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Thema: [SGA] The Good Shepherd [NC-17]

  1. #1
    Mama, im Dienste Ihrer Majestäten Avatar von Nyada
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    Standard [SGA] The Good Shepherd [NC-17]

    Titel: The Good Shepherd
    Autor: Nyada
    Serie: Stargate Atlantis
    Genre: Drama, Hurt/Comfort, Friendship, Romance
    Rating: R, hin und wieder ein Kapitel NC-17
    Charaktere/Pairing(s): Main Characters Season 5, etliche OCs; Teyla/(John/Kanaan), Rodney/Keller, Ronon/OC
    Staffel/Zeitliche Einordnung: post SGA Season 5, etwa ein Jahr nach der Episode ‘Feind in Sicht; also Ende 2009, Anfang 2010’

    Inhalt: Ein Jahr ist seit Atlantis’ Rückkehr auf die Erde ins Land gezogen, die Wogen haben sich geglättet. Dennoch ist nichts mehr so, wie es einmal war. Insbesondere John Sheppard, der nach einer Mission mit tragischem Ausgang außerhalb von Atlantis sein Leben wieder in den Griff zu bekommen versucht, bekommt dies zu spüren. Jenseits von allem, was ihm früher einmal wichtig gewesen war, wird er von den Geistern seiner Vergangenheit eingeholt und erfährt am eigenen Leib, dass die Zeit nicht alle Wunden heilen kann…

    Anmerkung(en) der Autorin: Es ist ganz einfach und in einem Satz gesagt: Diese Story sollte es eigentlich gar nicht geben. Schluss Ende aus. Ich weiß auch nicht, was mich schlussendlich doch dazu bewogen hat, sie zu posten, da es doch eigentlich mehr ein spontaner Einfall gewesen ist, den ich eigentlich schnell wieder verwerfen wollte.

    Nun, wie gesagt, eigentlich

    Dass ihr diese Story, in dieser Form, nun hoffentlich gleich lesen werdet, habt ihr nur meinem Göttergatten und meiner allerliebsten Ailya zu verdanken. Vielen Dank, ihr zwei, dass ihr mir immer wieder in meinen schreibfaulen Hintern tretet. Ohne euch wüsste ich manchmal ehrlich nicht, was ich tun sollte! :*


    ---------





    Es war der fünfzehnte Dezember gewesen, und wenngleich ihr Gatte sie stets als etwas senil zu schimpfen pflegte, erinnerte sich Adele Bloomwood sehr genau an diesen Tag. Ein Mittwoch, oder doch ein Donnerstag? Nein, es war ein Mittwoch gewesen, ganz sicher, ein grauer, eiskalter Mittwoch im Dezember. Es hatte leicht zu schneien begonnen, als Adele Bloomwood an diesem Tag aus dem Bett gestiegen war, da sie das durchdringende Gesäge ihres Mannes Marvin nicht mehr hatte ertragen können. Also war sie aufgestanden, hatte sich ihren warmen Morgenmantel übergezogen und war in ihre Pantoffeln geschlüpft, die wie jeden Morgen neben ihrem Bett auf ihre meist eiskalten Füße warteten. Adele erinnerte sich, dass ihr an diesem Morgen besonders kalt gewesen war, weswegen sie sich kaum, dass sie das Licht in ihrer kleinen Küche eingeschaltet hatte, einen Tee aufsetzte und die Heizung etwas höher gedreht hatte, wohl wissend, dass Walter ihr dafür den Hals umdrehen würde. Aber an diesem Morgen war es ihr egal gewesen…
    Adele wartete ungeduldig bis das Wasser sprudelte und ihr Kräutertee durchgezogen war. Mit der warmen Tasse zwischen ihren Handflächen schlenderte sie zum Küchenfenster herüber, setzte sich auf die Fensterbank und blickte durch die beschlagene Glassscheibe hinunter auf die Straße, die an ihrem Haus vorbeiführte. Eine ganze Weile saß sie regungslos in ihrer Fensterbank, trank ihren Tee und beobachtete, wie die weißen Schneeflocken durch die Luft tänzelten. Es war selten, dass es in diesen Breitegraden schneite und in den letzten Jahren hatte man auf ein weißes Weihnachtsfest verzichten müssen- nicht, dass es Adele störte. Auch wenn Schnee zugegeben etwas Wunderbares und Faszinierendes an sich hatte, liebte sie die kalifornische Hitze, den sonnigen Frühling, den trockenen Sommer, die lauen Herbst- und Wintermonate. An diesem Morgen, jedoch, ließ sie Adele von dem Schneegestöber verzaubern, nicht ahnend, dass sie schon bald eine noch viel größere Überraschung als den plötzlich, über Nacht eingebrochenen Winter erleben würde.

    Es war etwa gegen halb sieben, als es geschah. Adele hatte gerade ihre zweite Tasse Tee ausgetrunken und war drauf und dran sich von der Fensterbank zu erheben, als sie auf einmal im Augenwinkel einen dunklen Wagen ausmachte, der in die verschneite Straße einbog und sie langsam entlangzufahren begann. Adele erinnerte sich, dass sie sich verwundert gefragt hatte, ob ihr wohl der Einzug eines neuen Nachbars entgangen war, denn sie kannte diesen Wagen nicht. Und außerdem, hatte sie sich augenblicklich gerügt, gab es in ihrer Straße nur ein freies Haus, jenes, welches auf der gegenüberliegenden Straße schon seit Jahren brachlag und auf neue Bewohner wartete. Doch bis jetzt hatte es niemand haben wollen. Es schien fast so, als schien jeder seine Geschichte zu kennen. Im Laufe der Jahre hatte es den einen oder anderen Interessenten gegeben, doch keiner von ihnen war geblieben. Sie waren gegangen und hatten das leerstehende Haus zurückgelassen. Der momentane Eigentümer hätte es sich anders überlegt, hieß die offizielle Erklärung des Maklers, doch Adele glaubte, dass noch viel mehr dahintersteckte. Sie kannte den Eigentümer des Hauses und sie kannte seine Geschichte. Sie wusste, was in diesem Haus passiert war, weswegen es sie auch nicht verwunderte, dass sie den Mann schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Niemand wusste, wo er steckte, niemand. Er war verschwunden, in einer Nacht- und Nebelaktion, ohne sich von ihr oder einem der anderen zu verabschieden. Er war einfach fort gewesen…

    Kehrte er nun zurück, wunderte sich Adele und ließ den sich nähernden Wagen nicht aus den Augen. Langsam kroch er die verschneite Straße entlang, ehe er tatsächlich vor dem Haus auf der gegenüberliegenden Straße zum Stehen kam. Adeles Herz begann schneller zu schlagen, und sie stellte die Tasse ab. Ob er wohl… Sie presste ihre Nase gegen die kühle Glassscheibe als sie sah, wie sich die Tür auf der Fahrerseite öffnete. Adele hielt den Atem an, als zwei lange Beine erschienen, gefolgt von einem dunklen Haarschopf, den es so nur einmal auf der Welt gab, und dem Rest des sehnigen Körper des Mannes. Nein, schoss es Adele augenblicklich durch den Kopf, das kann nicht sein. Ihre wasserblauen Augen wurden weit, als der hochgewachsene Mann aus dem Wagen ausstieg und sich sofort zu dem Haus umdrehte, vor dem er seinen Wagen geparkt hatte. Adele schluckte. Das war unmöglich!

    „O mein Gott“, flüsterte sie und blinzelte einmal, dann noch einmal. Sie glaubte ihren eigenen Augen nicht trauen zu können, weswegen sie sie wiederholt fest zusammenkniff, was jedoch nichts an der Realität änderte. Adele öffnete die Augen wieder und sofort klebten sie wieder an dem Mann, der sich nun in der näheren Umgebung umzusehen schien, fast so, als versuchte er sich daran zu erinnern, hier vor langer Zeit einmal gelebt zu haben. Er trug einen dunklen Wintermantel, der ihn bis an die Kniekehlen reichte, und er hatte sich einen wollenen Schal um den Hals gebunden. Adele verspürte den Drang, gegen die Fensterscheibe zu klopfen, um ihn auf sich aufmerksam zu machen, entschied sich dann jedoch dagegen und gab sich damit zufrieden, ihn weiter unauffällig zu beobachten.
    Er wirkte etwas verlassen und schien nicht zu wissen, was er tun sollte. Die Hände in den Taschen seines Mantels verborgen, stand er vor seinem Wagen und betrachtete das Haus, welches er vor so vielen Jahren einmal sein Zuhause genannt hatte. Adele konnte sein Gesicht nicht sehen, da er es ihr abgewandt hatte, dennoch wusste sie, dass seine Miene voller Skepsis und seine Stirn gerunzelt war. Sowieso war ihr nicht entgangen, dass seine Miene ernster und irgendwie… in sich gekehrter wirkte. Er wirkte… verändert, nicht nur was sein Äußeres betraf. Er war nicht nur älter geworden; irgendetwas an ihm irritierte Adele so sehr, dass sie es nicht genau zu bestimmen wusste. Sie versuchte Näheres zu erkennen, doch noch bevor sie dazu kam, setzte der Mann sich in Bewegung und begann auf das Haus zu zuschlendern, die verschneite Auffahrt hinauf, bis direkt vor die Haustür. Adele sah, wie er in der Manteltasche zu kramen begann und schließlich einen Schlüsselbund hervorzog. Das kalifornische Klima und die Meeresluft schienen den Türrahmen verzogen zu haben, denn er musste sich mit seinem ganzen Gewicht dagegenlehnen, bevor die Tür sich endlich öffnen ließ. Er trat nicht sofort ein, sondern verharrte noch einen Augenblick lang vor der offen stehenden Tür, dann, plötzlich, drehte er sich um und sah in Adeles Richtung, gerade so, als ob er auf einmal geahnt hatte, dass sie ihn beobachtete.

    Sein Blick traf ihren.

    Adele erschauderte und wagte es kaum, wegzusehen. Ihn nach so vielen Jahren wiederzusehen löste gemischte Gefühle in ihr aus. Seine haselnussfarbenen Augen bannten sie, und mit einem Mal musste Adele schlucken. Er war zurückgekehrt, er war es tatsächlich. Für einen kurzen Augenblick glaubte sie, den Ansatz eines Lächelns um seine Mundwinkel herum zu erkennen; im nächsten Moment, jedoch, was das Zucken schon wieder verschwunden, und er drehte sich um und betrat das Haus. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss zurück, und wenngleich der Schneefall das Geräusch dämpfte, zuckte Adele Bloomwood zusammen und ein eiskalter Schauer lief über ihren Rücken.

    „Addie?“ Adele gab einen erschrockenen Laut von sich, als hinter ihr auf einmal die Stimme ihres Mannes ertönte, und als sie sich mit schuldbewusster Miene umwandte, sah sie Marvin in der Küchentür stehen, sein mausgraues, lichter werdendes Haar wirr, sein faltiges Gesicht zerknautscht. „Was ist den los?“, fragte er und betrat schlurfend die Küche. „Ist alles in Ordnung? Du bist ja ganz blass, Liebling! Du siehst aus, als hättest Du gerade einen Geist gesehen.“

    Einen Moment lang schwieg Adele, dann blickte sie wieder zum Fenster hinaus, fasste das Nachbarhaus ins Auge und meinte mit leiser Stimme: „Das habe ich auch, Marv. Das habe ich auch.“


    ooOOoo


    Die Haustür fiel mit einem dumpfen Geräusch ins Schloss zurück, welches ihn unwillkürlich zusammenzucken ließ. Dann, mit einem Mal, von jetzt auf gleich, war es still, und er stand allein im leeren Hausflur, darauf wartend, dass etwas passierte, dass einfach irgendetwas passierte, ganz egal was. Sein Blick glitt über den feinsäuberlich verlegten Parkettboden, der sich vom Eingangsbereich des Hauses, durch den kurzen Flur bis in den geräumigen Wohn- und Essbereich zog, und eine Welle der Erinnerung überschwemmte ihn für wenige Sekunden; so schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden die Bilder jedoch wieder. Zaghaft setzte er sich in Bewegung und durchquerte den Flur vorsichtigen Schrittes. Die alten Dielen knarrten und knirschten unter seinen Füßen, ähnlich wie es der frisch gefallene Schnee außerhalb des Hauses getan hatte, ein Geräusch, das ihm gleichzeitig so vertraut und so fremd vorkam. Er erinnerte sich, tagtäglich über diese Dielen gelaufen zu sein, ohne dass er sich am Knarren und Knirschen des Bodens gestört hatte, doch heute- viele Jahre später- fuhr ihm jedes Geräusch durch Mark und Bein und rief Erinnerungen und Bilder hervor, die er eigentlich vergessen wollte.

    Eigentlich.

    Er betrat das große Wohnzimmer, an den ein winziges Esszimmer angrenzte, blieb stehen, hielt für einen Moment in seinen Gedanken inne und sah sich um. Nichts war verändert worden, so wie er es mehr oder weniger verfügt hatte, stellte er zufrieden fest. Weiße Stoffplanen schützten die unter ihnen verborgen liegenden Möbelstücke vor dem Staub, der durch die Luft wirbelte. Auf dem Weg zur Terassentür entfernte er einige von ihnen; eine cremefarbene Couchgarnitur kamen darunter zum Vorschein, eine alte, schäbige Kommode, an die er sich seltsamerweise nicht erinnern konnte, ein Korbcouchtisch, ein alter Samtsessel und zu guter Letzt noch der schwere Holztisch samt Stühlen im Esszimmer. Die Planen in den Händen haltend, blieb er erneut stehen, um sein Werk zu betrachten. Ein Hauch von Nostalgie überkam ihn, als er seinen Blick durch den Raum schweifen ließ. Der Anblick der ihm so vertrauten Umgebung ließ ihn erzittern und obwohl er sich eigentlich hätte freuen sollen, endlich, nach so vielen Jahren, zuhause zu sein, verspürte er nichts als eine innere Leere. Er spürte schlicht und ergreifend… nichts.

