliche Dienstleistung und so existenziell unerwähnenswert, wie der Fakt atmen zu müssen, wollte man leben. Trotzdem zweifelte John nicht im minderen daran, das Sherlocks Freundschaft ihm gegenüber eine ehrliche gewesen und nicht nur dem puren Egoismus und dem Wunsch nach der anbetenden Anerkennung des Genies durch seinen getreuen Fan geschuldet war. Diese Wissen um Sherlocks Wahrhaftigkeit ihm gegenüber ließen John sogar Sherlocks oft gewissenloses Verhalten, ihn als Bauernopfer zu mißbrauchen, verzeihen. John begriff und akzeptierte längst, dass diesem Verhalten eher Notwendigkeiten und Wissensdrang zu Grunde lagen, als Böswilligkeit oder gar dem Wunsch zu schaden. Und das Sherlock, ohne zu zögern, auch sich selbst zum Objekt eines solchen Experimentes degradiert hätte, wenn dies für seine Erkenntnisse erforderlich gewesen wäre.
    Es erstaunte John, dass es ihm gelang, beim grüblerischen Nachdenken über all diese Dinge so ruhig zu bleiben. Er sass wieder in der Baker Street und auch wenn er die darüberliegende Wohnung seit dem Vorfall am Neujahrsmorgen nicht mehr betreten hatte, so war er sich doch ihrer intensiven Präsenz ziemlich bewusst. Er war heimgekehrt, zu Mrs Hudsons Fleischtöpfen und Fürsorge und zu dem still wartenden Mausoleum seiner Vergangenheit
    und er spürte dabei die merkwürdige Ruhe des Angekommensein. Seine Trauer würde bleiben, aber sie hatte einen nicht mehr alltäglich schmerzenden Zustand erreicht, mit dem er von nun an umgehen konnte. All seine ins Leere verlaufenden Ermittlungen waren nun abgeschlossen und auch die Fragen nach dem Warum würde er irgendwann einmal aufgeben. Selbst die Grübelei weshalb man zwei Monate zuvor auf ihn und Mrs Hudson geschossen hatten, erschien ihm nun so ergebnislos wie die Ermittlungen von Scotland Yard in diesem Fall. Zwei Dinge blieben noch zu tun übrig, für die er sich bisher nicht stark genug gefühlt hatte. Zum einem das Studieren der Kopie des Obduktionsberichtes Sherlocks, die ihm Molly, auf seine Anfrage hin, vor einigen Monaten zukommen ließ und als allerletztes, die Einsicht in die Daten des zerstörten Handys, welche ein, von John konsultierter, Computerspeziallist wieder lesbar gemacht und als Datei auf Johns Laptop geschickt hatte.
    Der Autopsiebericht übertraf Johns Erwartungen an Profanität noch bei weitem. Zwei ihm völlig unbekannte Rechtsmediziner stellten in sachlichem Fachchinesisch lapidar fest, das ihr Untersuchungsobjekt bei allgemein guter Gesundheit und Konstitution gewesen war und jegliche Einwirkung von Fremdverschulden an seinem Tod ausgeschlossen werden konnte. Ebenso wie die Beeinflussung durch Alkohol, Medikamente, Drogen oder erkennbare psychische Schädigungen durch physische Erkrankungen. Lediglich ein erhöhter Adrenalinspiegel, zurückzuführen auf starken Stress kurz vor Eintritt des Todes, war verzeichnet und als „normal“ bei Beachtung der Todesursache diagnostiziert worden.
    Nachfolgend zählten die beiden Rechtsmediziner, mit minutiöser Genauigkeit, jeden Knochenbruch und jede innere Organverletzung auf, die durch den Aufprall nach dem Sturz zustande gekommen war, beschrieben offen zutage getretene Wunden und die Höhe des dabei verursachten Blutverlustes. Eine akkurate DNA-Analyse, bei der man persönliche Gegenstände aus der Baker Street, wie Sherlocks Zahnbürste und seinen Rasierapparat zum Vergleich hinzugezog und bei der man noch nicht einmal einen Quervergleich zu Mycrofts DNA scheute, bildeten den Abschluss, ebenso wie eine kurze Beschreibung der Kleidung des Opfers, bei der man keine weiteren Hinweise gefunden hatte.
    Gründlicher und korrekter konnte man nicht mehr vorgehen, gestand John sich nüchtern ein und war für einen kurzen Moment um Molly und auch um Sherlocks Willen froh, dass man Molly, ob ihres gegenseitigen Bekanntseinsstatus verweigert hatte, an der Autopsie teilzunehmen. Sherlock war tot, was scherte ihn noch Befindlichkeiten zu seinen sterblichen Überresten, trotzdem empfand John tiefste Erleichterung ob dieser gnadenvollen Tatsache.
    Er atmete schwer durch und schob den Bericht wieder zurück in seine Aktentasche, dann wappnete er sich kurz für das Letzte, was es nun noch zu tun galt und rief die Handydateien auf seinem Laptop auf.
    Johns Enttäuschung fiel ins Bodenlose. Das Handy barg nichts wirklich Verwertbares. Mycrofts Leute mussten ganze Arbeit geleistet haben. Waren je Hinweise auf der Festplatte gespeichert worden, hatte man sie gelöscht. Ein paar Fotos, von Sherlocks früheren Fällen stammend, nichtssagende SMS-Protokolle und Anrufnachweise. Keinerlei Anzeichen von Moriarty. Selbst die SMS, die John nachweislich, drei Monate vor Sherlocks Tod, von Moriarty auf Sherlocks Handy gelesen hatte, fehlte nun. Wenn John sich nicht über ihr Dasein völlig sicher gewesen wäre, hätte ihr Nichtvorhandensein ihn am Glauben zweifeln lassen. Nur eine einzige SMS-Datei erschien völlig unangetastet, die von Irene Adler. Minutiös zeigte sein Laptop all die von ihr an Sherlock versandten Botschaften. Unbeantwortet, bis hin zu dem einzigen Mal, da er ihr geschrieben hatte.

    Happy New Year SH

    John begriff das es seine Art gewesen war, ihr zu verzeihen und sie wissen zu lassen, dass er gewillt war, ihr Geheimnis zu waren.
    Ihr letzter Gruß darunter ließ John kurz schwer durchatmen. Was für eine Verschwendung. Auch wenn John eigentlich eher mit Verachtung an Irene Adler dachte, musste er ihr doch zugestehen, dass er sie für etwas Besonderes gehalten und ihr ihren schrecklichen Tod nicht gewünscht hatte. Innerlich schämte er sich ein wenig dafür, Sherlock ob der Wahrheit betrogen zu haben.* Doch eine Lüge konnte auch eine Gnade sein, entschied John trotz aller Reue. Niemals mehr würde er erfahren, was Sherlock wirklich für sie empfunden hatte, ob ihm überhaupt solch Empfinden möglich gewesen war. Doch sah John es noch immer als seine Pflicht diese Dinge nicht tiefer zu hinterfragen.
    Enttäuscht schaltete er den Laptop aus. Jetzt, da seinem Freund auch die letzte Pflicht gegenüber erfüllt worden war, fühlte er sich leer und trotzdem auf eine merkwürdige Art ruhig und befreit.
    Er stand auf und schlurfte zur Tür. Aus Mrs Hudsons Küche kroch wohliger Geruch nach Hühnercurry bis in seine Wohnung hinüber.
    Zeit fürs Abendessen.


    ***





    Stamford – ehemaliger Studienkollege Johns bei seinem Medizinstudium am Barts und derzeit Dozent dort. Nach Johns gesundheitsbedingten Ausscheiden aus dem Militär trifft John ihn in London wieder und dieser bringt ihn mit Sherlock zusammen, da beide, unabhängig voneinander, einen Mitbewohner suchen um die unbezahlbaren Londoner Mieten stemmen zu können (Eine Studie in Pink 1/1) Laut Johns Blog halten er und John weiterhin freundschaftlichen Kontakt und Stamford nimmt regen Anteil an ihren Fällen. In 'Ein Skandal in Belgravia' (2/1) wird Stamford wiederum erwähnt, als Sherlock aus Johns Aussehen deduziert, dass dieser eine sauffreudige Nacht mit Stamford verbrachte

    akut auf die Vierzig zusteuernd – Martin Freeman wurde am 08.09.1971 geboren, Benedikt Cumberbatch am 19.07.1976 – aber solange es keine direkte Bestätigung für das Alter der Hauptpersonen gibt halte ich es lieber wage

    gestörten Familienverhältnisse John Watsons
    - Sherlock sagt in Studie in Pink: Sie sind ein ehemaliger Soldat, der keine Wohnung findet – und erklärt damit, dass John keine festen Familienbeziehungen besitzt oder diese zu festigen wünscht – daher die Annahme, dass diese gestört sind. Im Canon scheint Watsons gesamte Familie, also Eltern und Bruder tot zu sein, heutzutage kommt eine Störung wohl eher in Frage als eine Gesamtausrottung

    221 C – siehe Das große Spiel (3/1) die Souterrainwohnung für die Mrs Hudson auf Grund ihrer Feuchtigkeit keine Mieter findet

    Johns „Betrug“ - der darin bestand, Sherlock Mycrofts Version vom der Aufnahme Irene Adlers in ein amerikanisches Zeugenschutzprogramm zu erzählen, um ihn vor der Wahrheit zu schützen, dass sie von Terroristen hingerichtet wurde. Eine Wahrheit, die sich später ebenfalls als ein Schwindel herausstellte.
    Fast das gesamte "Spiel" zwischen Sherlock und Irene wurden von Moffat und Gatiss – den Machern der Serie, aus dem relativ unbekannten Film von Billy Wilder 'Das Privatleben des Sherlock Holmes' übernommen. - Ihrem erklärten Lieblingsholmesfilm. Dort ist Irene eine deutsche Agentin namens Ilse. Auch ihr Abschiedsgruß stammt hierher, ebenso wie ihre Hinrichtung und die Überbringung der Botschaft durch Mycroft. Dort jedoch stirb Ilse, ein Umstand der Holmes in tiefe Depression und Drogenkonsum treibt und Watson die erstaunte Erkenntnis beschert, dass sein Freund durchaus zu lieben vermag, wenn die Frau sich ihm als ebenbürtig erweist







    IV




    Strahlend empfing John nur eine Woche später seinen ernsten Besucher in seiner neuen Wohnung.
    „Greg, kommen Sie rein, rein mit Ihnen. Tee?“

    „Jooohn.“ Lestrades Gesicht imitierte eine perfekte Leidensmiene.

    John schmunzelte. „Schon gut, war nur ein Scherz. Bier steht im Kühlschrank, bedienen Sie sich.“

    Nicht unbedingt ein Angebot das man Lestrade zweimal machen musste. Zufrieden warf er sich in einen der Sessel und öffnete die Flasche. „Nett. Nicht wiederzuerkennen die Bude. Wenn ich bedenke wie das hier vorher aussah... wirklich nett haben Sie`s hier.“

    „Ja“, John setzte sich mit einer eigenen Flasche dazu. „Konnte mich irgendwie nicht trennen von der Umgebung...“

    Greg grinste frech. „Verständlich, die gute Verkehrsanbindung gleich zur City und dann Mrs Hudsons Apfelkuchen.... Absolut verständlich.“

    John schniefte ironisch. „Sehr diplomatisch ausgedrückt, Greg, Was treibt Sie her? Alles um der alten Zeiten wegen, oder...?“

    Der Kriminalpolizist starrte John eine Sekunde lang entgeistert an. „Schauen Sie kein Fernsehen John, keine Zeitungen...?“

    Johns Augen wurden kugelrund. „Oh, ich bin noch am Renovieren und dann den ganzen Tag in der Praxis. Verdammt, was habe ich verpasst?“

    Greg sprang auf und stellte den Fernseher an, hastig wählte er den Nachrichtenkanal. Sekunden später flimmerte Lestrades eigenes Bild in Großaufnahme über die Mattscheibe und Gregs Gesicht glänzte auf vor Stolz.
    „John, ich bin der Mann der Stunde, sehen Sie nur. Vier erfolgreiche Drogengroßrazzien in kaum mehr als zwölf Stunden, dazu zwei ausgehobene Motorradclubs, ein paar nette Bordelle und landesweite Fahndungen wegen Internetkriminalität. Mehr als hundert Festnahmen in allen Bereichen des organisierten Verbrechens. Und wir sind noch lange nicht fertig. Heute Nacht schnappen wir uns, wenn alles gut geht einen großangelegten Schmugglerring mit Beziehungen nach Fernost und einige andere, ganz besonders nette Zeitzeugen, haben wir unter ständiger Überwachung. Nur ein falsches Zucken und sie bekommen den Direktflug ohne Zwischenstopp nach Guantanamo verpasst.“

    „Terroristen?“

    „Auch, auch. Wir haben einen regelrechten Rundumschlag ausgeführt. Interpol macht mit und alle ausländischen Kriminalbehörden wurden informiert. Geht uns einer von den Burschen durch die Lappen, oder hat er sich schon vorher abgesetzt, bekommen sie ihn an anderer Stelle.“

    Eilmeldungen flimmerten über den Bildschirm, Szenen von Großfestnahmen und Einsatzwagen mit Blaulichtern wechselten in kurzer Folge mit Portrait und Namensnennung der gefassten Verdächtigen und ihrer vermuteten Straftaten. Kommentatoren überschlugen sich begeistert mit Schlagworten, Sondersendungen drohten. John stand beeindruckt der Mund offen. Seine Bierflasche sank unbeachtet in den Schoß. „Und das waren alles Sie, Greg? Sie?“

    Lestrade schniefte leicht beleidigt. „Das hätte ich von Ihnen nicht erwartet. Von ihm mit Sicherheit...“, Lestrade warf einen störrischen Blick zur Decke hoch, „aber Sie John, Sie waren nicht so.“

    „T'schuldigung, aber...“ John kam ins Stottern, „...ist einfach etwas überwältigen, oder...“

    „Ja, das ist es“; gestand Lestrade ein, „und ganz ehrlich, irgendwie haben Sie ja Recht. Ich war das nicht...nicht alleine, naja, irgendwie...“ Gregs Miene verzog sich zu einem peinlichen Grinsen. Der Triumph, der ihn gerade eben noch erstrahlen ließ, ebbte merklich ab. John beobachtete es leicht misstrauisch.
    „Wie Greg? Wie kommt es...? Solch ein Fahndungserfolg? Organisiertes Verbrechen? Ist doch gar nicht ihr Metier. Ich dachte Sie sind beim Morddezernat.“

    „Bin ich auch.“, maulte Greg, „Und bis vor einer Woche habe ich dort brav meinen Job gemacht. Sie wissen, John, ich bin ein guter Ermittler. Klar, es gibt immer Fälle bei denen ich nicht weiterwusste. Und ich brauche Ihnen ja nicht erklären, zu wem ich in meiner Verzweiflung gerannt bin. Naja, das ist vorbei. Ich muss alleine zurechtkommen. Obwohl ich ganz ehrlich bin, was immer sie ihm alle ganz zuletzt unterstellt haben...naja, ich mag damals einmal kurz an ihm gezweifelt haben. Aber jetzt, John, jetzt... Ich denke, er war bestimmt kein einfacher Zeitgenosse, aber sonst tun sie ihm alle unrecht.“

    John starrte seinen Gegenüber an und begriff, dass dieser schon lange den Wunsch mit sich herumschleppte seine Entschuldigung in Worte zu fassen.

    „Danke“, murmelte er und nickte verstehend. „Denke er hätte geschätzt was Sie da eben gesagt haben. Aber was hat das mit dem dort zu tun? John nickte zum Fernseher hinüber.

    „Gar nichts.“ Greg zerrte sein Handy aus der Tasche. „Außer, dass die ganze Sache äußerst merkwürdig ist und ich mir keinen Reim darauf machen kann. Hätte ihm mit Sicherheit gefallen, mich so blöde dastehen zu sehen.
    Sehen Sie,“ Greg hielt John sein Handy vor die Nase, „damit, mit dieser SMS, fing es vor genau einer Woche an.“

    John las eine Internetadresse und eine wilde Kombination aus Buchstaben und Zahlen.
    „Ich verstehe nicht...?“

    „Ja, habe ich auch erst nicht.“, nickte Lestrade. „Dachte an einen blöden Scherz. Aber die SMS kam in stündlichem Abstand immer wieder...“

    „Nummer?“

    „Unterdrückt. Keine Rückverfolgung war bisher erfolgreich.“

    „Sie haben es versucht?“

    „Klar haben wir, als uns bewusst wurde, welche brisanten Informationen dahintersteckten.“

    „Verdammt, Greg,“ langsam wurde John wütend, „Jetzt sagen Sie endlich, was das Ganze soll.“

    „Naja ich habe irgendwann diese Internetadresse aufgerufen, spätestens als ich begriffen hatte, dass es sich bei den wilden Hieroglyphen danach um die Buchstaben meines Namens und meine Geburtsdaten handelte – einfach nur etwas durcheinandergewürfelt.“

    „Ein Code?“

    „Ja sowas ähnliches. Die Internetadresse führte zu einer passwortgeschützten Homepage.“

    „Und durch Ihre Daten erhielten Sie Zugang?“

    „Nein, nur teilweise. Es folgten noch ein paar Abfragen, Name meiner Mutter, Geburtstag meiner Frau, Dienstnummer und all solcher Müll, aber auch ein paar persönliche Daten, die nur ich und keiner sonst in Scotland Yard in ihrer Vollständigkeit hätten beantworten können. Die absolute Krönung war die Frage nach dem Muster des Weihnachtspullovers, den ich vor einem Jahr von Mrs Hudson geschenkt bekommen habe. Rot-grüne Rentiere. Erinnern Sie sich noch an das scheussliche Teil?“

    John grinste breit. „Da wollte Sie jemand verarschen, Greg.“

    „Ja, das dachte ich auch erst...und dann aufeinmal öffnen sich zig Dateien, Adressen, Namen, Kontodaten. Informationen über Typen, denen wir seit Jahren auf den Fersen sind und denen wir einfach nichts nachweisen konnten und Typen, die uns bisher völlig unbekannt waren. Großverbrecher und deren Verzweigungen, Fakten die wir nur erahnten aber nie beweisen konnten und Dinge, von denen wir gar keine Ahnung hatten.“

    „Und Sie haben sofort die Großfahndung eingeleitet?“

    „John“, Greg schüttelte entrüstet den Kopf, „Glauben Sie im Ernst, ich setze meinen guten Ruf und den von Scotland Yard für einen anonymen Hinweis aufs Spiel? Nein, wir haben natürlich ersteinmal ein paar der Sachen überprüft. Aber, was soll ich Ihnen sagen, John. Die Daten sind hieb- und stichfest. Und es nimmt einfach kein Ende. Kaum hatten wir die ersten Verhaftungen vorgenommen, erschienen auf der Seite die nächsten Dateien. Und das geschieht noch immer. Nach jedem Fahndungserfolg erhalten wir die Daten für den nächsten Haftbefehl.“

    John sprang auf. „Moriarty! Ist er dabei?“

    Greg schüttelte den Kopf. „Nein, ist uns bisher nicht untergekommen. Aber all diese Verflechtungen, all diese Parallelen. Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass wir hier ganz gehörig Moriartys Bienenstock ausräuchern. Es ist mehr, viel mehr, aber es scheint wirklich so etwas wie ein kriminelles Consulting gegeben zu haben, wie Sherlock es damals beschrieb. Fast alle diese Verbrechen sind miteinander verwoben, wie ein riesiges Spinnennetz. Und es macht nicht in Grossbritannien halt. John, das ist europaweit, ach was sage ich, weltweit.“

    John sank in den Sessel zurück und schloss schwer durchatmend die Augen. „Die Spinne in ihrem Netz.“, flüsterte er. „Sherlock hat es immer gewusst. Moriarty hat all das gelenkt oder besaß Kontakte, Informationen...“

    „Ja, aber bisher haben wir ihn nicht erwischt. Ich würde Ihnen gerne die Genugtuung verschaffen John, glauben Sie mir, ich bin der Letzte, der nicht alles tun würde, um Sherlock zu rehabilitieren. Aber es gibt keine Hinweise auf Moriarty. Das ist der einzige kleine Wermutstropfen, denn sonst bin ich einfach nur absolut glücklich über das, was wir gerade erreichen.“

    „Aber wer...?“

    Greg sah ernst in das fragende Gesicht seines Gegenübers. „Ja John, genau das frage ich mich, seitdem es angefangen hat. Wer? Wo kommen all diese Daten her und warum wurde alles an mich adressiert? Wer steckt dahinter?“

    „Sie haben versucht das Programm zu entschlüsseln?“

    „John!?“ , Greg schien nun wirklich beleidigt. „Jeder Spezialist von Scotland Yard klebt seit einer Woche da dran. Absolut ergebnislos. Sogar der MI5* ist involviert. Wir wissen noch nichteinmal, ob das Programm aktuell ist oder ob es schon vor einiger Zeit geladen wurde und sich nun einfach nur selbst aktiviert hat.“

    John erstarrte. „Sie meinen doch nicht etwa....“ Ein schmerzhafter Stich durchfuhr ihn und er sah Sherlocks, über den Laptop gebeugte, Gestalt vor sich, wie er in den Tagen vor seinem Tod, stundenlang konzentriert in seinen Dateien arbeitete. John hatte an einen neuen, noch nicht ausgereiften Fall geglaubt. Er kannte Sherlocks Spleen, ihn erst dann an diesen Sachen teilhaben zu lassen, wenn er sich des Ergebnisses völlig sicher war, ...doch wenn es zu diesem Zeitpunkt garkeinen neuen Fall gegeben hätte? John atmete tief durch und sah mit runden Augen zu dem Kommissar hinüber.

    Greg nickte schwer. „Sagen Sie mir etwas anderes, John. Erklären Sie es mir! Machen Sie es plausibel. Aber wem sonst würden Sie soetwas zutrauen?“

    „Er ist tot. Er ist seit fast einem dreiviertel Jahr tot.“

    „Und wer sagt, dass er vorher nicht noch ein paar Sachen erledigt hat?“

    „...oder dafür sorgte...“ vollendete John langsam, Wort für Wort den Satz. „...dass wir diese Sachen erledigen können?“

    „Ich wusste, dass Sie es auch so sehen würden.“


    ***





    MI5 - http://de.wikipedia.org/wiki/Security_Service_%28MI5%29 besonders zu beachten der Terrorartikel und die Bedrohung von englisch – amerikanischen Fluglinien welche in ein Scandal in Belgravia thematisiert werden
    Geändert von sethos (04.10.2012 um 14:15 Uhr)

  6. #5
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    V


    Sieben ruhige Tage in seiner neuen Wohnung und das trotz, oder gerade weil die Vergangenheit die ganze Zeit so dicht über John schwebte. Und nun war auf einen Schlag wieder alles dahin. Stunde um Stunde sass er vor dem Fernseher und verfolgte die Nachrichten, während seine Gedanken um Gregs Worte kreisten und bohrten. Konnte es möglich sein, dass sich Sherlocks rächende Hand tief aus dem Jenseits heraus ausstreckte? Hatte er, bevor er starb, wirklich noch dieses Übermaß an Daten und Detailwissen irgendwo speichern können? Oder hatte er womöglich einen Unbekannten damit beauftragt?
    Ich muss etwas erledigen. Sherlocks Worte, in der letzten Nacht vor seinem Tod, standen wie ein düsterer Spuk in Johns Gedanken auf.
    Was war es, dass er unbedingt damals alleine noch hatte tun wollen? Wer außer Sherlock hätte solche Daten, mit diesen persönlichen Passwortabfragen zu Lestrades Privatleben kombinieren können? Warum, wenn er all diese Dinge schon damals gewusst hatte, hatte er sie nicht zu seiner Rehabilitation, zu seiner Rettung verwendet? Warum war er dennoch gesprungen? Bewiesen die aktuellen Ereignisse zwar leider nicht Moriartys Existenz, so aber zumindest, untrügerisch, sein Wirken. Oder hatte Sherlock befürchten müssen, dass man versuchen würde, ihm auch diese Verbrechen in die Schuhe zu schieben, ihn letztlich auch dafür verantwortlich zu machen? Die ganze Welt wollte nur zu gerne glauben, dass es soetwas wie Moriarty nicht gab. Moriartys Dasein stellte eine solche Bedrohung für das öffentliche Sicherheitsempfinden dar, dass es besser war, ein solches Monster zu einem Hirngespinst zu erklären, als sich der Tatsache zu stellen, dass nichts und niemand mehr vor ihm sicher war. Hatte Sherlock den Tod gewählt, weil dies der einzige mögliche Ausweg blieb, Moriartys Tun später einmal glaubhaft zu machen?
    Doch warum hatte Sherlock dann mit seinen letzten Worten so sehr darauf gedrungen sich geirrt zu haben, ja gar ein Schwindler zu sein? Wem nutzte bei dieser Sache die Tatsache, dass Sherlock Holmes geniale Fähigkeiten gar nicht existierten? Wenn all die nun angestoßenen Enthüllungen eine nachträgliche Revanche Sherlocks waren, wen hatte er dann all die Monate zuvor, mit seinem angeblichen Schuldeingeständnis von eben dieser Spur ablenken wollen?
    Johns, nach so langer ergebnisloser Suche endlich eingetretene Ruhe, stürzte in sich zusammen wie ein überschiefes Kartenhaus. Es war weit nach Mitternacht, aber an Schlaf war nicht zu denken. Unruhig grübelnd sass er, in fast völliger Dunkelheit neben dem herabgeregelten Kamin, und seine Gedanken bohrten und drehten sich zu wilden Strudeln. Alle vorangegangenen Vorsätze, nun endlich mit der Sache abzuschließen, waren auf einen Schlag dahin. Alle Zweifel, alle Fragen neu erwacht. Sherlocks unbegreiflicher Tod stand plötzlich wieder mit der gleichen vehementen Wucht in Johns Fokus, wie in dem Augenblick, als er seinen zerschmetterten Körper auf dem nassen Gehweg hatte liegen sehen. Nichts, gar nichts hatte sich geändert. Und die Worte, die Sherlock einmal an ihn gerichtet hatte, als er sich erstaunt darüber zeigte, dass ihn der Krieg und der erlebte Tod nahestehender Kameraden doch eigentlich gefühlsmäßig viel abgehärteter für solche Belange hätte werden lassen sollen, wurden erneut lebendig.
    Hierbei ist ein Rätsel, ein ungelöstes Rätsel das Ihre Phantasie aufreizt. Wo kein Rätsel ist, da ist auch kein Grauen.* Flüsterte Sherlocks dunkle Stimme immer wieder in seinem Kopf.
    Er war so aufgewühlt, dass das kleine aufkommende Geräusch nur zeitversetzt in seine Sinne eindrang und dort zuerst auf völlige Ignoranz stieß. Erst als es sich mehrmals kaum merklich wiederholte, sogar präsenter wurde, schlugen Johns Nerven elektrisiert Alarm. Irritiert begann er zu lauschen. Es verstummte. Doch dann... Er täuschte sich nicht. Lauschend hob er den Kopf. Dieses leichte Knarren, diese unmerklichen Schritte...und er wusste sofort woher sie kamen. Er starrte mit geweiteten Augen zur Decke über ihm.* Dort oben war etwas! Nein, nicht etwas. Ganz deutlich vernahm John nun Schritte. Dort oben war jemand. Irgendjemand schritt durch die Wohnung der Baker Street 221B über ihm.Ganz leise, ganz sacht. Und doch schien er nicht bemüht sich zu verstecken. Die Erinnerung an den unaufgeklärten Mordanschlag am Neujahrsmorgen, oben in der Wohnung, erwachten. Verdammt, wer suchte dort oben etwas und vor allem was? John sprang auf und riss die Pistole aus der Schreibtischschublade. Wenn sich hier irgendjemand einen absolut geschmacklosen Scherz mit ihm erlaubte, würde er sofort dafür sorgen, dass es diesem jemand ziemlich Leid täte! Er riss die Tür auf und stürmte die knarrende Treppe hinauf. Die obere Wohnungstür war nur angelehnt, Licht schimmerte in das dunkle Treppenhaus. Mit der Waffe im Anschlag sprang er ins Zimmer und starrte geblendet in die Helligkeit. Eine große schlanke Gestalt im dunklen Mantel sass wartend in dem ledernen Sessel vor dem Kamin.

    „Guten Abend, John.“ Der Mann lehnte mit dem Rücken zu ihm und hielt es nicht für nötig sich umzudrehen, während er sprach. „Wie ich sehe, haben Sie immer noch Freude an alten Gewohnheiten...und auch alten Adressen scheinen Sie treu zu bleiben.“

    „Mycroft!“

    „Bitte John“, Sherlocks stets perfekt reservierter Bruder hob die Spitze seines Regenschirmes und wies damit fordernd auf den Sessel ihm gegenüber, der früher Johns Stammplatz gewesen war. „Nehmen Sie doch Platz. Und legen Sie nach Möglichkeit die Waffe aus der Hand. Sie könnte noch losgehen und Mrs Hudson wecken. Das wollen wir doch beide nicht, oder?“

    Mürrisch gehorchte John und fragte sich wiedereinmal, warum er Mycrofts manipulatorischem Wesen überhaupt nichts entgegenzusetzen vermochte. Er war diesem so untadlig höflichen, akkurat gekleideten und zutiefst kultivierten Mann genauso hilflos unterlegen, wie eine hypnotisierte Maus dem kalten Blick einer abwartenden Schlange. Wem kam beim Anblick von soviel überlegener Eleganz schon der Gedanke an Gefahr oder Berechnung?
    „Was tun Sie hier, Mycroft?“

    „Nun. Ich dachte, dass es endlich an der Zeit wäre den Nachlass zu regeln.“
    .
    „Mitten in der Nacht?“ John versuchte seine Anspannung mit einem ironischen Lachen zu kompensieren. Es klang hohl in der ansonsten anheimelnden Atmosphäre von Johns ehemaliger Wohnstätte und verfehlte seine Wirkung auf seinen Gegenüber gänzlich. Wie zumeist in solchen Situationen verzog Sherlocks älterer Bruder nur leicht gelangweilt die Lippen.
    „Gewiss, etwas unpassend. Aber wie Sie wissen, bin ich ein vielbeschäftigter Mann. Bisher ergab sich einfach keine Gelegenheit, John.“

    „Nehmen Sie was Sie wollen, Mycroft und dann verschwinden Sie. Alles andere lasse ich Ihnen gerne schicken. Wo immer Sie es hinhaben wollen.“

    „Noch immer so aggressiv, John. Scheint sich nicht viel verändert zu haben, seit dem Tod meines Bruders.“

    John atmete zischend aus. Er spürte wie sich seine Rechte zur Faust ballte und zitternd zuckte.
    Mycrofts lauernde Augen bemerkten es sofort. Sein süffisantes Lächeln breitete sich deutlicher auf seinen beherrschten Zügen aus. Er legte die Fingerspitzen vor seinem Gesicht aneinander, so wie es auch Sherlock in voller Konzentration oft getan hatte und betrachtete John geduldig amüsiert, wie ein interessierter Forscher eine altbekannte Spielart eines seiner Lieblingsinsekten.
    John riss sich zusammen und versuchte seiner Stimme einen harten Klang zu verleihen.
    „Was konkret wollen Sie, Mycroft?“

    „Genaugenommen etwas was mir eigentlich sowieso gehört. Ich habe damals ein wenig darüber hinweggesehen, da Sherlock es unbedingt behalten wollte. Sentimentalität. - Wohl eine kleine Familienschwäche. Aber nun... Sie haben mit Sicherheit von den aktuellen Ereignissen Kenntnis genommen?“

    „Die Verhaftungen? Siiiie stecken hinter den Informationen für Scotland Yard, Mycroft?“ John vermochte sein Erstaunen nicht zu verbergen. Sein Mund stand für einen Augenblick sprachlos offen.

    „Oh, etwas zuviel der Ehre, mein lieber John. Nein das ist nicht mein Werk. Das wäre dann doch etwas diskreter ausgefallen. Verstehen Sie mich nicht falsch, mein Lieber, im Allgemeinen billige ich durchaus was zurzeit gerade geschieht. Aber ich befürchte, der Schaden, der dabei angerichtet wird, könnte den allgemeinen Nutzen nur allzusehr relativieren.“

    „Schaden, was für ein Schaden, Mycroft? Wir befreien uns doch gerade von all diesem Schaden.“

    „Möglicherweise, John. Doch sollten gerade Sie, als ehemaliger Soldat, wissen, dass jeder gewonnene Krieg augenblicklich einen neuen nach sich zieht. Keiner verliert gerne und geschlagene Gegner stehen nach einer gewissen Zeit nur umso rachsüchtiger wieder auf.“

    John schüttelte entgeistert den Kopf. „Ah, und Sie bevorzugen es daher lieber garnichts zu tun? Alles beim Alten zu belassen?“

    „Leider, diese Prämisse steht nicht mehr zur Debatte, nicht wahr? Das Rad dreht sich....“, Mycrofts Schirmspitze vollzog einen schwungvollen Kreis. „...und ich würde ebenso wie Sie nur zur gerne wissen, wer es so dramatisch ins Rollen gebracht hat.“

    „Und die Antwort glauben Sie hier zu finden?“ Johns Hand fuhr gereizt zum Schreibtisch. „Da! Nehmen Sie alles mit! Sherlocks Laptop, seine Unterlagen....“

    „Nicht doch, John. Das ist es nicht, was ich suche. Wie immer ziehen Sie die falschen Schlüsse.“ Mit herablassendem Wohlwollen neigte sich Mycroft ihm zu.