    Seufzend verließ er das Wohnzimmer und verstaute die eingestaubten Planen vorübergehend in der Wandgarderobe. Er konnte sie später wegräumen, sagte er sich, jetzt gab es anderes zu tun. Nach so vielen Jahren der Abwesenheit wartete dieses Haus darauf, wieder zum Leben erweckt zu werden, auch wenn sich alles in ihm gegen die Idee, hier einzuziehen, sträubte. Dies ist nicht Dein Zuhause, versuchte seine innere Stimme auf ihn einzureden, doch er ignorierte sie. So wie er es in letzter Zeit sooft getan hatte, viel zu oft. Doch er sah einfach keine andere Möglichkeit, als sie zu ignorieren, zumal es auf der anderen Seite auch besser so war. Seine innere Stimme hatte ihm in der Vergangenheit schon genug Ärger eingebrockt, weswegen es nur zu seinem Vorteil sein konnte, sie zu ignorieren.

    Er begann seinen Streifzug durch die ihm so vertrauten Räumlichkeiten im Wohnzimmer und im Esszimmer, ließ seinen Blick über die Wände, den Boden, die Möbel schweifen, wobei er sich krampfhaft daran zu erinnern versuchte, dass er sich hier einmal- vor sehr, sehr langer Zeit- zuhause gefühlt hatte. Es fiel ihm schwer, sehr schwer. Die Erinnerungen, die er mit diesem Haus verband, zählten nicht wirklich zu seinen liebsten und bereiteten ihm Kummer, dennoch sah er sich gezwungen, sich mit ihnen auseinander zu setzen, denn sie würden von nun an sein Leben bestimmen, so schwer es ihm auch fiel, diese Tatsache zu akzeptieren. Er war freiwillig hierher zurückgekehrt, hatte aus freien Stücken für sich selbst entschieden, hier leben zu wollen. Tief in seinem Inneren wusste er, dass es das Beste war, auch wenn es sich im ersten Moment nicht so anfühlte. Durch die leeren Räume des Hauses schlendernd, fühlte er sich wie ein Fremdkörper. Er gehörte nicht hierher, hatte es noch nie getan. Dies, sagte er sich und sah sich um, war nicht sein Leben, war es noch nie gewesen. Dies war eine einzige Farce, ein Stück seiner Vergangenheit, die er in all den Jahren so verzweifelt zu vergessen versucht hatte. Trotzdem hatte sein Weg ihn wieder hierher zurückgeführt, was er geradezu lachhaft fand. Er hatte das hier nie gewollt und war dennoch zurückgekommen, um dort weiterzumachen, wo er vor vielen Jahren aufgehört hatte.

    Lachhaft.

    Seufzend blieb er vor der Treppe stehen, die ins Obergeschoss hinaufführte, und blickte die edlen Holzstufen hinauf. Es war nur ein kleiner Schritt, vor dem sich jedoch sein ganzer Körper zu sträuben schien. Erneut wellten die Erinnerungen in ihm auf und Bilder aus längst vergangenen Tagen erschienen vor seinem geistigen Auge. Er schluckte. Es waren Bilder, die sein Herz dazu veranlassten, sich schmerzhaft in seiner Brust zusammenzuziehen, Bilder, die ihn vor langer Zeit dazu gebracht hatte, einfach loszuschreien und wutentbrannt Gegenstände durch den Raum zu schleudern. Auch jetzt überkam ihn dieses Verlangen, doch er kämpfte dagegen an, ballte die Fäuste und presste sie gegen seine Hüfte. Nicht heute, sagte er sich, als er seinen Fuß zögerlich auf die erste Treppenstufe setzte, nicht heute. Tief durchatmend ließ er seinen anderen Fuß folgen und begann die Treppe langsam emporzusteigen.

    Es war nicht das, was er gewollt hatte, nein, das war es nicht. Es war das, was er einmal gehabt und freiwillig aufgegeben hatte. Es war sein altes Leben, in welches er eigentlich nie hatte zurückkehren wollen, niemals. Heute tat er es, freiwillig, zumindest mehr oder weniger. Ja, heute kehrte er in sein altes Leben zurück, nicht wissend, ob es die richtige Entscheidung war. Es war die weisere Entscheidung, sagte er sich, als er die Hälfte der Treppe erklommen hatte und stehenblieb. Es war in der Tat die weisere Entscheidung. Das hier war alles, was ihm noch geblieben war. Jenseits dieses Hauses gab es nichts mehr, wohin zurückzukehren es sich lohnte. Den Ort, den er bisher sein Zuhause genannt hatte, war in unerreichbare Ferne gerückt. Er konnte nicht zurück, er… wollte es nicht. Dies hier war nun sein Zuhause. Er würde lernen, hier zu leben und seine Entscheidung nicht jeden Tag aufs Neue zu bereuen. Er würde lernen, sich hier zuhause zu fühlen und nicht täglich an das zu denken, was er hierfür aufgegeben hatte.

    Dies hier war von nun an sein Zuhause, ja das war es. John Sheppard nickte entschlossen und nahm die übrig bleibenden Treppenstufen in einem Satz. Am oberen Ende der Treppe angekommen, blickte er in das untere Stockwerk herab. Zuhause, dachte er und seufzte. Dies war jetzt sein Zuhause. Mit diesem Gedanken machte er sich auf, den Rest seines neuen ‚alten’ Zuhauses zu erkunden.


    ooOOoo


    Richard Woolsey starrte fassungslos auf das Schreiben, welches er am Morgen auf seinem Schreibtisch vorgefunden hatte, als Doktor Rodney McKay, Teyla Emmagan und Ronon Dex mit besorgten Gesichtern sein Büro betraten. Er hatte sie gebeten zu kommen kaum, dass er das Schreiben gefunden, gelesen und seine Bedeutung verstanden hatte. Richard hatte sofort geahnt, dass diese Angelegenheit nicht nur ihn etwas anging, sondern auch ebendiese drei Personen, die ihn nun erwartungsvoll ansahen.

    „Sie wollten uns sprechen, Mister Woolsey?“, sprach Teyla Emmagan für ihre beiden Teamkameraden.

    Richard schluckte. „Ja“, erwiderte er, auf die weißen Sitzmöglichkeiten deutend, mit denen sein Büro ausstaffiert war. „Setzen Sie sich doch bitte. Es gibt da in der Tat etwas, was ich gerne mit Ihnen drei besprechen möchte.“

    „Sollten wir nicht noch auf Sheppard warten?“, gab Ronon Dex zu bedenken, als er und seine beiden Kollegen sich gesetzt hatten. „Wenn Sie uns…“

    „Das ist genau der Grund, warum ich Sie hierher bestellt habe“, fiel Richard dem Sateder ins Wort. „Colonel Sheppard ist der Grund.“ Es fiel ihm schwer, dies zu sagen, aber es war nun einmal, wie es war. Der Grund für dies alles war in der Tat Lieutenant Colonel John Sheppard, und Richard war sich nicht sicher, wie er beginnen sollte.

    „Wieso verwundert mich das jetzt nicht?“, warf Rodney McKay ein, worauf Teyla ihm einen warnenden Seitenblick zuwarf, ehe sie sich Richard zuwandte.

    „Mr. Woolsey-“ Ihre Stimme klang zögerlich-„ist etwas nicht Ordnung mit Colonel Sheppard?“

    Der Expeditionsleiter seufzte. „Ich wünschte, ich könnte Ihnen drei erfreulichere Neuigkeiten bieten, aber-“ Er brach ab und ließ seinen Blick über das wartende Team des Colonels schweifen. „Es tut mir wirklich leid, aber…“, begann er erneut, verstummte aber nach wenigen Sekunden erneut. Er war Diplomat, wusste mit Worten umzugehen, doch genau in diesem Moment fehlten sie ihm. Er konnte es ja selbst nicht glauben, wie sollte er es dann den Personen unterbreiten, deren Leben sich mit Sicherheit radikal ändern würde? Richard schluckte wiederholt.

    „Ist das-“ Teylas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Die Athosianerin starrte auf das Schreiben, welches vor Richard auf dem Schreibtisch lag. Wenngleich sie nicht lesen konnte, was im Einzelnen auf dem weißen Papier geschrieben stand, schien sie es zu erahnen und sog die Luft ein und murmelte ein entsetztes, fast stummes ‚Nein’.

    „Es tut mir leid“, wiederholte Richard.

    Nun war es an Doktor McKay entsetzt dreinzublicken. Auch er fasste das Schreiben ins Auge, als er mit brüchiger Stimme meinte: „Heißt das… Wollen Sie damit sagen, dass…“ Als Richard nickte, ließ sich der Kanadier gegen die Rückenlehne des Sessels zurückfallen. „Mein Gott, dieser… Idiot!“

    „Rodney“, wies Teyla ihn postwendend scharf zurecht.

    „Was?“, blaffte Rodney daraufhin zurück. „Das ist er doch! Ein Idiot, ein gottverdammter Idiot! Was denkt er sich nur dabei?“

    „Was denkt er sich wobei?“, wollte Ronon wissen, der sichtlich verwirrt zwischen seinen beiden Freunden und Richard hin- und herblickte. „Was ist denn passiert? Ich verstehe das nicht. Was ist mit Sheppard?“

    Einen Moment lang hing ein Schweigen in der Luft, ehe Richard Woolsey mit resignierter Stimme das verkündete, was nie jemand für möglich gehalten hatte.

    „Colonel Sheppard hat Atlantis verlassen. Dies-“ Er deutete auf das Schreiben-„ist seine Kündigung. Er… er wird nicht zurückkehren.“

    Fortsetzung folgt…

    *Schluck* O mein Gott, nein, wie konnte ich das nur tun? John Sheppard und Atlantis gehören dich zusammen, mögt ihr jetzt denken. Tja, in mir schlummert halt eine kleine Dramaqueen, und glaubt mir, es wird noch viel schlimmer werden. Viel, viel schlimmer*muhaha*.
    Geändert von Nyada (03.06.2013 um 14:38 Uhr)

  2. Danke sagten:


  3. #2
    Major Avatar von claudi70
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    Na du machst es ja wirklich sehr spannend. Was ist da nur passiert, dass John so einen Schritt geht?
    Bis her gefällt mir die Geschichte sehr gut Bin gespannt, was da noch sooo "Schlimmes" passieren wird.

    Ein ganz großes Dankeschön auch an Ailya für diese schöne Fanart.

  4. Danke sagten:


  5. #3
    Brigadier General Avatar von Kevin
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    Hallo Nyada!

    Ich habe mir den ersten Teil jetzt auch mal durchgelesen und bin wirklich erst mal extrem beeindruckt von der Art, wie du schreibst. Die ersten beiden Abschnitte kamen ja (fast) ohne jegliche Dialogzeile aus. Dein Erzählstil ist wirklich fesselnd und sehr bildhaft. Ich konnte mir sowohl Adele, als auch John in den beschriebenen Szenen wirklich sehr gut vorstellen.
    Generell hast du viele schöne Details beschrieben, die einem das Bild wirklich vor Augen führen.

    Das mal rein zum Stil.

    Ansonsten kann ich mich nur claudi70 anschließen. Es ist wirklich sehr spannend, weil man einfach keine Ahnung hat, was da eigentlich los ist. Warum hat John gekündigt? Was für schlimme Erinnerungen verbindet er mit diesem Haus? Er war ja verheiratet. Vielleicht geht es da um die Ehe, die in diesem Haus zu Bruch ging? Oder etwas anderes?

    Man merkt schon, ich bin sehr gespannt darauf, was die Hintergründe für all das sind. Demnach bitte ich um die Fortsetzung!
    Alterans' Eternal War

    The Last Of Them / The Long Way Back Home / Past / Present
    &
    coming soon
    Future

  6. Danke sagten:


  7. #4
    zigtausend Jahre alt ... ;-) Avatar von John's Chaya
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    Das ist mal wieder typisch Nyada, was auch sonst..., lässt uns in den Glauben, dass John Atlantis freiwillig verlassen hat.
    Ich schätze, es gab einen wichtigen Grund für sein Handeln, denn sonst wäre er nicht John Sheppard.
    Nun bin ich ja mal gespannt, wie lange du Dramaqueen uns nun auf eine Fortsetzung warten lässt , denn die will ich haben!!!
    Das die Geschichte natürlich mal wieder super geschrieben ist, brauch ich ja wohl nicht zu erwähnen, denn das machts du immer fantastisch!!!

    Kleine Frage hätte ich aber noch, was ist mit der Fortsetzung von Couvade???

    Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein.

  8. Danke sagten:


  9. #5
    Mama, im Dienste Ihrer Majestäten Avatar von Nyada
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    Standard Antworten

    A/N: Das Wochenende ist schon wieder fast vorbei, weswegen ich wieder einmal zu dem Schluss komme, dass zwei Tage definitiv zu wenig sind*seufz* Bevor für uns alle aber morgen der Ernst des Lebens wieder losgeht, möchte ich mich heute mit diesem Post ganz herzlich für euer bisheriges Feedback bedanken (Ich hoffe, dass es noch mehr werden ) und mich mit zwei, drei Zeilen dazu äußern.