    „Ich verstehe nicht...?“

    „Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir das Handy von Miss Adler zurückzuerstatten, welches ich Ihnen damals, oder besser gesagt meinem Bruder so großzügig überließ.“

    Johns Kinn klappte vor Überraschung herunter? „Waaas? Irene Adlers Handy?“ stammelte er völlig begriffsstutzig. „Ich verstehe überhaupt nicht...“

    „Nein, das ist auch nicht notwendig. Ich wünsche lediglich in Erfahrung zu bringen, ob es noch in dieser Wohnung aufbewahrt wird, oder...“

    „Was oder?“

    „Nun, möglicherweise trug Sherlock es an seinem Todestag bei sich.“

    Johns Stirn legte sich in orientierungslose Falten. „Warum sollte er das tun? Es war gelöscht, völlig wertlos.“

    „John“, Mycroft lächelte mit dem Gesicht einer Sphinx. „Wie ich schon erwähnte, wir besitzen ja alle so unsere kleinen Sentimentalitäten, nicht wahr. Sogar jemand wie Sherlock.“

    „Wenn dem so gewesen wäre, hätten Sie es doch erhalten. Man hat Ihnen doch alles ausgehändigt was Sherlock an diesem Tag bei sich trug.“

    „Ja, allerdings.“

    „Und? War es dabei?“

    „Nein. Dann würde ich Sie kaum jetzt danach fragen.“

    „Dann wird er es auch nicht dabei gehabt haben.“

    „Nun, John“, Mycroft lehnte sich wieder in die Kissen zurück, zögerte kurz, schien darüber nachzusinnen wie weit er seine Gedanken öffnen sollte, um sein gewünschtes Ziel zu erreichen. „Sehen Sie, das ist es eben was mich seit dem beschäftigt?“

    „Irene Adlers Handy?“

    „Ja, und warum Sie meinen Anruf an diesem Tag nicht angenommen haben?“

    John starrte Mycroft fassungslos an. „Ihren Anruf?“* stotterte er geschockt. „Warum ich Ihren Anruf damals nicht beachtet habe? Mycroft, genau zu diesem Zeitpunkt schlug Sherlock vor meinen Augen auf dem Pflaster auf. Und Sie fragen allen Ernstes warum ich nicht mit Ihnen plaudern wollte?“

    „Verstehe. Nun gut, dann wäre auch das geklärt. Es war wirklich schade, John, dass Sie meiner Bitte um Ihre Anwesenheit bei der Beerdigung meines Bruders nicht nachgekommen sind. Wir hätten so manche Unstimmigkeit schon damals klären können.“

    „Ja, mit Sicherheit“, schnaufte John und fühlte sich zum ersten Mal seit Beginn dieses Gespräches dem anderen gewachsen „Und ich hätte Ihnen damals höchstwahrscheinlich vor allen Leuten eine in die Fresse gehauen, Mycroft!“

    Sherlocks Bruder seufzte geduldig und erhob sich dann abrupt. Die Spitze seines Regenschirmes bohrte sich in den Flor des Teppichs bevor er sie aufnahm und sie, wie es schien, völlig fasziniert betrachtete. Seine Stimme glich dem eines geduldigen Vaters der mit einem uneinsichtigen Kind verhandelte.
    „Nun John. Wie bedauerlich. Sie waren Sherlock als Freund sehr wichtig und deswegen würde auch ich einen gewissen freundschaftlichen Kontakt zu Ihnen weiter sehr begrüßen...“

    „Ach bitte...“

    „...Doch sehe ich ein, dass die Zeit dafür wohl noch nicht gekommen ist. Familie lieber John, und dazu zähle ich Sie nach den bedauerlichen Ereignissen des letzten Jahres in gewisser Weise, Familie muss auch so etwas wie Geduld aufbringen können. Trotzdem würde es mich freuen, falls es Ihnen keine allzugroße Mühe bereitet, wenn Sie demnächst beim Ausräumen dieser Wohnung, noch einmal nach dem vermissten Gegenstand Ausschau halten würden. Sie wissen ja, er gehörte zu einer recht brisanten Ermittlungsakte und es könnte irgendwann Schwierigkeiten geben, wenn sie nicht ganz vollständig wäre.“

    „Auf Wiedersehen, Mycroft!“, John stakte zur Tür und riss sie unmissverständlich auf.

    Mycroft ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
    „Guten Abend John. Und grüßen Sie Mrs Hudson von mir. Teilen Sie ihr mit, das ich darum bitte, mir meine Nachlässigkeit wegen dieser Angelegenheit hier zu entschuldigen. Ich werde mich demnächst bei ihr melden um alles weitere zu regeln.“



    ***






    Hierbei ist ein Rätsel, ein ungelöstes Rätsel das Ihre Phantasie aufreizt. Wo kein Rätsel ist, da ist auch kein Grauen – Originalzitat aus eine Studie in Scharlachrot

    Decke über ihm – eigentlich dürfte bei einer Souterrainwohnung noch etwas dazwischen liegen, zumindestens das Treppenhaus, eine Tatsache die ich um den Effektes willen einfach bockig ignoriere

    Anruf an John
    - im Reichenbachfall klingelt ein Telefon genau in dem Augenblick als John von dem Fahrradfahrer angefahren und umgerissen wird. Das John sein Handy noch in der Hand hält kann das Klingeln nur von seinem Telefon stammen. Er bekommt also eine Anruf den er, aufgrund der dramatischen Umstände, nicht entgegen nimmt. Wer ruft da an?

  7. #6
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    VI


    Die Tage vergingen ohne dass Mycrofts Vorankündigung in die Tat umgesetzt wurde. John schaffte es sich wieder ein wenig beruhigen. Trotzt großem Widerwillen, machte er sich danach, zusammen mit Mrs Hudson, noch einmal daran, die Wohnung gründlich zu durchsuchen. John überwand seine Scheu vor der direkten Konfrontation mit Sherlocks persönlichen Sachen und inspizierte Schränke, Kleidungstücke, Schubladen und Bücherregale mit der gleichen Gründlichkeit, mit denen er zuvor schon oft nach Sherlocks verborgenen Geheimnissen gesucht hatte. Das Ergebnis blieb dasselbe, wie damals auch. Nie fand er auch nur den kleinsten Hinweis auf Drogen oder andere versteckte Dinge, einzig die altbekannte Notzigarettenschachtel zog er zwischen Sherlocks Socken hervor – doch sie war völlig unberührt. Irenes Handy, von dem John wusste, dass Sherlock es in einer der Schreibtischschubladen aufbewahrte, blieb absolut unauffindbar. Nur das damals von Sherlock eingesetzte Duplikat fand sich, zwischen all ihren, über die Zeit nutzlos gewordenen Kabel- und Technikresten, in einem vergessenen Schuhkarton wieder. Weder auf diese Tatsache, noch auf den Grund, warum Mycroft mit soviel Nachdruck auf Aufklärung über den Verbleibs seines Originals pochte, mochte sich John einen logischen Reim machen. Zu guter Letzt öffnete er sogar den Violinenkasten, in dem, vor Staub geschützt, Sherlocks Geige ruhte und klopfte das kostbare Instrument vorsichtig ab, ob nicht sein Inneres als Versteck für ein mögliches Geheimnis diente. Die Geige produzierte unter Johns laienhaften Händen ein paar sanfte, sonore Töne von so feingeschliffenem dunklen Timbre die jede Störung ihres Klangkörpers durch einen Fremdgegenstand ausschlossen. Enttäuscht und beschämt zugleich legte er das Instrument vorsichtig zurück. Das deutliche Gefühl einer Entweihung erfasste John und er schloss den Deckel des Kastens wieder sorgfältig, die Geige in ihren stillen Dornröschenschlaf zurückschickend. Er konnte nicht verstehen, warum Mycroft noch nicht einmal an diesem Gegenstand Interesse zeigte, wusste John doch von Sherlock, dass es sich bei der Violine um ein altes und sehr, sehr wertvolles Familienerbstück handelte.*
    Schon am darauf folgenden Abend erhielt John, wenn nicht eine Antwort, so doch eine Ahnung darüber, warum Mycroft allem Anschein nach erneut keine Zeit zur Regelung des Nachlasses aufbringen konnte.
    Noch waren die Medien und Zeitungen angefüllt mit der Welle von Verhaftungen und Polizeiaktionen, als in den Spätnachrichten die Bombe der Verwicklung von Grossbritanniens größter Bank HSBC mit Drogenkartellen und Terrorgruppen platzte.* Allem Anschein nach, war im Zuge der weltweit losgetretenen Ermittlungen zu Tage gekommen, dass riesige Transaktionen und Geldwäschen für dubiose Gruppen und Geschäftsleute nicht nur ein einträgliches Nebengeschäft der Bank darstellten, sondern schon seit Jahren an der Tagesordnung waren. Nun forderte merkwürdigerweise der US-Senat von London Aufklärung und John konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man in den USA, die Flucht nach vorne antrat. Lieber selbst den Mund aufreißen und laut nach Errettung brüllen, als mit dem ganzen lecken Kahn unterzugehen.
    Eine Flut von Entschuldigungen, Rücktritten und Debatten folgte, doch der Skandal weitete sich ungebremst in allerhöchste Londoner Regierungskreise aus. Das Unterhaus brodelte, Staatssekretäre verließen reihenweise ihr Amt und Minister zitterten um Posten und Glaubwürdigkeit.
    Hatten all die Medien noch vor kurzem frohlockend erklärt, welch gute Polizeiarbeit doch eine gefestigte Demokratie zu leisten vermochte, stand miteinmal nur noch zur Debatte, wieviel Glaubwürdigkeit einer Regierung noch zugestanden werden durfte, deren höchste Angehörigen im Verdacht standen sich, um der eigenen Macht und Vorteile wegen, mit so ziemlich jedem ins Bett zu legen. In der Öffentlichkeit rumorte es und die Angst, die Stimmung könnte erneut in gewaltsame Unruhen* umschlagen, erschien absolut greifbar.
    Mycrofts Name tauchte bei all dem nie auf, aber John war sich sicher, dass man nicht nur den Premierminister, sondern auch ihn zum Dauerrapport in den Palast zitiert hatte und das er die restliche Zeit damit verbrachte, den an allen Ecken lecken Kahn so schnell wie möglich auszustopfen und wieder fahrtüchtig zu bekommen.

    Als John an einem dieser ereignisreichen Tage abends nach Hause kam, fand er zudem die Straße von Einsatzfahrzeugen gesperrt. Kreisende Blaulichter zuckten in der Dämmerung über die angrenzenden Häuserwände und den Asphalt. Neongelbbemäntelte Polizisten versperrten John den Zugang zu seiner Wohnung. Er fühlte sich unangenehm an den Morgen vor fast zwei Jahren erinnert, als eine Explosion Teile des gegenüberliegenden Hauses hinweggefetzt hatte. Er drängte sich durch eine größere Gruppe Gaffer an den Absperrbändern vorbei und stieß, unter Vorlage seines Ausweises, bis in den inneren Zirkel rund um seine Adresse vor. Aus dem Nebenhaus schoben zwei schwarz gekleidete Herren gerade eine Trage mit einem großen dunklen Leichensack heraus und luden ihn in ihre langgestreckte Limousine. Blitzlichter klickten und die Abendnachrichten waren vor Ort. Da es derzeit draußen empfindlich kalt war, entschloss sich John weitere Informationen, zu den Vorgängen, den Medien zu entnehmen und suchte Zuflucht in Mrs Hudsons warmer Küche. Erstaunt musste er feststellen, dass er nicht der ihr einziger Gast war. Greg Lestrade und Stg Donovan schlürften an ihrem Küchentisch Tee.
    „John.“

    „Greg, Sie schon wieder. Was ist da draußen passiert?“

    „Mord.“

    „Mord? Langsam fange ich an mich zu fragen, ob ich wirklich die richtige Wohngegend ausgewählt habe? Wie groß ist die statistische Wahrscheinlichkeit das all diese Ereignisse immer nur Zufall sind?“

    „Gleich Null, John. Sie kennen den Mann, der dort drüben erschossen wurde.“ Greg zog ein Foto aus der Manteltasche und schob es zu John hinüber. „Er heißt Neilson, Amerikaner und ist wahrscheinlich eine Art ehemaliger CIA-Agent und Auftragskiller. Erkennen Sie ihn wieder?“

    „Oh ja“, stotterte John. „Das ist der Mann...“

    „Ganz genau“, vollendete Lestrade. „Das ist der Mann, der Mrs Hudson überfiel und von Sherlock auf die Mülltonnen befördert wurde.“

    „Und wer hat ihn ermordet?“

    „Das wissen wir nicht. Aber wir gehen anhand der Waffe, die wir bei ihm gefunden haben davon aus, dass er der Angreifer war, der am Neujahrsmorgen auf Sie und Mrs Hudson geschossen hat.“

    „Er?“ John setzte sich auf den nächstbesten freien Stuhl. „Aber warum?“

    „Auch das ist uns noch nicht bekannt. Aber dort drüben...“ Greg nickte in Richtung des Tathauses, „befindet sich eine leerstehende Wohnung, aus der Neilson wohl seit längerem dieses Haus hier beobachtete. Wir haben seine Sachen und Waffen dort oben gefunden und dort ist er auch erschossen worden. Ein Handwerker, der einen elektrischen Zähler auswechseln wollte, hat ihn vor zwei Stunden entdeckt. Laut Gerichtsmediziner ist er schon mindestens seit drei Tagen tot.“

    „Er hat uns beobachtet und Sie sagen er wollte uns töten? Warum?“

    Greg schnaufte hilflos „Das frage ich mich seit meiner ersten Ermittlung, wegen des Schützen hier. Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Ebensowenig wie darauf, wer wiederum ihn erschossen hat. Er scheint seinen Mörder gekannt zu haben oder zumindest nicht überrascht worden zu sein. Die Kugel wurde aus nächster Nähe, wahrscheinlich aus einer Browning 9 mm abgegeben. Scheint fast so, als wollte da irgendjemand verhindern, dass Neilson weiteren Schaden anrichten kann.“

    John kräuselte die Stirn angespannt. „Sie glauben doch nicht wirklich, dass die Informationen die man Ihnen für Ihre Verhaftungen zuspielte mit dem hier zusammenhängt.“

    „Nein Beweise habe ich dafür bis jetzt noch keine. Aber komisch ist das schon. Allem Anschein nach, werden Sie seit Monaten beschattet, oder besser gesagt diese Wohnung hier, und dann tauchen all diese brisanten Dateien auf, von denen wir nicht wissen woher sie stammen, die aber möglicherweise...“

    „Das sind Hirngespinste, dass sagte ich Ihnen schon.“ mischte sich Stg Donovan maulend ein. „Nichts als Wunschdenken, weil Sie einfach nicht wahrhaben wollen....“

    „Was Sally? Was ist, wenn Sie nicht wahrhaben wollen, dass Sie sich geirrt haben? Wenn diese Dateien doch von ihm stammen? Hat Neilson vielleicht versuchen wollen zu verhindern, dass sie uns zugestellt werden?“

    „Ja, und?“

    „Er wusste nicht, wo sich diese Dateien befinden, oder wie er an sie rankommt. Was liegt also näher als dieses Haus zu beobachten?“

    „Und als er uns damals sah,“, vollendete John Lestrades Theorie. „musste er glauben, dass wir versuchen würden, an diese Dateien heranzukommen. Und um uns zu stoppen...“

    „Alles nur Theorie.“, schimpfte Sally, nicht bereit zuzugeben, dass sie sich mit ihrem vormals getroffenen Urteil so sehr geirrt haben sollte.

    „Ja, das gebe ich zu.“, räumte Greg freimütig ein. „Aber eine gute Theorie allemal.
    Nun ja.“ , er sprang auf. „Wir werden sehen. Wir müssen leider los. Ich halte Sie auf dem Laufenden, John. Mrs Hudson, danke für den Tee.“


    ***





    die Violine, ein altes und sehr, sehr wertvolles Familienerbstück – im Canon besitzt Sherlock Holmes eine kostbare Stradivari, welche er bei einem Trödler erstand, der ihren Wert nicht erkannte (Die Pappschachtel)
    in der Serie traute man sich wohl an ein solch wertvolles Instrument nicht heran und verpasste ihm eine ebenfalls recht kostbare deutsche Violine aus dem Jahre 1880, - wie dem auch sei, da ich mir nicht mehr vorstellen kann, das heutzutage ein solches Flohmarktschnäppchen noch möglich ist, gehe ich einfach davon aus das dieser Kauf einem seiner Vorfahren gelungen ist und Sherlock canongerecht über die Stradivari als Erbstück verfügt

    HSBC-Skandal – aktuell so stattgefunden Juli 2012

    gewaltsame Unruhen in London – Sommer 2011

    Geändert von sethos (28.09.2012 um 08:47 Uhr)

  8. #7
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    VII



    John wusste nicht recht, wie er auf den neuen Vorfall reagieren sollte und ob ihre Sicherheit immer noch gefährdet war. Zwar hatte Lestrade vorsorglich einen Beamten, zu ihrem Schutz abgestellt, der nun wechselseitig vor dem Haus patrouillierte oder sich in der Küche aufwärmte, doch John traute dieser Maßnahme nicht sonderlich. Daher verstaute er von nun an dauerhaft seine Pistole in seiner Jackentasche, auch wenn ihm diese Vorgehen ein wenig albern vorkam. Außerdem versuchte er Mrs Hudson massiv davon zu überzeugen, sich ein paar Tage bei ihrer Schwester zu erholen. Dann nahm er ersteinmal selbst eine Woche Urlaub und verbrachte diesen fast rund um die Uhr in Mrs Hudsons Küche vor dem Nachrichtensender oder wild durch die Tageszeitungen blätternd, die dank Sherlocks unerloschenem Dauerabo jeden Morgen pünktlich im Briefkasten landeten.
    Kaum eine Woche später waren der Finanzminister und die Innenministerin der allumfassenden Großjagd erlegen und nahmen nach peinlichen Fernsehinterviews beschämt ihren Hut. Wann ihnen der Justizminister folgen würde war nur noch eine Frage von Stunden.
    Die allgemeine politische Großwetterlage erschien unwettertrüb, um nicht zu sagen erschreckend finster und die Allgemeinwetterlage schloss sich diesem Phänomen gehorsam an.
    Es regnete schon seit zwei Tagen fast durchgehend. Die tiefliegenden bleischweren Wolken schluckten jedes Tageslicht und hüllten London in ein frustrierendes Defusum aus Grau. Die Temperaturen kletterten kaum über die 2°C Marke, und das nach ersten zaghaften Frühlingsanzeichen in den Tagen zuvor. Alle froren bitterlich. Mit hängenden Schultern und hochaufgeschlagenem Kragen eilte jeder hektisch seinen Pflichten und Erledigungen nach, nur um schnell wieder heimkehren zu können. Bleierne Depression hing über allem und in John manifestierte sich an diesem Samstagvormittag der Wunsch, einfach ins Bett zurückzukehren und es nach Möglichkeit nicht mehr zu verlassen. Das Schrillen der Türklingel unterbrach diesen gerade gefassten Vorsatz abrupt. Wer zum Henker kam bei solch einem Sauerwetter auf die Idee Besuche zu machen? Mrs Hudsons, bis zu den Ellenbogen bemehlte, Hände steckten in einer großen Teigschüssel fest. Für den Nachmittag hatte sie ihre Abreise zu ihrer Schwester geplant, doch ließ sie es sich nicht nehmen, zuvor noch ausgiebig dafür zu sorgen, dass John in den nächsten Tagen nicht verhungerte. John warf gelangweilt die Zeitung auf den Küchentisch und schlurfte zur Haustür. Das Klingeln wiederholte sich ungeduldig.
    „Ja!“, brüllte er verärgert. „Verdammt. Ich komme!“

    Der Anblick der ihn beim Aufreissen der Tür erwartete, traf ihn allerdings etwas überraschend. Am grauen Bordstein des nassen Gehsteiges wartete eine spiegelglänzende dunkle Limousine mit aufgeschlagener Fondwagentür auf ihn. Ein diskreter schwarzbemäntelter Herr mit schwarzem Regenschirm und stoischem Gesichtsausdruck stand geduldig daneben. „Nein“, stöhnte John auf und warf wütend die Tür wieder ins Schloss. Er hatte die Küche noch nicht wieder erreicht als es wieder klingelte.

    „John“, nörgelte Mrs Hudson. „John, nun gehen Sie doch endlich öffnen!“

    „Ich will aber nicht“, maulte er störrisch, blieb einen Augenblick unschlüssig stehen, sich fragend, ob er Mrs. Hudson die Lage erklären sollte oder ob es besser wäre, alles einfach auf sich beruhen zu lassen und zu hoffen, dass die Sache damit einfach verschwinden würde. Sie verschwand nicht, sondern manifestierte sich durch erneutes Schellen.

    „John!“ Wild mit ihren teigbehangenen Händen fuchtelnd fegte Mrs. Hudson zur Eingangstür.

    „Schon gut“,seufzte John geschlagen und angelte seine Jacke vom Haken im Flur. „Ich denke Mrs Hudson, den Lunch lasse ich heute ausfallen.“ Resigniert schlurfte er aus der von ihr aufgerissenen Tür und kletterte an ihrem verwirrten Blick vorbei in den Fond des wartenden Wagens.
    „Hallo Mycroft. Wann haben Sie eigentlich mal vor Ihre Methoden etwas variabler zu gestalten? Die Sache verliert auf die Dauer ihren Reiz. Um was geht’s diesmal?“

    „Einen wunderschönen guten Tag, John. Scheußliches Wetter heute, nicht wahr?“ Das höfliche Grinsen auf Mycrofts Gesicht schien das alte, doch kam es John so vor, als wenn ein gehetztes Flackern die sonst stets so konzentrierten Augen Mycrofts beherrschte. Neben dem Fahrer stieg der diskret schweigsame Mann ein, nachdem er Johns Tür geschlossen hatte. Langsam setze sich der Wagen in Bewegung und fädelte sich in den dahinfließenden Verkehr auf der Baker Street ein.

    „Wissen Sie, Mycroft“, schnaufte John wütend. „mir ist ja bekannt, das Traditionsbewusstsein zu Ihren besonderen Tugenden gehört, aber sind Sie nicht auch der Meinung, unsere kleinen Rendezvous sollten irgendwann einmal aufhören? Es gibt nichts mehr was ich für Sie tun kann. Ihre angeblichen familiären Bemühungen sind ja ganz rührend, aber ich denke, ich gebe Ihnen hier und jetzt was Sie unbedingt haben wollten und dann lassen Sie mich da vorne an der Ecke wieder raus und wir sehen uns nie wieder.“
    John zog das Duplikat von Irenes Handy aus der Jackentasche warf es Mycroft in den Schoß und legte seine Hand demonstrativ auf den Türgriff. „Okay Jungs, da vorne mal anhalten. Zurück nehme ich die U-Bahn.“

    Der Wagen fuhr weiter ohne seine Geschwindigkeit zu verringern. Mycroft schüttelte missbilligend den Kopf ohne das Handy überhaupt zu beachten.
    „John, John. Wie immer missverstehen Sie die Situation gänzlich. Ich frage mich manchmal, wie Sherlock das mit Ihnen nur ausgehalten hat. Andererseits, gewisse Impulsivität wirkt erfrischend und Ihre unbestrittene Loyalität meinem Bruder gegenüber, ließ ihn möglicherweise über kleine Fehler hinwegsehen. Nett, dass Sie mir dieses Ding hier mitgebracht haben...“ Er fegte mit einer wegwerfenden Handbewegung das auf einmal so geschmähte Handy von seinem Schoß auf die Polster und zog sein eigenes Telefon aus der Manteltasche hervor.
    „Sie haben recht, dass ist der Grund warum ich Sie heute wiedereinmal aufsuche. Allerdings dürfte dieses Teil dort kaum das von mir gewünschte Handy sein.“

    John versuchte es mit der besten Unschuldsmiene zu der er momentan fähig war. Wie zum Teufel konnte Mycroft sofort wissen das dieses Handy nur ein Duplikat war?

    „Ich versteh nicht. Noch vor ein paar Tagen sind Sie bei uns eingebrochen nur...“

    „Ich habe Sie besucht, John. Genaugenommen, bin ich nur in der Wohnung meines Bruders zum Zwecke der Nachlassregulierung vorstellig geworden, erinnern Sie sich?“

    „Ja, und Sie wollten dieses verdammte Handy dort, und nun?“

    „Ich wollte nicht dieses Handy, John, ich wollte Irene Adlers Handy. Und rein zufällig weiß ich derzeit ganz genau, wo sich ihr Handy momentan befindet...und das, ist nicht in diesem Wagen.“

    „Okay“, Johns Gesicht verformte sich zu einer beleidigten Schnute. „Und wo befindet es sich und was habe ich damit zu tun?“

    Mycroft schob John sein eigenes Smartphone vor die Nase. Eine geöffnete SMS leuchtete darauf.

    Kensington Church Street - Ecke Kensington Rd, Buchladen, 13:00 Uhr

    las er.

    „Ja und?“

    „Nun John, das Handy befindet sich genau zu diesem Zeitpunkt an genau dieser Adresse.“

    „Oh, na wie schön für Sie. Und was soll ich bei der ganzen Sache?“

    „Sehen Sie, John“, Mycroft räusperte sich und erstaunt bemerkte John in seinem Gebaren so etwas wie Unbehagen wenn nicht sogar Unsicherheit. Die Hände, die das Handy wieder wegsteckten, bebten kaum merklich und auf Mycrofts Stirn glaubte er einen leichten Schweißglanz auszumachen.
    „Ich versuche seit geraumer Zeit dieses bewusste Smartphone zu orten. Es war mir nicht möglich.“

    „Oh, wie Schade. Haben Ihre Jungs ihre Arbeit nicht ordentlich gemacht?“

    „Nein, nein. Es war einfach nicht eingeschaltet und von daher...“
    .
    „Mycroft Sie selbst haben dieses Handy gelöscht, es kann nicht benutzt werden.“

    „Und wie erklären Sie sich dann die SMS, die ich Ihnen soeben gezeigt habe? Sie wurde heute Vormittag von eben diesem Handy verschickt.“

    John stöhnte. „Verdammt, verdammt. Was ist das nur mit Euch Holmes? Auch eine Familientradition, oder was? Kann denn nichts passieren, ohne dass ihr sofort eine Verschwörung oder ein Drama daraus macht? Wer weiß wie und wo das Handy die ganze Zeit war. Möglicherweise lag es irgendwo rum und jetzt...“

    „John!“, unterbrach Mycroft ihn erstaunlich streng und seine Hände verkrampften sich auf seinem Schoß angespannt ineinander. „Ich will Ihnen jetzt einmal etwas erklären. Dieses Handy, Miss Adlers Handy, wurde gelöscht, wie Sie sehr richtig feststellten. Oder genauer gesagt, seine Dateien wurden entnommen und es auf Werkseinstellung zurückgesetzt. Da Festplatte, Akku und Chip vorbeugenden Sicherungsvorkerrungen der Dame unterlagen, war uns mehr nicht möglich. Und an dem bewussten Morgen.... an dem Morgen vor Sherlocks Tod, habe ich versucht ihn zu erreichen.“

    „Sie haben versucht mich zu erreichen.“, korrigierte John.

    „Ja, weil Sherlock mir nicht antwortete, deswegen habe ich es danach bei Ihnen versucht.“

    „Ich habe Ihnen doch schon einmal gesagt, was damals gerade passierte!“ John spürte wie mit den erneut in ihm aufsteigenden Bildern der Vergangenheit, die Wut in seinem Bauch zu einem krampfartig würgenden Klumpen wurde.

    „Ich weiß, aber zuvor hatte ich Miss Adlers Handy freigeschaltet und erwartet, dass Sherlock darüber mit mir Kontakt aufnehmen würde.“

    Johns Kinn klappte herunter. „Über dieses Handy? Warum Herrgott nochmal? Sie hätten ihn doch einfach nur.....“ John schluckte und starrte Mycroft mit offenem Mund an. Was wurde hier eigentlich gespielt? „Sie Mycroft“, zischte er anklagend. „Sie, verdammt nochmal, haben Moriarty die Daten von Sherlock gegeben...“

    „Ich sagte damals bereits, John, ein Versehen, ein absolutes Versehen. Es tut mir schrecklich leid, was daraus erwachsen ist.“

    „Ja, genau das sagten Sie schon. Und Sie haben ihm nicht geholfen. Überhaupt nichts haben Sie getan – obwohl Sie doch die Macht dazu gehabt hätten.“

    „Ich wusste doch nicht, zu was das alles führen würde, John. Ich konnte doch nicht wissen, dass er Selbstmord begehen würde.“

    „Und warum haben Sie dann versucht ihn zu erreichen..? Und komischerweise nicht über sein eigenes Handy? Mycroft was ist da eigentlich wirklich gelaufen?“

    Mycroft starrte aus dem gegenüberliegenden Fenster in das Grau der vorbeiziehenden Häuserfassaden. John vermochte sein Gesicht nicht auszumachen. Seine Hand strich nervös durch sein schütteres Haar und er seufzte leise.
    „John, ich habe schon damals versucht zu erklären, dass Moriarty uns alle in der Hand hatte. Dieser Code, er war so enorm wichtig, John. Sie müssen das doch verstehen.“

    „Und da haben Sie lieber zugesehen, bei all dem zugesehen, bevor Sie etwas unternahmen. Sie haben Sherlock allein gelassen, in der Hoffnung, auf diese Art Moriarty zu bekommen. Ich sage Ihnen jetzt mal, was ich Ihnen schon damals sagen wollte: Mycroft, Sie sind ein verdammtes Schwein.“ John stieß verächtlich Luft aus. „Und Sie haben nichts erreicht, gar nichts. Moriarty foppt Sie weiter. Sherlock ist tot. Niemand ist mehr da, der Moriarty aufhalten könnte. Und jetzt spielt er mit ihnen weiter. Er bringt Sie und die ganze Nation zum Tanzen und Sie wissen vor Angst nicht mehr ein noch aus. Ja, jetzt fahren Sie sogar einem mysteriösen Handy hinterher. Der große mächtige Mycroft zittert. Nett, dass ich das nochmal erleben darf. Sehr nett von Ihnen. War das der Grund für meine Mitfahrt?“

    Mycrofts Kopf fuhr herum und John schrak vor dem harten Ausdruck in dessen Gesicht zurück.
    „Moriarty? Wer spricht denn hier von Moriarty? Nein, der ist unseren Fingern schon lange entglitten. All diese Verhaftungen, diese Hinweise für die Polizei, glauben Sie im Ernst, John, Moriarty würde soweit gehen seine eigenen Leute reihenweise zu opfern?“

    „Ich weiß nicht, warum nicht? Wenn er Sie und halb Grossbritannien mit dazubekommt. So wie es im Moment den Anschein hat. Warum nicht. Was scheren ihn bei so einem Coup eigene Verluste? Wer sollte sonst dahinter stecken?“

    Mycrofts Augen blitzten auf. „Gut! Sie fangen an die richtigen Fragen zu stellen. Sehen Sie, wir biegen gerade in die Church Street. Nun, mein lieber John, es wird Zeit für uns beide, dass unsere Fragen beantwortet werden. Möglicherweise sind wir meiner Vermutung schon ganz nahe. Womit ich dann ihre erste Frage beantworten kann.“

    „Welche erste Frage?“

    „Warum ich Sie hierher mitgenommen habe, John.“ In Mycrofts Augen glomm etwas das es John eiskalt den Rücken hinablaufen ließ. Ein urzeitlicher Instinkt in seinem Körper signalisierte Gefahr.

    „Wenn ich Recht habe mit meiner Vermutung, lieber John...“, Mycrofts Lächeln erschien nun wieder die alte überlegene Manie angenommen zu haben und seine Stimme schwamm vor zuvorkommender Freundlichkeit. „Dann ist das eine Angelegenheit, die uns beide etwas angeht. Ich denke, ich bin Ihnen eine kleine Überraschung schuldig...vielleicht könnte sich daraus ja sogar eine mehrseitige Überraschung für Sie und unseren Gastgeber entwickeln.“

    Der Wagen hielt vor einem altmodisch wirkenden Ladengeschäft, dessen Schaufensterauslagen es als Buchladen* kennzeichneten. Mycroft stieg als erster aus und spannte den Regenschirm auf, bevor er ihn gönnerhaft auch über Johns Kopf hielt und mit ihm, wie es schien, im besten Einvernehmen,das Geschäft betrat. Der Wagen und die beiden schweigsamen Männer blieben zurück. Die Türglocke klingelte hell. Gemeinsam standen sie in einem großen, bis an die Decke mit mehrgeschossigen Bücherregalen angefüllten Raum, vollgepfropft mit alten dunklen Drucken, die einem anderen Jahrhundert zu entstammen schienen. Ein Geruch nach Holz, Leder, Staub und Verfall lag in der Luft. Die Verkaufstheke bestand aus einem wuchtigen, mahagonifarbenen Pultblock mit einer großen messingbeschlagenen Kurbelkasse. Und obwohl an der Decke helle Neonröhren brannten wirkte der ganze Raum eher düster und dennoch auf eine besondere Weise anheimelnd, wie ein zurückgebliebenes Refugium aus einer längst verschwundenen Zeit. An dem hinteren der Regale lehnte eine hohe, mit Rollen versehene Schiebeleiter. Ein langer ältlicher Mann, mit der hageren Figur eines mit den Jahren im Bücherstaub vertrockneten Bibliothekars, kletterte auf deren oberen Stufen herum. Sein runzliges Gesicht, dessen untere Hälfte von einem verwuschelten Bart und dessen oberer Teil hinter einer runden Brille verborgen lag, schätzte skeptisch seine beiden Besucher ab. Die Frage, was zwei solch verschiedene Männer wohl an einem derartig ungastlichen Tag in sein Antiquariat verschlagen haben könnte, spiegelte in seinen Brillengläsern. Dann kletterte er, für sein ältliches Erscheinungsbild, erstaunlich behände herab und warf einen Stapel Bücher* die unter seinem linken Arm festklemmten auf den Ausstellungstisch vor ihnen. Staub wirbelte auf und stach John unangenehm in die Nase.

    „Die Herren wünschen?“, krächzte der Mann und hinter seinen dicken Brillengläsern funkelten zwei stahlgraue Pupillen stechend. John überließ Mycroft die Kontaktaufnahme und heuchelte statt dessen ein gewisses Interesse an dem abgeworfenen Bücherstapel vor ihm. Skeptisch beäugte er einen ornithologischen Sammelband und eine deutschsprachige Geschichtsabhandlung und zog dann unter beiden einen dicken, mit orientalischen Goldschnittornamenten gezierten, Wälzer mit dem Titel 'Der heilige Krieg' hervor. Der Ladenbesitzer schoss auf ihn zu: „Sie sind ein Kenner, junger Mann. Eine ganz, ganz seltene Erstausgabe. Macht sich mit Sicherheit sehr kleidsam in einer guten Sammlung. Absolut attraktiver Lückenfüller!“

    „Ehm“, John warf das Buch erschrocken zu den anderen zurück und brachte zwei absichernde Schritte zwischen sich und sein scheinbar falsch interpretiertes Expertentum.
    Mycroft opferte ihm einen strafenden Blick für den Zwischenfall und räusperte sich vernehmlich.
    „Wir sind eigentlich nicht hier um etwas zu kaufen.“

    „Nicht?“ Der dürre Bibliothekar schürzte beleidigt die Lippen. „Warum dann? Bin keine Wärmehalle. Tropfen Sie mit ihrem Schirm woanders das Parkett nass!“ Mürrisch drehte er sich wieder seiner Leiter zu.