    @claudi70:

    Na du machst es ja wirklich sehr spannend. Was ist da nur passiert, dass John so einen Schritt geht?
    Es muss schon etwas sehr Gravierendes gewesen sein, das John dazu veranlasst hat, Atlantis freiwillig zu verlassen, da gebe ich dir recht. Und lass es dir gesagt sein, in meinem Augen ist die Lösung des Rätsels etwas sehr Gravierendes, mal sehen, wie du und die anderen das sehen werdet. Auf jeden Fall wird in dieser Geschichte Johns Vergangenheit eine große Rolle spielen- seine Ehe mit Nancy und seine Zeit in Afghanistan eingeschlossen. Du darfst also weiterhin gespannt sein!

    Danke für deinen Kommentar.

    @Kevin:

    Ich habe mir den ersten Teil jetzt auch mal durchgelesen und bin wirklich erst mal extrem beeindruckt von der Art, wie du schreibst. Die ersten beiden Abschnitte kamen ja (fast) ohne jegliche Dialogzeile aus. Dein Erzählstil ist wirklich fesselnd und sehr bildhaft. Ich konnte mir sowohl Adele, als auch John in den beschriebenen Szenen wirklich sehr gut vorstellen.
    Generell hast du viele schöne Details beschrieben, die einem das Bild wirklich vor Augen führen.
    Freut mich, dass es dir gefallen hat, und ich bin auch gleichzeitig erleichtert. Mein winzigkleiner Hang zum Perfektionismus ließ sich auch dieses Mal nicht unterdrücken, weswegen ich drei oder sogar vier Anläufe brauchte, um den Prolog fertigzustellen. Dass es dir gefallen hat, ist Balsam für meine Seele. Und dein Lob hat mich sogar etwas rotwerden lassen.

    Ansonsten kann ich mich nur claudi70 anschließen. Es ist wirklich sehr spannend, weil man einfach keine Ahnung hat, was da eigentlich los ist. Warum hat John gekündigt? Was für schlimme Erinnerungen verbindet er mit diesem Haus? Er war ja verheiratet. Vielleicht geht es da um die Ehe, die in diesem Haus zu Bruch ging? Oder etwas anderes?
    Ja und nein. Johns gescheiterte Ehe wird eine Rolle in dieser FF spielen und hat auch etwas mit dem Haus zu tun, aber natürlich werde ich dir jetzt noch nicht verraten inwiefern. Das wäre ja ungerecht, nicht wahr? Wie ich bereits zu Claudi meinte, werde ich versuchen, euch in Johns Vergangenheit zu entführen, was seine Ehe mit Nancy ja einschließt. Hauptsächlich wird es aber um jenes verhängnisvolle Ereignis in Afghanistan gehen, in welches wir in der Folge 'Phantoms' ja schon den ein oder anderen Einblick bekommen haben...

    Oops.... jetzt habe ich schon wieder mehr erzählt, als ich eigentlich wollte. Nun ja, so bin ich nun einmal, immer reden.

    Vielen Dank für dein Feedback!

    @John's Chaya:

    Das ist mal wieder typisch Nyada, was auch sonst..., lässt uns in den Glauben, dass John Atlantis freiwillig verlassen hat.
    Du kennst mich doch, ich kann einfach nicht anders. Und ich liebe die kleine Dramaqueen in mir*grins*.

    Ich schätze, es gab einen wichtigen Grund für sein Handeln, denn sonst wäre er nicht John Sheppard.
    Oh, den gibt es, aber ich befürchte, dass er dir nicht gefallen wird, meine Liebe. Jaja, es wird wieder dramatisch, aber das bist du ja inzwischen von mir gewohnt, gell? Ich KANN einfach nicht anders. Ich bin nunmal eine kleine Dramaqueen, weswegen es auch in dieser FF wieder emotional hergehen wird. Du wirst schon sehen, du wirst schon sehen.

    Nun bin ich ja mal gespannt, wie lange du Dramaqueen uns nun auf eine Fortsetzung warten lässt , denn die will ich haben!!!
    Ich habe mir vorgenommen, jede Woche ein neues Kapitel zu posten- mal sehen, ob ich das schaffe; mein kleiner Sohnemann hält mich nämlich im Moment ganz schön auf Trab, er beginnt gerade so langsam mit dem Krabbeln, was bedeutet, dass er das Haus unsicher macht*grins* Man bzw. Mama muss da immer auf der Hut sein, besonders jetzt, wo mein Göttergatte wieder regelmäßig arbeitet. Aber ich werde versuchen, mich ranzuhalten.

    Kleine Frage hätte ich aber noch, was ist mit der Fortsetzung von Couvade???
    Kennst du das, wenn du etwas anfängt, den Kopf voller guter Ideen, die dann ganz plötzlich, mit einem Schlag weg sind? So ergeht es mir im Moment mit 'Couvade', und auch 'Memento Mori' liegt brach, obwohl ich dort wenigstens den Funken einer Vorstellung habe, wie es weitergehen soll. Ich sage nur:

    Spoiler 
    Michael


    Auch dir sende ich ein dickes, fettes Dankeschön für deinen Kommi!

  10. Danke sagten:


  11. #6
    Mama, im Dienste Ihrer Majestäten Avatar von Nyada
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    Standard Kapitel Eins

    A/N: Wie versprochen, gibt es heute wieder ein neues Kapitel. Anfangs viel es mir echt schwer, dieses Kapitel zu schreiben. Weswegen, mögt ihr euch jetzt vielleicht fragen. Nun ja, die Anfangssequenz, die ihr jetzt gleich lesen werdet, ist auf die Idee meiner Freundin zurückzuführen, mit mir am Wochenende einen wahren ‚Desperate Housewives’-Marathon zu machen. Ebendiesen habe ich dann am letzten Samstag und Sonntag durchlebt, und was soll ich sagen? Es hat sich bedauerlicherweise auf dieses Kapitel ausgewirkt*seufz*. Aber ich habe versucht, es in Grenzen zu halten, und ich verspreche hoch und heilig, dass so etwas nie wieder vorkommen wird- hoffen wir’s mal*grins*.

    Nun wünsche ich euch ganz, ganz viel Spaß beim Lesen und über euer Feedback würde ich mich sehr freuen.

    Eure Moni


    Kapitel Eins


    „Vielleicht sollten wir einfach mal rübergehen“, schlug Marcia Bigelow vor und rührte in ihrem Cappuccino herum, während sie mit nachdenklicher Miene zum Fenster hinausstarrte. „Und ihn willkommenheißen“, fügte sie erklärend hinzu. „Ich könnte ihm welche von meinen Bananen-Nuss-Muffins vorbeibringen.“

    „Wozu das?“, wunderte sich Bree Whitman, die Marcia schräg gegenübersaß. „Willst Du ihn vergiften?“ Ihre pfefferminzgrünen Augen blitzten Marcia herausfordernd an, aber jeder der um den Tisch versammelten Frauen wusste, dass Bree’s Sticheleien nicht ernst gemeint waren, sondern dass sie schlicht und ergreifend ihre Freude daran fand, ihre Freundin mit ihren mehr oder weniger vorhandenen Backkünsten aufzuziehen.

    „Ich mein’ ja nur“, erwiderte Marcia achselzuckend und ihr Gesicht verschwand wieder im heißen Dampf ihres Cappuccinos.

    „Also, ich finde, dass Marcia gar nicht mal so Unrecht hat“, verkündete in diesem Augenblick Phyllis Swan, die zwischen Bree und Marcia eingekesselt saß. „Es gehört einfach zum guten Ton einen neuen Nachbarn zu begrüßen. Wir sollten rübergehen.“

    „Nur, dass er genaugenommen kein neuer Nachbar ist“, gab Bree zu Bedenken. „Ich denke nicht, dass es eine gute Idee wäre, einfach so- mir nichts, dir nichts- rüberzugehen. Ich meine, was wissen wir denn schon über diesen Kerl? Nichts“, antwortete sie auf ihre eigene Frage, ehe es eine ihrer Freundinnen tun konnte. „Wir wissen weder, warum er damals so unvermittelt verschwunden ist, noch wohin. Kommt es euch denn nicht auch Spanisch vor, dass er einfach so in einer Nacht- und Nebelaktion verschwunden ist und keine von uns ihn danach je wieder gesehen hat?“ Bree blickte erwartungsvoll in die Runde und in die nachdenklichen Gesichter ihrer Freundinnen. „Also, mir ist und bleibt dieser Kerl suspekt“, tönte sie daraufhin.

    „Dieser ‚Kerl’ hat auch einen Namen, Bree“, mischte sich an dieser Stelle Adele Bloomwood in das Gespräch ein, die gleichzeitig die heutige Gastgeberin der illustren Damenrunde war, „und ich finde, dass Du nicht so voreingenommen sein solltest. Er war immerhin schon einmal unser Nachbar, vergiss das bitte nicht. Zugegeben, es war schon… seltsam, dass er damals ohne etwas zu sagen verschwunden ist, aber wir haben uns doch alle damals so gut verstanden.“

    „Gut verstanden?“, echote Bree und schüttelte so verächtlich den Kopf, dass ihre feuerroten Korkenzieherlocken auf- und abwippten. „Ich weiß ja wirklich nicht, was bei Dir alles unter den Begriff ‚sich gut verstehen’ fällt, Addie, aber ich muss doch wohl niemanden an diesem Tisch darauf hinweisen, dass dieser Bursche mehr als nur etwas seltsam ist. Schon damals war er es“, ergänzte sie. Eine kurze Pause entstand, dann meinte Bree jedoch fortfahrend: „Wenn ihr mich fragt, ist er unheimlich. Und die Art, wie er sich in der Öffentlichkeit gegeben hat. Tzz, also ich habe noch nie einen Mann erlebt, der sich auf Veranstaltungen hinter seiner Frau versteckt hat, wie ein ängstlicher Junge.“

    „Da ist was Wahres dran“, pflichtete Marcia Bigelow ihr bei, schob sich jedoch gleich darauf eine gabelvoll köstlichen Erdbeerkuchens in den Schlund, fast so, als schämte sie sich für ihre eigene Aussage.

    „Nicht jeder ist für das Rampenlicht und die Öffentlichkeit geboren und nicht jeder liebt es so wie Du, Bree“, versuchte Adele ihren Nachbarn zu verteidigen, „und außerdem hat der Mann viel erlebt in seinem Leben. Soweit ich weiß war er eine zeitlang in Afghanistan stationiert gewesen, und es weiß doch jeder, wie der Krieg die Jungs da drüben beeinflusst und verändert.“

    „Gott allein weiß, was der Ärmste da alles hat mitmachen müssen“, seufzte Phyllis. „Ich habe gehört, dass er seinen Kameraden hat sterben sehen. Stellt euch das doch nur einmal vor!“

    Pures Entsetzen stand in Marcias Gesicht geschrieben, als sie sich die Hand vor den Mund schlug, geradeso, als hätte sie die Geschichte heute zum allerersten Mal gehört. „Nein, wie schrecklich!“

    „Und dann noch die Sache mit seiner Frau und dem Baby…“ Phyllis brach an dieser Stelle ab, ließ die anderen aber mit einem schnalzenden Laut wissen, wie entsetzlich sie allein die Erinnerung fand.

    „Wie schrecklich!“, wiederholte Marcia, während Adele, ihrerseits, schwieg. Niemand brauchte sie an diesen Abschnitt im Leben ihres Nachbarn zu erinnern; jeder wusste, dass es geschehen war, doch niemand sprach es aus. Vielleicht, sagte Adele sich jedes Mal, wenn das Thema durch die Oberfläche zu brechen drohte, dann jedoch im letzten Moment abgewürgt wurde, war es besser so.

    Bree zeigte sich von alledem unbeeindruckt. Sie verkreuzte die Arme vor ihrem Brustkorb und meinte mit ernster Stimme: „Das ändert aber nichts daran, dass ich diesen Kerl mit Vorsicht genieße. Wie ihr sagtet, er war im Krieg; wer weiß, wozu er fähig ist!“

    „Jetzt ist es aber genug, Bree“, wies Adele sie augenblicklich scharf zu Recht. „Ich denke, wir haben alle begriffen, dass Du nicht allzu begeistert bist, dass er zurückgekehrt ist.“

    „Worauf Ihr Gift nehmen könnt“, erwiderte ihre Nachbarin spitzzüngig, führte die Tasse an ihre Lippen und nippte an ihrem Kaffee. „Versteht mich bitte nicht falsch, aber ich wundere mich ehrlich darüber, dass er nach all diesen Jahren aus heiterem Himmel wieder aus der Versenkung aufgetaucht ist. Nicht, dass ich damit sagen will, dass so einer wie er hier nicht hergehört, aber es ist doch schon merkwürdig, findet ihr nicht auch?“

    Schweigen war die Antwort auf ihre Frage, und selbst Adele, die bis jetzt versucht hatte, ihren Nachbarn in Schutz zu nehmen, ließ ihren Blick verstohlen durch das Fenster, zur gegenüberliegenden Straßenseite wandern, wo der dunkle Wagen noch immer an derselben Stelle parkte, ein sicheres Anzeichen dafür, dass ihr Nachbar sein Haus seit seiner Ankunft am Vortag nicht verlassen hatte.

    „Ja, merkwürdig“, hörte sie Phyllis Swan murmeln und im Augenwinkel sah sie Marcia Bigelow mit nachdenklicher Miene an ihrem Cappuccino nippen.