    „Wir wurden hierher eingeladen“, erklärte Mycroft höflich.

    „Oh“ Der Alte befand es nicht mehr für nötig sie anzusehen. Geschäftig kletterte er wieder auf sein Regal zurück. „Der dreizehn Uhr Termin?“ Desinteressiert wühlt er zwischen abgeschabten Buchrücken, zog Werke hervor, ordnete sie neu und murmelte unverständlich vor sich hin.

    Mycroft seufzte geduldig.

    „Sie sind pünktlich“, kicherte der Alte. „Sehr pünktlich. Vorbildlich, wie mir scheint.“ Er schnappte sich einen Atlas und stieß sich kräftig mit der Leiter vom Regal ab. Ratternd rollte sie zwei Meter vorwärts und kam an scheinbar genau passender Stelle wieder zum halten. Der Atlas verschwand zwischen anderen Nachschlagewerken. „Aber zu zweit“, murmelte er nachdenklich, „von zweien war nicht die Rede.“

    „Nun, der Herr ist ein Freund“, schnarrte Mycroft und missachtete den entsetzten Blick mit dem John diese Feststellung kommentierte. „Ich würde es daher vorziehen die Einladung auf uns beide auszudehnen.“

    Der Alte zuckte gleichgültig die Schultern und rollte auf seiner Leiter und einem gerade erbeuteten Lexikon in seiner Hand, zurück zu seinem Ausgangsort. „Mir doch egal. Da drüben...“, er nickte herrisch über die Schulter zum Kassenpult hinüber. „Dort die Tür!“ Mycroft und Johns Blicke wandten sich gemeinschaftlich einer großen Zimmertür hinter der Kasse zu. Die abweisende Aufschrift Privat prangte quer darüber.

    „Gehen Sie. Und lassen Sie mich in Ruhe!“ Eine Aufforderung, der man bei der allumfassenden Freundlichkeit dieses Zeitgenossen, nur zu gern nachkam.

    Die Tür führte zu einem großen düsteren Raum. Alte Dielen knarrten unter ihren Füßen. Das wenige vorhandene Licht verfing sich in den dunklen Holzvertäfelungen der Wände und wurde von diesen regelrecht eingesogen. Es roch nach abgestandener Luft und Fußbodenpolitur. John drückte auf den Lichtschalter, doch sein Bemühen blieb ergebnislos. „Das Licht ist kaputt“, kommentierte er ziemlich sinnlos. Mycroft schritt auf dem knarrenden Boden vorsichtig vorwärts. Die Tür, gezogen von einer schweren mechanischen Schließfeder, schlug hinter ihnen unschön krachend ins Schloss. John schrak zusammen und sah sich für einen Augenblick skeptisch nach ihr um, bevor er den Raum einer intensiveren Prüfung unterzog. Sie schienen in einem großen Saal zu stehen, der allem Anschein nach, für gelegentliche Vorlesungen oder kleine Theateraufführungen genutzt wurde. Klappstühle standen in hinteren Reihen umher oder lehnten gestapelt an den Wänden. Es gab ein einziges milchiges Fenster. Es gewann dem düsteren Londoner Regenwetter ein wenig Licht ab und streute es in einem grauen, diffusen Schimmer auf einen kleinen Tisch mit Stehlampe und zwei Sesseln. Die Sitzgruppe diente wahrscheinlich bei Lesungen dem jeweiligen Autor als Bühne. Mycroft trat hinzu und knipste die Lampe an. Zu ihrer beider Erstaunen funktionierte sie. Sie verströmte den typischen gelblichwarmen Schein einer Leselampe, gebündelt auf ihre unmittelbare Umgebung, ohne dabei die dunkle Tiefe des Saales zu durchmessen. Mycrofts vorgebeugte Gestalt erstarrte für einen Augenblick über dem Lichtkegel. John erkannte was seine Augen fixierten. Auf der Tischplatte neben der Lampe lag ein dunkles Smartphone. John identifizierte es sofort. Mycrofts Hand zuckte instinktiv danach, verharrte dann aber mitten in der Bewegung. Angespannt wie ein lauerndes Raubtier richtete er sich wieder auf und warf einen scharfen Blick in die Tiefe des Raumes. Seine Nasenflügel bebten als er jeden seiner Sinne anspannte, sich umsehend, riechend und fühlend versuchte die Gefahr auszumachen. John schluckte bei Mycrofts Anblick hart, spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten und sein Herz zu hämmern begann. Seine Hand zuckte nach der verborgenen Waffe in seiner Jackentasche. Der kalte, harte Stahl beruhigte seine gereizten Nerven augenblicklich und verwandelte sie in abwartende Bereitschaft. Der lauernde Moment dehnte sich für den Bruchteil von Sekunden in Minuten, dann rührte sich irgendetwas in der dunklen undurchdringlichen Tiefe des Saales. Mycrofts Augen verengten sich zu stahlharten Schlitzen. Anders als John, schien er ganz genau zu wissen, was sie nun erwartete und er machte sich kampfbereit dafür.

    ***




    Buchladen in der Church Street – im Canon in 'Das leere Haus' - der Geschichte, in der Sherlock Holmes von den „Toten“ wiederaufersteht - Sherlock Holmes konspirative Adresse

    Bücher – alles Bücher die Holmes, verkleidet als alter Buchhändler, bei dem Wiedersehen mit Watson bei sich trug. Den Heiligen Krieg bietet er ihm als idealen Lückenfüller für seine Büchersammlung an

  9. #8
    First Lieutenant Avatar von sethos
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    Also, all Ihr Süssen hier: versteht mich nicht falsch - ich will keine Kommentare, aber es würde mich doch schon interessieren ob überhaupt einer liest. ( Kann ja auch diskret per PM passieren wenn sihc keiner direkt outen will) Wenn nicht, habe ich kein Problem damit es einzustellen - bin nämlich im Moment arbeitsmäßig sehr eingebunden und mich dann noch hinzusetzen und was zu posten kostet mich viel Zeit. Aber durchschnittlich 25 Hits pro Post könnte ja doch entfernt auf Leser schließen lassen. Also, wenn es den einen oder andren gibt, gebe ich dem Affen gerne wieder Zucker. Ansonsten war es ein nettes Experiment.
    Aber das was jetzt folgt erfordert Ausdauer und Lesedisziplin, da frage ich doch vorher lieber nochmal nach ob daran Interesse besteht.

  10. #9
    Militärberater Avatar von Nel
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    Hi
    Ich wollte mal die wundervolle Geschichte loben und hoffe das du weiter schreiben wirst.

    Gruß Nel
    Ich suche noch einen Betaleser.

    Wer Lust hat bitte per pn melden.


    Meine FF

    Stargate: Kein Licht am Ende des Tunnels

  11. #10
    First Lieutenant Avatar von sethos
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    Vielen lieben Dank, liebe Nel für Deine aufmunternden Worte und wenn es wirklich ein paar Leser gibt, die bereit sind sich darauf ein wenig einzulassen, mache ich gerne weiter. Möchte nur noch mal davor warnen. Dieser Weg wird kein leichter sein. Natürlich ist es nur eine Variante von Möglichkeiten, AU - trotzdem gibt es einige Spoiler, die mit Sicherheit nicht AU sind. Und wer hier die große Wie-Auflösung erwartet, den muss ich leider enttäuschen
    Na, immer noch interessiert?
    Na dann: Das Wild ist auf!





    Schritte ertönten in der Dunkelheit, sich langsam nähernd. Laute, klackende Schritte. Und John nahm erstaunt wahr, wie sich Mycrofts Gesicht von harter Bereitschaft zu völliger Verwirrung wandelte.
    Ein schlanke Silhouette durchstieß die Grenze zum sichtbaren Licht und blieb herausfordernd vor ihnen stehen. John spürte wie ihm der Kinnladen herunter klappte. Er schnappte nach Luft.
    Eine Frau stand vor ihnen, groß, schlank, perfekt gekleidet und geschminkt. Ein opulenter Hauch blumigen Parfüms verteilte sich in der Luft. Irene Adler lächelte ihnen mit blutroten Lippen verführerisch entgegen. Ihre Augen leuchteten amüsiert.
    „Hallo Mr. Holmes. Dr. Watson. Ich habe zwar nicht mit Ihnen gerechnet, John. Aber schön, das Mycroft so nett war, Sie ebenfalls hierher mitzubringen.“

    Ihre Stimme klang beherrscht und schmeichelte dennoch verführerisch wie Seide. Wenn John nicht selbst mit seinen widerstreitenden Emotionen zu beschäftigt gewesen wäre, hätte er nun den absolut einmaligen Anblick geniessen können, den sonst stets so distanzierten Mycroft allem Anschein nach völlig fassungslos zu erleben. Sekundenlang starrte Mycroft auf die Frau vor ihm wie auf eine Geistererscheinung. Doch Irene schien alles andere als eine Halluzination zu sein. Schön kühl und überlegen stand sie dort, sich ihrer Wirkung auf ihre beiden Gäste absolut bewusst. Eine weite schwarze Hose mit hoch angesetztem Taillenbund und eine schlichte feminine weiße Bluse umschmeichelten ihren Körper in anmutiger Eleganz, ihr Haar war zu einem einfachen Knoten am Hinterkopf gebunden, ihr Gesicht perfekt geschminkt. Die hohen Hackenschuhe vollendeten das Erscheinungsbild und erzeugten das laute Klackern welches Mycrofts Überlegenheit so plötzlich ins Chaos stürzte.
    Irenes Augen blitzten kurz belustigt auf, den von ihr erzeugten Schock sichtlich geniessend. Mycrofts Verwirrung dauerte nur Sekunden.

    „Miss Adler“, seufzte er mit belegter Stimme. „Meinen Respekt. Diese Überraschung ist Ihnen weiss Gott gelungen.“

    „Ja“, stöhnte John dazwischen. Und er wusste nicht recht, ob die Gefühle in seinem Inneren Wut oder Hochachtung darstellten. „Das ist jetzt das zweite Mal, dass ich auf Sie hereinfalle und ich habe den Eindruck, dieses Mal bin ich hier nicht der alleinige Idiot.“

    Irene trat kurz auf John zu und legte ihm begütigend die Hand auf den Arm. „Tut mir Leid Dr. Watson, ich hatte mit Ihnen, hierbei, nicht gerechnet.“ Aus ihrem Gesicht verschwand für einen Augenblick die maskenhafte Schönheit und wurde ersetzt durch ehrliche Wärme. „Ich entschuldige mich dafür. Es war nicht meine Absicht, Sie schon wieder mit hineinzuziehen. Aber irgendwie ist das leider nie zu vermeiden.“
    Dann wirbelte sie herum und trat herausfordernd vor Mycroft dessen unterkühlte Selbstbeherrschung längst wieder die Regie über seine kampfbereit gestraffte Gestalt übernommen hatte. „Sie haben mich nicht erwartet? Und das, obwohl Sie doch so willig meiner Einladung hierher gefolgt sind? Wen haben Sie denn erwartet?“

    Mycrofts Wangenknochen mahlten. Erneut verengten sich seine Augen zu Schlitzen.
    „Sherlock Holmes“

    „Was?!“ John keuchte wie nach einem unfairen Schlag unter die Gürtellinie. „Mycroft, was phantasieren Sie da?“

    Irene drehte sich um und umrundete Mycroft herausfordernd. „Allerdings Mycroft, das wäre jetzt auch meine Frage gewesen.“ Sie hielt direkt vor ihm, brachte herausfordernd ihr Gesicht ganz dicht an das seine. „Sie sind hergekommen um Ihren Bruder zu treffen? Dabei müssten Sie doch besser als jeder andere wissen, was mit ihm geschah.“

    „Was sollte ich wissen?“

    „Das Sie es waren, der ihn getötet hat. Getötet, Ihren eigenen Bruder.“

    „Wovon reden Sie? Sherlock beging Selbstmord.“

    „Ja“, Irenes Stimme schien nur noch ein flüstern, ein gefährliches Flüstern. „Und Sie haben Ihn dazu getrieben.“

    John starrte auf die beiden Kontrahenten vor ihm und Unverständnis und Desorientierung mischten sich mit völliger Begriffsstutzigkeit.
    „Was redet Sie da, Mycroft? Um was geht es hier? Sie haben Sherlock Ihre Hilfe verweigert, haben ihm nicht aus der Sache rausgeholfen... Ist es das?“

    „Nein, John.“ Irenes Augen streiften Sherlocks Freund fast mitleidig bevor sie sich wieder hart seinem Bruder zuwandte.
    „Er hat ihm nicht die Hilfe verweigert, er hat ihn Moriarty ans Messer geliefert. Das war doch der Deal, den sie beide ausgehandelt hatten. Sherlocks Leben für Moriartys Weitermachen. Ist es nicht so? Sie haben Ihren eigenen Bruder geopfert für Ihren sogenannten höheren Zweck. Sie haben Recht, gesprungen ist er am Ende alleine. Weil Sherlock im Gegensatz zu Ihnen nicht zugelassen hätte, dass Unschuldige sterben. Aber Sie waren es, der ihn in den Abgrund stieß, Mr. Eismann. Für Königin und Vaterland, für Englands Wohl. Oder soll ich lieber sagen, für Ihr Wohl! “

    Johns Wut würgte seine Kehle zusammen. Er spürte wie in seinem Inneren irgendetwas langsam aber beständig dem Amok entgegenlief. Er machte einen wilden Schritt auf Mycroft zu und beherrschte nur unter Einsatz all seiner Kräfte den blanken Hass, dem nur noch die völlige Hilflosigkeit Einhalt gebot. „Ich verstehe das nicht, Mycroft. Wovon redet sie da? Verdammt noch mal erklären Sie mir, was sie da sagt!“

    Mycrofts Kopf fuhr zur Seite um den direkten Blickkontakt zu vermeiden. „John, Sie sollten das auch nicht verstehen. Diese Frau hier, ich bitte Sie... Miss Adler besitzt schon immer eine besonders theatralische Sichtweise für bestimmte Dinge.“

    „Für bestimmte Dinge...?“ Johns Hand zuckte und ballte sich zur Faust. Doch Mycroft ging nun seinerseits zum Angriff über. „Allerdings. Denn sie scheint ein paar Details zu unterschlagen. Sie haben Recht, Miss Adler. Sherlocks Leben war in der Tat der Köder für Moriarty. Aber nicht ich bin derjenige, der ihn zu diesem Opfer gemacht hat, sondern Sie.“

    Die überlegene Maske auf Irenes Gesicht löste sich auf und zum ersten Mal erschien soetwas wie Ehrlichkeit darauf. „Ja, ich weiß. Es ist meine Schuld, dass es soweit gekommen ist.“

    Mycrofts Augen triumphierten. „Sie haben damals Sherlock hintergangen und die Entschlüsselung des Coventryprojektes an Moriarty weitergeleitet. Und das alles nur aus persönlicher Gier. Hat Ihnen nicht allzuviel genutzt, denn Sherlock zeigte sich Ihnen, wie ich damals glaubte, als durchaus gewachsen.
    Nur leider war das ein wenig vorschnell gedacht, nicht wahr?“ Nun war es Mycroft der sich überlegen zu ihr vorbeugte und dessen Stimme einen flüsternden Tonfall annahm. „Sherlock erwies sich als unerwartet sentimental. Wer hätte es gedacht, aber mein Bruder besass anscheinend doch so etwas wie ein Herz. Er hat Sie gerettet, Miss Adler. Deswegen stehen Sie hier gerade so quietschvergnügt vor uns. Weil er das Risiko einging, Sie zu retten. Das war es, was ihn das Leben kostete und nicht etwa mein Deal mit Moiarty.“

    John stürmte auf die beiden Kontrahenten zu und stieß sie mit den Armen wütend auseinander. Wild starrte er von einem zu anderen. „Schluss jetzt mit diesen Spiel! Ich will jetzt ganz genau wissen, wovon hier eigentlich geredet wird! Was ist das alles? Was habt ihr beide getan. Ich will jetzt endlich die Wahrheit wissen. Die ganze Wahrheit über Sherlocks Tod!“

    Mycroft stocherte mit seinem Regenschirm auf dem Boden herum. Er schien mit sich zu ringen, in wieweit er bereit sein sollte, Johns Forderung zu erfüllen. Irene kam seinen Überlegungen zuvor und wandte sich nun völlig ruhig John zu.
    „Er hat Recht“, sagte sie und nickte zu Mycroft hinüber. „Sherlock hat mich gerettet. Ich habe ihn betrogen, zweimal. Das wissen Sie bereits John. Beim ersten Mal habe ich ihm vorgemacht, ich sei tot und das ich meinen Tod vortäuschen musste um mich zu schützen. Das war nichts als eine Farce um ihn letztendlich, wie vorgesehen, in die Falle zu locken. Er ist hineingetappt. Beim zweiten Mal wollte ich besonders schlau sein und meinen Vorteil aus der Situation erpressen. Sherlock machte mir einen Strich durch die Rechnung und wie Sie sich denken können, hätten weder Moriarty, noch meine Auftraggeber ein solches Versagen auf sich beruhen lassen.“

    „Und da haben Sie Sherlock um Hilfe gebeten?“

    „Nein. Er tat es von sich heraus. Ich wusste bis zur letzten Sekunde nicht, dass er mit den Terroristen, die mich hinrichten sollten, einen Deal ausgehandelt hatte. Von jedem hätte ich Hilfe erwartet, nur nicht mehr von ihm.“

    Sofort mischte sich Mycroft wieder ein „Warum sollte Ihnen noch jemand helfen, Miss Adler? Da Sie ja jedem Beteiligten nur zu offenkundig klar machten, das man Ihnen nicht trauen darf.“

    „Welche Beteiligten, welche Auftraggeber?“, fordert John mit harter Stimme weitere Aufklärung.

    „Die CIA, MI5, Mr. Holmes hier und die netten Herren, die ihm so zur Verfügung stehen.
    Ich bin zuweilen für all diese Leute tätig gewesen. Und als Moriarty damals Sie und Sherlock so offen in dem Schwimmbad bedrohte, schien es ein paar von ihnen die beste Lösung zu sein, mich in das Spiel miteinzubringen.“

    „Sie waren es der Moriarty damals anrief und ihn stoppte?“

    „Allerdings.“

    „Und die Sache mit den Royals?“

    „Nur ein Vorwand. Sherlock und Moriarty sollten durch mich von anderen Dingen abgelenkt werden.“

    „Aber Sie zogen es am Ende vor, aus der Sache für sich Profit zu schlagen.“, Johns Stimme triefte vor Verachtung.

    „Nun, wie ich schon sagte, Dr. Watson. Ich bin nicht mehr stolz auf das was ich tat. Aber ich kann es nun mal nicht ungeschehen machen. Dadurch, dass ich Sherlocks Entschlüsselung weiterleitete, scheiterte das Coventryprojekt und die Zusammenarbeit der daran beteiligten Geheimdienste. Sherlock wurde somit zum nicht mehr tolerierbaren Sicherheitsrisiko und das war es, was ihm letztendlich den Tod brachte. Ja, es stimmt, er hat mich gerettet und sich dabei erneut gefährdet. Aber nicht ich habe zugelassen, dass man ihn Moriarty auslieferte, sondern Sie Mycroft. Sie, sein eigener Bruder.“ Sie schnellte wieder zu dem Angesprochenen zurück und erzwang den anklagenden Blickkontakt. Erneut nahm sie ihre lauernde Umrundung von Mycrofts Person auf. Und blieb dann direkt vor ihm stehen. Ihre ruhige Stimme hart, präzise geschliffen wie ein lupenreiner Diamant. „Wie es ist, etwas Wichtiges um des eigenen Vorteils wegen zu verraten, das weiß ich schon. Aber Sie sind ein viel besserer Spieler. Wie fühlt es sich an? Sagen Sie es mir? Mr. Eismann.
    Mitgefühl ist ein Fremdwort für Sie, das wissen ja längst alle. Aber ich würde trotzdem gern wissen, wie es sich anfühlt, wenn man sogar die Hinrichtung des eigenen Bruders befiehlt.“

    Ehe Mycroft antworten konnte explodierte Johns Faust in Mycrofts Gesicht. Ein zweiter Schlag klatschte mitten zwischen seine Zähne noch bevor Irene John wegreissen konnte. Sie sprang hinzu und drängte John heftig auf den Sessel neben dem Tisch.
    „Schon gut, John!“, Ihre Hände legten sich fest und beschwichtigend auf seine noch immer geballten Fäuste und schoben sie langsam in seinen Schoß zurück. Er ließ sie wie betäubt gewähren. „Schon gut...“

    Mycroft kam langsam wieder hoch. Ein dünner Blutfaden tropfte von seinem linken Mundwinkel. John sah es mit wilder Zufriedenheit. Mycroft griff in die Manteltasche und tupfte das Blut vorsichtig mit einem Taschentuch auf. Er stöhnte kurz, schien aber trotzt des überraschenden Zwischenfalls nun wieder völlig kontrolliert. „Bemerkenswerte Rechte, John.“, nuschelte er, durch die Verletzung in seiner Sprachmotorik deutlich gehandicapt. „Ich hoffe, dass Sie nun endlich Ihrem langehegten Wunsch entsprechen konnten.“

    John zitterte frustriert und wurde sich trotzdem selbst darüber klar, wie absolut sinnlos sein gerade erfolgter Anfall war. Seine wütende Verkrampfung löste sich langsam und als Irene diese bemerkte ließ sie ihn los und trat vorsichtig von ihm zurück.
    „Es wäre besser gewesen, wenn wir diese Dinge alleine hätten lösen können“, zischte sie vorwurfsvoll zu Mycroft hinüber. „Aber Sie mussten ihn ja unbedingt mitbringen. Ich vergaß, Erpressung gehört ja auch mit zu ihrem Repertoire.“

    „Womit wir wieder im Spiel wären, denn das ist das Ganze hier doch. Nicht wahr, Miss Adler?“ Trotz der sprechbehindernden Verletzung war Mycroft zu der einschüchternden Souveränität seines Wesens zurückgekehrt. „All die schönen Worte, all die gespielte Empörung, darum geht’s hier doch gar nicht, oder? Sie sind nicht hier um die reumütige Liebende zu geben. Sie wollen nicht Sherlocks Tod an mir rächen, Sie wollen ins Geschäft kommen. Liege ich damit soweit richtig?“

    Irene lachte frech, in ihre schönen Züge zeichnete sich eiskalte Berechnung. Johns Inneres krampfte sich bei diesem Anblick zusammen und er spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Wo war er hierbei nur hineingeraten? Warum hatte er die Sache nicht ruhen lassen? Wenn er vorher die Erkenntnisse besessen hätte, die ihm das Widerauftauchen Irene Adlers nun bescherten, hätte er mit Sicherheit aufgehört nach dem Warum zu Sherlocks Tod zu fragen. Verraten, verraten von dem eigenen Bruder und möglicherweise zudem von der Frau, der er trotzt ihrer Hinterhältigkeit verziehen, ja, die er möglicherweise, auf seine besondere Art, geliebt hatte. Was musste in ihm vorgegangen sein, als ihm dieses bewusst wurde? Wer konnte noch wissen, wem Sherlock, in den letzten Stunden seines Lebens, überhaupt noch traute. Höhnisch lachte einer seiner letzten Sätze in Johns Kopf. Alleinsein beschützt mich! Wie unendlich allein musste Sherlock in seinen letzten Lebensminuten dort oben auf dem Dach gewesen sein? Verzweifelt und in die Enge getrieben. Einem weidwunden Tier gleich, von allen verlassen. Und wem alles hatte er noch misstraut. War er in dem Glauben gestorben, dass auch John zu den Verrätern zählte? Dass er dieses widerliche Komplott mitgetragen hatte? John schloss die Augen und kämpfte gegen die dumpfe Verzweiflung an. Ich bin ein Schwindler, dröhnte Sherlocks Stimme wie ein Hammer in seinem Kopf. Und sein Inneres schrie: Bin nicht ich der Schwindler in seinen Augen gewesen?

  12. #11
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    „Nun Miss Adler“, Mycrofts Stimme zerrte Johns Fokus trotzt allem Widerwillen in das Geschehen zurück. „In den letzten Wochen haben sich die Ereignisse etwas überschlagen. Ich denke, Sie wissen darüber Bescheid, obwohl ich bezweifle, dass Sie damit direkt zu tun haben.“

    „Sagen wir, ich bin eine stille Beobachterin.“

    „Das dachte ich mir soweit. Und nun sind Sie hier um diese Beobachtung gewinnbringend zu verwerten. Sie sind eine bemerkenswerte Mimin. An Londons Bühnen ist ein unerkanntes Talent vorbeigegangen. Sie geben die Empörte sehr überzeugend. Nun, ich gebe ehrlich zu, dass Sie mich wiedereinmal kalt erwischt haben. Ich sagte Ihnen schon einmal, dass Sie wirklich gut sind. Besser als so mancheiner mit dem ich bisher die Ehre hatte zusammenzuarbeiten. Aber dieses Mal, haben Sie und Ihr Geschäftspartner mich absolut aufs Eis geführt. Sie stehen doch hier für Ihren Geschäftspartner, oder? Als all diese ganzen Verhaftungen einsetzten, nein, eigentlich schon vorher, als ich feststellen musste, dass sich Moriartys Tun, nach Sherlocks Tod, auf einmal doch recht eigenwillig entwickelte, da war ich wirklich davon überzeugt, dass es meinem Bruder auf irgendeine Weise gelungen ist zu überleben. Dass er uns alle erfolgreich an der Nase herumgeführt hat und er es ist, mit dem ich es in Wirklichkeit zu tun habe...“

    „Deswegen haben Sie die Wohnung nicht gekündigt ...“ John drückte frustriert die Hände vor die Augen und warf seine Stirn in die Handflächen. „Sie haben nicht wirklich an Sherlocks Tod geglaubt. Die Wohnung und meine Person waren die Falle, mit der Sie Ihn anlocken wollten, Mycroft? Wie kommen Sie nur zu solchen Gedankenspielen? Sie haben ihn tot gesehen, Sie haben ihn begraben. Wie konnten Sie nur auf eine solche absurde Idee kommen?“

    „Nun, wenn ich sage, dass es eher eine Hoffnung war, würden Sie mir vermutlich nicht glauben. Auch wenn es so ist. Vielleicht war mir einfach die Hoffnung lieber, dass es Sherlock sein würde, der mich am Ende zur Strecke bringt, an Stelle von Moriarty.“

    Irene schüttelte lächelnd den Kopf. „Wer nennt hier wen einen guten Schauspieler? Wie dem auch sei, Mycroft. Wie Sie soeben schon richtig bemerkten, Sie wissen, dass es in diesem Moment um Ihren Kopf geht.“

    „Und Sie sind hier, weil Sie mir einen Ausweg verkaufen wollen?“

    „So ist es.“

    „Wobei wir also wieder bei ihrem Auftraggeber wären. In wessen Auftrag tun Sie das alles. Wer hat Sie hierher geschickt. Moriarty?“

    „Ja, so könnte man es sagen.“

    John riss wütend den Kopf hoch, doch Mycroft fuhr schon fort.
    „Moriarty? Seit Sherlocks Tod ist er unauffindbar, unerreichbar untergetaucht. Wirklich Moriarty? Möglicherweise hat man ja auf anderer Ebene beschlossen sich meiner zu entledigen? Die CIA, zum Beispiel. Washington? Nein? Sie wollen mir also wirklich verkaufen, dass Moriarty das alles in Gange gesetzt hat. Dass er sein wundervolles Netz persönlich zerreisst, seine eigenen Leute, seine Kunden, einfach jeden verrät? Das er all seine Verbindungen kappt und alle so mühsam aufgebauten Organisationen vernichtet, nur um am Ende mich zu erpressen. Warum sollte Moriarty das tun?“

    „Weil ich Moriarty bin.“ Die tiefe Stimme klang völlig ruhig aus der Dunkelheit des Raumes und mit jeden Schritt mit der sich die große Gestalt aus den Schatten in das Grau des Lichtkegels schälte manifestierte sich der Schock gewaltiger.

    „Ich wusste es“, flüsterte Mycroft im freudlosen Triumph. „Ich habe es gewusst.“

    „Natürlich wusstest Du es...“ Sherlocks eisgraue Augen bohrten sich hart in die seines Bruders. „Wie hätte ich glauben können, dich auf Dauer zu täuschen?“

    John starrte auf die irrationale Szene wie auf das Erscheinungsbild einer Chimäre. Sein Körper und sein Geist waren zu völliger Paralyse erstarrt. Nur die Nägel seiner Finger bohrten sich krampfhaft in die Armlehne des Sessels.
    Jeder Zweifel war ausgeschlossen, der Mann, der dort vor ihm stand, gehüllt in seinen altbekannten Mantel und Schal, mit dem bleichen, unbewegten Gesicht und den gewellten, stets etwas zu lang getragenen, dunklen Haaren und den tief in den Taschen vergrabenen Händen, war scheinbar unverändert der gleiche Mann, der direkt vor Johns Augen so dramatisch in den Tod gesprungen war. Sein Freund, dessen toten, blutüberströmten Körper er mit eigenen Händen berührt hatte, dessen unverständliches Sterben er seit Monaten betrauerte und hinterfragte. Sherlock Holmes stand vor ihnen. Lebend.
    Ein Kataklysmus von widersprüchlichen Gefühlen überschwemmte John ohne dass er die Erstarrung zu durchbrechen vermochte. Etwas drückte ihm die Gurgel zu und nahm ihm die Luft zum Atmen, gleichzeitig mit jeder Kraft zu handeln. Er sah wie Sherlocks Blick ihn streifte, konnte deutlich erkennen, wie sich in dessen Gesicht so etwas wie Sorge abzeichnete und das kurze Ringen, ob es besser wäre, sich zuerst Johns anzunehmen, nur um sich letztendlich dagegen zu entscheiden. Das soeben begonnene Duell mit Mycroft schien vorerst wichtiger, als den entsetzten Schmerz seines Freundes zu lindern. Sherlock hob die Hand und schob Irene von Mycrofts Seite fort um nun selbst die Stellung ihm gegenüber einzunehmen.

    „Du bist also Moriarty gewesen. In all dieser Zeit.“ Mycroft nickte verstehend. „Erklärt, warum der gute Moriarty so unzuverlässig wurde um nicht zu sagen unlenkbar.“

    „Du übertreibst, Mycroft. Zu Anfang habe ich mich doch noch sehr bemüht euren Wünschen entgegen zukommen. Natürlich nur im tolerierbaren Rahmen. Schließlich sollte meine Tarnung eine gewisse Zeit halten. Aber du sagst ja selbst, Moriarty besaß eine besondere Schwäche. Seine Launenhaftigkeit. Ein Umstand der mir durchaus zu passe kam.“

    „Wo ist der richtige Moriarty, wenn ich fragen darf?“ Mycroft hatte seine Beherrschung wieder völlig zurück gewonnen.

    „Nun, er hat den freiwerdenden Part übernommen.“

    „Sherlock Holmes?“

    „Selbstmord.“

    „Selbstmord? Oh!“Mycrofts Blick streifte das Handy auf der Tischplatte. „Dann hat dich meine Nachricht also doch noch erreicht.“

    „Selbstverständlich. Moriarty war nicht besonders erfreut darüber, wie du dir sicher denken kannst. Er hat dich unterschätzt, Mycroft.“ Sherlocks Augen verengten sich und um seinen Kiefer spannte sich ein harter Zug. „Verzeihlicher Fehler. Findest Du nicht auch? Schließlich kenne ich dich mein ganzes Leben lang und trotzdem muss ich ehrlich eingestehen, ich hatte dir bis dato den Machiavelli zugetraut, ab nicht den Tayllerand.“*

    „Ah, Tayllerand. Deswegen hast du mich also heute hierher gebeten. Richelieu* hätte mir persönlich mehr geschmeichelt, aber du hast recht Sherlock, eingebildete Eitelkeiten ziemen sich nicht.“ Mycroft schürzte skeptisch die Lippen und mass dann die Gestalt seines Bruders von oben bis unten. Seine Schirmspitze hob sich und zeigte kurz auf Irene, die seit Sherlocks Erscheinen erstaunlich zurückhaltend im Hintergrund wartete. „Dein hübscher kleiner Lockvogel hier, sollte also sozusagen nur die Vorverhandlung führen. Bemerkenswert in was für Bündnisse uns Zwangslagen so treiben. Aber Sentimentalität spielt bei Zweckmäßigkeit wohl weniger eine Rolle. Hätte ich dir nicht zugetraut, Sherlock. Ebensowenig wie der Dame. Mein Fehler.“ Er verneigte sich respektvoll in Richtung seines Bruders und Irene Adlers. „So, da stehen wir nun also, zu unserem netten, kleinen Spiel vereint und wie mir scheint, habt ihr beide alle Trümpfe in der Hand. Legen wir also die Karten auf den Tisch. Welcher Einsatz wird von mir verlangt?“

    John spürte wie die Synapsen seines Gehirns teilweise die Paralyse überwanden und ihre Funktion wieder ordnungsgemäß aufnahmen. Während der Schock noch immer seine Glieder lähmte, sein Herz rasend bis zu seiner Kehle hinaufschlug und sich in seinem Mund ein schaler Geschmack ausbreitete, begannen seine Gedanken wieder langsam die Dinge zu verarbeiten, dessen Zeuge seine Sinne eben so gnadenlos geworden waren und aus dem Hintergrund schlichen die Emotionen stückweise hinzu. Er bemerkte den Schmerz seiner, sich in die Sessellehnen verkrallten, Fingerspitzen und die Nervenbahnen transportieren diese Empfindung quer durch seinen Körper, am Herzen vorbei, hinauf bis in sein Gehirn, wo er sich dröhnend hämmernd aufstaute. Noch sah er das Geschehen wie durch eine Nebelwand hindurch, beobachtete alle aus weiter Entfernung, dem Abspulen eines Spielfilmes gleich. Doch tief in ihm manifestierte sich bereits sein Wunsch nach Vergeltung, für das was man ihm hier gerade antat, was man ihm seit Monaten angetan hatte.