    „Ich denke nicht, dass wir zu ihm gehen sollten“, meinte Adele plötzlich und zog damit die Aufmerksamkeit ihrer drei Freundinnen auf sich. Sie erinnerte sich an das gezeichnete Gesicht des Mannes, an das matte Funkeln in seinen traurigen, blutunterlaufenen Augen, ein stummer Hilfeschrei. Sie entsann sich, dass er noch nie zu der besonders gesprächigen Sorte Mensch gezählt hatte, weswegen sie stark anzweifelte, dass sie oder ihre Freundinnen je erfahren würden, was genau ihn veranlasst hatte, in das Haus zurückkehren, welches er ganz offensichtlich mit viel Leid und Schmerz verband. Adele schloss für einen Augenblick seufzend ihre Augen und fand sich, ehe sie wusste wie ihr geschah, auf einmal gedanklich in der Vergangenheit wieder. Die Zeit hatte die meisten Erinnerungen verblassen lassen, aber an gewisse Details wusste sie sich durchaus zu erinnern…

    Dunkelheit… Es war Abend… Kurz vor oder nach neun… Die Straße war wie leergefegt… Die Familien in ihren Häusern, das gemeinsame Abendessen genießend… Plötzlich Lärm, der sie und ihren Mann Marvin aufhorchen ließ… Krach, der aus dem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu kommen schien… Laute Stimmen… Die eines Mannes und die einer Frau… Das Klirren des Geschirr, das im Eifer des Gefechts gegen die Wand geschleudert wurde und in tausend Stücke zerbrach… Dann, plötzlich, ein Schrei, lauter als alles andere… Spitz, hoch, durchdringend… Dann, Stille… Wenige Minuten später, Blaulicht und Sanitäter, die aus dem Wagen, in das Haus stürzten und kurz darauf wieder zurückkamen, eine Bahre mit sich führend… Das aschfahle Gesicht ihres jungen Nachbarn… Die Blicke aller anderen, die in diesem Moment auf ihm ruhten… Der durchdringende Lärm der Sirene des Rettungswagens… Dann, erneut Stille… Ihr Nachbar, der allein und mit den Nerven am Ende zurückblieb, unfähig sich zu rühren und zu begreifen, was gerade passiert war… Die Nachricht, am nächsten Morgen, dass der Kampf verloren war…

    Adele öffnete die Augen und sah ihre drei Freundinnen an. „Nein“, wiederholte sie kopfschüttelnd und mit tonloser Stimme, „wir sollten nicht zu ihm gehen. Ich befürchte, dass wir es dadurch noch viel schlimmer machen würden.“ Wenn es überhaupt noch schlimmer für ihn kommen konnte, ergänzte sie in Gedanken, denn, ganz gleich was ihn hierher zurückgeführt hatte, sie bezweifelte auf einmal stark, dass es die richtige Entscheidung gewesen war.


    ooOOoo


    Ronon Dex wollte nicht von sich behaupten, dass er sonderlich gut in solchen Dingen war. Er war ein Krieger, nicht jemand, der seine wertvolle Zeit damit verschwendete Dinge zu beobachten und anschließend bis ins kleinste Detail zu analysieren, was strenge Konzentration auf das eine erforderte. Und strenge Konzentration auf das eine zog unumgänglich Unachtsamkeit mit sich. Und Unachtsamkeit Schwäche, und Schwäche war etwas, das Ronon sich noch nie in seinem bisherigen Leben hatte erlauben können. Schwäche war etwas, was einem das Leben kosten konnte, und die Zeit hatte Ronon gezeigt, dass man sein Leben schneller verlieren konnte, als es einem lieb war. Aus diesem Grund tat er es nicht; er beobachtete nicht und versuchte auch nicht zu analysieren. Er war ein Mann der Tat, ein Krieger, kein Beobachter.

    Dennoch war es ihm nicht entgangen. Genaugenommen war es nicht schwer zu erkennen, dass etwas nicht stimmte, dass etwas anders war. Ronon hatte sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmte und dass seiner mit Abstand besten Freundin etwas auf der Seele lastete, und es war ihm nicht erst heute aufgefallen- nein, es war eine schleichende Veränderung gewesen, die kaum merklich begonnen hatte und nun für jeden offensichtlich war, der näher hinschaute. Ronon beobachtete diese Veränderungen nun schon eine ganze Weile und so langsam begann er sich ernstlich Sorgen zu machen. Zu Anfang hatte er nur hier und dort gestutzt und sich gefragt, ob es wohl wieder vorbeigehen würde. Jetzt, jedoch, fragte er sich, wie und ob er ihr helfen konnte, denn was auch immer sie belastete, schien sie von innen heraus aufzufressen.

    „Vielleicht sollten wir für heute Schluss machen“, sagte er und fasste seine Trainingspartnerin ins Auge, die er gerade mit einem schnellen, jedoch sehr einfachen und leicht abblockbaren Manöver auf die Matte geschickte hatte. Er reichte ihr seine Hand, doch sie ignorierte seine Hilfe, rappelte sich allein auf und begab sich wieder in Angriffsposition.

    „Mir geht’s gut“, erwiderte sie, sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn streichend. „Wir können fortfahren.“

    „Du siehst müde aus“, versuchte es Ronon ein weiteres Mal. „Du solltest sich lieber etwas hinlegen.“ Als sie ihm darauf nichts erwiderte, bohrte er weiter: „Wann hast Du Dich das letzte Mal so richtig ausgeschlafen?“

    „Dafür habe ich keine Zeit“, lautete ihre Antwort. „Es gibt zu viel zu tun.“

    „Zu viel zu tun?“, echote der Sateder verwundert. Seit Atlantis auf der Erde gelandet war gab es alles, nur nicht zu viel zu tun. Die Außenwelteinsätze waren auf ein Minimum reduziert worden oder gar vollkommen zum Erliegen gekommen. Ronon konnte sich schon gar nicht mehr richtig daran erinnern, wann er zuletzt einen Fuß auf einen anderen Planeten gesetzt hatte. Zu viel zu tun? Nein, dass konnte nicht sein, befand er daher und stempelte die Aussage seiner Freundin als eiskalte Lüge ab. Noch etwas, was ihm aufgefallen war; dass sie in der letzten Zeit außerordentlich oft und gerissen log, etwas, was sie früher nie getan hatte.

    „Wollen wir nun weitermachen, oder worauf wartest Du?“ Die Stimme seines Gegenübers klang scharf und gereizt. „Ich habe heute noch etwas anderes zu tun.“

    „Jaja, schon gut“, beeilte sich Ronon zu sagen und begab sich ebenfalls in Angriffsposition, hob seine zum Boxen bandagierten Hände, senkte sie im nächsten Augenblick jedoch wieder. „Nein“, kam es plötzlich sehr entschlossen klingend über seine Lippen, „nein, wir werden jetzt nicht weitermachen.“ Seine Gegnerin hielt inne und sah ihn verwundert an.

    „Was, warum nicht?“, fragte sie und senkte nun ebenfalls ihre Hände. „Ich dachte, Du wolltest…“

    „Nein, wir werden nicht weitermachen, ehe du mir nicht gesagt hast, was verdammt noch einmal mit Dir los ist.“ Seine plötzliche Gereiztheit überraschte den Sateder, und er mahlte seine Kiefer aufeinander. Er senkte seine Hände nun vollends und machte einen Schritt auf seine um einiges kleinere Trainingspartnerin zu, die daraufhin den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm aufsehen zu können.

    „Was meinst Du?“, tat sie unbehelligt.

    „Du weißt ganz genau, was ich meine“, antwortete Ronon, „tu also bitte nicht so, als wäre nichts. Jeder kann sehen, dass Dich etwas bedrückt, Teyla. Also, was ist es?“

    Einen Momentlang schwieg die Athosianerin, und Ronon glaubte sogar ein Zögern in ihren braunen Augen aufflackern gesehen zu haben, doch ehe er sich versah, hatte Teyla sich von ihm weggewandt und marschierte auf die Bank unter dem Fenster. „Ich wüsste nicht, warum Dich das etwas angehen sollte“, hörte er sie kühl sagen.

    „Weil Du meine Freundin bist“, sprach er das aus, was ihm als Erstes durch den Sinn schoss. „Und weil ich mir Sorgen um Dich mache.“ Ronon schlenderte zu ihr herüber. „Du bist seit einiger Zeit irgendwie nicht mehr Du selbst“, sagte er. „Ist alles in Ordnung mit Dir?“

    Teyla hatte ihm noch immer den Rücken zugewandt. „Mir geht es gut, Ronon“, entgegnete sie, doch dieses Mal klang es nicht so selbstsicher wie zuvor. „Es ist alles in bester Ordnung. Die momentane Situation ist nur etwas… schwierig.“

    Ronon nickte verständig. „Du redest von Sheppard, nicht wahr?“

    „Wovon sollte ich denn sonst reden?“, seufzte die Athosianerin und drehte sich zu ihrem Freund um. „Ich… ich verstehe nicht, warum er das getan hat. Es… es war doch wieder alles in Ordnung. Es ging ihm gut.“

    „Ich weiß“, sagte Ronon, „wir alle dachten, dass wieder alles in Ordnung sei. Aber anscheinend haben wir uns darin getäuscht.“

    „Ich… ich fühle mich nur so… schuldig.“ Teyla seufzte erneut. „Ich… ich hätte irgendetwas tun sollen, um ihm zu helfen. Es… es ist…“

    „… nicht Deine Schuld“, fiel Ronon ihr rasch ins Wort. „Es ist niemandes Schuld. Niemand hat es kommen sehen. Wie Du sagtest, wir alle dachten, dass Sheppard wieder auf dem Weg nach oben ist. Wer hätte gedacht…“ Er brach ab, leckte sich über die Lippen und senkte den Blick, ehe er leise meinte: „Wir alle dachten es.“

    Mehrere Momente des Schweigens vergingen, ehe Teyla mit leiser Stimme sagte: „Er… er fehlt mir, Ronon. Ich… vermisse ihn. Er ist zwar erst seit ein paar Tagen fort, aber ich… ich vermisse ihn wirklich sehr. Er… hat so viel für mich getan und war immer für mich da, nachdem ich erfahren habe, dass Kanaan und Torren… dass sie…“ Teyla brachte den Satz nicht zuende, denn ein Schluchzen erstickte ihre Stimme.

    Ronon, seinerseits, zog es vor zu schweigen und sich nicht dazu zu äußern. Er wusste, dass Teyla eine schwere Zeit durchgemacht hatte, nachdem sie erfahren hatte, dass Kanaan und Torren die Stadt verlassen hatten, kurz bevor sich diese zur Erde aufgemacht hatte. Er erinnerte sich auch an ihre unzähligen Tränen, die sie vergossen hatte, an ihre Trauer und an ihre Angst, die beiden womöglich nie wiederzusehen. Und er erinnerte sich auch an ihre Wut darüber, dass Kanaan eine so wichtige Entscheidung, die nicht nur sein Leben, sondern auch das ihres Sohnes betraf, ohne sie getroffen hatte. Ronon entsann sich, wie erbost Teyla gewesen war, nachdem die Trauer über den Verlust der beiden gewichen war, und er entsann sich auch daran, wie Sheppard sie erst zu trösten und später zu beruhigen versucht hatte. Er war in dieser schweren Zeit ihr Anker gewesen, ein Freund, an den sie sich immer hatte wenden können. Er war dort gewesen, wenn sie ihn am meisten gebraucht hatte. Er hatte stets tröstende Worte gefunden, wenn sie von Nöten gewesen waren. Seine Arme waren stets offen gewesen, wann immer Teyla eine Feste gesucht hatte. Ronon hatte gesehen, wie die Freundschaft der beiden während dieser Zeit wieder etwas von der Qualität zurückgewann, welche sie merkwürdigerweise verloren hatte. Man musste kein sonderlich begabter Beobachter sein um zu erkennen, dass die beiden einander gut taten, weswegen es Ronon auch nicht verwunderte, dass Teyla nun litt.

    Seufzend machte er einen weiteren Schritt auf sie zu und schloss sie schließlich in eine sanfte Umarmung, zog ihren angespannten, bebenden Körper an sich und hielt sie fest. Ihre Tränen begannen den Stoff seines Shirts zu durchfeuchten, doch das interessierte ihn jetzt nicht; seine Freundin brauchte jemanden, der ihr durch diese schwere Zeit half, und er wollte für sie da sein. Er wollte ihr klarmachen, dass sie nicht allein war.

    „Schon gut“, hörte Ronon sich murmeln. „Es wird alles wieder gut, hörst Du? Wir werden ihn zurückholen- das verspreche ich Dir, Teyla. Sheppard wird zurückkommen.“

    „Wenn es doch nur so einfach wäre“, schniefte die Athosianerin an seiner Brust. „Wenn es doch nur alles so einfach wäre“, wiederholte sie, blickte auf und sah Ronon in die Augen. „Aber das ist es nicht. Es ist nicht so einfach, Ronon.“ Ohne Vorwarnung löste sie sich aus der Umarmung und trat einen Schritt zurück.

    „Was meinst Du?“, fragte der Sateder, sichtlich verwirrt. „Was ist nicht so einfach, Teyla?“

    Die Athosianerin sah ihn einen Momentlang schweigend an, schüttelte dann jedoch mit dem Kopf und wandte sich weg. „Nicht so wichtig“, sagte sie.

    „Teyla?“ Ronon bekam sie an den Schultern zu fassen und drehte sie zu sich um. „Was ist nicht so wichtig?“

    „Es… es ist nichts“, antwortete sie und wand sich unter seiner Berührung hervor. „Es ist nichts“, meinte sie ein zweites Mal, schnappte sich ihre Sachen und schickte sich an zu gehen. „Wenn Du mich jetzt entschuldigst- ich bin zum Mittagessen mit Doktor Montgomery verabredet.“

    „Teyla? Teyla, warte doch!“, rief Ronon ihr nach, doch sie war bereits zur Tür hinausgeeilt. „Verdammt“, fluchte er und trat gegen die Bank. So viel dazu, schimpfte er und blickte in die Richtung, in die die Athosianerin entschwunden war. Er war so kurz davor gewesen! Ronon seufzte und machte sich, nachdem er sich mit einem Handtuch den Schweiß vom Gesicht getupft hatte, daran, seine Sachen zusammenzuräumen, als er entdeckte, dass Teyla in ihrer Eile etwas vergessen hatte- zumindest glaubte er, dass es ihr gehörte, denn er erinnerte sich nicht daran, dass jemand vor ihnen den Trainingsraum benutzt hatte. Es war ihre marineblaue Sweatjacke, die sie gern trug, wenn sie sich aufmachte, um sich beim Sport zu verausgaben. Ronon beschloss, sie ihr nach dem Mittagessen vorbeizubringen, schnappte sie sich und warf sie sich locker über den Arm, wobei etwas aus der Jackentasche herausfiel, ein Stück Papier, das zu Boden segelte. Seufzend bückte sich Ronon, um es aufzuheben.
    Er war beileibe kein besonders neugieriger, sensationsgeiler Mensch, aber irgendetwas an diesem Stück Papier ließ ihn stocken, weswegen er es nicht sofort wieder in die Jackentasche zurücksteckte, sondern es erst einmal von allen Seiten betrachtete. Es war ein schlichtes Stück Papier, in der Mitte einmal gefaltet. Es stand nichts darauf geschrieben, dafür schien sich in der Innenseite eine Abbildung zu befinden. Wohl wissend, dass es nicht seine Aufgabe war herauszufinden, um was für eine Abbildung es sich handelte, sah sich Ronon verstohlen nach allen Seiten hin um und faltete das Stück Papier schließlich langsam auseinander.

    Was sich ihm offenbarte, verschlug ihm den Atem, und mit einem Mal schien alles einen Sinn zu haben. Alles erschien auf einen Schlag so unsagbar klar. Alles war auf einmal so… einfach.

    „Oh, Mann“, brummte Ronon, faltete den Zettel wieder zusammen und steckte ihn zurück in Teylas Jackentasche. „Oh, verdammt, Sheppard, Du steckst in echten Schwierigkeiten, Kumpel.“


    ooOOoo


    „S…Sir?“ Seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern. Das Atmen bereitete ihm arge Schwierigkeiten, die Schmerzen hatten sein Gesicht gezeichnet. „S…Sir?“, versuchte er es ein weiteres Mal.

    „Ja?“

    Eine kurze Pause. Ein Keuchen. Ein Röcheln. Dann, schwach, aber durchaus verständlich: „S…sagen S…Sie L…Kathleen…“

    „Nein“, schnitt er ihm barsch das Wort ab. „Nein, verdammt, nein! Das werde ich nicht tun!“

    „S…Sir…“

    Er schüttelte mit dem Kopf. „Nichts da ‚Sir’! Ich werde das
    nicht tun, haben Sie das verstanden? Sie werden es ihr schön selbst sagen, okay?“

    Schweigen, keine Antwort. Schluckend blickte er zu seinem Kameraden herüber, der mit trüben, blauen Augen zu ihm aufsah, Augen voller Enttäuschung, Angst vor dem Kommenden, Furcht. Er sagte nichts, dennoch sprach sein Blick mehr als tausend Worte, tausend Worte zu viel.

    „Ich werde es ihr nicht sagen“, wiederholte er mit vor unterdrückter Wut zitternder Stimme. „Sie werden es ihr selbst sagen, verstanden, Major? Sie werden es ihr verdammt nochmal selbst sagen, wenn Sie zwei morgen vor dem Altar stehen! Haben Sie mich gehört? Sie werden jetzt
    nicht sterben! Verdammt, das ist ein Befehl!“

    Ein Lächeln stahl sich über die blutleeren Lippen seines Kameraden. „J…John?“, flüsterte er.

    „Ja?“

    „S…Sie sind e…ein g…guter M…Mann, J…John. Es… es w… war mir e…eine E…Ehre…“

    „Nein!“, herrschte er ihn an. „Nein, verdammt, das sagen Sie jetzt nicht, ja? Scheiße, sagen Sie das jetzt nicht, sonst schwöre ich Ihnen bei Gott, dass ich Sie die Böden der Mannschaftsquartiere mit der Zahnbürste schrubben lassen werde, wenn das hier vorbei ist! Haben Sie mich verstanden?“

    Wieder ein Lächeln. „S…Sie sind ein g…guter M…Mann, J…John.“ Ein letzter röchelnder Atemzug. Ein letztes Blitzen in den vergehenden meeresblauen Augen. Dann, gar nichts mehr.

    Es war zuende.


    Fortsetzung folgt…

    PS: Mensch, ja, was ist da denn bloß passiert? Ich höre mir gern an, was ihr euch so vorstellt*grins*. Was, um alles in der Welt, hat unseren Shep bloß dazu veranlasst, Atlantis freiwillig zu verlassen? Nun, Letzteres, Kursivgeschriebenes war ein kleiner Vorgeschmack… oder doch eher ein Rückblick*zwinker*?
    Geändert von Nyada (13.04.2014 um 20:45 Uhr) Grund: Das Fehlerteufelchen hat sich mal wieder eingeschlichen*seufz*

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  13. #7
    zigtausend Jahre alt ... ;-) Avatar von John's Chaya
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    Standard

    Das war ein interessantes Kapitel, aber den Desperate Kram habe ich nur überflogen. Außer das, was Adele gedacht hat.
    Arme Teyla, das mit John geht ihr ja sehr nah, gut das Ronon für sie da ist.
    Was das Kursive angeht, da habe ich nur die Ahnung, dass es vielleicht Lorne erwischt haben könnte.
    Vielleicht fühlte sich John deswegen schuldig und hat deswegen gekündigt und ich schätze, Teyla ist von John schwanger.
    Bin gespannt wie es weitergeht!

    Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein.

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  15. #8
    Major Avatar von claudi70
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    Kann mich da John's Chaya nur anschließen, es war ein sehr interessantes Kapitel. Man hat schon gemerkt, dass du etwas Desperate Housewives - lastig geschrieben hast, aber das hat nicht weiter gestört...*gg* aber wie kann man sich nur einen Marathon von diesem, antuen...*Kopfschüttel*

    Ich vermute mal auch, dass Teyla schwanger ist, da hat wohl John etwas dolle getröstet.

    Tja, was das kursiv geschriebene angeht, da bin ich mir gerade nicht ganz sicher, ich werde mal das nächste Kapitel abwarten.

    Ach hier, was mir noch aufgefallen ist:
    „Ich denke nicht, dass zu ihm wir gehen sollten“,
    Die Macht sei mit dir...

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  17. #9
    Die nach den Sternen greift Avatar von Ailya
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    Du liebe Güte!

    Das kommt davon, wenn man mal für ein paar Wochen ohne Internetzugang dasteht. Es tut mir wirklich soooooo leid, ich habe deine tolle neue FF erst heute entdeckt, und- Überraschung!- konnte die beiden ersten Kapitel gleich auf einmal, in einem Rutsch lesen*freu*! Und mir bleibt wieder einmal nichts anderes zu sagen, als: Du hast es echt drauf, meine Liebe!

    Deinen Schreibstil brauche ich nicht zu loben, das habe ich schon oft genug getan. Ich bin nur immer wieder überrascht, wie gut du es hinkriegst so zu schreiben, dass man sich als Leser so fühlt, als wäre man sozusagen 'live' dabei oder der jeweilige Charakter selbst. Im ersten Kapitel ist mir in diesem Punkt insbesondere deine Beschreibung von Adele Bloomwood ins Auge gesprungen, aber auch Johns Gedanken haben mir gut gefallen. Seinen inneren Konflikt bringst du hervorragend herüber; einerseits ist er freiwillig zurückgekehrt, weil etwas fürchterlich schiefgelaufen ist und er sich deswegen schämt, andererseits möchte er nicht in sein altes Leben zurückkehren, sieht sich aber dazu gezwungen. Wow, du hast dir da aber echt ein komplexes Thema für deine neue FF ausgesucht.

    So wie ich das sehe fällt diese FF ohne jeden Zweifel unter den Bereich 'Drama', aber ich habe ehrlich gesagt auch nichts anderes erwartet.

    John hat Atlantis also verlassen*schockiert sei*- etwas, was man eigentlich nicht für möglich halten kann, du hast diesen Schritt aber getan. Wow, mutig, echt mutig. Ich bin mal gespannt, warum er sich zu diesem Schritt entschlossen hat; ich nehme an, das kursivgeschriebene im zweiten bzw. ersten Kapitel ist der Grund dafür? Ich tippe ja auf Evan Lorne. Du wirst doch nicht unseren lieben, herzensguten Evan Lorne umgebracht haben, oder? Falls doch: Wie konntest du nur?
    Dass die Szene mir, trotz weniger Worte, Gänsehaut beschert hat, muss ich nicht extra erwähnen, oder?

    Alles in allem waren es zwei spannende Kapitel, die Lust auf mehr machen und eine Menge Fragen hinterlassen. Was hat es mit Adele Bloomwood auf sich? In welcher Verbindung steht sie zu John? Welche Bedeutung hat das Haus für unseren allseits beliebten Lieutenant Colonel? Was ist genau passiert, dass John so überstürzt verschwunden ist? Was hat es mit der mysteriösen Frau und ihrem Kind auf sich- handelt es sich dabei womöglich um Nancy, die damals in jener Nacht Johns Baby verloren hat? Was ist das für ein merkwürdiger Zettel, den Ronon gefunden hat?
    Ich schließe mich meinen beiden Vorgängerinnen an und behaupte jetzt schlichtweg auch, dass sich Teyla, nachdem sie erfahren hat, dass Kanaan und Torren in der Pegasusgalaxie zurückgeblieben sind, von John hat 'trösten' lassen und nun aufgrund gewisser... *ähem* Aktivitäten ein Kind von ihm erwartet, sprich bei dem Zettel handelt es sich um ein Ultraschallbild. Was die Frage aufwirft, ob John weiß, dass er Vater wird, und wie er darauf reagiert, falls nicht.

    Du siehst, du hast eine Menge Fragen hierlassen, die ganz dringend beantwortet werden müssen. Hau also in die Tasten und lass' uns nicht zu lange warten, ja?
    LG, Ally

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  19. #10
    Brigadier General Avatar von Kevin
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    Hallo Nyada!

    Auch ich habe mir das Neueste Kapitel jetzt durchgelesen und bin zunächst einmal nach wie vor von deinem Schreibstil begeistert. Beim ersten Part des Kapitels kam ich mir nicht nur aufgrund der Verwendung des Namens Bree ein wenig vor wie in "Desperate Housewives", auch die Dialoge der Frauen kamen dem dortigen Klatsch und dem Ergründenwollen mysteriöser Dinge ziemlich nahe. Das war sehr symphatisch geschrieben, denn so stelle ich mir ein solches Treffen unter Nachbarinnen inzwischen auch vor.

    Ron sorgt sich ja wirklich sehr um Teyla. Das war gut geschrieben. Mehr kann ich da derzeit kaum zu sagen, außer dass auch ich die Vermutung habe, dass Teyla und John ihre Freundschaft wohl ein wenig vertieft haben könnten und dass Ronon ein Ultraschallbild in den Händen hielt.

    Bedenkt man Johns Vorgeschichte, die ja offenbar auch etwas mit einem Baby zu tun hat, so kann ich mir vorstellen, dass er weglaufen will, weil er Angst hat, dass sich sein Vergangenheit, in der Nancy wohl nach einem Streit wegen ihm das gemeinse Kind verloren hat, wiederholt.
    Naja, alles nur Vermutungen.

    Was den kursiv geschriebenen Text angeht: Keine Ahnung, aber ich lasse mich überraschen.

    Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel!
    Alterans' Eternal War

    The Last Of Them / The Long Way Back Home / Past / Present
    &
    coming soon
    Future

  20. Danke sagten:


  21. #11
    Mama, im Dienste Ihrer Majestäten Avatar von Nyada
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    Standard Kapitel Zwei

    A/N: So, alle Jahre, bzw. jede Woche wieder… Ach nein, falscher Monat, aber auch egal*grins*. Heute gibt es wieder ein neues Kapitel für euch, ein extra langes dieses Mal. Wie ihr euch sicherlich schon denken könnt, handelt es sich bei dem kursivgeschriebenen Textabschnitt um einen Flashback, der sich im Zusammenhang mit dem Rest des Kapitels eigentlich von selbst erklären wird- hoffentlich.

    Viel Spaß beim Lesen und über eure Meinung zu diesem Kapitel würde ich mich wirklich sehr freuen.
    Liebe Grüße, eure Moni

    PS @John’s Chaya: Ich habe das Gefühl, dass der Flashback dir ganz besonders gefallen wird, wenn du verstehst, was ich meine*zwinker*.