    „Nun lieber Bruder“, in Sherlocks Stimme schwang bitterer Sarkasmus. „Ich dachte das sollte dir klar sein. Ich habe in den letzten Wochen eurer Spinnennetz bis hin zu seinen letzten Auslegerfäden zerschlagen. Ich habe dir jeden Rückhalt, denn du einmal besessen hast, genommen. Wenn ich mit der Sache fertig bin, bist du ein Gehetzter, so wie ich es damals war, als du beschlossen hattest mich Moriarty auszuliefern. Ich habe nun dafür gesorgt, dass das Kräftegleichgewicht wieder hergestellt wurde. Jetzt können wir das Spiel also nur noch zwischen uns beiden fortsetzen.“

    „Du willst, dass ich zurücktrete und dich rehabilitiere.“

    „Oh Mycroft, sei nicht so unkreativ! Ja, natürlich will ich, dass Du mich rehabilitierst. Wenn das hier zuende ist, reden wir darüber wie ich wieder ganz entspannt mein altes Leben aufnehmen kann und du wirst dafür sorgen, dass man Irene und ihren Freund Norton in Ruhe lässt, aber das ist mit Sicherheit nicht das, was hier zur Verhandlung steht. Lieber Bruder, du wirst dich entscheiden müssen, entweder ziehst du dich hier und jetzt aus der Sache zurück, oder du wirst mir ab jetzt mit allen dir zu Verfügung stehenden Mitteln helfen, und die sind wie ich weiss noch immer beträchtlich... Du wirst mir helfen, Moran zur Strecke zu bringen.“

    Mycrofts Augenbrauen schnellten nach oben und seine Stimme schwoll empört an. „ Colonel Moran*, was redest du nur? Moran ist das Haupt der CIA in Europa...“

    „Ganz recht und der Initiator des Projektes 'Moriarty'. Um das Ganze ein für alle Male zu beenden, musst du mir Moran überlassen.“

    „Wie soll das gehen? Da spielen die Amerikaner niemals mit....“

    „Entweder er oder du Mycroft. Bemüh dich!“

    „Gesetz der Annahme, ich helfe dir, woher soll ich wissen das ich dir trauen kann, das du mich nicht trotzdem, danach, mit deinem heutigen Wissen eliminierst?“

    „Nun Mycroft, ich bin bekanntlich nicht du. Im Gegensatz zu dir, kann ich damit leben was du bist ... Und ich denke, bis zu einem gewissen Grad kann ich dir sogar verzeihen. Außerdem sagte ich ja schon – ich will mein altes Leben zurück und Sicherheit für die, die mir geholfen haben. Denke, lieber Mycroft, dafür wärst du die beste Garantie.“

    Noch ehe Mycroft antworten konnte, schnellte John plötzlich aus seinem Sessel. Unbändige Wut stand in seinen Zügen und sein Anblick ließ selbst Sherlock kurz erschreckt zurückfahren. Zornig stürzte John zu den Brüdern.
    „Reizend! Wirklich ganz reizende Familie, in die ich hier hineingeraten bin!“ Johns rasender Blick schloss sowohl Sherlock und Mycroft als auch Irene ein. „Wirklich bemerkenswert, euch Genies bei der Arbeit zu beobachten. Da freut man sich doch so richtig, dass man selbst ein Idiot ist. Wir normalen Menschen verpassen wirklich eine ganze Menge Spaß, so ganz unbedarft und ohne euer überlegenes Geniegen.“

    „John.“ In Sherlocks beschwörender Stimme lag fast so etwas wie Wärme, auf jeden Fall aber der erste Versuch der Abbitte. Doch in John kochten die verletzten Gefühle auf dem Siedepunkt und verwehrten ihm das Begreifen dieser Erkenntnis.
    „Nein, nein, alles toll. Ist schon gut. Ich verstehe vollkommen. Bin ja gewohnt das Bauernopfer zu geben. Und ich bin ja auch so vorhersehbar, so absolut einschätzbar.“ Johns Körper erzitterte und federte zu einer aggressiven Bewegung nach vorne, als im gleichen Augenblick eine weitere Person aus der Dunkelheit an Sherlocks unmittelbare Seite schnellte. Die Mündung einer gezückten Halbautomatik stoppte sofort Johns Emotionalität. Entsetzt riss er die Hände in die Höhe und starrte den schwarzgekleideten Mann mit verhärtetem Killerblick ihm gegenüber an.
    „Stopp!“ selbst Sherlock schien deutlich erschrocken. „Norton!“* Befahl er barsch.“Weg mit der Waffe!“ Der dunkelhaarige Mann warf Sherlock einen fragenden Blick zu und zuckte resigniert mit den Schultern. „Entschuldigen Sie, Sir. Ich dachte der Kerl dort, würde Sie oder Miss Irene...“

    „Wie immer sind Sie etwas zu übereifrig, Norton!“ Sherlocks Tadel liess den Mann beschämt zusammenfahren. Sein langes Gesicht verzog sich unterwürfig. Langsam senkte er den Revolver und hob beschwichtigend die Handfläche bevor er sich wieder in die Sicherheit der hinteren Dunkelheit zurückgleiten liess.
    Mycrofts Augenbrauen fuhren erneut höhnisch zu seiner Stirn hinauf. „Bemerkenswerte neue Freunde, Sherlock. Ich bin wirklich erstaunt, wie lernfähig du geworden bist. Neue Situationen inspirieren womöglich? Bist du sicher, dass du dein altes Leben zurückhaben willst? Wäre doch jammerschade um das alles hier.“

    John erwachte zum allerletzten Mal aus der Starre, dieses mal war es eine Angststarre gewesen.
    „Schluss!“, zischte er. „Für mich ist ab hier Schluss!“ Er fuhr herum bevor irgendjemand reagieren konnte und stürmte zur Tür hinaus. An dem verwunderten Blick des alten Bibliothekars vorbei, raste er auf die regennasse Straße und registrierte mit hasserfüllter Häme die Verblüffung von Mycrofts Handlangern in dessen Auto, die einen Augenblick unentschlossen waren, ob sie ihm folgen oder lieber an Ort und Stelle verharren sollten. Er rannte das Grau der Häuserzeilen herunter und ihm war egal wer möglicherweise hinter ihm her war. Schemenhaft glitten Passanten und Regenschirme an ihm vorüber. Verwirrt blickende Gesichter kratzten an den Rand seines Wahrnehmungsfokus, wütend kreischende Bremsen und hupende Autos, feuchte Kälte versteifte seine Glieder. Er erwachte mitten auf der Fahrbahn im Staugewimmel des Innenstadtverkehrs. „Idiot!“ schrie ein Fahrer zu ihm herüber und erst dieses Wort brachten John langsam wieder zu Verstand. Klatschend schlugen ihm eisige Regentropfen ins Gesicht, kalt zerrte der Wind an ihm und kühlte seinen Hass langsam herunter. Übrig blieb nur noch Schmerz, Schmerz und Unglaube. Noch nie hatte er sich so entsetzlich verraten und missbraucht gefühlt. Er taumelte zur nächsten U-Bahn Station und nahm den erstbesten einfahrenden Zug. Zehn Minuten später kam er in der Baker Street an und fühlte sich nur noch unglaublich elend. Der Wunsch sich zu verkriechen wie ein tödlich verletztes Tier, sich möglichst tief zu verstecken und seine Wunden zu lecken war seiner gebrochenen Seele als einziger Wille geblieben. Er warf die nasse Jacke über den Pfosten des Treppengeländers im Flur und suchte verzweifelten Schutz in seinen eigenen vier Wänden.


    Machiavelli, Tayllerand -Niccolo`di Bernado die Machiavelli einflußreicher Politiker Florenz der in seinem philosophischen Werk „Der Fürst“ die Ansicht vertritt, dass zur Machterhaltung jedes Mittel rechtens wäre, auch Verrat und Mord. Moral, Ethik und soziale Bindungen dürfen keine Rolle spielen wenn sie den Interessen des Staates im Wege stehen
    Talleyrand einflussreichster Minister Frankreichs sowohl unter Napoleon, als auch nach der Neuerschaffung des Königreiches unter Ludwig XVIII. Tallerand gelang das Ungeheuerliche als Adliger geboren zu werden und trotzdem sowohl großen Einfluß auf die Politik der Vorrevolutionszeit, der Revolutionszeit, die Napoleons und auf weitere zwei Regierungen danach zu nehmen. Es schien ihm völlig egal zu sein, welchen Herrn er diente und mit wem er sich verbünden musste, Hauptsache es diente dem Wohl Frankreichs und erhielt sich selbst an der Macht. Es gelang ihm trotz völliger Niederlage seines Landes, beim Wiener Kongress, einen vorteilhaften Frieden auszuhandeln und die für Frankreich nachteilige Allianz Englands und Preußens dauerhaft zu stören. Seinen politischen Lebensabend verbrachte er später als offizieller Gesandter Frankreichs in London
    In meinen persönlichen Augen ist Talleyrand wohl der König des Machiavellismus. War Machivelli noch ein Kind der Renaissance und bevorzugte daher eher die direkte brutale Art eines Cesare Borgia verstand sich Telleyrand meisterlich darauf als philosophierender Schreibtischtäter zu agieren und für die Drecksarbeit die richtigen und von ihm gesteuerten Leute einzusetzen. Obwohl ihm zwar gewisse Affären zu Frauen nachgesagt wurden und man ihm sogar uneheliche Kinder zuordnete, scheint er jedoch, ähnlich wie die Holmesbruder, an einer, was die direkte Art betrifft, völligen Beziehungsunfähigkeit gelitten zu haben. Er selbst sah sich als klugen, aber faulen Logiker.

    Richelieu – französischer Minister und Kardinal, der, obwohl unglaublich ehrgeizig, den Belangen des Staates Vorrang über jede persönlichen Wünsche gab

    Colonel Sebastian Moran
    - im Canon ist er Moriartys Stellvertreter, der Moriartys Tod an Sherlock Holmes rächen will. Im Original dauert das Verschwinden Holmes ganze zwei Jahre, eine Spanne, die mir für die Trauerarbeit Johns als etwas zu lang erschien, daher entschied ich mich hier nur für eine Spanne von einem dreiviertel Jahr. Bei Doyle jagt Holmes in dieser Zeit quer durch die Welt, im steten Bemühen Moriartys Organisationen zu zerschlagen und Moran zu erledigen. Auch dieses ist in unser heutigen modernen Welt nicht mehr unbedingt nötig. Hier kann Sherlock das Internet benutzen.
    Im Canon bringt erst ein Mord Morans in London Holmes dazu seine Tarnung zu lüften, um somit Moran aus der Reserve zu locken

    Norton – Norton ist ein Anwalt, den Irene Adler in Doyles Geschichte 'Ein Skandal in Böhmen' zu ihrem Schutz heiratet. Sherlock Holmes hilft bei dieser Zusammenführung sogar kräftig mit, als er den Trauzeugen bei der Eheschließung gib. Da ich der Meinung bin, das eine moderne Frau vom Format dieser Irene Adler kaum eine Eheschließung zu ihrem Schutz vornehmen würde, mache ich aus Norton einfach den dunklen Treppenhauskiller aus dem 'Reichenbachfall', der nun canongerecht sowohl für Irenes Schutz zuständig ist und für dessen Zusammenführung mit ihr Sherlock ebenfalls indirekt gesorgt hat

  13. Danke sagten:


  14. #12
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    Zwecklos. Er wurde bereits erwartet.

    Sherlock saß mit dem Gesicht zur Tür in einem der Sessel vor dem Kamin. Er hatte die Hände gefaltet und das Kinn auf sie gestützt. Jetzt hob er langsam den Kopf und sah John entgegen und in seinem Gesicht stand eine solche Traurigkeit, eine solch offene Verletzlichkeit, wie John sie noch niemals zuvor an ihm gesehen hatte. Langsam senkte er seine verschränkten Finger hinab zu seinem Schoß und wartete schweigend auf Johns Entscheidung. John erschrak innerlich als er sich selbst beobachtete und bemerkte wie sein Atem noch immer stoßweise ging und seine Zähne verbissen aufeinanderknirschten. Er krampfte die Hände zu Fäusten, krallte die Nägel hart in die Handflächen und spürte, wie der körperliche Schmerz dabei half, sein inneres Chaos langsam abzubauen. Johns Augen glitten über die Gestalt seines ehemaligen Freundes und seine gepeinigte Seele begriff, dass auch an Sherlock die letzten Monate nicht spurlos vorübergegangen waren. Er wirkte noch hagerer als John ihn in Erinnerung hatte, das Gesicht ausgemergelt, die Wangen hohl, die Haut die sich darüber spannte war fahl wie Pergament. Deutlich zeichneten sich dunkle Schatten unter seinen Augen ab und Johns bemächtigte sich die erschrockene Frage, ob all diese Veränderungen nur stressbedingte Symptome waren, oder ob Sherlock zusätzlich wieder seiner alten Sucht nachgegeben hatte. Möglicherweise sogar, ohne Johns schützende Überwachung, mehr als nur dem Rauchen. Sein abgezehrtes Äußeres konnte, aber musste kein Hinweis dafür sein.
    John seufzte resignierend auf. Dann schloss er die Tür und setzte sich seinem ehemaligen Freund gegenüber. Er streckte den Körper stocksteif in das Rückenpolster und dachte kurz darüber nach, ob er Sherlock den ersten Schritt überlassen sollte. Doch seine Natur verschwor sich erneut gegen ihn und gehorsam verfiel er in das alteingeübte Schema Sherlock die Brücke zu bauen die dieser benötigte.
    „Beindruckend. Hätte nicht gedacht dass man noch schneller hier sein kann.“

    „Ich habe Norton den Wagen überlassen und sein Motorrad genommen.“

    „Gut“, nickte John, „Sehr gut. Und was wollen Sie nun hier?“

    „Reden.“

    „Worüber?“

    „Über das was ich Ihnen in dem letzten Jahr zugemutet habe.“

    „Oh. ich denke nicht, dass Sie das belasten sollte. Sie sind doch schon immer Ihren Weg gegangen, ohne Rücksicht auf Verluste. Sie wussten doch, dass ich so etwas akzeptiere. Es hat Ihnen nie etwas ausgemacht mich zu benutzen. Sie sind und bleiben nun mal ein eingebildetes Arschloch, Sherlock.“

    Sherlock senkte den Kopf. Er nickte still und als er seine Augen wieder hob, las John darin schmerzliche Akzeptanz.
    „Ich weiß, dass es für das alles nicht wirklich eine Entschuldigung gibt, aber ich würde es Ihnen gerne erklären.“

    „Lässt sich so etwas erklären?“, entfuhr es John. In seinem zynischen Gebaren erzitterte deutlich die aufgestaute Wut und doch schämte er sich gleichzeitig für seine Worte noch bevor sie verklungen waren. Verdammt schalt er sich, was tust du hier? Er kriecht doch für seine introvertierten Verhältnisse schon auf Knien, warum lässt du nicht zu, dass er sich entschuldigt? Was willst du erreichen, was ihm noch an den Kopf knallen? Das er weiß, dass du ihm am liebsten ein Messer in die Eingeweide stoßen würdest damit er am eigenen Leibe spürt wie sich soetwas anfühlt? - Als wenn er das nicht ganz genau wüsste... John rang kurz innerlich mit sich und seinem verwirrenden Hass und bemerkte gleichzeitig aus dem Augenwinkel heraus, dass Sherlock ihn genauestens beobachtete, ihm aber geduldig die Zeit einräumte, die er benötigte.

    Resigniert schnaufend lenkte er ein. „Also gut, wenn Sie glauben, dass es Ihnen danach besser geht.“

    Sherlocks Gesicht verzog sich kurz zu einem freudlosen Lächeln.
    „Nein, ich glaube kaum, dass es mir danach besser geht. Ihnen möglicherweise. Möglicherweise auch nicht. Aber mein Weg, in dieser Sache, ist leider noch lange nicht zu Ende gegangen.“

    „Halt!“ John hob erschrocken die Hand und gebot Sherlock Einhalt. „Ich habe ja schon verstanden, dass hier wahrscheinlich Dinge in Gange sind, die meinen beschränkten Horizont übersteigen, aber sind Sie sicher, dass Sie mir davon erzählen wollen? Mir davon erzählen sollten?“

    „Keine Angst.“ Sherlocks Augen überflogen Johns Wohnung mit einem schnellen Rundblick. „Diese Räume sind derzeit sauber. Mycroft hat das mehrmals überprüft.“

    „Mycroft? Was zum Teufel hat Mycroft mit der Sache zu tun?“

    „Alles.“

    „Ich sehe schon, ich muss Ihnen zuhören, wenn ich endlich kapieren will...“

    „Ist eine lange Geschichte, John.“

    „Soll ich Teewasser aufsetzen?“

    Auf Sherlocks Lippen kräuselte sich ein dankbares Lächeln. Der erste, kleine Schritt, zwischen ihnen, war gemacht.
    „Also fangen wir bei Mycroft an. Sie wissen was Mycroft ist, ich meine außer mein Bruder. Sie haben es in Baskerville gesehen.“

    „Oh, das meinen Sie. Na, ich denke Mycroft ist so etwas wie ein hohes Regierungstier, Geheimdienst oder etwas Ähnliches.“

    „Etwas Ähnliches. Mycroft ist Ultra*, John. Er ist der Geheimdienst. Mehr noch, es gibt nichts in diesem Land das nicht über Mycrofts Tisch hinweg entschieden wird – wie ich schon sagte - er ist die britische Regierung. Und das meine ich nicht unbedingt schmeichelnd.“

    „Ganze Menge Machtunion für ein Land das sich eigentlich Demokratie schimpft...“

    „Ja, durchaus. Aber in einem können Sie Mycroft vertrauen. Er ist mit diesem Land verheiratet. Es gibt nur eine schwache Stelle im Herzen meines Bruder und das ist Grossbritannien und sein fester Glaube daran, dass er der Einzige ist, der diesem Land gut tut. Deswegen würde Mycroft alles, wirklich alles tun, um sich in seiner Position zu halten. Er denkt, wenn er fällt, fällt die Nation.“

    „Und deswegen hat er Sie an Moriarty verraten?“

    „Deswegen habe ich mich an Moriarty verraten.“

    „Waas!?“ John fuhr hoch. „Auch das war abgekartet? Das alles?“

    „Setzen Sie sich, John. Sie brauchen Geduld für die ganze Geschichte. Vielleicht wäre ein Tee doch eine gute Idee.“

    John zwang sich wieder in den Sessel zurück.
    „Erzählen Sie.“, forderte er. „Von Anfang an und erzählen Sie es so, dass auch ein Idiot wie ich es verstehe.“

    „Sie sind kein Idiot, John. Sie sind ein ganz normaler Mensch. Und dass Sie diese Dinge nicht durchschauen können, daraus müssen Sie sich keinen Vorwurf machen. Ich weiß ja bis jetzt noch nicht einmal, ob ich sie bis ins letzte Detail richtig erkenne. Aber diese Theorie muss bis zu ihrer Überprüfung noch ein wenig warten. Wir müssen gewissen Leuten Zeit geben sich neu zu orientieren. Zeit für ihren Schachzug. Und derweilen....“

    „Sie haben also für Mycroft gearbeitet.“, unterbrach ihn John ungeduldig.

    „Nein.“

    „Nein? Aber...?“

    „Das war immer sein Wunsch, John. Er wollte mich für sich haben, für seine Machenschaften. Er fand das wäre die perfekte Idee, wenn zwei Menschen wie wir es sind, zwei Menschen mit unseren besonderen Fähigkeiten, ihre Kräfte vereinen würden.“

    „Aber Sie wollten das nicht.“

    „Nein, ich bin nicht Mycrofts Marionette. Solange wir Kinder waren hat er pausenlos versucht mich zu manipulieren. Als ich erwachsen wurde, hörte das auf und ich schwor mir, dass das auch nie wieder anfangen sollte. Möglicherweise etwas radikal gedacht, denn es hat anderen die Basis für das was hier geschehen ist geliefert.“

    „Anderen?“

    „Wir stehen nicht isoliert da in dieser Welt, John. Die Zeiten des Imperiums* sind längst vorbei. Wir brauchen Verknüpfungen, Verbindungen, Verbündete in der Welt. Nur leider sind solche Allianzen oft sehr langanhaltend, aber dabei nicht immer unbedingt von Vorteil.“

    „Die Amis? Sie wollten diesem Typen von der CIA an den Kragen. Moran, oder so. Ist es das?“

    „Gut, John. Wirklich gut. Amerika ist unser großer Verbündeter seit den Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Wir haben gemeinsam die Bedrohung durch das Dritte Reich und danach den Kalten Krieg durchgestanden, die Bedrohung durch den Ostblock - sehr vorteilhaft so etwas. Ein gemeinsamer Feind schweisst einen unerbittlich zusammen. Dann löste sich das alles miteinmal ins Nichts auf. Es gab keinen Ostblock mehr, kein Wettrüsten, keine Gegenspionage. Was blieb waren riesige Apparate die plötzlich nutzlos schienen. Unerhört hohe Budgets, die plötzlich fragwürdig wurden.“

    „Mycroft fürchtete um seine Existenz.“

    „Nicht Mycroft direkt. Dafür war er zu unentbehrlich und seine Karriere bestand erst noch im Aufbau. Aber, ja. Man beschnitt seine Macht erheblich. Ähnliches geschah in anderen Geheimdiensten. Früher unentbehrliche Bündnisse lockerten sich drastisch. Jeder begann wieder ein wenig seine eigene Politik zu machen. Einige Länder, wie Deutschland, bestanden sogar erneut ziemlich intensiv auf ihrer Souveränität.“

    „Das schmeckte diesen Leuten nicht.“

    „Das schmeckte den USA nicht. Sie haben gerne alles schön fest in der Hand, besonders gerne trifft das bei starken Verbündeten zu. Sehr ungesund, wenn sich solche Freunde zu selbstständig oder gar eigenwillig geben.“

    „Und nichts verbindet mehr als ein gemeinsamer Feind.“

    „Ganz genau, John. All diese, bisher so mächtigen Herren auf dieser Welt, sahen entsetzt ihre Felle davonschwimmen. Und sie verbündeten sich zu geheimen Konferenzen und konspirativen Treffen und grübelten darüber nach, wie es ihnen gelingen könnte, wieder wichtig zu werden. Die Daumenschrauben, mit denen man sich bisher gegenseitig so gerne fesselte, lockerten sich nun. Scheinbar gab es keine Möglichkeit, sie wieder anzuziehen. Und dann fiel ihnen mit dem 11. September der heilige Gral ganz von alleine in den Schoß.“

    „Sie glauben die haben den 11. September veranlasst?“ Johns Brauen zogen sich skeptisch zusammen.

    „Nein, John. Sie haben ihn nur fantastisch genutzt. Was schadet einer Demokratie mehr als Angst? Womit kann man die Öffentlichkeit am besten manipulieren? Angst vor etwas Unfassbarem, einer Bedrohung mitten unter uns. Wer jagt unerkannt in der Menge, wem vertrauen wir? Wer ist so unscheinbar, dass wir ihn kaum wahrnehmen.“

    „Terror!“

    „Ganz genau, John. Und da ist er wieder der große Feind und miteinmal sind sie alle wider wichtig, all die Geheimdienste und ihre eingefrorenen Budgets steigen ins Unermessliche, all ihre Bündnisse werden noch enger, noch verworrener, noch unlösbarer. Nur das ihnen dieses Mal, bei jedem Schritt, den sie vorwärts taten, der Gegner um zwei weitere voraus war. Wir führen Krieg, John. Krieg gegen den Terror. Sie selbst waren in einem und haben ihre Gesundheit und ihr Leben dafür riskiert. Was hat es uns gebracht?“

    „Nichts.“, antwortete John und dachte gleichzeitig, außer den Tod für viele junge Männer mit Träumen und Wünschen für ein weiteres Leben - und mir eine, bei Wetterwechseln unangenehm schmerzende, Schulternarbe. „Gar nichts.“

    „Genau. Wir geraten immer tiefer in diesen Strudel aus Gewalt und Gegengewalt. Statt andere Länder sicherer zu machen, stoßen wir sie erst richtig in den Abgrund hinab und bereiten immer weiter den Boden für Terroristen und Verbrechen.“

    „Man muss aus so etwas aussteigen.“

    „Wie John, wie? Haben Sie einfach mitten auf dem Schlachtfeld gesagt: Halt Leute, das Ganze hier ist doch völlig idiotisch? Nein, Sie haben weitergemacht, so wie man es Ihnen befahl und Sie haben sich sogar noch einen höheren Sinn bei der Sache eingeredet. Fürs Vaterland, für Demokratie, Meinungsfreiheit und den Weltfrieden. Wir sind damals nicht aus dem Irlandkonflikt ausgestiegen, warum sollten wir jetzt aus einer so viel größeren Sache aussteigen?“

    „Aber was hat das alles mit Ihnen und Moriarty zu tun?“

    „Nun, genau vor dem was Sie eben gerade sagten, haben bestimmte Leute höllische Angst.
    Dass wir aussteigen. Das wir irgendwann die Notbremse ziehen. Wäre ein ungeheuerlicher Vorgang, nicht wahr? Aber doch nicht hundertprozentig unmöglich. England ist träge und ein wenig zu traditionell in vielen Dingen. Man traut uns soviel Fortschritt nicht zu, aber scheinbar gab es doch Ängste in dieser Hinsicht. Also gedachte man auf Nummer sicher zu gehen und ein Mittel zu ersinnen, wie man ein solch großes Schachspiel inszeniert, in dem man den „König“ des Spieles dauerhaft bedrohen kann.“

    „Bedrohen? Das klingt eher nach Erpressung, würde ich sagen.“

    „Ja, Erpressung ist auch ein schönes Wort für dieses Großprojekt. Und man wusste mit welch hoher Aufgabe man es zu tun hatte, wollte man Grossbritannien erpressen, dann musste man Mycroft, den König in diesem Schachspiel, schlagen.
    Es gab ein paar Leute in Washington mit einer ganz besonders schlauen Idee. Wie ich schon erwähnte, konnte mich Mycroft nie zu einer Zusammenarbeit mit ihm bewegen. Doch bestimmte Leute waren der Meinung, dass man ein solches Potential nicht ungenutzt liegen lassen sollte. Also kam man auf die Idee, mein Leben und mein Tun dafür zu nutzen eine wunderbare Waffe zu schaffen. Eine mächtige, großartige Waffe.“

    „Moriarty“, hauchte John den Namen, in beginnender Erkenntnis, voll ehrfürchtigem Entsetzen.

    „Ja. Man schuf aus dem Nichts eine kriminelle Person und man stellte ein großes öffentliches Schachbrett auf und suchte einen idealen Gegner für dieses Turnier.“

    „Sherlock Holmes.“

    Sherlock nickte langsam. Seine Hände hatten sich wieder vor seiner Brust gefaltet und sein Gesicht zeigte angespannte tiefe Konzentration.

    „So ist es. Mich und meine Eitelkeit. Moriarty wurde mein Gegner. Mehr noch, er wurde mein ebenbürtiger Feind, mein Nemesis. Dort wo ich versuchte Verbrechen durch meine Beratung zu verhindern, versuchte er Verbrecher zu ihrem Tun zu raten. Und mit jedem Kampf den wir uns lieferten, mit jedem Zug gegeneinander, stieg unser öffentlicher Ruhm, unser Charisma. Und Sie, John, haben durch Ihren Blog die Sache um ein weiteres gefördert. Erst mit der Öffentlichkeit erhielt ein kleines, versteckt loderndes Feuer den richtigen Brennstoff.“

    „Und Sie wussten es? Sie wussten was Moriarty ist?“

    „Nichts habe ich gewusst. Das Spiel war sehr, sehr raffiniert angelegt. Und man besaß den perfekten Trumpf auf ihrer Seite. Meinen Bruder Mycroft, der sich doch seit seinen Kinderschuhen bestens über jede Zuckung meines Wesens auskannte. Ich bin sein liebstes Studienobjekt, John. Und Mitleid ist nicht gerade seine Stärke. Sie haben ihm ihre Idee eingeimpft und es ihm überlassen, die passende Figur auszusuchen. Er hat gar nicht gemerkt, dass Moriarty schon zuvor ihr Mann war. Sie haben Mycroft von ihrem tollen Plan erzählt, Moriarty zu dem idealen Fürst aller Verbrecher aufzubauen, zum König des Bösen. Kein normales Verbrechen, kein terroristischer Akt, der nun an ihm oder seiner Beratung vorbei kam. Und somit keine noch so raffiniert geplante Tat, über die sie ab jetzt nicht Bescheid wussten. Und um dieses Ziel zu erreichen, mussten sie eine Bühne für Moriarty schaffen. Die größte Bühne der Welt – die Öffentlichkeit. Und Mycroft tappte sehenden Auges in die Falle und präsentierte ihnen freudig das was sie dafür brauchten.“

    „Sie.“

    „Wundervoll nicht wahr, John. Kann man sich etwas Besseres vorstellen als das Opfer dazu zu bringen, sich selbst den Strick zu drehen. Mycroft war sosehr bereit zu glauben, dass er ein selbständig entscheidender Verbündeter war, dass er gerne alles tat, um der CIA bei diesem Bündnis zu helfen. Er bot seine besonderen Fähigkeiten wie ein Marktschreier an. Sich. Sich und mich.
    Mycroft war ganz genau klar, wo und wie er welchen Knopf bei mir drücken musste.“

    „Die Fälle, die wir bearbeiteten, all die Klienten, Sie meinen, all das war von Mycroft gesteuert?“

    Sherlocks Nasenflügel vibrierten in höchster Anspannung.
    „Ja und nein. Die grobe Arbeit erledigten seine Freunde von der CIA. Sie haben mich an Strippen geführt wie eine Puppe, John und ich habe mich hinreißen lassen von der Größe des Spiels und habe brav so agiert wie sie es wollten. Sie sehen, John, Moriarty hatte vollkommen Recht. Ich bin ein Schwindler. Ein Scharlatan. Nichts als ein Hampelmann für höhere Ziele.“

    „Nein“, begehrte John auf im wilden, seit Monaten sorgsam angestauten Trotz und dem Wunsch einmal einem der Zweifler diesen ins Gesicht zu schleudern. „Sie sind Sie! Das man Sie missbrauchte, dafür konnten Sie nichts. Das konnte keiner durchschauen.“

    „Ich bitte Sie, John. Ich bin Sherlock Holmes, ich bin so stolz auf meinen unfehlbaren Geist, auf all meine Deduktionen. Natürlich hätte ich es durchschauen müssen. Aber ich war so freudig damit beschäftigt für alle zu tanzen, so beglückt von der Raffinesse der Fälle, von der Neuheit des Spieles, dass ich es erst merkte, als die Sache fast zu spät war.“

    „Wann haben Sie es gemerkt?“

    Sherlocks Blick ging zur Decke, seine Augen verengten sich.
    „Coventry!“*

    „Die Sache mit Irene Adler.“

    „Ganz genau. Dort und bei dem Baskerville-Fall wurde es doch nur zu offenkundig, dass das alles keine Zufälle mehr sein konnten.“

    „Halt, halt!“ John streckte beschwichtigend die Hand nach vorne. „Noch einmal langsam, das wird zuviel für mich. Sherlock, Sie haben es hier mit einem einfachen Gehirn zu tun. Schon vergessen? Sie sagen also, Moriarty ist in wirklich nichts weiter als ein Schauspieler.“

    Sherlock warf missbilligend die Lippen auf und neigte gleichzeitig skeptisch den Kopf.
    „Ob er ein Schauspieler war, weiß ich nicht. Aber er ist gut gewesen in seiner Rolle, sehr gut. Sie haben ihn ausgewählt weil er ideal für mich war. Er war mein erster Fall. Schon vergessen, John? Carl...Carl Powers.“*

    „Der Junge in dem Schwimmbad.“

    „Genau. Hat es Sie nie gewundert, dass ich keine Aktenverbindung zu dem Fall herstellen konnte?“

    „Sie wurden gelöscht.“

    „Ja und das schon sehr lange vorher. Das war ein sehr, sehr aufwendiges Projekt, John. Jahrelang hat man es vorbereitet. Man schnappte sich diesen Jim und machte aus ihm Moriarty. Man hat ihn trainiert und geschult. Sie wussten genau, dass ich nur einen intelligenten Gegner akzeptieren würde. Und sie wussten, wobei es darauf ankam. Man hat ihn zu meinem bösen Ebenbild aufgebaut und mit all den Mitteln und all dem Equipment ausgestattet welches von Nöten war, um Fälle zu inszenieren die meine Aufmerksamkeit erregten.“

    „Das Sponsoring des Taxifahrers, der Vanmeer, Janus Car...“*

    „Faszinierend nicht wahr, John? Und um sich völlig sicher zu sein, dass Moriarty auch ganz genau kapiert auf wen man es abgesehen hat, konditionierten sie ihn entsprechend.“

    „Konditionierten ihn auf Sie. Wie das?“

    „HOUND*.“

    „Die Droge, dieses verdammte Zeug das einen vor Angst völlig durchdrehen lässt.“ John erinnerte sich mit Schaudern daran, als er selbst der Droge ausgesetzt gewesen war.
    „Aber Moriarty hatte doch keine Angst vor Ihnen.“

    „Nein, denn in der Weiterentwicklung macht einen diese Droge zur perfekten Hassmaschine. Moriarty wollte nur eines, mich vernichten. Und ihm war egal, ob er sich dabei mit selbst vernichtete. Er wurde immer eigenwilliger, immer unlenkbarer bei dieser Zielsetzung. Mit allem hatten sie gerechnet, alles im Griff, nur einen Umstand nicht, Moriartys Unberechenbarkeit.“

    „Oh mein Gott, Sherlock, das Schwimmbad.“ In Johns Geist tauchte wieder das bedrohliche Bild ihrer damaligen Dreierbegegnung auf. „Moriarty wollte wirklich gemeinsam mit uns beiden bei der Sache draufgehen....“

    Sherlocks Augen verschwammen im Nichts, konzentriert auf seine Erinnerungen. „Jahrelange Arbeit einfach so vernichtet. Ihr wundervolles Projekt, dass gerade erst begann dem Höhepunkt entgegen zu streben. Sie mussten alles tun, um es am Leben zu halten, um Moriarty und uns beide am Leben zu halten.
    Das letzte Problem, John.“ Er fokussierte wieder das Gesicht seines Freundes. „Deswegen wurde Moriarty gestoppt!
    Leider machten sie damit erneut einen Fehler. Irenes Eigeninitiative hat Moriartys Misstrauen, das ab diesem Augenblick geweckt wurde, bestätigt.“

    „Ich verstehe nicht.“

    „Nun, Moriarty hat ab dem Coventry-Dilemma gewusst, dass er manipuliert wurde und von wem.“

    „Sie meinen die Geheimdienste haben Moriarty als Waffe aufgebaut und ihn die ganze Zeit glauben lassen, dass er alleine so toll ist?“

    „Nein, er wusste, dass er ein Geschöpf des Geheimdienstes ist, aber er dachte, er hätte sie an der Strippe. Sie wollten etwas von ihm und er glaubte er könne sie manipulieren. Statt dessen erfuhr er durch die von mir leider entschlüsselte SMS, dass er manipuliert wurde. Mycroft hat alle Attentate zuvor geplant und entschärft. Keiner von Moriartys Angriffen löste wirklich Schaden aus. Mehr noch, Moriarty begann auf einmal zu begreifen, wie verletzlich seine Position war. Wenn die Amis und die Briten beschließen würden, das Projekt als ineffektiv zu beenden...“

    „Eine solche jahrelang geplante Schurkerei beenden, jetzt wo sie Moriarty endlich in Terrorkreisen so stark etabliert hatten?“

    „Ja, denn ich war ihm schon zu dicht auf den Fersen. Eine falsche Bewegung und ich hätte womöglich das Ganze durchschaut und publik gemacht. Es gab nur eine Möglichkeit. Alles beenden, oder mich daran hindern es offenzulegen.“

    John schüttelte verzweifelt den Kopf. „Aber dafür brauchte man Sie nicht zu töten, Sherlock und dazu noch auf eine solch perfide Weise – man hätte...“

    „Was, John? Mich bestechen oder erpressen? – Gute Idee. Oder mich wegsperren? Ersteres zu gefährlich, letzteres... Nun, Mycroft hätte irgendwann einen Rückzieher gemacht. Nein, es ist doch viel netter, die vorliegenden Fakten für ein neues, noch größeres Spiel zu nutzen. Als erstes erpresst man nicht mich, sondern Mycroft. Das Spiel, der Plan, all das, was man über Jahre aufgebaut hatte, erklärt man ihm, ist für die freie Welt, für Ordnung, Demokratie und das Bündnis Europas und den USA einfach zu wichtig, als dass er persönliche Belange in den Vordergrund stellen dürfe. Wenn ihm das Wohl Grossbritanniens wichtig ist, dann muss er dafür auch persönliche Dinge opfern. Dann redet man Mycroft ein, dass Moriarty nicht mehr bereit ist mitzumachen. Selbst als man ihn wegsperrte und versuchte erneut zu konditionieren, zeigte er sich hartnäckig. Um ihn bei der Stange zu halten forderte er nur eines...“

    „Dass Mycroft Sie ausliefert“, begann John stockend zu begreifen.