    Kapitel Zwei


    „Na, mein Hübscher, darf’s noch was sein?“ John, der die letzten zwanzig Minuten damit zugebracht hatte, auf das leere Glas in seiner rechten Hand hinabzustarren, blickte auf und sah sich dem perlweißen Strahlelächeln der Bardame gegenüber, deren Namensschild, welches an ihrem Blusenkragen haftete, verkündete, dass sie auf den Namen Mary hörte. Einen Momentlang zögerte er mit der Antwort, wohl wissend, dass es sicherlich Besseres für ihn zu tun gab, als um vier Uhr Nachmittags in einer verrauchten, zwielichtigen Bar herumzulungern und sich einen Drink nach dem anderen in den Schlund zu kippen. Dann schob er sein Glas jedoch über Tresen, in Marys wartende Hände.

    „Nochmal dasselbe“, bat er sie und blickte ihr nach, als sie hüftschwingend mit seinem Glas in der Hand von dannen zog. Seine Augen taxierten ihr, sich von rechts nach links bewegendes Hinterteil, über dem sie knackig kurze Jeansshorts mit ausgefranstem Saum trug, und er leckte sich mit der Zungenspitze über die Lippen. John schätzte sie auf Mitte bis Ende zwanzig; wahrscheinlich war sie eine Collegestudentin, die sich mit diesem Job ein paar Dollar dazuverdiente. Sie war nicht gerade das, was er sich unter einer Traumfrau vorstellte; bei genauerer Betrachtung fiel ihm auf, dass sie zu klein und eher schmächtig war, in der Taille zu schmal, fast schon bubenhaft, im Gesicht zu rund, ihre Züge plump und unproportioniert. Molly war bei aller Liebe keine Naturschönheit, sondern vielmehr ein typisches, kalifornisches Mädchen, so wie man es hier in San Fransisco an jeder Straßenecke fand. Ihr langes honigblondes Haar trug sie zu einem lockeren Pferdeschwanz zurückgebunden, welcher ihre ungleichmäßigen Gesichtszüge sogar noch hervorhob. Sie erinnerte ihn ein kleinwenig an Lucy Meyer, mit der er auf dem College für ein paar Wochen gegangen war. John verzog das Gesicht, als er an Lucy dachte. Ein hübsches Ding war sie gewesen und über den Sex hatte er sich auch nicht beklagen können, allerdings war sie nicht gerade das hellste Pferd im Stall gewesen, was er Gott sei Dank recht schnell bemerkt und sie in den Wind geschossen hatte.

    „So, bitt’schön, Süßer.“ Mary kehrte mit seinem aufgefüllten Glas in der Hand zurück und riss John aus den Gedanken. „Der geht aufs Haus“, flötete sie und beugte sich, als sie den Drink vor ihm abstellte, gerade weit genug über die Tresen, um John einen viel versprechenden Ausblick in den Ausschnitt ihrer engen Bluse zu gönnen. Er bezweifelte, dass das, was er sah, ihr von Gott gegeben war, dennoch regte sich ein leises Verlangen in ihm, was ihn dazu verleitete, ihr Lächeln zu erwidern.

    „Danke“, sagte er und zog seinen rechten Mundwinkel noch etwas weiter nach oben, wohl wissend, was für eine Wirkung er damit auf die junge Frau hatte. Zufrieden nahm er zu Kenntnis, dass sie wie erwartet bis tief unter den Haaransatz errötete, ehe sie ihm ein weiteres, kokettes Lächeln schenkte und ihren blonden Zopf von einer Schulter auf die andere warf.

    „Du siehst irgendwie bedrückt aus.“ Ihre melodische Stimme klang auf einmal sehr besorgt, und ihre smaragdgrünen Augen unterzogen ihn einer raschen Betrachtung. „Stress?“, fragte sie.

    John nippte an seinem Drink; der Alkohol kribbelte angenehm auf seiner Zunge, und er hatte den Verdacht, dass die gute Mary im gerade einen Doppelten untergejubelt hatte. Ihm sollte es egal sein. „Kann man so sagen“, antwortete er achselzuckend. „Bei mir läuft’s gerade nicht ganz so wie geplant.“

    „'ne Frau, was?“, riet Mary und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tresen, verschränkte die Finger ineinander und legte ihr Kinn darauf ab. John versuchte, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren, dennoch konnte er es nicht verhindern, dass sein Blick zu ihrem nunmehr ansehnlich hervortretenden Dekolletee herabwanderte und sich dort festsetzte.

    „Nein“, murmelte er geistesabwesend und riss seufzend den Blick von den Rundungen ihrer Brüste los. „Nein, so war es nicht.“

    Mary kniff die Augen zusammen und musterte ihn. „Hör mal zu, Schätzchen“, begann sie, „ich arbeite schon lange genug hier, um zu wissen, dass es Typen wie Dich nur aus einem Grund am helllichten Tag hierher verschlägt.“ Sie richtete sich auf und blickte nun von oben auf ihn herab. „Du scheinst mir ein ganz vernünftiger Kerl zu sein, trotzdem scheint Dich etwas zu bedrücken, sonst wärst Du nicht hier.“

    „Es ist kompliziert“, hörte John sich sagen.

    „Das ist es meistens“, erwiderte Mary und ergänzte mit einem kleinen Lächeln: „Besonders wenn eine Lady im Spiel ist.“

    „Ich möchte nicht darüber reden“, meinte John, nachdem er Marys bohrendem Blick einige Sekunden lang standgehalten hatte. Dass dies nur die halbe Wahrheit war, verschwieg er ihr und nippte stattdessen noch einmal an seinem Drink, bevor er erneut sagte: „Es ist kompliziert.“

    „Wieso?“, fragte seine Gesprächspartnerin offen heraus. „Hast 'se wohl geschwängert und jetzt ist ihr Mann hinter Dir her, was?“

    John verschluckte sich an seinem Drink und keuchte, als die hochprozentige Flüssigkeit in seine Lungenflügel eindrang. „Was?!“, krächzte er, wenngleich er natürlich sehr wohl verstanden hatte, was Mary gesagt hatte. „Was… nein, ich… nein, habe ich nicht, und ich wüsste auch nicht, was das hiermit zu tun haben soll! Zumal es niemanden etwas angeht. Ich… also… nein!“, stotterte er.

    „War ja nur so ein Verdacht“, sagte Mary. „Musst ja nicht gleich ausflippen, Süßer. Auch wenn ich mir sicher bin, dass Du hübsche Babys machen würdest“, fügte sie augenzwinkernd hinzu, griff in eine Schale Erdnüsse, die in gewissen Abstand zueinander auf dem Tresen verteilt standen, und schob sich eine Nuss zwischen die Zähne.

    John starrte sie wortlos an und fragte sich, ob das Ganze gerade wirklich passierte oder ob er wohl doch einen Drink zuviel gehabt hatte. Nach dem dritten hatte er aufgehört zu zählen und seitdem war eine dreiviertel Stunde vergangen. Nachdenklich schaute er in sein leeres Glas hinab, an dessen Boden sich ein Rest goldbrauner Flüssigkeit gesammelt hatte. Vielleicht, sagte er sich, war es für ihn heute in der Tat genug und er sollte gehen. Es war sowieso nicht sein Stil am helllichten Tage durch die Bars zu ziehen und sich von Kellnerin, die noch halbe Kinder waren, in punkto Familienplanung bequatschen zu lassen. Ja, es war wirklich an der Zeit, dass er sich auf den Weg machte!

    Marys Gesichtsausdruck spiegelte Enttäuschung wieder, als er mit einem leise dahingemurmelten ‚Stimmt so’ ein paar Fünf Dollarscheine auf den Tresen warf und sich anschickte zu gehen. Dafür, dass er vor geraumer Zeit aufgehört hatte, seine Drinks zu zählen, fühlte er sich erstaunlich sicher auf den Beinen, als er sich erhob und den schwarz-weiß karierten Stoff seines Button-down-Hemds glatt strich.

    „Hey“, hörte er sie sagen, „hey, tut mir echt leid, ich wollte doch nicht…“ Sie seufzte tief und kam schließlich auf ihren High Heels um den Tresen gestakst. „Sorry, wenn das da gerade eben etwas zu persönlich war.“

    John schnappte sich seine Jacke von der Lehne des Barhockers und zog sie sich in einer fließenden Bewegung über. „Das kannst Du wohl laut sagen“, entgegnete er. „Aber, schon gut.“ Er machte kehrt, um zu gehen.

    „Werd’ ich Dich wiedersehen?“, rief Mary ihm nach, und veranlasste ihn stehenzubleiben. John dachte kurz über ihre Frage nach, wohl wissend, dass sie damit nicht einen Besuch in der Bar gemeint hatte. Langsam wandte er sich zu ihr um und betrachtete sie kurz von Kopf bis Fuß. Schmächtig, blutjung und das einzige, was echt an ihr zu sein schien, war ihr Lächeln, welches im Moment jedoch aus ihrem Gesicht verschwunden war. Gut, sie war beileibe keine Naturschönheit und auch nicht das, was John sich erhofft hatte, aber allemal besser als gar nichts, sagte er sich. Sich dessen bewusst seiend, dass er drauf und dran war einen schweren Fehler zu begehen, ging er auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Von Nahem wirkte das Grün ihrer großen, runden Augen sogar noch intensiver, und John merkte, wie sich das Verlangen wieder in ihm regte.

    „Wann hast Du Feierabend?“, wollte er wissen.

    „Nicht vor zehn“, antwortete sie, „aber ich hab’ in 'ner halben Stunde Pause. Falls Du warten möchtest“, fügte sie zögerlich hinzu.

    „Kein Problem“, log John, ließ sich wieder auf den Barhocker sinken und beobachtete, wie sich Marys Züge ebneten.

    „Schön“, sagte sie.

    „Schön“, meinte er und genehmigte sich einen weiteren Drink, während sie wieder an ihre Arbeit ging und eine Gruppe Männer bediente, die am anderen Ende des Tresens saßen und sich köstlich zu amüsieren schienen. Nachdenklich beobachtete John jeden von Marys Schritten, nach einer Weile, jedoch, wandte er seine Aufmerksamkeit der ihm gegenüberliegenden, verspiegelten Wand zu und betrachtete sein Spiegelbild, welches ihm von jenseits des Spirituosenregals entgegenstarrte. Ein Bild des Grauens bot sich ihm, doch er erschrak schon lange nicht mehr vor den eingefallenen Wangen und den dunklen Schatten, die unter seinen trüben Augen lagen. Er hatte sich daran gewöhnt so auszusehen, als hätte man ihn durch den Reißwolf gezogen, und sich mehr oder weniger damit abgefunden. Die letzten Monate waren ein einziger Spießrutenlauf gewesen, eine Achterbahn der Gefühle, und noch nie zuvor in seinem Leben hatte sich John derartig gestresst gefühlt wie während dieser Zeit, die eindeutige Spuren hinterlassen hatte.
    Sich über seine bärtige Wange streichend, versuchte er sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal so etwas Ähnliches wie Seelenfrieden empfunden hatte. Er konnte es nicht, denn es war zu lange her, um sich daran entsinnen zu können, ganz gleich wie sehr er es auch versuchte.

    John hob das Glas an seine Lippen und nippte an seinem Drink. Sogleich brannte das bittere Zeug in seiner Kehle und erinnerte ihn daran, wie irrsinnig und verrückt sein Verhalten doch war; er saß am helllichten Tage in einer verruchten Kneipe, betrank sich sinnlos und wartete darauf die Bardame, die gefühlte zwanzig Jahre jünger als er war und seine Tochter hätte sein können, mit zu sich nach Hause nehmen zu können.

    Ein Zuhause, das genaugenommen keines war.

    „Gott, verdammt“, brummte er in das Glas hinein, setzte an und leerte es in einem Zug. Das hier war verrückt! Er war verrückt! Was war nur aus ihm geworden? Das alles hier war nicht er, sondern nur ein billiger Abklatsch von dem, was in ihm vorging. John stellte das Drinkglas ab. So durfte es nicht weitergehen, also erhob er sich erneut.

    „Hey, wo willst Du denn hin?“ Mary kam den Tresen entlanggestöckelt und sah ihn fragend an. „Ein bisschen musst Du Dich noch gedulden, Darling…“

    „Ich muss los“, fiel er ihr ins Wort und ließ ein rasches ‚Sorry’ folgen. Er drückte ihr einen weiteren Zehn Dollar-Schein in die Hand und meinte wieder: „Ich muss jetzt echt los.“ Damit drehte er sich um und ging.

    „Aber…“, hörte er Mary protestieren, und stellte sich vor, wie sie ihm mit verwirrt-enttäuschter Miene nachsah. Er drehte sich nicht um, um sich eine Bestätigung seiner Vermutung zu holen, sondern steuerte stattdessen entschlossen auf den Ausgang der Bar zu und schlug den Kragen seiner Lederjacke hoch, bevor er sich gegen die Tür stemmte und ins Freie hinaus trat. Ein eiskalter Wind schlug ihm entgegen und ließ ihn erschaudern. Die Luft hatte sich drastisch abgekühlt und es hatte begonnen zu schneien. Eine dünne Schneedecke lag auf dem Bürgersteig, denn John nun entlangschlenderte, um zu seinem Wagen zu gelangen, den er in nicht allzu großer Entfernung zur Bar geparkt hatte. Er hoffte nur, ihn auch an dieser Stelle wiederzufinden, denn es kam nicht gerade selten vor, dass sich Wagen in dieser Gegend der Stadt in Luft auflösten. John hatte lange genug in San Fransisco gewohnt um zu wissen, dass die meisten Angehörigen der höheren Gesellschaftsschicht Gegenden wie diese aus Prinzip mieden. Zu gefährlich, hieß es, doch John, seinerseits, hatte sich davon noch nie abhalten lassen. Er war im Krieg gewesen, in der Höhle des Löwen, der buchstäblichen Hölle auf Erden, wo er Dinge gesehen hatte, die ein paar herumstreunende, autoknackende Jugendliche wie harmlose Kätzchen aussehen ließen. Er hatte Menschen sterben sehen, Zivilisten, Feinde, Kollegen, Kameraden… Freunde.

    John vergrub seine Hände in den Taschen seiner Jacke und ballte sie zu Fäusten, bis sie ihm schmerzten. Die Erinnerungen an seine Zeit in Afghanistan beiseite schiebend, zog er das Tempo an und marschierte mit gesenktem Kopf durch den dichter gewordenen Schneefall. Wenige Meter später, jedoch, blieb er stehen und blickte zwischen zwei Häusern auf den San Fransisco Bay hinaus, über dessen ruhigen Wassern sich in nicht allzu großer Entfernung das majestätische Stahlgerüst der Golden Gate Bridge spannte. Seufzend fixierte John einen unsichtbaren Punkt, der jenseits der Toren der Stadt lag, wohl wissend, dass sich dort, irgendwo auf dem Pazifischen Ozean sein wahres Zuhause befand und, von den Augen der anderen abgeschirmt, vor sich hindümpelte.

    ne Frau, was?, hallte auf einmal Marys Stimme in seinem Kopf wieder, und John verzog das Gesicht. Du scheinst mir ein ganz vernünftiger Kerl zu sein, trotzdem scheint Dich etwas zu bedrücken, sonst wärst Du nicht hier.

    Es ist kompliziert. In der Tat, das war es.

    Das ist es meistens. Wenngleich er ihre Stimme hörte, war es nicht Marys Gesicht, das vor seinem geistigen Auge auftauchte. Besonders wenn eine Lady im Spiel ist. Ihre Züge waren lieblicher und feiner proportioniert, und anstatt Marys smaragdgrünen Augen, blickte er auf einmal in ein Paar braune Augen.

    Es ist kompliziert, echote seine eigene Stimme. John seufzte, kniff die Augen zusammen und bedeckte sie mit seiner Hand. Ein leichter, stechender Schmerz in seiner linken Schläfe war der Vorbote von rasenden Kopfschmerzen. Es ist kompliziert.

    „Als wenn ich das nicht wüsste“, murmelte er zu sich selbst und drehte sich um, ohne einen weiteren Blick in die Richtung zu werfen, in der er Atlantis und seine Vergangenheit vermutete. Dieses Kapitel seines Lebens lag hinter ihm, war abgeschlossen, für immer. Es war vorbei.

    Es ist kompliziert. Nicht mehr, dachte John und das Bild der Frau, die ihn selbst in seine Träume verfolgte, verschwand. Die Erinnerung an sie und das, was sie hatten, jedoch nicht.

    Es war kompliziert.



    ooOOoo


    Mit gesenktem Kopf die Ecke umrundet, versuchte sich Ronon Dex auf das zu wappnen, was ihn erwartete. Er hatte Teylas Stimme schon von Weitem vernommen und als er sie nun in Begleitung einer schlanken Rothaarigen am Ende des Ganges erblickte, verkrampfte sich seine Hand und seine Finger verkrallten sich in den marineblauen Stoff der Trainingsjacke, die er schon den gefühlten halben Tag mit sich herumschleppte, da ihn die Suche nach der Athosianerin bis jetzt in Anspruch genommen hatte.

    „Teyla!“, rief er nun, beschleunigte das Tempo und joggte auf die beiden Frauen zu, die stehengeblieben waren und sich umgedreht hatten. Er wusste nicht, was er empfinden sollte, schon gar nicht in Hinblick auf den kleinen, unscheinbaren Zettel, den er nach langer Überlegung nicht wieder zurück in ihre Tasche gesteckt hatte, sondern stattdessen in seiner Hosentasche verwahrte. Es war nicht richtig, das wusste Ronon, aber tief in seinem Innern sah er es als seine Pflicht an, die Athosianerin darauf anzusprechen. Sie war seine Freundin, seine mitunter beste in der ganzen Stadt, und er konnte einfach nicht anders, als sich Sorgen um ihr Wohlergehen zu machen.

    „Ronon.“ Teyla schien nicht sonderlich überrascht zu sein, ihn zu sehen, und falls sie es doch war, so wusste sie es gut vor ihm zu verbergen. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen wies sie auf ihre Begleiterin. „Du erinnerst Dich an Doktor Kathleen Montgomery?“

    Natürlich tue ich das, dachte er und blickte unverhohlen auf die junge Frau zu Teylas Rechten herab. Sie war von zierlicher Statur und mit Teyla etwa auf Augenhöhe. Ihr glattes, rotblondes Haar trug sie normalerweise schulterlang und offen, wusste sich Ronon zu erinnern, heute, jedoch, hatte sie es zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden, der ihre gemeißelten Gesichtszüge, die für eine so zierliche Frau ungewohnt hart wirkten, noch hervorhob. Mit großen, runden blauen Augen sah Kathleen Montgomery zu ihm empor und schenkte ihm zurückhaltendes, fast schon scheues Lächeln. Abgesehen von dem harten Zug um ihre Mundpartie herum befand Ronon sie für eine hübsche, durchaus attraktive Frau. Bedachte man die Umstände, mit der die Arme sich in den letzten Monaten einen Namen auf der Basis gemacht hatte, erweckte Kathleen Montgomery einen relativ gelassenen Eindruck auf Ronon, und es tat ihm geradezu leid, nun in diese entspannte Atmosphäre zwischen den beiden Frauen hineinzuplatzen. Einen Momentlang dachte er darüber nach, Teyla ihre Jacke einfach wortlos zu überlassen und sich unter irgendeinem Vorwand davonzumachen, doch die Athosianerin hatte das Kleidungsstück in seiner Hand bereits identifiziert.

    Ihre braunen Augen weiteten sich, fast so, als ahnte sie, was kommen würde. Sie wirkte blass und ihre Stimme klang ungewohnt tonlos, als sie sich an ihre Begleiterin wandte.

    „Kathleen“, sagte sie, „gehen Sie doch ruhig schon einmal vor. Ich werde in ein paar Minuten nachkommen.“

    Kathleen Montgomerys Blick sprang zwischen der Athosianerin und ihrem Teamkollegen hin und her, und Ronon bemerkte ihre Zweifel. Dann nickte die junge Frau jedoch, machte, nachdem sie sich von ihm verabschiedet hatte, kehrt und marschierte in Richtung der Transporter davon. Der Sateder wartete, bis sowohl die Wissenschaftlerin als auch ein Trupp Marines, der durch den Korridor patrouillierte, außer Hörweite war, ehe er seiner Kollegen ihre Jacke reichte.

    „Du hast die im Trainingsraum vergessen“, meinte er. „Ich hab’ mir gedacht, ich bring’ sie Dir, bevor Du sie suchst.“

    „Danke, Ronon.“ Teyla nahm den Sweater an sich und klemmte ihn sich unter den Arm. „Ich hätte sie wahrscheinlich wirklich gesucht.“ Sie bemühte sich um ein Lächeln, welches die angespannte Situation etwas entkrampfen sollte- vergeblich.

    „Da… da ist noch etwas“, sagte Ronon schließlich, nachdem er und Teyla einander einige Momente lang schweigend angesehen hatte, zog den Zettel aus seiner Hosentasche hervor und reichte ihn der Athosianerin. „Ich hab’ nicht etwa danach gesucht“, beeilte er sich klarzustellen. „Er ist aus der Tasche gefallen, als ich die Jacke hochhob.“

    „Ronon…“ Teyla schüttelte mit dem Kopf und starrte auf den gefalteten Zettel in den Händen ihres Freundes.

    „Hör zu, Teyla“, meinte er, „das Ganze geht mich nichts an, und ich stecke meine Nase auch nicht gerne in die Angelegenheiten anderer Leute, aber…“ Er brach ab und starrte ebenfalls auf den Zettel, den er noch immer in der Hand hielt, ehe er Teyla mit gesenkter Stimme fragte: „Weiß er es?“

    Die Athosianerin blickte auf. „Was?“

    Ronon deutete mit seinem Kinn auf den Zettel. „Weiß er davon?“

    „Er…“ Teyla brach ab, presste die Lippen zusammen und schüttelte mit dem Kopf. „Nein, er… er weiß es nicht. Ich weiß es auch erst seit ein paar Tagen und hatte keine Gelegenheit mehr, es ihm zu sagen. Er war schon fort, als ich es erfuhr.“

    „Also ist er…“ Wortlos reichte er ihr den Zettel, und die Athosianerin umschloss ihn fest, als ob sie befürchtete, ihn zu verlieren.

    „Ja“, bestätigte sie schließlich das, was Ronon bereits geahnt hatte, „er ist der Vater.“

    Ronon lächelte. „Herzlichen Glückwunsch.“

    „Ich… ich hatte es mir anders vorgestellt“, erwiderte Teyla seufzend. „Ich wünschte, ich… könnte mich darüber…freuen, doch ich tue es nicht.“

    „Lass Dir Zeit“, sagte Ronon. „Ein Baby ist eine einschneidende Veränderung."

    Einen Momentlang schwieg sein Gegenüber, dann verließ erneut ein Seufzen ihre Kehle. „Ich habe… Angst, Ronon“, wisperte sie, „und ich bin wütend.“

    „Wütend?“, wiederholte der Sateder verwundert.

    „Auf ihn, auf mich, dass wir beide so dumm gewesen sind“, erklärte Teyla. „So naiv. Wir wussten, dass es nicht lange unentdeckt bleiben und Konsequenzen haben würde.“ Sie starrte auf den Zettel in ihren zitternden Händen hinab. Tränen sammelten sich in ihren Augen, die sie rasch fortzublinzeln versuchte. „Ich hatte jedoch nicht mit einer Konsequenz wie dieser gerechnet.“

    „Ich denke, keiner hat das getan. Ich am wenigsten“, fügte Ronon schmunzelnd hinzu, was Teyla ein kleines Lächeln ins Gesicht zauberte, welches jedoch in dem Augenblick verschwand, als der Sateder sich erkundigte: „Seit wann… läuft das zwischen euch beiden schon?“

    „Seit ein paar Monaten“, antwortete die Athosianerin ernst. „An dem Tag, an dem ich erfahren hatte, dass Kanaan und Torren in der Pegasusgalaxie zurückgeblieben waren, kam er zu mir und wir… redeten. Wir redeten fast die ganze Nacht.“ Teyla schmunzelte. „Es war das erste Mal seit Langem, dass ich mich wieder… verstanden fühlte. Er hörte mir zu, ließ mich ausreden. Er gab mir das Gefühl, dass das, was ich sagte, wirklich von Bedeutung war. Und so begann es. Erst trafen wir uns nur zum Reden. Wir tauschten Geschichten über unsere Familien und unsere Jugend aus. Und irgendwann-“ Seufzend brach sie ab.

    „Irgendwann wurde mehr daraus“, beendete Ronon ihren Satz, und Teyla nickte.

    „Eines Abends, ich weiß gar nicht mehr genau an welchem, spazierten wir einen Pier entlang“, berichtete sie weiter, „und plötzlich küsste er mich. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam, aber so führte eines zum anderen“, schloss sie ihren Bericht, ohne den Blick von dem Zettel in ihrer Hand zu lösen. „Dieses Kind…es… es hätte nie soweit kommen dürfen. Ich hätte es beenden müssen.“

    „Was Du aber nicht getan hast“, merkte Ronon vorsichtig an, „weil er Dir das Gefühl gegeben hat, nicht allein zu sein.“

    Teyla nickte. „Ja, aber nun hat er mich trotzdem verlassen.“

    „Es ist nicht Deine Schuld, und das weißt Du“, sagte Ronon.

    „Aber wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass es das doch ist?“ Teylas Miene wurde schmerzverzerrt. „Ich weiß, dass John eine schwere Zeit durchgemacht hat, nach allem, was mit Major Lorne passiert ist. Ich habe gesehen, wie es ihn aufgefressen hat, wie sehr er daran genagt hat.“ Sie seufzte erneut. „Ich hätte etwas dagegen unternehmen sollen. Nun ist er fort, weil ich es nicht getan habe!“

    „Teyla.“ Ronon machte einen Schritt auf sie zu. „Glaubst Du ernsthaft, dass er nicht gegangen wäre, hättest Du versucht, etwas dagegen zu unternehmen? Ich meine, wir reden hier von Sheppard! Niemand weiß, was in seinem verquerten Dickschädel vor sich geht. Dieser Mann ist fürchterlich kompliziert.“

    „Wem sagst Du das“, erwiderte Teyla. „Es ist nur… dass ich wünschte, ich hätte etwas anders gemacht. Irgendetwas. Ich weiß auch nicht was. Vielleicht wäre er dann nicht gegangen.“

    „Hey-“ Ronon legte einen Finger unter ihr Kinn und hob es hoch-„wir werden ihn zurückholen, das ist Dir doch hoffentlich klar, oder?“

    Teyla nickte.