    „Und man nutzt das Ganze um Moriartys Namen in der Ruhmeshalle die Krone aufzusetzen. Man verabredet sich erneut in stillen Räumen und geheimen Konferenzen zu einem wundervollen Spiel, das da hieß: überlasst Moriarty sein Opfer und helft alle kräftig mit, ihm das Wild zuzutreiben.“




    Ultra - die allerhöchste Geheimdienststufe in Großbritannien besitzt einen noch weit höheren Status als Top Secret. Ursprünglich im Zweiten Weltkrieg für die Aufklärungsarbeit gegen Deutschland geschaffen und später als extremster Geheimdienstgrad beibehalten. Wie hoch die Machtbefugnis dieser Klassifizierung ist, gilt als unbekannt, wie uns in Baskerville gezeigt wird, geht sie aber über jede andere Klassifizierung, ob militärisch oder zivil, weit hinaus. In Baskerville benutzt Sherlock den Dienstausweis seines Bruders um sich Zugang zu geheimen militärischen Anlagen zu verschaffen. Bei der dabei erfolgten Sicherheitsabfrage wird Mycrofts Status mehrmals eingeblendet und auch von Sherlock im Dialog direkt als Machtinstrument benutzt: Priorität Ultra

    Imperium – gemeint ist das britische Imperium, als dieses bis zum zweiten Weltkrieg mit Kanada, Australien, Neuseeland, Indien, Algerien und den afrikanischen Kolonien noch dominierend die Welt und beherrschten

    Coventry – der Luftangriff auf Coventry durch Nazideutschland gilt als terroristischer Akt http://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Coventry

    Carl Powers
    – wird in 'Das große Spiel' als Sherlocks erster Fall beschrieben. Carl nahm zwanzig Jahre zuvor, als Kind an einem Schwimmwettbewerb in London teil und ertrank im Becken. Zurück blieben seine Sachen, ohne seine Schuhe. Sherlock, damals selbst noch ein Junge, dem das auffiel, versuchte die Polizei darauf aufmerksam zu machen. Im 'Großen Spiel' eröffnet Moriarty seine direkte Gegnerschaft zu Sherlock mit diesem Fall, indem er ihm die Schuhe zukommen lässt, an denen Sherlock beweist, dass Carl vergiftet wurde. Moriarty lässt Sherlock die Information mitteilen, dass er Carls Mörder war, weil dieser ihn ausgelacht habe. Alle Aktenermittlungen Sherlocks, nach möglichen schuldigen Klassenkameraden Carls, um Moriartys wahre Identität einzugrenzen, verlaufen negativ.


    das Sponsoring des Taxifahrers, der VanMere, Janus Car – alles Fälle, aus der ersten Staffel, die Moriarty inszeniert um Sherlock herauszufordern

    Hound – die Droge wurde von der CIA vor 20 Jahren als Antipersonenwaffe entwickelt und sollte Gegner starken Angstzuständen aussetzen. Sie führte bei Sherlock zu einem emotionalen Kollaps - bei gleichzeitigem Erhalt seines logischen Denkvermögens und bei dem „normal“ gestrickten John zu extremer Panik. Als die CIA bemerkte, dass die Droge im Langzeitversuch bei den Testpersonen zu Aggressivität, völliger Unlenkbarkeit, Mord und Selbstmord führte, wurde ihre Entwicklung scheinbar eingestellt, jedoch in Baskerville heimlich in einer Weiterentwicklung weiterbetrieben

  15. Danke sagten:


  16. #13
    First Lieutenant Avatar von sethos
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    John sprang erregt aus seinem Sessel und begann mit wilden Schritten das Zimmer zu durchmessen. Auf seinen Wangen brannten rote Flecken der Aufregung und seine Augen waren geweitet. Fahrig drückte er seine Finger gegen seine pochenden Schläfen.
    „Ich kapier es nicht, Sherlock. Das geht mir zu weit. Sie sagen, Moriarty und auch Sie waren ein Täuschungsmanöver. Es ging darum aus einem Niemand einen großen Terrorfürsten zu schaffen, um dann durch diesen Niemand alle Terroraktivitäten auf der Welt zu kontrollieren. Moriarty war eine Waffe, eine schlau durchdachte Waffe. Und um diese Waffe zu erfinden, arbeiteten all diese Geheimdienste zusammen. Sie haben Moriarty ausgesucht und aufgebaut, ohne, dass er davon wusste. Und sie haben ihm einen Gegner ausgesucht, der ihn groß machte, ohne dass dieser davon wusste.“

    „Ausgezeichnet, John. Wir sind beide das was wir sind, Sherlock Holmes und Jim Moriarty, der beratenden Detektiv und der beratende Kriminelle.“

    „Und Moriarty begann misstrauisch zu werden, warum man ihn das alles tun ließ, ihn in allem unterstützte, ebenso wie sie misstrauisch wurden. Er gab sich unzuverlässig um die Sache zu überprüfen - möglicherweise hat er ja einfach nur ein wenig geblufft.“

    „Möglicherweise.“

    „Und als man im Schwimmbad Angst bekam, dass sich das wundervolle Projekt selbst vernichtet, setzten die Amis Irene ein.“

    „Gut, John. Sehr gut.“

    „Darf ich fragen, wer sie ist?“

    „Später, John. Der Reihenfolge nach. Bleiben wir bei dem was danach passierte.“

    „Moriarty erfuhr durch Sie, dass die Geheimdienste über die Terroranschläge Bescheid wissen. Und er drohte damit, nicht mehr weiterspielen zu wollen. Mehr noch, er drohte den Terroristen Bescheid zu geben.“, fuhr John folgsam fort.

    „Schließlich musste er befürchten, dass auch sie irgendwann misstrauisch werden würden und solche Leute macht man sich ebensowenig zu Feinden wie Geheimdienste.“

    „Also bedrohte er seine Erschaffer lieber und erpresste sie damit, dass er sie auffliegen lassen würde, wenn man nicht ab da nach seiner Pfeife tanzte.“

    „Bravo, John.“ Sherlock lächelte zufrieden. „Wie ich sehe, konnten sie mir doch recht gut folgen.“

    „Nur in den Grunddingen, alles andere war mir ein wenig zu kompliziert und zu verworren.
    Man hat also Mycroft dazu gebracht dem Plan zuzustimmen, Sie an Moriarty auszuliefern. Und man hat beschlossen, Moriarty bei all dem noch tatkräftig unter die Arme zu greifen. Er sollte am Leben bleiben, nicht Sie.“

    „Ich war nicht mehr von Nöten. Jedenfalls bald nicht mehr. Zuvor wollte man die Jagd auf mich zum allergrößten Glanzstück erheben und aller Welt zeigen, dass Moriartys Macht ab diesem Zeitpunkt unermesslich sei.“

    „Weil er Sie besiegt hat.“

    „Ja, und vor allem wie. Erinnern Sie sich? Die Kronjuwelen, John, die Bank von England, das Pentonvillegefängnis.“

    „Ja, genau. Wie ist er an diese Codes gekommen?“

    „Überhaupt nicht. Es gibt diesen Code nicht.“

    John blieb abrupt vor Sherlock stehen. „Überhaupt nicht? Aber wie...?“

    „Mycroft!“

    „Was?“, Entsetzt stöhnend fiel John in seinen Sessel zurück.
    „Nein“, flüsterte er und vor seinem inneren Auge stieg das Bild wieder auf, wie Mycroft ihn unter Zuhilfenahme von manipulierten Computern immer wieder übertölpelt hatte. „Moriarty hatte die Zugänge von Mycroft.“

    „Natürlich, von wem sonst? Wie gesagt, man hatte beschlossen, Moriartys letzten Kampf mit mir ganz groß zu machen. Danach würde ein Moriarty es nie wieder nötig haben, seine Allmacht zu beweisen. Hier musste seine ganze Macht demonstriert werden. Die kriminelle Welt sollte ein für alle Male glauben, dass nicht der Geheimdienst Moriarty in den Händen hatte, sondern Moriarty den Geheimdienst. Also ließ man ihn die drei wichtigsten Symbole Großbritanniens angreifen. Seine Krone, sein Geld und seine Sicherheit. Wenn Moriarty das schaffte, und dabei sogar straffrei ausging, würde ihm jeder Kriminelle der Welt alles, wirklich alles zutrauen.

    „Und sie öffneten für ihn diese Computer und er ließ die Welt glauben, dass es einen Code gäbe – einen Universalcode für alles. Aber in Wirklichkeit hat es diesen Code nie gegeben?“

    „Nein.“

    „Die ganze Gerichtsverhandlung alles nur eine Farce.“

    „Eine Farce für die Öffentlichkeit...“, bestätigte Sherlock.

    „Sie haben es durchschaut“, John sah den Sherlock von damals vor sich, wie er unruhig im Wohnzimmer auf und ab lief, die Hände gefaltet und dieses angespannte Gesicht zog, das er immer aufsetzte, wenn er dabei war Zusammenhänge zu verstehen ohne bereits das Endergebnis zu entschlüsseln.

    „Nur teils“, gab Sherlock zu. „Ich ahnte, dass Moriarty keine Verteidigung benötigte, weil er sowieso freigesprochen werden würde. Aber ich bin ehrlich, ich habe gehofft, nein, gebetet, dass meine Ahnung sich nicht bestätigen würde. Dass dieser Kelch an mir vorüberziehen würde. Er ist es nicht.“

    „Und die Entführung dieser Kinder?“

    „Ja,“ Sherlock nickte „das war besonders perfide.“ Er beugte sich in seinem Sessel vor und sah John direkt in die Augen. „Das war raffiniert und widerlich zugleich. Zuerst sagte er mir in unserer Wohnung offen ins Gesicht, dass er mich vernichten wird und dass er sich dafür ganz besondere Alliierte besorgt hatte...“

    „Alliierte“; schnaufte John abfällig, „Nett wie Sie das umschreiben.“

    „Nun, es waren die gleichen Alliierten wie nach dem geschichtlichen Terrorangriff auf Coventry und nun drohte er mir mit der gleichen Vergeltung, die auch damals zum Einsatz kam. Das Brennen, John!“ In Sherlocks Augen leuchtete ein fiebriges Licht auf und für den Bruchteil von Sekunden zuckte eine solch schmerzliche Traurigkeit über seine, sonst stets so beherrschten Züge, dass es John bis in das tiefste Innere traf und er dankbar begriff, an welcher Offenheit Sherlock ihn hier teilhaben ließ. Längst war aller Zorn in John verflogen, längst wollte er einfach nur noch verstehen, irgendwie verstehen. Ja, selbst wenn all dies für ihn ewig verworren bleiben sollte, begriff er, dass er spätestens ab hier, bereit war zu verzeihen. Schon verziehen hatte.
    Sherlocks lange Gestalt glitt wieder zurück in die hinteren Sesselkissen. Seine Miene erschien erneut hoch konzertiert, als erläuterte er hier nur eine ferne, unbedeutende Geschichtsanekdote. Nichts war mehr übrig von der kurzen preisgegebenen Emotion. Seine langen, schlanken Finger falteten sich in üblicher Geste vor seinem Mund und sein Blick wanderte zur Decke.
    „Die Entführung der Kinder“, fuhr er im dozierenden Ton fort, „Wundervoller Fall, um nicht zu behaupten, absolut faszinierend.“

    „Sherlock“, stöhnte John sozialerzieherisch und merkte schon gar nicht mehr wie selbstverständlich sie in alte Gewohnheiten zurückfielen.

    „Doch“, verteidigte Sherlock seine scheinbare Gefühllosigkeit. „Ein Meisterstück der Angabe von Moriarty und Mycroft.“

    „Von beiden?“

    „Natürlich. Mycroft hat alles für Moriarty inszeniert. Glauben Sie im Ernst das ginge ohne entsprechende Mitarbeit und Hilfestellung?“

    „Naja, Moriarty verfügt über eine hübsche kleine Organisation, über Sprengstoff, Scharfschützen.“

    „John“, tadelte Sherlock sanft. „Wir waren eben doch schon ein ganzes Stück weitergekommen, was ihre Logik anging. Haben Sie mir nicht zugehört? Nicht Moriarty verfügt über das alles, die Geheimdienste verfügen darüber.“

    „Ja klar, und Moriarty wusste erst nicht wem er sein Equipment zu verdanken hatte und danach setzte er sie also gezielt ein?“

    „Der Hänsel und Gretel Fall, ausgedacht von Moriarty geplant und umgesetzt von Ultra, der obersten Geheimdienststelle unseres Landes.“

    „Woher wussten Sie das?“

    „Wie ich es Ihnen schon damals sagte, Moriarty hinterließ bewusst Hinweise um zu spielen, um anzugeben. Und weil man die Hinweise, die Mycroft hinterließ, einfach nicht übersehen konnte.“

    „Also ich habe garnichts gesehen“, maulte John und schniefte dann hilflos. „Ja, ja ich sehe ja nie etwas. Und wenn, kapiere ich es nicht. Was haben Sie gesehen, Sherlock?“

    „Hinweise unter Ultraviolettem Licht.“

    „Ja, und?....Oh!“, blitzte es in John auf. „Sie haben die Fußspuren gesehen, die man Ihnen hinterließ. Sie sagten das Ultra...Sie haben sie Ihnen bewusst so versteckt. Ultraviolettes Licht.“ John konzentrierte sich angestrengt. „Und dann die Botschaft an der Wand...“

    „Ja, das HELP US – das kann man auch anders lesen. Was, wenn nicht der Junge es schrieb, sondern....? Und das rote Siegel* an den Briefumschlägen. Später noch das Quecksilber.“*

    „Quecksilber?“

    „Ein Codename für ein Täuschungsprojekt der Amerikaner im Krieg um die Deutschen zu verwirren. Eine komplett erschaffene fiktive Welt zur Ablenkung. Eine Welt mit nicht wirklich existierenden Leben, Nachrichten und Schicksalen.“

    „Oh Gott man hat Ihnen gesagt, dass Sie das Quecksilberprojekt waren.“

    „Richtig. Nichts ist neu unter der Sonne. Man war wohl der Meinung, dass man mir eine solche Aufklärung schuldete und es hatte den netten Nebeneffekt, dass mich wohl nichts mehr schwächen würde, mich nichts mehr zerstören würde, als die Erkenntnis jahrelang getäuscht und missbraucht worden zu sein. Wie ich Ihnen bereits sagte, John, ich bin ein Schwindler. Ich habe mir eingebildet alles und jeden zu durchschauen, Sherlock Holmes zu sein, der Mann den man nicht täuschen kann. Und nun stellte sich heraus, dass ich nichts weiter als ein Hanswurst war. Und später im Taxi setzte Moriarty noch einen drauf. 'Sir Prallegott' hat er mich genannt. Er wusste, dass es mich kaum scherte, was andere Leute über mich denken, aber es sollte damit anfangen, dass ich selbst nicht mehr an mich glaubte und damit enden, den Leuten, die mir wichtig waren, den Glauben zu nehmen.“

    John schlug die Hände vors Gesicht. „Er wollte Ihnen das Herz aus der Brust brennen.“, flüsterte er entsetzt. „Wie soll man einem Mann wie Ihnen, jemandem, der Gefühle für einen Defekt erklärt, das Herz aus der Brust brennen? Und dann hat er auch noch die Öffentlichkeit mobilisiert, diese Reporterin der er diesen ganzen Schauspielramsch vorspielte.“

    „Kitty, ja die gute leichtgläubige Kitty. Nette Person und so einfallsreich, nicht wahr? Ich hätte sie genauso nutzen können wie Moriarty, es hätte nichts geändert. Kitty war nur dazu da die Gegenfront zu stärken. Im Zweiten Weltkrieg liefen all diese verschlüsselten Informationen über die Schweiz. Rich Brook – auf deutsch Reichenbach. Und wo liegen diese Wasserfälle?* Kittys Zeitungsmeldungen, von ihrem angeblichen „schweizer“ Informanten, zerstörten auch noch das Letzte was von mir geblieben war endgültig. Mein Bild in der Öffentlichkeit.“

    „Und Mycroft lieferte getreulich alle persönlichen Informationen dazu.“

    „Nett diese Familiennähe, nicht wahr?“

    „Aber, wenn Sie das alles wussten, warum sind Sie dann nicht zu Mycroft marschiert und haben ihm die Pistole auf die Brust gesetzt?“

    Sherlock lächelte nachsichtig. „Aber John, was hätte das gebracht? Mycroft war doch selbst nur ein Getriebener. Nicht Mycroft galt mein Angebot für einen Deal, sondern Colonel Moran, dem CIA-Chef in London.“ Sherlock zögerte, kurz in seinen eigenen Erinnerungen verstrickt, sprach dann jedoch scheinbar ungerührt weiter. „Mein Angebot an Moran war mein Plan A, aber der ging leider schief. Weswegen Plan B greifen musste.“

    „Ihr Selbstmord!“ John ließ sich gefügig ein weiteres Mal ablenken. Doch sprudelte auch erneutes Unwohlsein und Frust in ihm hoch. „Wie?“

    Sherlock lächelte zu den hohen Frontfenstern hinaus, deren obere Hälfte, trotzt der Tieflage des Souterrains, die gegenüberliegende Häuserzeile preisgaben. Draußen kroch frühe Dämmerung fast unmerklich durch das Regengrau heran.
    „Es ist ja immer noch da, das Graffiti*“, nickte er abwesend. „Staune, dass noch keiner auf die Idee gekommen ist es zu übermalen.“

    „Das dort. Ein Schandfleck, ja. Mrs Hudson meinte wohl, es soll in den nächsten Tagen überputzt werden. Aber ich verstehe nicht, was das jetzt zur Sache tut.“

    Sherlock zuckte mit den Schultern. „Hübscher Schandfleck, hat mir das Leben gerettet. Mit Ihrer Hilfe John, das will ich gern einräumen.“

    „Mit meiner Hilfe ...? Wie? Was?“ Verwirrt folgte er Sherlocks Blick nach draußen.

    „Naja, Sie waren doch so freundlich mich auf unsere Nachbarschaft aufmerksam zu machen. So fand ich die versteckte Kamera in unserer Wohnung und erhielt auf meine Anfrage hin, diese Antwort dort draußen.“ Sherlocks Finger zielte mitten auf das Graffiti.

    John ging zum Fenster und starrte hinaus. „Ich versteh nicht...“

    „Irene Adler.“

    „Oh ja stimmt“, schnaufte John erneut abgelenkt. „Ihre neue Verbündete, hätte ich ja fast vergessen. Aber ich verste....“

    „Ich schulde dir“, flüsterte Sherlocks Stimme hinter ihm, während Johns Pupillen gleichzeitig die entsprechenden Buchstaben auf der Häuserwand nachzeichneten und die großen schwarzen Schwingen* erreichten die diese umrahmten. „Oh!“ Johns Augen weiteten sich. Stückweise formierte sich Verstehen in seinem Kopf. „Das ist gar keine Schmiererei“, stammelte er. „Das ist eine Botschaft, eine Botschaft für Sie!
    Flügel! Sie schuldete es Ihnen. Weil Sie sie gerettet haben...weil Sie...“

    „Schon gut, John. Wir belassen es einfach dabei, dass Irene Adler und noch ein paar Andere mithalfen, Plan B in die Tat umzusetzen.“

    „Noch ein paar Andere?“ Und wieder war da Johns schmerzliche Resignation und die Erkenntnis, dass Sherlock Irene Adler vertraut hatte, der launenhaften berechnenden Irene, nicht aber ihm, John, seinem besten Freund.
    „Sie haben wildfremden Menschen vertraut, aber nicht mir.“

    „Das tut mir Leid, John, aber es ging nicht anders. Sie sind einfach zu aufrichtig. Ehrlichkeit, eine Eigenschaft, die ich besonders an Ihnen schätze. Leider verhindert das aber auch, dass jemals ein wirklich guter Schauspieler aus Ihnen wird.“

    „Sie haben mir nicht zugetraut, dass ich meine Umwelt belügen könnte? Es ging dabei um Ihr Leben! Ich hätte jedem das Blaue vom Himmel heruntergelogen. Sie hätten mich nur einweihen müssen, einfach nur etwas sagen müssen...“ John durchzuckte das Gefühl des Vertrauensbruchs erneut schmerzlich.

    „Nein John, das hätten Sie nicht gekonnt.“ Beschwichtigte Sherlock sanft. „Möglicherweise Fremden gegenüber, möglicherweise Mycroft gegenüber, möglicherweise sogar bei Lestrade. Aber Mrs. Hudson....?“

    „Aber...aber...“ Johns Protest geriet ins Stocken als er begriff, dass Sherlock die Wahrheit aussprach.

    „Nein, John, das hier war zuviel für Sie. Ich weiß wovon ich rede, denn ich habe es Ihnen angetan und es gab einige Momente an denen ich fast gescheitert bin. Es war das Beste so. Ich weiß, dass was ich Ihnen mit dieser Entscheidung zumutete war entsetzlich, aber nur so konnte ich gewährleisten, dass Sie völlig ehrlich und aus tiefstem Herzen die Welt belogen. Vor allem aber, das Sie damit die perfekte und absolut glaubwürdige Täuschung für Mycroft darstellten.
    Sie brauchten Ihre Trauer nicht spielen, Sie haben sie offen gelebt...ich habe den letzten Eintrag im Blog gelesen...ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Loyalität. Sie waren mir eine unschätzbare Hilfe damit.“

    „So war ich das?“, schluckte John und seine Stimme zitterte in verhaltender Wut, „Sie sind wirklich großartig, Sherlock“, schnaufte er dann jedoch zynisch aber gleichzeitig auch schon wieder innerlich so resigniert, dass sein aufmerksamer Freund begriff, das ein kleines Stück des Heilungsprozess bereits eingesetzt hatte. „Keiner hat mir je auf eine so eigenartige Weise ein solch makaberes Kompliment gemacht. Ich bin zu ehrlich für die Wahrheit und absolut nützlich für den Schmerz.“

    „Und Sie sind ein phantastischer Lyriker, John. Wenn Sie mal wieder schreiben, dann Gedichte.“

    John kämpfte noch kurz mit seinem geheiligten Zorn doch vermochte er nicht ihn festzuhalten. Seine Wut zerbröselte an Sherlocks vorsichtigem Scherz und seine Anspannung löste sich in einem schmerzhaften Lachen auf. Für Sekunden schüttelte es ihn, bis er bemerkte das Sherlocks Augen mit einzustimmen schienen. Noch zeigte sein Gesicht den angespannten Ernst, der John bewusst machte, dass noch lange nicht das tatsächliche Ende dieser unsäglichen Affäre erreicht war. Aber einen ersten Schritt zur vorsichtigen Wiederbelebung ihrer Freundschaft mochten sie soeben gefunden haben.





    das knallrote Siegel
    – meiner persönlichen Meinung nach, könnte dieses ein Hinweis auf 'Scarlet Pimpernel' sein, ein vielgelesener englischer Trivialroman der vorigen Jahrhundertwende. Der Roman wurde als Theaterstück und Musical adaptiert und X-mal verfilmt. Die Figur des Scarlet Pimpernel bildete die Vorlage für Zorro und Batman und trotzt aller Trivialität besitzt sie einen tieferen historischen Hintergrund, wurde dieser Deckname doch im Zweiten Weltkrieg von zahlreichen Diplomaten und Geschäftsleuten benutzt, die Verfolgte aus, von den Deutschen besetzten, Gebieten schmuggelten.

    Ultra und Quecksilber
    - http://de.wikipedia.org/wiki/Ultra_%28Kryptologie%29
    http://de.wikipedia.org/wiki/Bletchley_Park
    http://de.wikipedia.org/wiki/Operati...on_Quicksilver

    Reichenbachfälle
    – der berühmte Wasserfall liegt in der Schweiz, in die Doyle 1893 mit seiner an Tuberkulose erkrankten Frau reiste. Doyle seines Helden schon lange überdrüssig geworden, weil er glaubte, dass dessen Ruhm seine anderen Werke in den Schatten stellen würde, beschloss diesen zu töten. Selbst die Bitten seiner Mutter, Holmes größten Fan, konnten ihn nicht umstimmen. Er entsorgte Holmes und Moriarty in den Reichenbachfällen und vermerkte zufrieden in seinem Tagebuch „Killed Holmes“ Das Resultat war zu seinem Leidwesen nicht das erwartete – ganz England trauerte um den verlorenen Helden und in London liefen sogar Passanten mit Trauerflor am Hut zu seinen Ehren umher. Als Doyle erkennen musste, dass Holmes Tod seinen anderen Werken auch nicht die erwünschte Aufmerksamkeit bescherte, ließ er sich erweichen und belebte Holmes wieder. Allen Anschein nach, hat er sich danach mit ihm ausgesöhnt – seine Holmes Publikationen nach dessen „Tod“ sind um einiges intensiver und dem Helden gegenüber mit mehr Wärme und Aufmerksamkeit geschrieben als die Frühwerke. Doyle verarbeitete mit dem erneuten Schreiben an Sherlock Holmes-Geschichten die Trauer um den frühen Tod seiner ersten Frau

    Schweiz
    – im zweiten Weltkrieg gingen alle Informationen der Geheimdienste über die neutrale Schweiz – sowohl kriegsrelevante Informationen die Ultra nach der Codeknackung von Enigma und anderen Dechiffriermaschinen von den Deutschen abfingen und auf die Art, ohne Preisgabe der Quelle, an Moskau zur Stärkung der Gegenfront weiterleitete, als auch direkte Informationen von in Deutschland tätigen Spionen

    Graffiti in der Baker Street
    - http://media.tumblr.com/tumblr_lyo4rcCQrs1qcl5ck.jpg

    schwarze Schwingen
    – gerne nochmal ein Bild des IOU http://media.tumblr.com/tumblr_lyo4rw97xJ1qcl5ck.jpg
    Na, versucht Euch, was sind das für Schwingen? Engelsflügel? Teufelsflügel? Die einer Fledermaus? Leute, etwas kreativer bitte – wenn die Briten sich anstellen...aber wir? Diese Flügel prangen in Deutschland auf so ziemlich jedem Staatswappen. Was sind das also für Flügel und wer bietet sie ihm an? Heureka!
    (Oder wie sich mir persönlich die Sache darstellt: Sherlock sieht die Internetadressen, ordnet eine davon der Kamera zu, findet die Kamera und loggt sich innerhalb von Sekunden in diese ein – auch für einen genialen Codeknacker wie ihn eine besondere Leistung, es sei denn, der kennt den Zugangscode bereits. Er sieht in die Kamera - und für mein persönliches Empfinden, steht ihm die ungnädige Frage: "Was willst du?“ regelrecht ins Gesicht geschrieben. Er tippt auf seinem Laptop anscheint eine Anfrage oder Nachricht und wartet dann ungeduldig auf Antwort. Zuvor erklärte er, er würde das Spiel Moriartys nicht länger mitspielen. Er wird festgenommen und vor die Tür gebracht und scheint ab dort seine alte Überlegenheit zurückgewonnen zu haben. Scheinbar ist der Boden wieder fest genug unter seinen Füssen sodas er seine Meinung revidiert und das Spiel wieder aufnimmt. Sherlock hat eine Antwort erhalten, die diesen Meinungsumschwung herbeiführte. Ein Umstand der mich zum Prolog dieser FF veranlasste und der Nichtglaube an eine solche naive Lösung zum "Rest" der FF)
    Geändert von sethos (09.10.2012 um 11:04 Uhr)

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    „Gut, gut. Weiter im Text.“ John Watson bemäntelte seine Emotionen mit Tatkraft und warf sich in seinem Sessel zurück. „Dann wusste Mycroft also am Ende doch Bescheid und dass er Sie opferte war ebenfalls nur Schauspielerei.“

    „Nein.“

    „Aber Sie sagten doch...“ Verwirrung nahm erneut von ihm Besitz. „...Dass Sie einen Deal machten.“

    „Ja, ich habe zuerst mit Irene den Plan gefasst, wie wir meinen Tod vortäuschen könnten, denn ich wusste ja nicht, ob man später auch auf meinen Deal eingehen würde. Dann habe ich über eine zweite Möglichkeit nachgedacht.“

    „Sie haben ein Abkommen mit Mycroft vereinbart.“

    „Aber John, was hätte das gebracht? Mycroft war doch selbst nur ein missbrauchter Mittelsmann. Nein, nicht Mycroft galt mein Angebot für einen Deal, sondern Moran, dem CIA-Chef in London. Ich habe den Großwildjäger* herausgefordert, John. Den Mann der die Geheimdienste ganz Europas Stück für Stück eingekesselt hatte und in seine Abhängigkeit trieb. Der Großwildjäger, der all diese Raubkatzen erlegt und der nun gerade dabei war Grossbritannien zu hetzen. Ich habe versucht ihn zu erpressen. Im Grunde genommen habe ich nur das gleiche versucht, wie Jim Moriarty. Er erpresste die Geheimdienste, damit sie mich auslieferten, ich erpresste Moran mit meinem Wissen und damit, dass ich Moriarty vernichten würde. Ich setzte einfach darauf, dass ihnen Moriarty als Waffe zu wertvoll war, als dass sie ihn an mich auslieferten. Das letzte Problem - für uns beide - war, am Leben zu bleiben und wir bedrohten uns gegenseitig in unserer Existenz. Es ging nur noch darum wer für wen wertvoller war.“

    „Aber wie kamen Sie an Moran heran?“

    „Über Mycroft.“

    „Ich verstehe nicht. Sie sagten in dieser Nacht, dass Sie Mycroft nicht einbeziehen wollten. Ich war bei Mycroft, aber er lehnte ab. Wann waren Sie bei ihm?“

    „Gar nicht. Ich wählte einen anderen Weg, ebenso wie er für seine Antwort.“

    „Ich verstehe immer noch nicht...“

    „Nun das Wie welches ich verwendete, erkläre ich Ihnen später, sagen wir einfach es könnte eine Person kompromittieren deren Zustimmung ich dafür erst noch benötige.“*

    „Wie?“, beharrte John trotzdem stur.

    „Das ist wirklich nicht wichtig, John“, beschwichtigte Sherlock erneut. „Zu gegebener Zeit werden Sie auch das erfahren, ich verspreche es Ihnen.“

    „Gut“, seufzte John ergeben und Sherlock lächelte stolz. „Das ist eine weitere hervorragende Eigenschaft von Ihnen.“

    „Das ist die verdammte Soldatendisziplin, Sherlock.“, wiegelte John einsichtig ab. „Das hat man mir eingehämmert. Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer durchbrechen. Also, dieser Moran...“

    „Ja, ich habe ihm angeboten, was ihm so wunderbar wichtig war.“

    „Moriarty.“

    „Ja. Wenn sie ihn behalten wollten und zwar unversehrt, dann mussten sie auf meinen Tod verzichten. Ich habe ihnen angeboten mich still zu verhalten und ihr Projekt nicht zu gefährden. Andernfalls wären bestimmte Informationen an bestimmte Kreise abgesandt worden, welche ihr Moriartyprojekt ein für alle Male gestoppt hätte.“

    „Sie haben die Amis damit erpresst, das Sie den Terroristen erklären würden, wem Moriarty gehorcht.“

    „Ganz genau. Obwohl, dass mit dem Gehorchen war auch nicht mehr so wirklich richtig. Moriarty begann immer mehr ein sehr problematisches Eigenleben zu entwickeln. Ein Umstand der es mir später so leicht ermöglichte in seine Rolle zu schlüpfen. Es brauchte dafür nur Moriartys Handy und seinen Computerzugang. Persönliche Kontakte waren überhaupt nicht von Nöten. Alles Weitere lief über Mittelsmänner die ich per Internetweisungen steuern konnte. Und wie gesagt, Moriarty war so etwas wie mein eigenes böses Spiegelbild. Es erwies sich daher als nicht allzu schwer mich in ihn hineinzuversetzen. Man muss dazu nur in die tiefen Abgründe seiner eigenen Seele hinabsteigen, Moriarty in die Hölle folgen.“
    Selbsthass manifestierte sich in Sherlocks Miene und er schloss kurz die Augen, dann sprach er ungerührt weiter.
    „Aber auch in Langley* und Washington begriffen man langsam, dass man sich übernommen hatte. Sie hatten die Büchse der Pandora geöffnet. Oder wie Goethe* es so passend in seinem Zauberlehrling beschrieb:Die Geister die ich rief, werd ich nun nicht los! Wenn alles gut gegangen wäre, hätten sie Mycroft aus ihrer Erpressung entlassen und sich darauf eingelassen, einen anderen gangbaren Weg zu finden. Vielleicht wäre es uns sogar gelungen, Moran sosehr in die Enge zu treiben, dass er von alleine gegangen wäre. Er stellt nämlich mittlerweile für Washington nicht mehr unbedingt eine wichtige Galionsfigur, als eher ein Problem da.
    Alle Raubtiere sind ausgerottet oder willig an der Leine, der Großwildjäger könnte sich nun, aus purer Langeweile, gegen seine eigenen Herren wenden.“

    „Und Mycroft hat zuvor Ihrem Plan zugestimmt.“

    „Nein, hat er nicht.“

    „Hat er nicht?“ John stutzte verwirrt. Und erneut zog ein Bild vor seinem inneren Auge auf. Das Bild eines unruhig im Labor wartenden Sherlock. Er begriff das Sherlock dort auf Mycrofts Antwort gelauert hatte, eine Antwort die bis dato nicht erfolgt war.

    „Das Handy! Das Handy um das er die ganze Zeit so ein Theater macht. Irene Adlers Smartphone. Nur er konnte es freischalten und er hat Sie darüber angerufen bevor Sie auf das Dach gingen. Sie haben sich dort oben mit Moriarty getroffen...“

    „Ich habe mich dort oben mit Moriarty getroffen, richtig, aber ich hatte zuvor keine Antwort erhalten.“

    „Sie haben also auf ein Signal gewartet, als wir uns beide damals im Labor des Barts trafen...und haben keines erhalten.“ Johns reagierte mit einem schmerzlichen Seufzen. Sherlock schwieg und beobachtet ihn konzentriert, gab John aber den Freiraum sich langsam selbst durch den Dschungel seiner verwirrten Gedanken und Erkenntnisse zu kämpfen.

    Nach einer Weile schüttelte John den Kopf. „Aber warum hat dann Mycroft so verzweifelt nach diesem Handy als Beweisstück gesucht?“, fragte er schließlich. „Mir gegenüber hat er behauptet, dass er Sie kontaktierte, später dann mich, weil Sie nicht antworteten...aber zuerst Sie.“

    „John, die Antwort kam, spät, aber sie kam... Oben auf dem Dach. Und wie Sie gut deduziert haben, war Irene Adlers Handy die einzige Möglichkeit einer nicht sofort ortbaren Kontaktaufnahme zu mir, die zudem, keiner großen Kommunikation bedurfte. Nur Mycroft war in der Lage das Handy zu aktivieren* um eine Nachricht zu verschicken. Und Mycroft würde soetwas nur tun, wenn es einen Deal geben würde.“

    „Und er kam zu spät.“ Johns Inneres war von Stolz geschwellt das Sherlock ihm eine ordnungsgemäße Deduktion zugestand. Diese Höchstform gedachte er unbedingt beizubehalten. Doch gleichzeitig begriff er Stück für Stück, was eigentlich dort oben auf dem Dach geschehen war. Welches verzweifeltes Ringen dort zwischen Moriarty und Sherlock stattgefunden hatte, der Kampf um ihrer beider Leben und Überleben. Sherlock hatte leben wollen, er hatte gehofft, dass er diesen Weg nicht beschreiten musste. Der Weg, der nicht nur sich selbst, sondern auch all denen, die ihm wichtig waren, nur Schmerz und Opfer bescherte. Er hatte zuvor mit allen Mitteln dagegen gekämpft, nur um an Mycrofts Verspätung zu scheitern.
    „Aber“ begehrte John trotzig auf. „Sie hätten das Angebot erneuern können. Länger warten können. Moriarty, Sie hatten ihn doch da oben. Es bestand doch überhaupt kein Grund...“

    Eine Veränderung in Sherlocks Gesicht erstickte Johns trotziges Aufbegehren. Für einen Augenblick fiel ein Schatten darüber, und ein kurzer heftiger Kampf spiegelte so etwas wie emotionale Aufruhr und sein Ankämpfen dagegen wieder, bevor er sich scheinbar in das Unvermeidbare ergab. Seine Züge nahmen erneut die übliche Ruhe an, doch seine Augen vermieden den direkten Kontakt zu Johns Gesicht und fokussierten sich irgendwo an einem der großen Routenmustern der Wandtapeten und seine Lippen pressten sich kurz hart aufeinander, bevor er antwortete.
    „John, ein Mensch wie ich, jemand, der dieser Arbeit nachgeht schafft sich zwangsläufig Feinde. Von daher sollte ich wissen, dass es ratsamer ist, solchen Feinden keine Angriffsflächen zu bieten. Man kann alles tun, nur sollte man eines vermeiden. Man darf sich niemals erpressbar machen. In einem Leben wie meinem, darf nur der Verstand zählen, jede Sentimentalität schwächt, macht verletzlich...macht erpressbar.“

    „Sherlock, wenn jemand eine vollkommene Logikmaschine abgibt, dann sind Sie das doch wohl. Wenn, dann übertrifft wohl nur noch ihr Bruder Sie an abgebrühter Gefühlslosigkeit und...“

    Ein zynisches Auflachen von Sherlocks Lippen liess John verstummen.
    „Wirklich? So sehen Sie mich? Ja Sie haben Recht, so sollte ich sein. Ich habe Ihnen einmal gesagt, ich hätte keine Freunde und genau das, wäre auch das Beste für mich gewesen. Ich bin viele Jahre ganz gut ohne Freundschaften ausgekommen. Nur sieht heute die Wahrheit ein ganz klein wenig anders für mich aus. Es sollte diese Tatsache, wenn alles richtig wäre, nicht geben, aber es gibt nun einmal auch in meinem Leben Menschen, die mir wichtig sind. Menschen über die ich erpressbar werde.“

    John schluckte hart, doch blieb ihm keine Zeit Sherlocks Worte zu verarbeiten, völlig ungerührt fuhr dieser bereits fort.
    „Mir war dieses durchaus bewusst, John. Nur glaubte ich zum einem, dass erwachsene und selbstentscheidende Menschen wie Sie zum Beispiel, in der Lage sind mit der Gefahr umzugehen, der sie durch mich ausgesetzt werden. Zum anderen hielt ich mich für gewieft genug, jedem Kriminellen, der eine Erpressung als Waffe benutzen könnte, vorher das Handwerk zu legen. Völlige soziale Isolierung wäre der bessere Weg für mich gewesen, doch wir wissen beide, dass mir das nur bedingt möglich ist. Selbst ich besitze also eine erpressbare Angriffsfläche, eine Schwäche. Mycroft fiel es mit Sicherheit schwer mich zu opfern, aber er konnte es. Er wusste das Mitgefühl keinen Vorteil erbringt. Eine schlichte Tatsache, die sich mir bisher nur teilweise verinnerlicht hat.“

    Johns Mund öffnete sich und schloss sich wieder. Er kämpfte mit dem eben erfahrenen, kämpfte mit dem Begreifen, kämpfte damit was er sagen sollte, wie er es sagen sollte. Er räusperte sich, setzte erneut zum Sprechen an, atmete hörbar durch und entschloss sich dann endlich zur Direktheit.
    „Womit wurden Sie erpresst?“, fragte er vorsichtig, obwohl sich die Antwort bereits in sein Denken brannte.

    „Mit Ihrem Leben, dem von Mrs Hudson und Lestrade. Moriarty hatte Killer auf sie drei angesetzt um mich damit in den Selbstmord zu zwingen. Das war sein Deal. Mein Leben für...“

    John schluckte entsetzt. Er begriff, dass er wiedereinmal viel zu naiv gedacht hatte. Es war um weit mehr gegangen als nur darum Sherlocks Weiterleben zu erzwingen. Um Johns Leben und das der anderen, um ihrer aller Sicherheit hatte Sherlock damals gekämpft. Und auch als er danach John und sie alle getäuscht, sie nicht eingeweiht, sie emotional betrogen hatte, war es nicht nur darum gegangen Sherlocks Deckung und sein Projekt zu schützen, es ging darum sie nicht erneut zu gefährden. Darum, Sherlock nicht erneut über die Gefährdung ihres Leben erpressbar zu machen. Scham breitete sich in ihm aus, das er seinen Freund ob dessen Täuschung so hart angegangen war. Er begriff, dass er sich in Sherlock entschieden geirrt hatte, dass dieser, auch wenn er sich dies selbst gegenüber wohl am härtesten leugnete, durchaus zu Gefühlen fähig war und dass die Freundschaften, die er als solche für sich zuließ durchaus über praktische Zweckbündnisse hinausgingen. Weder er, John, noch Mrs Hudson waren nur dafür da, Sherlocks Leben erträglich zu gestalten und Lästigkeiten von ihm fernzuhalten, oder ihm wie in Lestrades Falle, die nötige Plattform für seine Entfaltung zu geben. Auf seine besondere Art zu empfinden, mussten sie für Sherlock so etwas wie eine wirkliche Familie darstellen, für ihn sogar wichtiger sein als Selbsterhaltungstrieb und die Sucht nach Sieg und Größe. Denn wenn dieses nicht so gewesen wäre, hätte Moriartys Erpressung ins Leere gezielt. Das, was dort oben auf dem Dach verhandelt worden war, war zu wichtig gewesen, als dass man es von Sentimentalitäten hätte beeinflussbar machen dürfen. Und doch hatte Sherlock es getan. Er hatte nicht weiter gewartet, ob sein Deal mit Moran doch noch das Ruder herrumgerissen hätte, er war bereit sich von Moriarty schlagen und verbrennen zu lassen, um seiner Freunde willen.
    John senkte berührt den Kopf. All seine vormalige Wut auf Sherlock hatten sich zu einem einzigen Wunsch verflüchtig, ein beidseitiges Verzeihen und damit eine Basis für einen Neuanfang zu finden.
    Doch bevor es John gelang ein Zeichen zu setzen, entzog ihm Sherlocks ruhiges Weitersprechen die Grundlage dafür. John begriff, dass es sein Wunsch war diese Dinge vorerst ruhen zu lassen und die Fortsetzung seines Berichtes über alles andere zu deckeln.
    „Aber Mycrofts Angebot kam letztendlich doch noch“, fuhr Sherlock fort und sein Freund glaubte Bitternis aus ihm zu hören. „Nur leider beging ich einen unverzeihlichen Fehler. Ich habe zugelassen das Moriarty es begriff.“

    „Sherlock“, stöhnte John verstehend. „Verflucht. Ihre elende Angeberei – Sie können es einfach nicht abstellen...“

    „Schuldig im Sinne der Anklage. Eigentlich ging es mehr darum, Moriarty ein Friedensangebot zu machen damit er seine Killer abzieht.“

    „Ein Friedensangebot an Moriarty, Sherlock, entschuldigen Sie, aber Sie sind ein verdammter Idiot“, fluchte John. „Sind Sie irre? Ich hab das schon öfter bei Ihnen gesehen. Sie denken doch allen Ernstes es gäbe immer irgendwo die Möglichkeit noch jemandem zu verzeihen, jemanden zu ändern. Solche Leute wie Moriarty ändert man doch nicht. Das mag ja sogar bei Irene geklappt haben, aber bei Moriarty.“

    „Ja, John, Sie haben vollkommen Recht. Trotzdem irren Sie sich. Es klappt eigentlich erstaunlich oft. Bei Moriarty war meine Überlegung aber eine andere. Sagen wir, es war mein Wunsch ihn wissen zu lassen, dass ich das Gesamtspiel durchschaut hatte, um somit an alles heranzukommen. Und was Irene betrifft bin ich mir über Ihr Urteil, ob ihrer Wandlungsfähigkeit auch nicht wirklich sicher, John.“

    John fuhr erstaunt hoch, doch Sherlock war nicht bereit sich unterbrechen zu lassen.
    „Egal, es ist fehlgeschlagen und Moriarty hat sich dort oben erschossen und mir damit jede Möglichkeit genommen, Moran auf meine Seite zu holen. Wenn ich noch irgendetwas retten wollte, wenn ich wollte, dass die Sache weiterging, wenn ich vor allem Sie retten wollte, dann gab es nur noch die Möglichkeit den Eindruck zu vermitteln, dass mich Morans Angebot nicht mehr rechtzeitig erreichte, oder ich es nicht mehr bemerkte. Dass Moriarty sein Spiel bereits gewonnen hatte. Dass er es war der lebte. Er es war, der mich in den Tod trieb. Moriarty musste weiterleben, gleichgültig der Tatsache, dass er sich gerade vor meinen Augen das Hirn wegepustet hatte. In den Augen seiner Förderer musste er mich in den Tod, in den Selbstmord gezwungen haben und nicht umgekehrt. Das letzte Problem! Und damit Ende der Geschichte.“

    „Nein, nein, nein. Nicht so schnell.“ Auch John war es gelungen seine Emotionalität einzudämmen und sich nur auf die reinen Fakten und deren Aufklärung zu konzentrieren. „Sie haben mich noch angerufen.“

    „Nun John, Sie hätten gar nicht dort sein sollen.* Niemand hat mit Ihrer Rückkehr gerechnet. Dann wäre auch alles nicht so schlimm gewesen. Aber...nun ja, Loyalität gehört ebenfalls zu ihren besonderen Eigenschaften. Meine Helfershelfer hatten mit einer solchen oder einer ähnlichen Möglichkeit gerechnet und ich kann Ihnen versichern, dass diese Leute nicht gerade zimperliche Umgangsmethoden besitzen. Wenn Sie auch nur einen Schritt weitergegangen wären und womöglich die Vorbereitungen gesehen oder kapiert hätten, was wir vorhatten... Wenn Sie durch Ihre Reaktion, durch Ihre Überraschung unseren ganzen Plan verraten hätten...“

    „Was dann?“

    „Nun, ein Scharfschütze stand bereit um Unvorhergesehenes zu verhindern. Nur durch unser Telefonat konnte ich Sie aus der Gefahrenzone heraushalten.“

    „Gehen Sie wieder dahin zurück, wo Sie gerade ausgestiegen sind. Tun Sie einfach, was ich verlange. Bitte...“ , wieder glaubte John für einen Augenblick mit dem Telefon in der Hand über die kleine Straße zum Hauptgebäude des Barts zu eilen. „Nein, bleiben Sie genau wo sie sind! Gehen Sie da nicht weg!“ - so eindringlich, fast ängstlich hatte Sherlocks Stimme damals geklungen. So verzweifelt bittend... Jede weitere Bewegung, jeder falsche Schritt wäre sein Todesurteil gewesen.
    „Nett. Wirklich nette Leute kennen Sie da. Irenes Bekannte?“

    „Einige. Norton haben Sie ja bereits kennengelernt. Er war der Scharfschütze. Er ist Irenes ganz besonderer Dobermann, ihr Bodyguard. Der Fahrradfahrer und einige der anderen, die sie dort gesehen haben, waren Leute die mir einen Gefallen schuldeten. Ich habe eigentlich nicht vorgehabt diese einmal in Anspruch zu nehmen, aber es blieb mir leider keine Wahl.“

    „Obdachlosennetzwerk?“

    „Auch, aber nicht nur. John, Sie sagten vorhin, Sie haben mich durchaus schon dabei beobachtet...“

    „Wobei?“ Sherlocks Freund runzelte die Stirn und schlug sich dann erkennend vor die selbige. „Sie haben Kontakte zu solchen Leuten. So haben Sie das mit Irene damals geschaukelt. Mycroft hatte gedacht, Sie müssten persönlich vor Ort sein. Wo war das noch mal? Afghanistan, Pakistan, oder so? Irgendwo in diesem Niemandsland. Aber das brauchten Sie gar nicht. Sie mussten gar nicht selbst in Erscheinung treten.“*

    „Nur ein paar Fäden ziehen, John. Ein paar Mails, Anrufe... Wenn alle glauben nur Moriarty besaß Verbindungen und ein gut funktionierendes Netz, dann irren sie sich. Und was diese Sorte Leuten betrifft. Sie sind nicht immer wirklich schlecht. Oftmals sind sie Getriebene, in Notlagen Ausgenutzte, oftmals verzweifelt Reuige. Soo Lin*, erinnern Sie sich noch an Sie, John? Sie und auch ihr Bruder waren doch in Wirklichkeit nur Opfer. Nicht immer ist es der bessere Weg einen Verbrecher der Justiz zu überlassen. Wir denken mit der Strafe ist dem Gesetz Genüge getan, unsere gesellschaftliche Rache sei gerecht, doch oftmals verschlimmern wir das Problem damit nur noch. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin der Letzte, der einen kaltblütigen Mörder, einem niederen Verbrecher nicht lebenslänglich oder Schlimmeres verschaffen würde, aber es gibt Menschen die eine zweite Chance verdienen, wenn es Anzeichen gibt, das sie diese auch wahrnehmen, oder sonst erst Recht zu einer Gefahr für die Allgemeinheit erwachsen würden.“*

    „Sie haben Kontakt zu Terroristen?“, stotterte John etwas fassungslos.

    „Gelegentlich. Einige sind bereits ausgestiegen, andere werden es irgendwann, doch bis es soweit ist, sind sie bereit für mich zu arbeiten. Das ist meiner Meinung nach ein gangbarerer Weg als den, welchen man mit dem Moriartyprojekt erzielen wollte. Vielleicht dauert es länger, aber.... Wie dem auch sei, ich maße mir damit eine eigene Moral an und ich will nicht behaupten, das ich immer weiß, ob die Sache auch wirklich funktioniert. Deswegen nehme ich solche Leute eigentlich auch nie in Anspruch oder wenn, nur im äußersten Notfall. Und die, die Sie im Barts gesehen haben, waren nicht unbedingt vom Schwerverbrecherkaliber, sondern eher gestrauchelte Existenzen.

    „Gestrauchelt?“

    „Ein Notarzt dem ein Kunstfehler unterlief, ein Pathologe der Entscheidendes übersah und damit eine weitere Straftat begünstigte....“

    „Und Norton?“

    „Ein gehorsamer Soldat, so wie Sie einst. Ein Scharfschütze der CIA. Erinnern Sie sich an den Connie Price Fall?* Die alte Frau die leider begann ihren Geiselnehmer zu beschreiben?
    Moriarty hat Sie erschießen lassen und zwölf unbeteiligte Menschen wurden bei der dadurch ausgelösten Explosion mit in den Tod gerissen. Norton war der Schütze, der den Befehl ausführte.“

    „Oh Gott.“

    „Er tat nur das, wozu man ihn beauftragt hatte. Er sollte keine Fragen stellen und Moriartys Befehle ausführen. Hat ihn letztendlich seinen Job, seine Pensionsansprüche und seine Seelenruhe gekostet. Er ist eine sehr einfach gestrickte Natur, mit einem etwas nervösen Abzugsfinger. Irgendwann hätte es ihn wohl auch sein Leben gekostet – solche Leute behält man nicht gern als unliebsame Zeugen. Deswegen hat er sich und seine Fähigkeiten später Irene zur Verfügung gestellt und ist mit untergetaucht. Wie schon gesagt, er ist ein schlichter Typ, der keine großen Fragen stellt und es liebt, klaren Anweisungen zu folgen. Irene empfand ihn damals als idealen Schutz, sowohl vor Moriartys Nachstellungen als auch vor Mycroft. Während ich selbst untergetaucht war, benötigte ich ab und zu Irenes Verbindungen und ein gehorsamer Handlanger wie Norton besitzt eine gewisse Nützlichkeit. Er konnte sich in der Öffentlichkeit aufhalten. Wir nicht. Man braucht Quartiere, Fahrzeuge, Technik, Informationen. Und wenn ich möglichst lange den Eindruck vermitteln wollte, das Moriarty noch am Leben war, musste ich tunlichst vermeiden meine eigenen Quellen zu verwenden. Es ging vor allem darum Moran so lange wie möglich zu täuschen und das war nur möglich, wenn sich Mycrofts beginnender Misstrauen nicht noch verstärkte. Niemand kennt mich besser als Mycroft. Jeden meiner ihm bekannten Schlupfwinkel* liess er überwachen. Somit war ich absolut auf Irenes und Nortons Unterstützung angewiesen.“

    John lächelte deutlich süffisant in sich hinein. Sherlock bemerkte es aus dem Augenwinkel heraus und seine Brauen zogen sich zusammen, während sich über seiner Nase fragende Falten bildeten.
    „Waas!?“

    „Oh nichts, nichts. Wenn ich so an heute Mittag denke...Irene war mächtig engagiert was Sie anging.... Und da fragt man sich...“

    „Sie haben zu viel Phantasie, John!“

    „Habe ich das? Sie sagen selbst, das Sie in all der Zeit mit ihr zusammenlebten.“

    „Ich sagte, dass ich auf Ihre Unterstützung angewiesen war. Von Zusammenleben war nicht die Rede. Sie unterschätzen meine Beziehung zu Irene Adler bei weitem und Sie unterschätzen mit Sicherheit die Form unseres gegenseitigen Arrangements. Auf jeden Fall aber liegen Sie völlig falsch was meine Meinung über sie betrifft, aber das klären wir nicht jetzt. Belassen wir es einfach dabei, dass ich ihr für ihre Hilfe dankbar bin.“

    John grinste breit und seine runden Augen blitzten frech. Für einen rebellischen Augenblick dachte er über den Wunsch nach, Sherlock, was diese Sache betraf, nicht einfach so davon kommen zu lassen, doch dann beschloss er sich geduldig zu geben und lenkte einsichtig vom Thema ab.
    „Was wurde aus Moriarty?“

    „Aus seiner Leiche, meinen Sie. Nun, hat meinen Helfern etwas Mühe bereitet die Riesensauerei auf dem Dach zu beseitigen. Schliesslich mussten wir recht gründlich vorgehen. Man konnte ja nie wissen, wie intensiv die Nachermittlungen um meinen Tod ausfallen würden. Für die Leiche fand sich später dann noch eine passende Verwendung. Gut das Mycroft ein früheres Testament von mir in Händen hielt, in dem ich auf einer Urnenbestattung bestand. Kein DNA-Nachweis oder eventuelle Exhumierungen mehr möglich.“

    „Moriartys Asche liegt in Ihrem Grab?“

    Sherlock grinste sardonisch. „Hätte ihn bestimmt sehr gefreut, meinen Sie nicht?“

    Johns Kopf schwirrte. Sie saßen jetzt hier seit zwei Stunden und all die Fakten und Informationen wurden über ihm ausgeschüttet, doch sein überbeanspruchtes Gehirn verweigerte langsam aber sicher seine Dienste. Nichts in seinem Zusammenleben mit Sherlocks war John jemals schlicht erschienen, allerdings überforderte dies alles nun deutlich seine Kapazität. Und auch die erstaunlichen neuen moralischen Offenbarungen seines Freundes verlangten John Zeit ab um sie akzeptieren zu können. Jedoch haftete der Logik und dem Verhalten seines Freundes tiefe Wahrhaftigkeit an und John kam nicht umhin seine Moral zu bewundern. Denn John wurde deutlich klar, wieviel verstecktes Mitgefühl gerade dadurch, doch in dieser oft so grob und rücksichtslos daher kommenden egoistischen Denkmaschine schlummerte.

    „Ich glaube, bevor wir weitermachen brauche ich ein Aspirin und einen Brandy.“

    „Ein Bier, nicht mehr. Ihr klarer Kopf wird heute noch benötigt.“

    „Ein klarer Kopf?“, er juchzte spöttisch auf. „Mein Hirn ist Pampe, nach dem allen hier. Was Sie mir erzählt haben, bekomme ich noch in hundert Jahren nicht wirklich auf die Reihe.“
    Er stiefelte in die anliegende Küche zum Kühlschrank und schnappte sich die ihm zugestandene Flasche. „Auch eins...“

    Die Tür wurde aufgerissen und Sherlock einer Antwort enthoben. Mycroft stürmte mit klatschnassem Mantel herein, seinen sonst mit seiner Armbeuge verwachsenen Schirm, musste er wohl irgendwo verlegt haben. Selten hatte John den sonst so distinguierten Mann ähnlich aufgeregt erlebt. Ohne zu fragen zerrte er sich einen weiteren Sessel in die Mitte zwischen ihnen beiden heran und warf sich aufstöhnend hinein.

    „Anstrengenden Tag gehabt, Mycroft?“ Aus Sherlocks Stimme triefte Ironie.

    „Dank dir, lieber Bruder.“

    „Mycroft, Mycroft,“ Sherlock schüttelte gespielt genervt den Kopf. „Du wirst mir die Sache noch danken. Es ist schwer für dich, all diesen uralten Ballast über Bord zu werfen. Sei zufrieden dass ich ein wenig nachgeholfen habe.“

    „Ja, und wie ich schon John gegenüber einmal erwähnte, jeder Sieg kann sich ganz schnell in eine Niederlage umwandeln. Geschlagene Feinde pflegen sich rachsüchtig zu geben. Sie erinnern sich, John?“

    „Ehm, ja aber..“

    „Wie dem auch sei, Sherlock. Hoffen wir das du recht behältst und wir nicht nur eine Schlacht, sondern auch gleich den ganzen Krieg gewinnen.“

    „Angst vor Waterloo?“*

    „Nicht wenn du mir sagst das wir noch immer für die britischen Fahnen streiten.“

    „Sei nicht albern, Mycroft. Wellington war ein eingebildeter Schwachkopf und Säufer, ohne seine Verbündeten wäre er untergegangen.“

    „Ah! Du hältst mich für einen Schwachkopf?“

    „Nein, genau so wenig wie ich mich für deinen Blücher halte... Aber du musst zugeben Mycroft, ein ganz klein wenig habe ich dich doch an der Nase herumgeführt. Dein Verstand muss ja all die Monate im Dauerstressmodus gelaufen sein. Jede Zuckung von Moriarty muss dich in Zweifel gestürzt haben und trotzdem weigertest du dich, es wahrzuhaben.“

    „Ich wusste es, Sherlock.“

    „Mycroft, ach bitte. Du vergisst, dass ich dich genauso beobachtet habe, wie du zuvor stets mich. Ich kenne dich Bruderherz, schon vergessen?“ Sherlocks Augen hielten die von Mycroft fixiert wie ein Schlangenjäger angesichts einer aufgebrachten Kobra, doch wirkte sein sonstiges Erscheinungsbild erstaunlich entspannt für jemanden, der hier gerade eine Verhandlung zwischen Kain und Abel führte. Doch plötzlich richtete Sherlock sich tatkräftig auf und machte eine wegwerfende Handbewegung.
    „Vergessen wir das Mycroft. Ich verstehe deine Beweggründe, dass habe ich dir schon heute Mittag mitgeteilt. Du wolltest Grossbritanniens Souveränität schützen, das Leben einzelner ist dafür ein vertretbarer Preis.“

    „Du willst sagen, du hättest genauso entschieden, wenn unsere Rollen vertauscht gewesen wären?“

    „Nein, und den Beweis dafür habe ich dir erbracht. Du hättest dich nur von ein paar etwas unangenehmen Freunden trennen müssen. Den Justizminister, den Innenminister, den Chef vom MI5...um nur ein paar Beispiele zu nennen. Du weisst genauso gut wie ich, dass sie alles tun würden um ihren Posten zu behalten, nicht aber um dem Land zu dienen. Und ich habe meine Zeit als Moriarty ausgiebig genutzt und die nötigen Quellen aufgetan, damit du genügend Material erhältst, um dich bei deinen nachstehenden Verhandlungen den Amerikanern gegenüber in eine dominantere Position zu begeben. Es liegt nur an dir, die Chance zu nutzen. Alte Traditionen sind was Schönes, Mycroft, doch wenn sie allzusehr behindern, muss man sie radikal über Bord werfen.“

    „Die Öffentlichkeit, die Demokratie könnte möglicherweise Schaden nehmen.“

    „Du unterschätzt das ein wenig. Es werden sich Debatten darüber erheben, ob Politiker und Banker überhaupt noch so etwas wie Anstand besitzen, ihr werdet euch noch von einigen weiteren schwarzen Schafen trennen müssen. Aber die nachwachsende Generation wird gewarnt sein, es lieber doch einmal auf dem ehrlichen Wege zu versuchen, weil nun die Angst an ihnen nagt, das Unehrlichkeit eines Tages doch ans Licht kommen könnte. Es wird eine Weile dauern, bis ihr wieder das Vertrauen zurückgewonnen habt, aber die Öffentlichkeit regt sich immer ein wenig auf und vergisst dann schnell. Bald interessieren ein anständiger Wetterbericht und blühende Krokusse mehr als Kabinettsumbildungen und der Austausch diplomatischer Entschuldigungsnoten. Und sei mal ehrlich, Mycroft, das Ausheben von Bordellen und drogendealenden Rockerbanden macht pressemäßig viel mehr her als alles Geschrei im Unterhaus. Aber wenn dir das noch nicht ausreicht, kannst du ja auch deine alte liebe Freundin bitten eine kleine Teeparty für die First Lady zu arrangieren. So etwas erfreut selbst die Amerikaner ungemein.“

    „Alles, nur das nicht“, stöhnte Mycroft und stützte seine Hand an seine schüttere Stirn. Allem Anschein nach kämpfte er gegen gerade aufkommende Bilder und damit verbundene böswillige Kopfschmerzen an.

    „So!“, erklärte Sherlock und klatschte tatkräftig in die Hände. „Schön, dass wir das geklärt haben. Du lässt mich in Ruhe, du lässt all meine Freunde in Ruhe, Mycroft, und du sorgst dafür, dass all deine Freunde uns in Ruhe lassen.“

    „Gut gut..“, zelebrierte Mycroft zynisch „Und wir treffen uns alle von nun an Weihnachten bei unserer Mutter zum Essen...“

    „Oh“, flötete Sherlock mit blitzenden Augen. „Ein reizender Einfall, Mycroft, ich werde die Violine mitbringen. Was ist mit Moran, sollen wir den auch mitnehmen?“

    „Ich habe mit Washington telefoniert. Es fällt ihnen zwar etwas schwer, sich von dem alten Haudegen zu verabschieden, aber er ist schon länger etwas zu antiquiert geworden. Sie sehen es als gute Gelegenheit an, ihn loszuwerden, und die Beute die lockt ist einfach zu groß....wie du schon sagtest, Sherlock, wir alle müssen lernen etwas flexibler zu werden, wenn wir nun in diesem Kampf überleben wollen. Und Großwildjäger sind nicht mehr En Vogue.“

    „Sherlock lächelte angespannt und seine schlanken Finger begannen nervös auf den Sessellehnen ein Staccato zu trommeln, für John, der ihn bestens kannte, ein untrügliches Anzeichen, dass Sherlock eine lohnende Witterung aufgenommen hatte.

    „Weiß Moran Bescheid?“

    „Das hoffe ich doch. Ich habe mich genauestens an deine Order gehalten. Ich habe Miss Adlers Konten freigegeben und Norton rehabilitiert und dann habe ich ihr und ihrem Bodyguard einen gesicherten Abflug zu einem Ziel ihrer Wahl zur Verfügung gestellt und sie höchst persönlich zum Flughafen begleitet.“

    „Und du hast sie wissen lassen dass Washington Moran nicht länger immunisiert?“

    „Ich habe das Telefonat mit der Bestätigung dafür genau vor ihrer Nase entgegen genommen. Sie stand schon auf der Einstiegtreppe des Jets und die Motoren liefen an.“

    „Raffiniert“, Scherlock lächelte zufrieden. „Ich gehe davon aus, dass der Flug wegen des schlechten Wetters dann doch ganz plötzlich verschoben werden musste.“

    „Scheußliche Orkanfront über dem Atlantik.“

    „Gut, gut, sie hatte also ausreichend Gelegenheit danach noch ein paar Telefonate zu tätigen. Dann sollten wir uns langsam in Position begeben. Irene ist recht flink darin, sich auf neue Situationen einzustellen.“

    John blieb der Mund offen stehen und einmal mehr fragte er sich was hier wirklich gespielt wurde. Der Eindruck manifestierte sich, dass das ganze lange, verwirrende Gespräch das er mit Sherlock durchgestanden hatte, nur der Auftakt für noch mehr Verwirrungen und Schmerz sein könnten. „Sherlock wollen Sie damit sagen, dass Irene...“

    „John, ich bitte Sie, verwundert Sie das wirklich?“

    „Ich weiss nicht, sagen Sie es mir, Sherlock? Ja, ich glaube schon. Ich war davon überzeugt, das Irene in der Lage ist, mehr zu sein, als nur eine raffinierte Intrigantin. Und ich habe geglaubt, dass Sie irgendwie der gleichen Meinung sind. Sie verdanken ihr Ihr Leben...“

    „Quid pro quo.“*

    „Sie hat Ihr Geheimnis bewahrt.“

    „Auch darin sind wir quitt und zudem bin ich mir sicher dass sie dies vor allem tat um ihr Geheimnis zu wahren.“

    John dachte an eine Zeit zurück, als er geglaubt hatte Sherlock vor Irenes Betrug schützen zu müssen. Nun fragte er sich einmal mehr, wie sehr die beiden sich möglicherweise in Wirklichkeit glichen. Wer hier eigentlich wen betrog, und wieviel Freude sie beide, allem Anschein nach, trotzdem dabei und daran empfanden. Wenn von Sherlock Seite her die Rede auf Irene kam, schien die Luft förmlich zu knistern, seine Körper sich zu spannen, seine Augen zu leuchten, und ihr Esprit ihn deutlich zu ergötzen. Doch gleichzeitig schien er die Aussicht darauf, sie erneut zu schlagen geradezu herbeizufiebern.

    „Sie hat Sie noch vor wenigen Stunden flammend vor Mycroft verteidigt“, brachte John das letzte verbliebene Argument zu ihrer Verteidigung.

    „Großartig, nicht wahr?“ , Sherlocks Augen blitzten in offener Anerkennung. „Die große Sarah Bernardt* wäre vor Neid erblasst. Was glauben Sie denn, warum ich ihr diesen Auftritt zugestanden habe?“

    „ Sie sollte glauben, dass Sie ihr rückhaltlos vertrauen.“,stöhnte John resigniert.„Oh Gott!“

    „John, Sie sind wie immer zu gut für dieses Spiel. Aber nichts desto trotz würde es mich freuen, wenn Sie bei diesem Akt nun wieder mit dabei wären.“ Nervös sprang er auf und zitternde Hyperaktivität bemächtigte sich seiner. Seine bleichen Wangen spannten sich und die Nasenflügel bebten. „Begleiten Sie mich?“

    „Hab ich eine Wahl?“, seufzte der Gefragte auf und als er ebenso die wilde Angespanntheit bemerkte, die seinen Körper bei Sherlocks Aufforderung automatisch erfasst hatte, wurde er sich sofort über die Albernheit seiner Bemerkung klar.

    „Immer, John. Aber ich kenne Sie, das hier hat Ihnen gefehlt, neun lange Monate lang...“

    „Verdammt, warum müssen Sie nur immer so unverschämt Recht haben.“

    Sherlock grinste triumphierend. „Gut, John, gut. Es wird Zeit für uns zu gehen Das Spiel beginnt.
    Für dich, Mycroft“, wandte er sich an seinen Bruder, „hätte ich auch noch einen kleinen Part.“

    Mycroft verdrehte stöhnend die Augen. „Ich kann ihn mir bereits denken.“

    „Hervorragend, sei leise wenn du hochgehst, Mrs Hudson sollte nicht unnötig beunruhigt werden. Oder ist sie bereits zu ihrer Schwester abgereist? “

    „Heute Nachmittag“, erklärte John.

    „Umso besser.“Sherlock warf einen spähenden Blick zu den Straßenfenstern hinter denen sich langsam die Dunkelheit ausbreitete. „Die Lichtverhältnisse sind phantastisch. Aber lass die Vorhänge geschlossen, Mycroft. Soweit ich weiss, findest du einen passenden Mantel oben in meinem Schrank.“

    „Voller Blut und Dreck.“

    „Nein, Mrs Hudson Fürsorge verschont dich davor. Du wirst nichts zu bemängeln haben. Und jetzt gib dir Mühe, Mycroft. Genieße den Spaß, einmal in deinem Leben in meiner Haut stecken zu dürfen. Sei ein überzeugender Sherlock Holmes.“

    Ergeben seufzte Mycroft und zog die Brauen bis zur Stirn. „Immer diesen Hang zur Dramatik, wirklich, Sherlock etwas mehr Ausgeglichenheit würde dir sehr gut tun.“ Mycroft wandte sich gehorsam zur Tür und schon eine Minute später vernahm John seine gleichmäßigen Schritte über ihnen herumwandern.

    Sherlock stürmte in den oberen Flur, angelte nach Johns Jacke und warf sie ihm zu. „Kommen Sie John. Und vergessen Sie ihre Waffe nicht. Das Wild ist auf!“

    „Und wir jagen jetzt bitteschön was? Irene oder Moran?“

    „Nein“, Sherlocks Augen loderten in wilder Gefährlichkeit auf. „Das ist nur unser Köder. Wir jagen Moriarty.“

    „Was!?“, John schnellte zurück und sein Gesicht erstarrte zu einer einzigen verstörten Frage. „Aber der ist doch tot.“

    „Ja, natürlich ist er das. Jim Moriarty ist tot, nicht aber der Professor. Wir, jagen den Professor!“


    ***





    Großwildjäger
    – bei Doyle geht Moran diesem „Freizeitvergnügen“ sehr leidenschaftlich nach

    das Wie – meiner Meinung nach stellte Sherlock über Molly eine Verbindung und sein Angebot für einen Deal her, solange ich dafür aber keinen eindeutigen Beweis habe und ich mir über die Rolle unserer lieben, ach so naiven Miss Hooper – wer's glaubt wird selig – nicht im klaren bin, bleibt diese Vermutung, als auch ein direkter Part Mollys, raus aus meinen FFs. Molly stellt wahrscheinlich schon seit Jahren die Verbindungsstelle da, mit der Informationen über Sherlocks Tun weitergeleitet werden. Fraglich ist an wen? Theoretisch kommen dafür sowohl Mycroft, als auch die CIA oder andere noch nicht erwähnte Geheimdienste, oder Moriarty in Frage. Aber auch ein Bündnis Mollys mit Irene Adler erscheint nicht völlig abwegig, ist es Molly doch, die mit hilft Sherlock über Irenes Tod zu täuschen.Genauso wäre möglich, dass sich Sherlock zwar Irenes Hilfe beim faken seines Todes bedient, ihr aber gleichzeitig soweit misstraut, dass er sich über Mollys Hilfe dagegen absichert. Wie gesagt Molly scheint noch für einige Überraschungen gut, möglicherweise nicht nur positive.

    Langley - HQ der CIA

    Goethe – in 'Zeichen der Vier' outet sich Holmes als Fan deutscher Klassiker, die er, wie im Falle Jean Paul Richters http://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Paul , auf deutsch liest und im Falle Goethes auch deutsch zitiert. Er scheint ein großer Verehrer Goethes zu sein und auch in der Serie ziert eine Goethebüste Sherlocks Schlafzimmer und werden Andeutungen gemacht, dass er der deutschen Sprache mächtig ist. Auch in dem von den Machern so verehrten und viel zitierten Films 'Das Privatleben des Sherlock Holmes' ist er des Deutschen mächtig, ein Umstand der hier, wie auch in der Serie durch den Synchron zerstört werden.

    Irenes Adlers Handy Aktivierung - meiner persönlichen Meinung nach, stammt das Piepsignal das Sherlock kurz vor seinem geplantem ersten Sprungversuch erhält und das ihn triumphierend diesen abbrechen lässt, von Irene Adlers Handy. Es handelt sich um eine kurzen schnarrenden Piepton und während alle anderen Handys in der Serie ein helles Klangspektrum aufweisen, schnarrt ihr Handy deutlich bei seiner Aktivierung. Sowohl Festplatte als auch Akku und Chipkarte des Handys waren durch Sprengstoffverdrahtungen blockiert, so dass es noch immer voll funktionstüchtig sein muss. Zuvor konnte man damit nicht mehr telefonieren, da Irene alle Ablenkmanöver, die zu seiner Ortung hätten führen können, ausgestalten hatte. Danach erhielt es Mycroft, der es leerräumte und mit Sicherheit auf Werkseinstellung zurücksetzte. Somit ist es wieder telefonierfähig. Sherlock braucht nichts weiter zu tun, als es aufzuladen, einzuschalten und abwarten ob irgendein Anbieter es wiederum zur Netzbenutzung freigibt. Und eine solche Freischaltung kann meiner Meinung nach nur einer diskret vornehmen - Mycroft

    Johns Wegholung vor Sherlocks Gang auf das Dach – John wird in der Serie völlig canongerecht weggerufen. Bei Doyle tut das angeblich Moriarty, in dem er einen Boten schickt, der John ins Hotel zurückbittet um einer sterbenden Engländerin beizustehen. In der Serie wird aus dem Brief ein Anruf und die sterbende Engländerin bekommt die Identität von Mrs Hudson
    Ich besitze die Frechheit, den Canon soweit zu verändern, das ich John nicht in Moriartys, sondern in Sherlocks Auftrag wegschicken lasse, weil mir nicht verständlich wird, warum Moriarty so etwas getan haben sollte. Wenn er John weghaben wollte und gleichzeitig seine Schützen ausliefern wollte, wäre eine Vorortlassung, bei gleichzeitigen Befehl an Sherlock, lass John wo er ist, die bessere Lösung. Allerdings scheint John für Moriarty in diesem Augenblick nicht interessant, als wisse er doch, das dieser sich gerade auf den Weg in die Baker Street mache. Somit ist dies also nicht weiter als eine heikle Spekulation von mir, mit der ich mich sehr aufs Glatteis begebe

    persönliche Anwesenheit bei Irenes Befreiung – da Mycroft so sehr davon überzeugt ist, dass Sherlock nicht da gewesen sein kann, denke ich mir das Sherlocks gezeigte „Erinnerungen“ nur ein abenteuerlicher Tagtraum seiner Piratenphantasie sind und kein Flash-back, außerdem ist mir diese Bild einfach zu kitschig, als das er einem Sherlock würdig erscheint – als Traum gestehe ich ihm dieses gerne zu – auch ein Logiker wie er darf sich durchaus ein wenig trivialen Phantasien hingeben, aber in Wirklichkeit denke ich eher an die Nutzung guter Verbindungen als einen direkten Einsatz als Laurenc von Arabien oder Scarlet Pimpernel – auch wenn beide in den Hintergrundinformationen der Macher zu der Szene direkt erwähnt werden


    Soo Lin und ihr Bruder
    – im 'Blinden Bänker' (1 / 2) ein Geschwisterpaar das von der Drogenkartell Schwarzer Lotus mißbraucht wurde, während Soo Lin den Ausstieg versucht, wird ihr Bruder in der Organisation zum Handlanger und Killer


    Connie Price Fall
    – in 'das große Spiel' erhält Sherlock die Aufgabe Mordfälle innerhalb einer gesetzten Pflicht zu lösen, gelingt es ihm nicht werden Unschuldige, die mit Sprengstoff ausgestattet wurden, erschossen. Im Connie Price Fall löst Sherlock den Fall zwar, aber die bedrohte Frau begeht den Fehler ihren Erpresser zu beschreiben und wird somit von einem Scharfschützen erschossen – die nachfolgende Explosion tötet 12 weitere Unschuldige


    Sherlock Holmes persönliche Vorstellung von Moral und Justiz
    – im Canon zeigt er schon früh, das er unter bestimmten Umständen nicht bereit ist, die stattliche Justiz immer als gerechte Strafe für Verbrechen zu akzeptieren. Wenn er persönlich glaubt, dass ein Mensch änderbar ist, dadurch, dass er von ihm überführt wurde, oder wenn dieser Mensch sich schon selbst genug bestraft hat und womöglich andere Familienmitglieder durch eine gesellschaftliche Strafe in Mitleidenschaft gezogen werden, verzichtet er auf Strafverfolgung, unter der Bedingung, dass keine Dritten geschädigt werden. Oftmals verachtet er die Täter zutiefst, lässt sich aber dennoch auf diese eigenständige Auslegung von Moral ein. Auch eine gewisse Selbstjustiz lässt er unter bestimmten Bedingungen gelten. Außerdem erklärt er, dass er sich nicht unbedingt zum Werkzeug der Polizei mache, wenn sie Hinweise, die zur Festnahme solcher Leute führen, übersehen, seien sie selbst daran Schuld.
    Die Macher der Serie sind solch großen Sherlock Holmes Fans, dass ich kaum glaube, dass ihnen dieser moralische Aspekt ihres Helden entgangen ist oder auf die Adaption ihres Sherlock Holmes keinen Einfluss hat


    Schlupfwinkel
    – im Canon besitzt Sherlock Holmes mehrere Ausweichquartiere und Scheinidentitäten, eine davon ist die des Basils, der später als Mäusedetektiv bei Disney Karriere machte


    Waterloo
    – in dieser Schlacht vernichteten die Alliierten England und Preußen Napoleon, Wellington und die britischen Truppe gerieten in starke Bedrängnis als unerwartet Blücher und die Preußen auf dem Schlachtfeld erschienen, Napoleon der diese für die eigenen Truppen hielt beging einen unverzeihlichen Fehler und wurde geschlagen. Da Moriarty von Doyle als der Napoleon des Verbrechens bezeichnet wird erschein mir dieser Vergleich passend

    Quid pro quo – lateinisch dieses für das

    Sarah Bernardt
    – eine der größten Schauspielerin des 19. Jahrhunderts, die als Schauspielikone schlechthin gilt
    Geändert von sethos (10.10.2012 um 17:47 Uhr) Grund: deutsche Sprache - schwere Sprache..immer diese verdammte Rechtschreibung!

  18. Danke sagten:


  19. #15
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    VIII


    Sherlock hatte den Mantelkragen hoch ins Gesicht geschlagen und sich tief darin vergraben, so dass es John unmöglich war, auch nur die geringste Regung im Gesicht seines Freundes zu erkennen.
    Hastig führte er John in der anbrechenden, regengetränkten Dunkelheit durch kleine Hinterhöfe und über eine aufgeweichte matschige Rasenfläche. Gewissenhaft wich er den ersten Krokussen aus, die sich zwischen braunem Gras mutig ihre Daseinsberechtigung erkämpften. Trotz der altbekannten Geschmeidigkeit wohnten Sherlocks Bewegungen eine gespannte Nervosität inne, die John signalisierte, dass die Jagd bereits im vollen Gange war.
    Sherlock mied, vorsichtig wie ein Phantom dahinhuschend, Straßenlaternen und guteinsehbare Plätze und das grauenvolle Regenwetter, gepaart mit dem immer geringer werdenden Tageslicht schien wie geschaffen für ein solches Verhalten. Wenn sie Häuserblöcke umrundeten, schlug ihnen ein böiger Wind klatschend große Tropfen in Gesicht und Nacken, heulend kündete er von seinem Plan, schon bald ein Sturm zu werden.
    Sherlock eilte im wilden Zickzackkurs, einem hakenschlagenden Hasen gleich, dahin. Zweimal überkletterten sie Zäune und ein weiteres Mal brach Sherlock einfach den maroden Riegel zu einem Holztor in einer Mauerumfassung auf, welches ihm den Durchgang zu einem Mülltonnen bestückten Hof freigab. Eine herabgelassene Feuerleiter verschaffte ihnen eine halsbrecherische Kletterpartie über einige glitschige Häuserdächer und ein knarrendes Baugerüst führte gleich danach wieder auf ebenen Boden hinab. Bei dem Tempo, mit dem das alles geschah, vermutete John, dass ein möglicher Verfolger schon höllisch gut sein musste, um nicht den Anschluss zu verlieren. Doch hinter ihnen blieb alles ruhig, auch als Sherlock seinen keuchend hinterherrennenden Freund völlig unerwartet in einen versteckten Seitenaufgang zog und dann minutenlang darin ausharrte, prüfend den Weg ausspähend, den sie zuvor entlang gehastet waren.
    Erst danach wagte sich Sherlock für einen kurzen Augenblick ins Licht, um mit John eine größere Straße zu überqueren. Nach dieser unvermeidbaren Blöße schlüpfte er zurück in einen dunklen Häuserdurchgang und erreichte nach wenigen Metern eine Hinterhoftür, hinter der eine düstere Stiege aus alter viktorianischer Zeit verborgen lag, einstmals Dienstboten und Lieferanten vorbehalten.
    Er erklomm die ausgetretenen Stufen und betrat mit einem zufriedenen Schnaufen den zweiten Stock. Der Flur zum großen Treppenhaus war unbeleuchtet. Putz blätterte von den Wänden, es roch feucht und modrig. An einer der, vom Flur abzweigenden,Türen zu den Mietwohnungen hing ein zerbrochenes, halb abgerissenes Amtssiegel, das verdächtig nach einem Polizeisiegel aussah. Es war genau die Tür auf die Sherlock schwungvoll zusteuerte. Er stiess sie auf und zog John in einen dahinterliegenden düsteren Raum mit hohen Sprossenfenstern, durch deren schmutzige Scheiben ein wenig bleiches Straßenlicht schimmerte. Erst als Johns Blick auf die Fenster der gegenüberliegenden Häuserfront fiel, erkannte er, dass Sherlock ihn in einem großen Bogen fast zum Ausgangsort zurückgeführt hatte und sie sich nun in dem Haus genau gegenüber der Baker Street 221 B befanden.
    Seit der schweren Gasexplosion, vor fast zwei Jahren, stand das Haus leer. Seine Fassade und seine Fensterscheiben waren notdürftig geflickt worden, aber für eine restliche Sanierung hatte es wohl bisher an Geld oder Wille gemangelt. Vereinzelt lagen noch Mauersteine und Schutt auf dem staubbedeckten Boden des Appartements und als Johns Blick erneut auf die gegenüberliegenden Fenster seiner und Sherlocks ehemaliger Wohnung fiel, begriff John auch, warum an der Tür zu dieser ein aufgebrochenes Polizeisiegel klebte. Hier musste der Raum sein, aus dem man die Baker Street 221 B seit langem beobachtete. Der Raum, aus dem Neujahr der Schuss auf ihn und Mrs Hudson abgeben worden war, der Raum, in dem man später Neilsons Leiche gefunden hatte. Der Kreis begann sich zu schließen.

    „Neilsons konspirativer Beobachtungstand?“, flüsterte John zu Sherlock, dessen Augen die andere Straßenseite beobachteten. Deutlich vermochte John die verhangenen Fenster des Wohnzimmers im zweiten Stock auszumachen. Licht blitzte da und dort durch kleine Ritzen, welche von den Vorhängen nicht restlos abgedeckt wurden und eine große, hagere Gestalt eilte als unruhige, dunkle Silhouette rastlos an der Fensterfront hin und her.
    John trat weiter vor, um besser ausmachen zu können, in wie fern die Täuschung, die Mycroft dort drüben zelebrierte, wirklich akzeptabel war.* Sein Füße stoppten, als er direkt vor der Fensterbank, die vom Staub nur leicht verdeckte Kreideumrandung einer dahingestreckten menschlichen Gestalt wahrnahm. Der Platz, an dem Neilson den Tod gefunden hatte.
    Sherlocks Hand griff energisch nach Johns Arm und zog ihn in die völlige Schwärze einer angrenzenden Küchennische. Auf dem Tisch türmten sich eingetrocknete Kaffeetassen und aufgebrochene Speisepackungen. Wohl die Überreste von Neilsons Aufenthalt. Es roch nach Verwesung und Rattenkot, Fliegenleichen übersäten Schrankflächen und Fußboden. John musste kurz gegen einen rebellischen Würgereiz ankämpfen, doch Sherlock war keine Regung anzusehen. Er angelte nach dem zerschlissenen Vorhang, der die Küchenzeile vom Rest des Appartements trennte und zog ihn halb vor den Durchgang.
    Die Dunkelheit in dem kleinen Raum wurde allumfassend und nur ein winziger, leicht hellerer Schemen des Wohnzimmers blieb erhalten. Doch als Johns Augen sich langsam an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, vermochte er trotzdem Sherlocks große Gestalt neben sich und die Umrisse der angrenzenden Küchenmöbel auszumachen. Er begriff jedoch, dass einem Neuankömmling, der aus dem Licht kam, dieser Vorteil verwehrt blieb. Sherlocks gewähltes Versteck war ebenso simpel wie effektiv.
    Angespannt wartend verharrten sie, dicht beieinander, in der Dunkelheit und als Johns Gedanken wieder langsam zur Ruhe kamen und sich zu ordnen begannen, begriff er mit welcher Selbstverständlichkeit er sich erneut von Sherlock in eines seiner Abenteuer hatte hineinziehen lassen. Noch vor kurzem war er wütend, ja unversöhnlich über Sherlocks Tun gewesen. Hatte er dessen Gefühllosigkeit ihm gegenüber als absoluten Verrat gesehen und nun auf einmal akzeptierte er nicht nur all dies, sondern stand wieder mit einer Selbstverständlichkeit neben ihm, liess einfach so zu, dass durch sein Wiedereintritt in sein Leben dessen Grundfesten erneut erschüttert, wenn nicht sogar zerstört wurden. Er stand schweigend, sich bewusst, dass sein haltender Anker soeben hinweggefetzt worden war, und es belebte ihn einfach wieder dabei zu sein. Sein Schiff wurde steuerlos in einen neuen Sturm hinausgetrieben und er genoss es. Ein stilles, in der Finsternis unerkannt bleibendes Lächeln stahl sich auf seine Lippen als ihm die Erinnerungen durch den Kopf schossen, wie dieses alles einstmals begann.
    Wollen Sie mehr davon?
    Es hatte mit Vertrauensbruch, Trauer und schmerzlichen Offenbarungen geendet, doch John begriff das seine Antwort die gleiche geblieben war.
    Unbedingt!

    „Sherlock“, zischte er dennoch rebellisch, jetzt wo ihnen das Warten erneut Zeit bescherte, nicht bereit, seinen Freund wieder so einfach davon kommen zu lassen.
    „Was genau tun wir hier?“
    John vermochte Sherlocks Gesichtszüge nicht auszumachen aber seine Körpersprache war ihm so sehr vertraut, das er anhand des Schattens Sherlocks Unwillen und Angespanntheit zu erkennen vermochte.

    „Das sagte ich Ihnen doch bereits“, knurrte er unwirsch. „Wir jagen.“

    „Ja, aber Sie haben da etwas gesagt, dass ich nicht verstehe...“

    „Wir warten hier auf Moran.“

    „Also doch Moran. Würde es Ihnen etwas ausmachen mich ein wenig über den Herrn aufzuklären?“
    „Colonel Moran leitet die Londoner CIA Aktivitäten. Ein alter, eingefleischter Hase. Seit Jahren im Geschäft. Ein persönlicher Duzfreund des alten Bushs, wie Sie wissen, dem ehemaligen CIA-Oberboss. Moran gehörte zu seinen engsten Vertrauten. In dessen Ära stieg er in Europa zum wichtigsten CIA Mann auf. Nichts ging mehr ohne ihn und nach dem 11. September nutzte er all seine Macht, um einen Geheimdienst nach dem anderen zu schlucken. Aber auch das sagte ich Ihnen schon. Alle hatten sie ab da nach seiner Pfeife zu tanzen, wenn sie überhaupt noch etwas bewegen wollten. Es gab nur noch eine Devise, entweder für oder gegen Washington, ein dazwischen wurde nicht mehr akzeptiert. Mycroft glaubte trotzdem die Kontrolle behalten zu können, Einfluss, wenn nicht sogar die Leitung übernehmen zu können. Mycroft ist überzeugt, dass ihm niemand das Wasser reichen kann und ein Moran schon gar nicht. Damit hat er bis zu einem gewissen Grad Recht. Moran ist mehr der Mann fürs Grobe, er bedarf der Lenkung eines genialen Gehirns, doch Mycroft verkannte leider ein wenig das Moran dafür nicht ihn auserkoren hatte. Sie sehen ja was diese Fehleinschätzung Mycroft nun eingebracht hat. Zum ersten Mal muss er sich wirklich einmal persönlich anstrengen und sitzt nicht gemütlich in seinem Clubsessel, während andere für ihn die Drecksarbeit erledigen.“

    „Sie meinen, weil er da drüben Sie spielt und den Köder gibt.“

    „Macht er das nicht fantastisch? Ich bin so stolz auf ihn. Haben Sie gesehen? Sogar meine Gestik bekommt er perfekt hin.“

    „Nun ja“ , John gab sich skeptisch, „Mich würde er damit wohl kaum...“

    „Ach kommen Sie John, bleiben Sie fair. Er gibt sich solche Mühe. Es ist dunkel, nur eine Silhouette und Sie müssen bedenken, einem Betrachter bleibt wenig Zeit. Er dürfte aufgeregt und weniger auf genaues Beobachten konzertiert sein. Er will es doch nur zu gerne glauben. Sehen Sie, seit Monaten wartet er auf diesen Augenblick. Er ist sich nicht sicher, ebenso wenig wie es Mycroft war, aber wenn er alle Fakten bedenkt, alle Tatsachen zu einem großen Ganzen zusammenzieht, so muss er zu dem gleichen Ergebnis gekommen sein.“

    „Dass Sie leben.“

    „Ja genau. Und seit dem er sich dessen bewusst ist, lässt er die Baker Street überwachen. Wahrscheinlich machte Neilson damals einen Fehler, er besaß eine noch etwas schlechtere Beobachtungsgabe als heute Abend erforderlich sein wird. Neilson schoss einfach auf den erstbesten Schatten der sich in der Wohnung anbot.“

    „Auf mich und Mrs Hudson.“

    „Ja tut mir leid. Wie gesagt, ich hätte gerne vermieden, dass Sie alle in die Sache auch weiterhin mit hineingezogen werden. Und das damals, wäre haarscharf schiefgegangen. Gut, das Neilson auch im Schiessen versagte. Nicht gut für ihn, aber für Sie, John. Als Neilson bewusst wurde, welchen Fehler er machte, ja als ihm klar wurde, dass Moran möglicherweise zu selbstherrlich und eigenwillig entschied, drohte er ihm wahrscheinlich damit, höhere Stellen zu informieren. Neilson war nicht gerade der Hellste, ein grober Kerl, aber, im Grund seines Killerherzens, eine geradlinige Person. Er liess sich nicht gern missbrauchen oder ausnutzen. Und er hielt nicht seinen Kopf für jemanden hin, dessen Beweggründe immer zwielichtiger wurden. Er hat Moran die gelbe Karte gezeigt, in der Meinung, dieser würde dann zurückrudern und wieder in die vorgegebenen Bahnen einschwenken...“

    „Und Moran hat ihn erledigen lassen?“

    „Nein, das hat er selbst übernommen. Einen weiteren Fehler, ausgelöst durch einen Dritten, der irgendwann nicht mehr mitmacht, konnte er sich nicht mehr leisten. Wenn man unangenehme Dinge erledigen muss, macht man so etwas alleine. Dann klappt die Sache auch.
    So auch heute. Das hier wird Moran niemand anderem überlassen, das tut er selbst. Er hat seine Leute, die Sie, John, und das Haus seit langem überwachen. Er wusste, dass Mycroft Sie heute Mittag mitnahm und er hat gesehen, wie ich zu Ihnen in die Baker Street zurückkehrte. Ihm bleibt nicht mehr allzu viel Zeit. Washington signalisierte Mycroft bereits, dass man unter bestimmten Bedingungen bereit wäre Morans Immunität aufzuheben. Moran bleibt nur noch eine letzte Möglichkeit seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Er muss den töten, von dem er fürchtet, dass er hinter das ganze Spiel gekommen ist. Er muss mich töten bevor ich bereit bin auch das letzte Puzzlestück zusammenzufügen.“

    „Welches letzte Puzzlestück?“

    Sherlock lachte bitter auf und John glaubte erneut das angespannte Zittern in seiner Gestalt auszumachen, doch in seiner Stimme schwankte böse Ironie mit.
    „Das letzte Puzzleteil von dem er nicht mehr sicher ist, ob ich es bereits habe. Eigentlich müsste ihm sein Instinkt sagen, dass dies hier ein Falle ist, dass ich unmöglich bereits im Besitz des ganzen Bildes sein kann. Aber da bleibt dieser kleine nagende Zweifel, John, die Angst, die selbst den größten Jäger angesichts seines Vergehens beschleicht. Er fürchtet, er könnte irgendetwas übersehen haben, irgendwo sich verraten haben, einen klitzekleinen Fehler gemacht haben. Und bevor sich diese Befürchtung bestätigt, erledigt er lieber das Problem, das letzte Problem, dass er im Moment hat. Ich bin sein derzeitiges, sein letztes Problem. Entweder sterbe ich oder er. Ich darf nicht überleben. Und um dieses Ziels willen, vergisst er all seine Vorsicht, geht das Risiko ein, in eine Falle zu tappen. Er glaubt, dass er brutal genug ist, um notfalls einer Falle zu entkommen. Aber die Zeit läuft. Er ist gehetzt, das macht unvorsichtig.“

    „Aber Sie sagten, dass er gar nicht Ihr eigentliches Ziel ist.“

    „Sie haben gut aufgepasst John, freut mich, dass Sie sich anscheinend in den letzten Monaten, trotz ihrer beschaulichen Bürgerlichkeit, einen gewissen Jagdinstinkt erhalten haben.“

    „Sherlock“ ,brummte John wütend. „Sie haben nichts von Ihrem besonderen Scharm verloren. Fangen Sie nicht schon wieder mit dem Stänkern an. Ich denke, Sie haben noch sehr lange eine ganze Menge wiedergutzumachen, bevor Sie mir erneut so kommen dürfen.“

    „Und Sie sind immer noch sehr empfindlich“, konterte Sherlock durch Johns aufgebrachten Tadel nicht wirklich berührt. „Aber wie gesagt, Sie haben Recht. Moran ist nicht unser eigentliches Jagdobjekt. Sagen wir, er ist die Ziege.“

    „Die Ziege?“

    „Ja, wir warten hier auf die Ankunft unserer Ziege. Und wenn wir sie haben, binden wir sie an den Baum und dann lauern wir darauf, dass der Tiger erscheint und sie sich holt.“

    „Einen Tiger?“, maulte John, sowohl wütend darüber, dass sein Einwand von Sherlock so offensichtlich übergangen wurde, als auch begreifend, wie sehr er wieder einmal überhaupt nichts verstand und sich bei den wilden Gedankensprüngen seines Freundes erneut wie ein absoluter Idiot vorkam. Was half da das Wissen, dass wohl so ziemlich jeder andere einen ähnlichen Idioten abgeben würde.
    „Bei Jurasic Park war die Ziege aber für den T-Rex bestimmt.“

    „Was, was?“ Sherlock schien völlig irritiert und John feixte hämisch. Hinsichtlich populärer Dinge zeigte Sherlock stets eine bemerkenswerte Ignoranz.

    „Wieso ein T-Rex? Nein, John, das hier ist keine erbsenhirngroße Urzeitechse. Wir jagen etwas sehr Elegantes, etwas Raffiniertes, Kluges...Einzigartiges.“ Sherlocks Kopf neigte sich zu John hinüber und er flüsterte, während in seiner Stimme Erregung und Respekt zugleich bebte. „Ich hab es Ihnen doch schon gesagt, John. Haben Sie nicht zugehört?“

    „Zugehört schon, aber nicht verstanden...“

    „Den Professor, John. Wir jagen den wirklichen Moriarty, den Professor.“

    „Ja...aber...“, stotterte John nur noch umso mehr verwirrt. „...Damit verstehe ich immer noch nicht...“

    Ein leises fernes Geräusch liess ihn kurz verstummen und bevor er weiterplappern konnte legte sich Sherlocks Hand fest auf seinen Mund. „Still“, zischte er kaum hörbar. „Es ist soweit!“



    Mycroft als Double – bei Doyle handelt es sich um eine Puppe mit einer perfekten Wachskopfnachbildung, die von einer, auf den Knien kriechenden, Mrs Hudson bewegt wird. Das fand ich nun doch etwas zuviel von der alten Dame verlangt und somit entsprach ich meinem fiesen Wunsch Mycroft einmal aktiv arbeiten zu lassen
    Geändert von sethos (14.10.2012 um 08:16 Uhr) Grund: ...mehr Absätze wurden erwünscht

  20. #16
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    John lauschte angespannt in die Dunkelheit. Seine Nerven waren bis zum Zerreissen gespannt und der Umstand, dass er kaum mehr als Schatten zu sehen vermochte, liess seinen Instinkt noch offensichtlicher in Panik geraten. Alle seine inneren Warnglocken läuteten wild Sturm. Er spürte, wie sein Herz in seiner Kehle hämmerte, während er sich gleichzeitig zwang, völlig stillzustehen und möglichst gleichmäßig und unhörbar zu atmen.
    Minutenlang geschah nichts. Kein Laut, keine Bewegung. Minuten, die für John zu qualvollen Stunden voll pulsierender Erregung wurden. Mehr als einmal versuchte er, die Gestalt seines Freundes neben sich auszumachen, um an ihr dessen Reaktion abzuleiten. Doch Sherlock schien zu völlig regungslosem Stein geworden. Jetzt, da sich die Entscheidung nahte, auf die er solange und unter so vielen Entbehrungen hingearbeitet hatte, war alle fieberhafte Nervosität von ihm gewichen und er verharrte, verschmolzen mit der Dunkelheit, in der perfekten Starre eines gut ausgebildeten Jagdhundes, der das herannahende Wild witterte.
    Als sich das ferne, leise Geräusch endlich wiederholte, erschien es John regelrecht als Erleichterung. Langsam doch stetig vernahm er Weiteres. Er vermochte ein kurzes Knarren, als das einer Tür auszumachen und erlauschte dann kaum merkliche Schritte auf einer Treppe - die gleiche Treppe die er und Sherlock zuvor hinaufgestiegen waren.
    Ab und zu verharrte der Neuankömmling, schien genauso lauernd in die Nacht hinaus zu lauschen, wie sie beide, doch zögerte sich die Wartezeit nicht mehr so quälend lange hinaus, wie beim ersten Mal.
    Sehr, sehr vorsichtig aber stetig, näherte sich jemand von unten die Treppe hinauf. Dann verstummten die Schritte und wurden durch ein kurzes Klicken ersetzt. Johns Gehirn assoziierte ihm eine Hand, die tastend zu erproben versuchte, ob eine Tür verschlossen war. Knarrend schwang sie auf und der Eindringling stoppte sie erschrocken in ihrer Bewegung um das verräterische Geräusch zu unterdrücken.
    Wieder folgte minutenlanges Warten, wieder lauschten alle atemlos in die Schwärze hinein, jeder von der Angst beseelt vorzeitig bemerkt zu werden. Dann endlich vermochte John durch den Spalt des Vorhanges den gedrungenen Schatten eines Mannes wahrzunehmen. Fast lautlos glitt er zu den Fenstern hinüber und blieb dann, unmittelbar bevor ihn der Lichtkegel der Straßenlaternen erfassen konnte, abrupt stehen. Kurz sah er sich in dem Zimmer um, lauschte konzentriert in alle Ecken und wandte sich, nachdem sein Misstrauen zerstreut schien, mit vorgestrecktem Kopf, spähend, dem Fenster zu. Minutenlang beobachtete er. Und John sah vor seinem inneren Auge deutlich Mycrofts hagere Gestalt, den Kopf in den hohen Mantelkragen eingezogen, durch das Zimmer wandern.
    Der Mann am Fenster erwachte erneut zum Leben. Vorsichtig streckte er die Hand aus und John bemerkte, wie er einen Fensterflügel öffnete. Kalte, feuchte Nachtluft strich bis zu ihrem Wartestand hinüber und liess John unter der Jacke frösteln. Er verkniff sich jede instinktive Reaktion und begriff, dass die plötzlich so stark empfundene Kälte der Überspannungen seiner Nerven geschuldet war.
    Der Fremde jedoch erschien mit einmal in seinem Tun von wilder Entschlossenheit beseelt. Unter dem Mantel zog er einen langen, schweren Gegenstand hervor und baute ihn klickend auf dem Fensterbrett zusammen. Er schraubte weitere Teile hinzu und John begriff, dass hier, mitten vor seiner Nase ein Präzisionsgewehr zur völligen Funktionsfähigkeit zusammenmontiert wurde. Als letztes folgte ein breiter Schalldämpfer, dann legte der Mann geschult an und beugte sein Auge fixierend an das Suchfernrohr der Waffe. Deutlich vermochte John zu erkennen, wie sich der Zeigefinger der rechten Hand auf dem Auslöser bereit machte für seine tödliche Krümmung.

  21. #17
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    Die Bewegung neben John kam mit solcher Heftigkeit, dass dieser erschreckt zur Seite federte und sekundenlang handlungsunfähig blieb. Schockiert erfasste er, wie Sherlocks Körper nach vorne schnellte, hinter den Mann stürmte und sich mit einem wilden Sprung auf diesen warf, ehe er zu einer Gegenwehr bereit war. Wütend miteinander ringend gingen die beiden Kontrahenten zu Boden und wälzten sich im wilden Kampf für Sekunden auf dem schmutzigen Boden, dann endlich wurde sich John des harten Gewichtes in seiner Jackentasche bewusst. Er riss die Pistole heraus, orientierte sich kurz, welcher der verkeilten, keuchenden Körper zu wem gehörte und knallte dem Fremden die Mündung gegen den Hinterkopf.
    „Aufhören!
    Sofort aufhören oder ich schieße Ihnen eine Kugel ins Hirn.“

    Der Fremde erstarrte und Sherlock löste sich augenblicklich aus seiner Umklammerung. Kabelbinder wurden ratschend um dessen Handgelenke gezogen und beide Gestalten kamen wieder auf die Füße. Sherlock sprang behände hoch und John registrierte erleichtert, dass sein Freund unverletzt geblieben war. Fest griff Sherlock zu und zerrte seinen Feind ebenfalls vollends in die Höhe, dann liess er ihn unter Johns Bewachung kurz zurück und eilte zur Eingangstür hinüber. Er riss einen Wandkasten auf, es klackte kurz und sofort flammte grell elektrisches Licht auf und blendete John so stark, das er seine, an lange Dunkelheit gewöhnten Augen, heftig zukneifen musste.
    Als er sie wieder öffnete, erschloss sich ihm das verwahrloste Zimmer ganz neu. Der Staub und Schutt auf dem Boden waren durch den eben von ihm unterbrochenen Kampf zerwühlt, auf dem Fenstersims lag das nicht zum Einsatz gekommene Scharfschützengewehr, Regen sprühte schräg darüber auf den Boden hinunter. In den äußersten Ecken des Raumes standen ein Eisenbett, ein Tisch und zwei schäbige Sessel. Neilson hatte seinen Beobachtungsstand wirklich nur mit dem allernotwendigsten ausgestattet. Sherlocks Mantel starrte vor kalkweißen Schmutzflecken und wirkte an einigen Stellen leicht ramponiert. Sein Haar war etwas zerzaust, doch behielt John Recht, er war unverletzt.
    Der andere Mann wirkte deutlich mitgenommener. Neben Schmutz zierten sein hartes, faltiges Gesicht zwei kräftige, blutige Kratzer, quer über Wange und Nase. Er mochte Mitte fünfzig sein, wirkte ausgemergelt und verbraucht, aber trotzdem von besonderer Willensstärke und Körperkraft. Seine stechenden Augen funkelten wütend und uneinsichtig wehrte er sich noch immer gegen die dünnen Kabelbinder, welche seine Handgelenke auf den Rücken fesselten.

    „Sie Teufel!“, zischte er hasserfüllt zu Sherlock hinüber. „Sie listiger, listiger Teufel.“ Schweratmend hefteten sich seine bösen Augen an Sherlock fest, doch dieser würdigte ihn keiner Beachtung. Er schritt zur Tür und öffnete sie. Lautes, hastiges Getrappel erscholl von der Außentreppe und nur Sekunden später stürmte eine wilde Horde dunkel bemäntelter Männer mit gezückten Waffen den Raum. Sherlock ließ sie an sich vorüberfluten und schickte ihnen einen Blick zynischer Verachtung hinter drein.
    „Nun meine Herren, das nächste Mal üben wir noch ein wenig an der Schnelligkeit. Das kann man nicht wirklich mit Ruhm bekleckert nennen.“

    Lestrade schälte sich aus der Gruppe heraus und wedelte gestikulierend mit seinem Revolver.
    „Sie sagten, wenn das Licht angeht. Wir waren sofort danach hier.“

    „Lestrade, sofort scheint ein sehr dehnbarer Begriff zu sein. Egal.“ Sherlock wies mit der Hand auf den gefesselten Fremden. „Darf ich Ihnen allen Colonel Sebastian Moran vorstellen, seines Zeichens, der von Ihnen gesuchte Täter für den Mordfall Neilson. In seiner Tasche werden Sie wahrscheinlich die Mordwaffe finden." Sherlock zog ein Taschentuch hervor, umwickelte seine Hand damit und griff souverän in Morans Manteltasche „...Ja wie ich mir dachte, eine 9 mm. Bin mir sicher, dass die Kugeln darin mit der in der Leiche gefundenen Patrone übereinstimmen. Viel Spaß mit ihm Lestrade.“

    Lestrade sprang gehorsam hinzu, liess sich das Beweisstück aushändigen und begann seine amtliche Vorschriftslitanei: „Sir, ich nehme sie fest wegen des Verdachtes auf...“

    „Das werden Sie bereuen,“ zischte Moran aus seiner Starre erwacht. „Sie wissen nicht mit wem Sie es hier zu tun haben.“

    „Mit einem Tatverdächtigen.“

    „Ich besitze Immunität!“, bellte Moran überlegen. „Diplomatische Immunität. Sie können mir gar nichts! Ich bin amerikanischer Staatsbürger.“

    „Wie schön für Sie.“ Lestrade liess sich nicht einschüchtern. „Können Sie das auch irgendwie nachweisen, Mister?“

    „Nein. Aber Sie brauchen nur die Botschaft...“

    „Keine Sorge, das machen wir, aber vorerst nehme ich Sie fest, Mr Moran. Sie können sich nicht ausweisen und wurden auf frischer Tat mit Waffenbesitz ertappt. Das dürfte ganz locker ausreichen Sie für vierundzwanzig Stunden in Polizeigewahrsam zu behalten und ich denke, mehr ist überhaupt nicht vonnöten. Danach können Sie gerne die erstbeste Maschine nach Washington nehmen, erspart mir eine Menge Papierkram und Presse, die immer mit so einer Ausweisung zusammenfallen.“

    „Das werden Sie bereuen Detective, das kostet Sie ihren Job.“

    „Detective Inspector, Mr Moran. Detective Inspector Lestrade!“

    John feixte und er konnte nicht umhin achtungsvoll seinen Hut vor Gregs Courage zu ziehen. Ein Blick auf Sherlocks Gesicht zeigte ihm, das sein Freund wohl gerade ähnlich dachte. Er lächelte kurz, doch ohne jegliches zynisches Beiwerk und nickte zu Lestrade hinüber. „Wusste doch, dass Sie der Richtige für den Job sind.“

    Bevor Greg jedoch antworten konnte, näherten sich erneut Schritte und der nächste unerwartete Besuch. Irene Adler trat durch die Tür. In einen dunklen taillierten Trenchcoat gehüllt, hohen Pumps und einer breiten spangenartigen Kappe mit einer silberziselierten Hutnadel frech auf dem Haarknoten festgesteckt, war sie wie immer eine perfekt elegante Erscheinung. Ihr roter Kirschenmund lächelte verführerisch über die Szenerie hinweg und in ihren Augen blitzte schelmische Anerkennung. Hinter ihr schob sich der schwarzhaarige, langgesichtige Scharfschütze in den Raum, der John Mittags in dem Buchladen mit seiner Waffe bedroht hatte und der von Sherlock als Norton, Irenes persönlicher Bodyguard bezeichnet wurde.

    „Oh!“, Greg schien wieder etwas einzufallen, das er im Eifer des Gefechtes wohl vernachlässigt hatte. „Diese Lady dort, Sherlock...“, Greg vermochte ein vielsagendes Funkeln seiner Augen nicht zu unterdrücken als sein Blick Irene streifte. „...Wollte mit Ihnen sprechen. Ich habe ihr gesagt, sie möchte warten, bis wir den Tatort...“

    „Schon gut“ , nickte Sherlock und schien am allerwenigsten überrascht. „Nehmen sie Ihren Mann mit. Alles andere können Sie später erledigen. Wir brauchen hier noch einige Minuten.“

    „Aber die Tatortermittlung“, protestierte Greg halbherzig, wohl schon wissend welche Antwort ihm blühte.

    „Später, Lestrade.“ Sherlock wurde ungeduldig und sein Gesicht verfinsterte sich zusehend. „Ihre Leute haben hier sowieso schon alles zertrampelt, da wird unsere Anwesenheit auch nichts mehr ruinieren. Gehen Sie! Gehen Sie alle. Wir anderen müssen noch kurz etwas besprechen.“
    Sherlocks Autorität bewirkte bei diesen Männern, die sich sonst nicht so leicht von jemandem einschüchtern liessen, Wunder. Gehorsam trabten sie, einer nach dem anderen die Treppe hinunter und schleppten einen giftig dreinblickenden Moran mit sich. Wütend zischte er: „Sie!“, als er an Irene vorbeigezogen wurde, doch erntete er außer eines aufreizenden Lächelns keine weitere Reaktion von ihrer Seite.

    Lestrade drehte sich in der Tür noch einmal um und nickte zu Sherlock hinüber
    „Schön, dass Sie wieder da sind... und was neue Fälle betrifft, ich würde mich freuen wieder mit Ihnen zusammenarbeiten zu können...wie übrigens alle bei Scotland Yard.“
    Dann trollte auch er sich und verschloss wie ein artiges Kind die Tür hinter sich.

  22. #18
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    Irene trat näher und als ihre Augen kurz Sherlocks Gestalt streiften, meinte John für den Bruchteil von Sekunden den Ausdruck schmerzlicher Unentschlossenheit darin zu lesen. Doch der Eindruck ging so schnell vorüber, dass er glaubte sich getäuscht zu haben.
    Mit altbekannten Selbstbewusstsein schritt sie durchs Zimmer und warf einen Blick aus dem Fenster.
    „Schade“, lächelte sie ironisch zur Baker Street 221 B hinüber. „Mycroft hat sein Tun eingestellt, als das Licht anging. War ein wundervoller Anblick, ihn so absolut engagiert zu sehen. Wo er doch sonst von Laufarbeit so wenig hält.“

    „Was willst du hier?“, unterbrach Sherlock ihren Redefluss und sein Gesicht zeigte völlige konzentrierte Ruhe. „Ich dachte, Mycroft hat persönlich für die von dir gewünschte sichere Ausreise gesorgt?“

    John registrierte amüsiert, dass die beiden per Du waren, etwas das ihm vorher nicht aufgefallen war und er glaubte deutlich die prickelnde Spannung zu spüren, die in jeder ihrer Bewegungen und Worte mitschwang. Erneut bohrte sich die sensationslüsterne Frage, was in den letzten Monaten wirklich zwischen ihnen beiden geschehen war, in seinen Fokus. Seine, auf einmal recht rege rumorende Phantasie schien nicht bereit, Sherlocks verharmlosender Darstellung Glauben zu schenken. Zu intensiv, zu persönlich und gleichzeitig zu angespannt diszipliniert erschien ihm die Körpersprache und Gestik der beiden. Und ein anzügliches Grinsen machte sich auf seinen Lippen breit, als er neugierig weiterlauschte, begierig darauf, sich auch nicht die geringste Kleinigkeit entgehen zu lassen.

    „Hat er, der Liebe.“ Irenes Stimme schnurrte samtweich wie die einer Katze und sie schenkte Sherlock ein verlockendes Lächeln während sich ihre ganze Aufmerksamkeit an ihm festklammerte. „Gab wohl eine kleine Abreiseschwierigkeit, das scheussliche Wetter.“

    Norton warf sich hinter Irene gelangweilt in einen der schäbigen Sessel. Scheinbar war er mit dieser Art von Begegnungen der beiden schon soweit vertraut, als dass sie ihn noch sonderlich interessierten.

    „Und darum wolltest du jetzt was...?“, bohrte Sherlock weiter.

    „Moran...ich wollte wissen, ob es dir gelingt, Mycroft soweit zu bekommen, dass er in Washington die Aufhebung seiner Immunität fordert.“

    „Warum?“

    Johns geübtes Auge erkannte, wie sich Sherlocks Gestalt unmerklich versteifte. Schlagartig unterbrach er all seine frivolen Spekulationen und vergass die Koketterie des Augenblicks. Seine Rechte spannte sich hart um den Griff der Waffe, die er noch immer gesenkt in seiner Hand hielt.

    „Hmm...so neugierig.“ Irenes Augen streiften den Boden. Ihre Aufmerksamkeit schien abzuflauen und gelangweilt drehte sie sich von Sherlock fort. Ihre Stimme nahm einen unverfänglichen Plauderton an. „Ach nur...Nur weil ich wissen wollte, ob Moran schwach wird.“
    Irenes Hand schnellte aus dem Trenchcoat in die Höhe und die Mündung ihres Revolvers richtete sich so blitztschell auf John, dass dieser nicht zu reagieren vermochte.

    „Fallenlassen!“ zischte sie. Hinter ihr sprang Norton, erstaunt über die plötzliche Wendung, in die Höhe, flink ebenfalls nach seiner Waffe suchend, ohne sie jedoch vollends in Stellung zu bringen.

    John schickte einen fragenden Blick zu Sherlock hinüber und als er dessen kurzes Nicken zur Antwort erhielt, warf er die Pistole vor seine Füsse.

    „Weiter weg!“ Irene überließ nichts dem Zufall. Auch diesmal zwang Sherlocks Nicken John zum Gehorsam. Er trat die Pistole in die Mitte des Raumes.

    „Zu ihm rüber!“ Irenes Waffenmündung scheuchte John an Sherlocks Seite, sodass sie nun beide ungehindert bedrohen konnte.
    „Gut“, lächelte sie zuckersüß. „Tut mir leid Dr. Watson, dass er Sie wieder mit hineingezogen hat. Wie ich heute schon einmal feststellte, ich hätte Sie hierbei gerne verschont.“
    Ihr vorwurfsvoller Blick erfasste Sherlock, während sie immer noch mit der Waffe im Anschlag näher zu ihm trat.
    „Das hätten wir unter uns ausmachen können!
    Aber, vielleicht ist es besser so. Du hast mich viele, viele Monate Arbeit gekostet und sehr viel persönlichen Einsatz. Du warst die härteste Nuss, die ich je geknackt habe und ich hatte immer meine Zweifel, ob ich am Ende etwas finden könnte um dich weichzuklopfen. Ehrlich gesagt, zweifle ich daran noch immer. Aber vielleicht hilft ja der gute John ein wenig weiter.“

    „Wobei?“

    „Den Code, Sherlock.“

    Sherlocks Gesicht verfinsterte sich. Seine Brauen zogen sich erstaunt zusammen und John vermochte deutliche Verwirrung in seiner Miene auszumachen. Auch Irene wirkte, als sie diese Entwicklung sah, für Sekunden irritiert.

    „Du glaubst dass ich...dass ich den Code ....“, fragte Sherlock stockend und hinter seiner Stirn schien die geniale Denkmaschine gerade in wilder Höchstleistung zu rotieren.
    „Du versuchst hier nicht mich und mein Wissen über dich zu eliminieren, sondern glaubst allen Ernstes ich sei der Professor? Ich sei das leitende Gehirn des 'Moriarty-Projektes'...?“

    „Natürlich bist du Moriarty.“ Irenes Stimme offenbarte schneidende Härte, jede Koketterie war aus ihr verschwunden. „Du warst es all die Monate lang und du warst so gut darin! Ich habe dich genauestens beobachtet. Dieser Jim, er war ein guter Darsteller, voll von Hass. Er hatte beachtliches Talent, aber kaum das überragende Genie für wirkliche Größe, oder um ein solch komplexes Spiel jahrelang in all seinen Details aufzubauen und zu beherrschen. Er besass nicht das Zeug dafür, gehorchte nur fantastischen Regieanweisungen. Aber du oder Mycroft – ihr seid ein viel beeindruckenderes Kaliber. Bis heute hatte ich meine Zweifel, wer von euch beiden... Oder ob ihr beide womöglich doch zusammenarbeitet. Jedoch, nachdem von heute Mittag, bin ich absolut davon überzeugt, dass du der Puppenspieler bist. Oder der Professor, wie ihr es hier nennt. Nenne es wie du willst. Aber du bist es! Du allein!“

    Sherlock lachte auf. „Toller Schachzug, Irene, aber zuviel der Ehre... Warum sollte ich so etwas tun?“

    „Weil die Idee ebenso elegant als auch genial ist. Du nimmst dich selbst und schaffst dir einen idealen Gegner, den du allen Geheimdiensten der Welt als wundervollen Terrorfürsten präsentierst und später, als er lästig und immer ungehorsamer wird, übernimmst du selbst diesen Platz. Moriarty und der Professor in Personalunion, während du hier gerade der Welt die Mär vom bösen Moran präsentierst, der für alles alleine verantwortlich ist. Moran, dieser Dinosaurier des Kalten Krieges, niemals wäre er zu solcher Raffinesse fähig. Denke, der Ärmste wird dieses Land nicht mehr lebend verlassen. Dafür wirst du schon sorgen. Und ab nun hast du alles in der Hand. Keine Zeugen mehr, keine Mitwisser und den Code in jedem System des Internets. Den Code, den du aktivieren kannst, wann immer es dir gefällt. Jede Regierung dieser Welt, jede Institution, jede Privatperson erpressbar, von einem Mann der genau weiss, wie er diese Macht dosiert einzusetzen vermag, ohne das Gesamtwerk zu zerstören. Dazu gehört nicht nur hohe Intelligenz, sondern auch eine bestimmte Moral und vor allem eine eiserne Disziplin. Etwas, was nur du, Sherlock, in absoluter Vollendung besitzt.“

    Sherlock atmete schwer durch und nickte anerkennend. „Gut, sehr gut. Denke, so ungefähr kann man die Sache zusammenfassen, nur mit einem winzig kleinen Unterschied...
    Das man dabei einen Spiegel benutzen sollte.
    Denn du...“, er zögerte kurz und seine Pupillen bannten die ihren, „...Du bist die Puppenspielerin.“
    Er sprang vor und bevor sie reagieren konnte, hatte er Irene die Waffe aus der Hand geschlagen. Die Wucht des Angriffs schleuderte sie heftig gegen den verblüfften Norton und machte diesen genauso handlungsunfähig wie den völlig überraschten John.
    Krachend schlug Norton gegen die Wand und rutschte betäubt an ihr herunter.
    Geändert von sethos (16.10.2012 um 09:57 Uhr)

  23. #19
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    Irene taumelte gegen einen der Sessel und starrte, nach Halt suchend, auf Sherlock. Ihr Gesicht klappte für einen winzigen Bruchteil zur völligen Fassungslosigkeit zusammen. Dann schien sie blitzartig die ganze Tragweite seiner Worte zu erfassen und wirbelte zu Norton herum. Doch ihr Einsatz kam zu spät, ebenso wie Sherlocks Begreifen, ihrer Wendung und das Erkennen seines großen Fehlers.
    Nortons Körper lag noch gegen die Wand gelehnt, doch unter ihm verborgen, befand sich sein Revolver bereits im Anschlag und seine verhärteten Züge machten klar, dass er sich durchaus für befähigt genug befand, es mit ihnen allen gleichzeitig aufzunehmen.

    „Kompliment meine Liebe“, zischte er zu Irene hinauf und sprang federnd zurück auf die Füße.
    „Einen Tick schneller sogar als der große Mr Holmes. Damit werden Sie in die Spionagegeschichte eingehen. Postum wahrscheinlich, aber immerhin.“

    „Er glaubte, dass ich es sei“, flüsterte Irene deutlich betroffen. „Und nur bei einem kann ich mir wirklich sicher sein... Bei mir selbst.
    Und da ich es nicht bin... Bleiben nur noch Sie übrig, Norton.“

    „Rüber!“, bellte er und scheuchte Irene zu Sherlock und John hinüber. Er grinste zufrieden als er die drei vor sich hatte.
    „Nun sieh sich das einer an. Da steh ich hier nun und habe zwei der klügsten Genies, die die Welt aufzubringen vermag, vor mir und da drüben“ , er wies mit der Revolvermündung zur Baker Street hinüber, „wartet die ganze Zeit das dritte Superhirn und wird nie verstehen, was für ein nettes Spiel wir hier eigentlich miteinander treiben.
    Runter auf die Knie mit Euch! Und schön die Hände hinter den Kopf!“

    Die drei gehorchten langsam.

    „Gut“, lächelte Norton. „So redet es sich doch viel besser nicht wahr. Wisst ihr...“, er trat näher. „Ich kann euch natürlich gleich erschießen. Aber eigentlich ist das völlig egal. Wie ihr beiden Superschlauen ja so genau wisst, habe ich die Möglichkeit jeden und alles auf dieser Welt zu erpressen oder zu töten. Ich kann mit einem kurzen Fingerschnippen die Apokalypse heraufbeschwören, diese Welt in die Steinzeit zurückbomben, also warum soll ich mir da die Mühe machen euch zu töten.“

    „Und welches Interesse hätten Sie die Welt zu vernichten?“, konterte Sherlock.

    „Oh, gar keins. Das ist nur die allerletzte Option. Wenn irgendjemand der Meinung ist, er müsse mich stoppen, sorge ich für so was ähnlichem wie einen Asteroideneinschlag*. Ansonsten gebe ich mich mit ganz, ganz klitzekleinen Erpressungen zufrieden.“

    „Sie wollen die Welt nach ihren Vorstellungen prägen.“

    „Guter Junge.“ Norton lächelte wie ein Schulmeister der soeben seinen Lieblingsschüler lobte. „Aber, lieber Mr Holmes, oder darf ich Sherlock sagen...? Also Sherlock, ich sehe James Bond Filme, wissen Sie. Und ich kenne diese tollen Szenen, wenn der arme, arme Held schon festgeschnallt auf der Rakete sitzt und der dumme Bösewicht noch vorher alles ausplaudert.“ Er bückte sich zu Sherlock hinab. „Ich habe soeben Sie besiegt, Sherlock. Sie und unsere reizende Miss Adler hier, glaubten Sie wirklich ich wäre dumm?“

    „Nein mit Sicherheit nicht. Aber Sie sollten nach unserer gemeinschaftlichen Zeit wissen, dass ich gern deduziere. Lässt sich nicht abstellen so etwas.“

    „Deduzieren Sie, Mr Holmes. Deduzieren Sie soviel Sie wollen. Wissen Sie, Sie haben Recht.“

    „Womit habe ich Recht?“

    „Nun Genies benötigen ein Publikum. Sie beide hatten immer ein tolles Publikum, die Öffentlichkeit, John, Jim Moriarty und natürlich unseren lieben Mycroft nicht zu vergessen. Ja, und dann hatten Sie sich beide als Publikum, und natürlich mich. Ich der brave, arme Norton, der ein wenig einfach gestrickte Typ mit dem zu schnellen Händchen, der Mann, der gehorsam alle Erledigungen für Sie tätigte. Ihr dankbarer, allzeit bereiter Laufbursche, der nur eines wollte, seine Rehabilitation – grandios nicht. Und jetzt habe ich endlich Sie als Publikum. Meine langweilige Zeit ist vorbei! Von daher Mr Holmes, beeindrucken Sie mich. Deduzieren Sie - einen größeren Beifall als von einem solchen Publikum kann ich mir nicht wünschen.“

    Asteroideneinschlag - Professor Moriarty wird bei Doyle als mathematisches Genie beschrieben, welcher seine wissenschaftliche Reputation seiner Arbeit an binomischen Formel verdankte. Mit seinem Werk 'Dynamik eines Asteroiden' stieg er Zitat Holmes: „in derartige Höhen der reinen Mathematik auf, dass niemand in der Lage war, es zu rezensieren“.
    Das mathematische Wissen eben, dass zur Erstellung eines Schläfercodes erforderlich ist
    Geändert von sethos (17.10.2012 um 15:08 Uhr)

  24. #20
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    Sherlocks Augen verengten sich zu einem Schlitz, als er kurz darüber nachdachte ob er Nortons Willen wirklich entsprechen sollte. Doch dann stand sein Entschluss offenbar fest, auch Defensive konnte hilfreich sein. Ob hierbei, war allerdings fraglich.

    „ Nun, ich würde sagen, es gab einen großen Plan der CIA, wie sie alle ihre verbündeten Geheimdienste nicht nur an sich binden, sondern sogar fest an die Kandare nehmen konnten.“

    „Soweit so bekannt, Mr. Holmes, Sie langweilen...“

    „Grossbritannien war ein Sonderfall.“

    „Wann war es das je nicht? Ihr seid seit Jahrhunderten so verdammt bockbeinig...“

    „Also entwickelte man den großen Plan ein doppeltes Spiel aufzuführen. Ein Spiel, das man als so genial präsentieren würde, das Grossbritannien unbedingt würde mitspielen wollen und gar nicht merkte, wie es sich selber in dem ausgelegten Netz verfing. Das Schaffen eines beratenden kriminellen Netzwerkes mit einem großen Terrorfürsten in seiner Mitte.“

    „Jahrelange Arbeit, jahrelange Planung, wir waren so gut.“

    „Ja, nur das weder Moran, der eigentliche Chef dieses Unternehmens, noch die ausgewählte Marionette, Jim Moriarty, das wirkliche Zeug dafür hatten, einen solchen Plan in allen Details zu durchdenken und auszuführen.“

    „Oh, unser Jimmy als Marionette...“, Nortons Geischt verzog sich in gespielter Entrüstung.
    „Der Ärmste würde sich vor Gram im Grab umdrehen....oder, naja...“, Norton lachte hohl und sein langes Kinn wackelte spitzbübisch, „Vielleicht auch nicht. Schließlich ist er ja in erlauchter Gesellschaft, lieber Sherlock, Sie gehören ja mit zu dieser wundervollen Theatertruppe.“

    „Sie waren also die ganze Zeit der verborgene Kopf dieser Sache. Dummstellen ist eine perfekte Tarnung.“

    „Natürlich ist sie das, nur das leider die wenigsten dieses große Talent beherrschen.“ Nortons bisher so unauffälliges Wesen schien einen deutlichen Energieschub zu erhalten. Sein Körper streckte sich und um seine Lippen bildete sich ein verträumtes Lächeln, als er der eigenen schauspielerischen Leistung gedachte.
    „Ihnen, mein Lieber, würde so etwas überhaupt nicht gelingen. Unsere liebe Irene hier, könnte dies, wenn für das Spiel erforderlich, wohl schon...aber dumm und unscheinbar? Nein, nein, da stoßen alle, die für einen solchen Job in Frage kommen, an ihre Grenzen. Und dann gibt es ja auch noch dieses verdammte Handicap, das Ihnen allen anhaftet - dass Sie leider so verdammt loyal sind.“


    „Dieses Handicap besitzen Sie natürlich nicht.“, stellte Sherlock sarkastisch fest. „Bei Ihren anderen maßgebenden Vorzügen, hat man das leider übersehen. Und so gelang es Ihnen jahrelang Ihren Auftraggebern glauben zu machen, Sie spielten alleine aus intellektueller Freude am Spiel Ihre versteckte Rolle. Allein um sich selbst zu beweisen, dass Sie es mit jedem und allen aufnehmen können.“

    „Ja toll nicht? Aber glauben Sie mir, das bringt am Ende nicht allzuviel ein. Man ist einfach zu gut und die eigenen Chefs werden sich irgendwann einmal bewusst, wie dumm Sie eigentlich sind. Sowas wird später nicht mit einem Orden, sondern mit einer Kugel erledigt. Auch Genies machen sich irgendwann entbehrlich.“

    „Und Sie beschlossen dem von Anfang an einen Riegel vorzuschieben und haben schon vor Jahren Ihre Sicherung eingebaut.“

    „Mr. Holmes, ehm Sherlock, Sie sind fantastisch. Nun ja, es gibt noch einige andere die es irgendwann kapiert haben, ihr Brüderlein, ein paar Leute in Langley, aber Sie sind so wundervoll unterhaltsam.“ Norton grinste und verdrehte ins gespielter Ironie die Augen. Sein langes Kinn zitterte auf dem dünnen Hals vor verhaltener Schadensfreude.
    „Ich habe es wirklich in dem letzten dreiviertel Jahr sehr genossen, Ihnen gelegentlich bei der Arbeit über die Schulter schauen zu dürfen, oder sogar dienstbar zur Verfügung zu stehen. Das war auch der Grund, warum ich Moran nicht steckte, dass Sie noch am Leben sind. Er hätte bestimmt wieder so drastisch überreagiert und alles kaputt gemacht. Er ist so unkultiviert, so schießwütig. Nein, nein, ich wusste Bescheid und konnte jederzeit entscheiden, wann Schluss war. Es genügte mir, Ihnen hier und dort ein paar Steine in den Weg zu legen. War noch nicht einmal böse gemeint – ich wollte nur lernen, wie man mit solchen Dingen umgeht, wie Sie solche Hindernisse umgehen. So etwas nennt man Sportsgeist, sehr britisch.“ Norton lächelte in stiller Erinnerung zufrieden in sich hinein.
    „Aber ich habe Sie unterbrochen. Wie unhöflich von mir. Machen Sie weiter. Bis hierher waren all Ihre Deduktionen meisterhaft.“

    „Sie haben einen Code entwickelt, eine komplizierte binomische Computerformel und Sie haben sie schon vor Jahren ins Internet eingespeist. Moriarty wusste es und es machte ihm Freude, darauf hinzuweisen und gleichzeitig eine völlig falsche Spur auszulegen. Für Moriartys Öffnen der Sicherheitssysteme kam ihr Code überhaupt nicht zum Einsatz. Denn dieser Code ruht noch völlig inaktiv. Er verbirgt sich in Internetbewegungen und verschickt sich von dort still und heimlich selbst. Eine Schläferzelle, ein ruhender Befehl. Völlig harmlos, kaum auffindbar. Es ist ein simples Schneeballsystem. Jedes infizierte Programm infiziert das nächste, ohne sich dabei bemerkbar zu machen. Und über die Jahre verteilt und nach unendlichen Bewegungen im Internet, gibt es kein System der Welt, keinen Computer, kein Telefon, keine Sicherheitsanlage, die nicht mit dieser Schläferzelle infiziert wurden. Selbst völlig autark funktionierende Systeme wurden schon bei ihrer Entwicklung geimpft, jedes Kontrollsystem, jedes Virenschutzprogramm, jeder Suchmechanismus ist betroffen und reagiert nicht darauf.
    Eine mechanische Auffindung würde nur einzelne Programme befreien und unendlich Zeit in Anspruch nehmen und jede neue Aktivität würde eine Neuinfizierung zur Folge haben. Wir leben im Zeitalter des Internet und der absoluten vernetzten Computersteuerung, die Welt ist Ihnen hilflos ausgeliefert. Es gibt nichts, auf das Sie, wenn Sie es wünschen, nicht Zugang hätten, egal ob Einzelsystem oder global, Sie können jede Einheit zum Absturz bringen, jeden Computer herunterfahren. Kein Strom, kein Trinkwasser, keine Kommunikation, keine Sattelitensteuerung mehr, der absolute Supergau für unsere Zivilisation. Der Einschlag eines Asteroiden, wie sie es so schön nannten, könnte die Erde nicht verheerender treffen als dieses.
    Absolut genial.“

    „Großartiges Kompliment aus Ihrem Mund.“
    Norton nickte in gespielter Dankbarkeit und sein bisher völlig einfältig wirkendes Gesicht verwandelte sich. Urplötzlich zeichnete sich darauf die teuflische Größe des kriminellen Geistes ab, den er so lange und so erfolgreich in sich verborgen hatte.
    „Und wie Sie damit sehen, Sherlock, kann es mir auch völlig egal sein, ob Sie nun über mich Bescheid wissen, oder nicht. Ich kann Sie jetzt erschiessen, ich kann es später tun. Ich kann Sie sogar jetzt und hier gehen lassen. Und wenn Sie sich nicht genau so verhalten, wie ich es möchte, gebe ich einfach Ihrem Bruder, oder dem lieben John hier, oder der Regierung, oder auch der guten alten Lady, die Sie ihre Queen nennen, den Befehl, Sie mir scheibchenweise auf einem Tablett zu servieren. Und Sie werden sehen, dass Sie es tun.“, zischte Norton mit triumphierenden Augenblitzen und seine linke, waffenlose Hand zelebrierte eine darbringende Verneigung.
    „Ja, eigentlich entgeht mir eine ganze Menge Spaß, wenn ich Sie jetzt einfach so umlege. Gut, ich hatte schon die ganze Zeit Spaß, ganze neun Monate habe ich den wundervollsten Spaß der Welt gehabt. Aber Sie haben mir meinen lieben Jimmy kaputt gemacht.“
    Nortons Gesichtszüge verkrampften sich hasserfüllt.
    „War erst nicht so schön für mich. Aber dann habe ich das Potential erkannt. Jimmy, das war ganz nett - auch wie er Sie hin und her scheuchte und Sie fast an den Rand der Verzweiflung trieb. Aber da ich ja bei unserer lieben Irene Unterschlupf gesucht hatte, wusste ich natürlich das Jimmy keine wirkliche Chance hatte, Sie würden ihn linken.
    Unsere liebe Irene indes...“, er grinste kokettierenden zu ihr hinüber. „..War der Meinung, dass Sie der Puppenspieler sein könnten und das sie nun alles tun müsste, damit sie Ihr Vertrauen erneut gewinnen würde.
    Wissen Sie, Sherlock, man lässt kluge Leute am besten bei ihren klugen Gedanken und sieht einfach zu wie Sie sich gegenseitig beschäftigt halten.
    Und dann dachte ich mir, den allergrößten Spaß würde es machen, wenn Sie sich beide gegenseitig misstrauen würden. Tja, hat mich ein großes Opfer gekostet, Sie beide ihren Plan aushecken zu lassen. Der arme Jimmy...aber ich bekam ja Sie, Sherlock, als wunderbaren Ersatz. Und leider, leider, musste ich Ihnen erst einmal auch das Interesse der Dame hier überlassen, Schade, schade....“
    Er wandte sich kurz zu Irene und streichelte mit der Mündung des Revolvers provokativ über ihre Wange. Irene riss den Kopf weg und ihre geweiteten Augen streiften sekundenschnell Sherlock, doch blieb sie weiterhin stumm und auch in jeder anderen Hinsicht absolut passiv.

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