    „Wir alle wissen, dass es diese Stadt nicht ohne ihn geben kann“, fuhr der Sateder fort. „Er ist unser Freund, und vielleicht auch mehr“, ergänzte er. „Teyla, willst Du wirklich, dass Dein Kind ohne ihn aufwächst? Dass er nie etwas von seinem Sohn oder seiner Tochter erfährt?“

    Die Athosianerin schüttelte mit dem Kopf. „Nein, das will ich nicht.“

    „Das dachte ich mir.“ Seinen starken Arm um ihre Schulter schlingend, versicherte ihr Ronon: „Ich schwöre Dir, dass wir ihn finden und zurückbringen werden. Das hier ist sein Zuhause, ganz gleich, was passiert ist und passieren wird.“ Wir sind sein Zuhause, fügte er in Gedanken hinzu, und mit einem Blick auf Teyla und den Zettel in ihrer Hand, dachte er: Sie sind sein Zuhause.


    ooOOoo


    Es war das Geräusch der, an den Pieren der Stadt brechenden Wellen, welches sie weckte. Seufzend schlug sie die Augen auf, nur um sie sofort wieder zu schließen, da das grelle Licht der Morgensonne, das durch einen schmalen Spalt in der Gardine direkt in ihre müden Augen schien, sie blendete. Schützend legte sie sich die Hand vor Augen und blinzelte benommen gegen das viel zu helle Licht an. Dünne Lichtfäden brachen durch ihre Finger hindurch und kitzelten ihre Haut. Sie murrte leise, kniff die Augen noch fester zusammen und rümpfte die Nase.
    Wie aus weiter Ferne hörte sie das Rauschen des Meeres, das durchdringende Geschnatter der Seevögel und den Wind, der das Wasser aufwiegelte und es gegen die Piere peitschen ließ. Ein so wunderschönes und so bekanntes Geräusch, welches ihr ein wohliges, heimeliges Gefühl gab. Mit einem leisen Seufzen kuschelte sie sich wieder tiefer in die weichen Kissen hinein. Ihre Augen weiterhin geschlossen haltend, tastete sie vorsichtig mit der Hand nach dem neben ihr schlafenden Mann, doch ihre Finger griffen ins Leere; er war nicht da. Als sie verwundert die Augen öffnete und ihren Kopf auf die Seite drehte, fand sie die Betthälfte neben sich verlassen vor. Das Laken war zerknüllt, die Bettdecke zurückgeschlagen. Seine Seite des Bettes war kalt, was bedeutete, dass er schon länger auf sein musste.
    Die Bettdecke um ihren Körper raffend, setzte sie sich auf und blickte sich verschlafen in dem verdunkelten Raum um. Zunächst war keine Spur von ihm zu entdecken und alles, was sie sah, war das Chaos, die sie in der letzten Nacht während ihres leidenschaftlichen Zusammenkommens hinterlassen hatten. Erst als sie ihren Blick über die im ganzen Raum verstreuten Kleidungsstücke und die verrückten Möbelstücke hinweg weiterschweifen ließ, bemerkte sie die offen stehende Badezimmertüre, durch die eine Wolke warmen Wasserdampfes wallte.

    Unwillkürlich hielt sie den Atem an, als sie eine seitliche, ohne jeden Zweifel männliche Körperlinie erblickte. Angezogen von diesem Anblick schob sie ihre Beine über die Bettkante, reckte ihren Hals und blickte in das Gesicht des Mannes, indem sie über die kurze Distanz hinweg in den Spiegel schaute, vor dem er stand und sich rasierte. Er hatte den Kopf leicht in den Nacken gelegt und schabte mit der Rasierklinge den Schaum von seiner Kehle weg. Eine langsame, selbstversunkene Bewegung, die Klinge von unten nach oben führend. Obwohl seine haselnussfarbenen Augen direkt auf den Spiegel gerichtet waren, schien er nicht zu merken, dass sie ihn beobachtete. Konzentriert spülte er die Klinge unter dem fließenden Wasser ab, bevor er sie erneut ansetzte.

    Ein Seufzen entkam ihr, und das Pochen zwischen ihren Schenkeln, welches sein Anblick ausgelöst hatte, verschwand ebenso schnell wie es gekommen war. Sie wusste, dass er nicht zu ihr zurückkehren würde, er tat es nie. Es lief jedes Mal nach demselben Schema ab, und obwohl es schon lange nicht mehr das war, was sie wollte, hatte sie sich noch nie beklagt, wohl wissend, dass es, so wie es momentan war, am besten für alle Beteiligten war. Es war ganz einfach; sie ging zu ihm, wenn sie ihn brauchte, er kam zu ihr, wenn er sie brauchte. Schlicht und ergreifend. Simpel. Kein wenn, kein aber. So hatten sie es festgelegt. Keine Ausnahmen. Aus diesem Grund wusste sie, dass er sich, wenn er das Bad verließ, freundlich von ihr verabschieden und dann gehen würde, so wie er es immer tat. Sie hatte sich noch nie gefragt, was Nächte wie die vergangene wohl für ihn bedeuteten, wollte es auch nicht. Die Wahrheit, dass es ihm bei dem Ganzen nur um den Sex ging, hätte sie nicht ertragen, wenngleich sie es vermutete. Er war kein Mann, der seinen Frieden in den Armen einer Frau suchte. Für ihn war es von Anfang an etwas rein körperliches gewesen, genauso wie für sie. Er war da, wenn sie ihn brauchte. Sie konnte stets zu ihm kommen, wenn sie sich einsam fühlte und sich nach Gesellschaft sehnte. Wenn sie nicht allein sein wollte. Wenn sie… sich begehrt fühlen wollte. Und genau das tat er- er begehrte sie, zumindest in diesen Momenten. Ja, er gab ihr das Gefühl genau in diesem Augenblick die absolut begehrenswerteste Frau im ganzen Universum zu sein, und sie liebte ihn dafür. Sie liebte ihn nicht nur für den Sex, auch wenn es außer Frage stand, dass er der mitunter talentierteste Liebhaber war, mit dem sie je das Bett hatte teilen dürfen. Er wusste ganz genau wo und wie er sie zu berühren hatte, dass sie sich seufzend und maunzend unter ihm wand und sich selbst, wenn sie herrisch auf ihm thronte, wie eine willenlose Marionette vorkam. Er wusste es, woher war ihr schleierhaft, er wusste es einfach. Sie wollte nicht verhehlen, dass der Sex mit ihm mitunter so atemberaubend war, dass sie sich fragte, womit sie so etwas verdient hatte. Jedoch war es nicht das körperliche, wofür sie ihn am meisten schätzte…

    Er war da, wenn sie ihn brauchte. Er gab ihr das, was sie sich so verzweifelt wünschte, das Gefühl von Normalität. Stabilität. Sicherheit. Er war in diesen Tagen ihre Feste, ihr Fels in der Brandung, ihr ein und alles. Sie konnte sich schon gar nicht mehr daran erinnern, wie sie es ohne ihn an ihrer Seite ausgehalten hatte. Ihr Leben vor ihm war trist und von Trauer, Wut und Verzweifelung geprägt gewesen. Die Frage nach dem ‚Warum’ hatte sie gequält, bis sie glaubte, es nicht mehr aushalten zu können. An diesem Punkt war er in ihr Leben getreten und hatte es mit seiner liebevollen, einfühlsamen Art auf den Kopf gestellt.
    Er war da, wenn sie ihn brauchte. Er gab ihr das, was sie sich wünschte. Er gab ihr das Gefühl… am Leben zu sein. Er war er und sie war sie. Sie waren eins, zumindest in den wenigen Stunden in der Nacht, in der sie das Bett miteinander teilten und für kurze Zeit in ihrer eigenen, kleinen Welt versanken, in der ihnen niemand etwas konnte. Eine Welt, von der sie beide sich niemals zu träumen gewagt hatten und von der niemand außer ihnen etwas erfahren durfte. Diese Welt war ihr Geheimnis. Seines uns ihres.

    Ihr Geheimnis.

    Die Art, wie er im Badezimmer vor dem Spiegel stand und sich mit nassen, zerzausten Haaren seiner morgendlichen Rasur widmete, noch dampfend von der Dusche und halbnackt, nicht mehr als ein weißes Handtuch tragend, welches er locker um seine schmalen Hüften gebunden hatte, wirkte auf einmal so anziehend auf sie, dass ihr gar nichts anderes übrigblieb, als aufzustehen und zu ihm zu gehen, bevor es zu spät war. Sie war noch immer müde und ihre schlackernden Knie machten es ihr auch nicht gerade leicht, als sie sich aufrichtete und begann ihre verstreuten Klamotten zusammenzusuchen, die er ihr letzte Nacht förmlich vom bloßen Leib gerissen hatte, als sie eng umschlungen in den Raum getorkelt waren. Trotz Aufbringung all ihrer detektivischen Fähigkeiten war das Einzige, was sie fand, ein schwarzes T-Shirt, das viel zu groß war, um ihres zu sein. Schulterzuckend streifte sie sich das T-Shirt über ihren Kopf, und wie erwartet war es ihr einige Nummern zu groß und reichte ihr bis an die Knie. Es roch nach Mann, wie sie feststellte, als sie den Kragen in die Hände nahm und ihre Nase in dem schwarzen Stoff verbarg, eine perfekte Mischung aus männlichem Eigengeruch und einem Hauch Aftershaves- süßlich und herb zugleich, alles in allem vollkommen ausreichend, um ihre Sinne zu betören und das heiße Pochen in ihrem Unterleib zurückkehren zu lassen.

    Seufzend zwang sie sich, diesen Anflug von Leidenschaft zu ignorieren, denn es war nicht richtig. All das hier war nicht richtig. Sie durfte eigentlich gar nicht hier sein, und sie wusste das. Es war ein Fehler, ein schwerer Fehler, der womöglich unverzeihlich war. Dennoch hatte sie ihn begangen und sich auf dieses Wagnis eingelassen, sich der möglichen Konsequenzen durchaus bewusst. Es gab Tage, an denen sie sich für sich selbst und ihr Handeln schämte.

    Dieser heutige Tag zählte nicht dazu.

    Sich durch ihr dunkles Haar streichend, stakste sie weiter durch die Dunkelheit des Raumes, bis sie vor der offen stehenden Badezimmertüre zum Stehen kam und ihn unverhohlen zu betrachten begann. Ihr Blick glitt über seinen sehnigen Körper, über seine muskulösen Waden und seine Oberschenkel, über seinen verlängerten Rücken, sein knackiges, durchaus ansehnliches Hinterteil, seinen gradlinigen Rücken, bis hinauf zu seinen breiten, sehr männlichen Schultern. Eine Welle des Verlangens durchlief sie von den Zehen bis hinauf in ihre Haarspitzen, doch sie ignorierte es, auch wenn es ihr verdammt schwerfiel, da sie ganz genau wusste, was er noch alles unter dem störenden weißen Handtuchstoff zu verbergen hatte. Ein elektrisiertes Knistern jagte durch ihren Körper, aber es lag nicht an den Bildern, die auf einmal vor ihrem geistigen Auge aufzutauchen begannen, sondern vielmehr daran, dass dem Objekt ihrer Begierde endlich aufgefallen war, dass sie ihn beobachtete; er hatte den Blick auf ihr Spiegelbild gerichtet und starrte es an. Sie erwartete kein Lächeln, denn normalerweise lächelte er in solchen Momenten nicht. Umso überraschter war sie, als sie sah, wie er die Mundwinkel zu einem leicht schiefen, bubenhaften Grinsen hochzog.

    „Guten Morgen“, grüßte er sie mit derselben rauen Stimme, mit der er ihr letzte Nacht ins Ohr gehaucht hatte, als sie sich geliebt hatten. Sie erschauderte unwillkürlich beim Klang seiner tiefen Stimme.

    „Guten Morgen“, erwiderte sie, ohne den Blick von ihm und seiner nackten Brust abzuwenden. Sie schluckte, als er sie anlächelte und nach einem Handtuch griff, um sich die letzten Schaumspuren aus dem Gesicht zu wischen.

    „Hast Du gut geschlafen?“, fragte er, und sie nickte verwirrt.

    „Ja, das habe ich“, antwortete sie. Es war nicht seine Art nach Nächten wie der vorherigen groß Konversation zu betreiben. Genaugenommen betrieb er nie sonderlich viel Konversation, wenn er mit ihr zusammen war, da keine Worte von Nöten waren, wenn sie sich liebten. Dass er sich nun so… gesprächig zeigte, verwirrte sie. Er war kein gesprächiger Zeitgenosse, war es noch nie gewesen.

    „Schön“, sagte er und löste den Knoten des Handtuchs, welches daraufhin zu Boden fiel. „Das ist schön“, wiederholte er und schlenderte mit seelenruhiger Miene an ihr vorbei, zurück in den Wohnbereich des Quartiers. Schluckend wandte sie sich um und sah ihm nach, wobei ihr Blick an seinem entblößten Hinterteil hängen blieb, in welches sie in der letzten Nacht ihre Fingernägel gerammt hatte. Zehn halbmondförmige Abdrücke waren die einzigen Zeugen ihrer vergangenen Ekstase.

    „Hast Du meine Shorts irgendwo gesehen?“, hörte sie ihn fragen, und sie musste ihm wohl geantwortet haben, denn als sie mit einem Kopfschütteln in die Realität zurückkehrte, war er bereits drauf und dran in seine Hose zu steigen.

    „Und mein-“ Mit suchendem Blick wirbelte er herum, hielt dann plötzlich inne und begann zu lächeln. „Ich befürchte, dass ich Dich jetzt bitten muss, das auszuziehen“, sagte er, kam auf sie zu und zog ihr dann vorsichtig das schwarze T-Shirt über den Kopf. „Ohne dieses Ding siehst Du sowieso viel besser aus“, ergänzte er säuselnd und mit verführerisch gesenkter Stimme.

    Sie erstarrte, als er sich zu ihr herabbeugte und sie küsste. Der Kuss war nicht mit denen der letzten Nacht zu vergleichen, dennoch erschütterte er sie bis in ihr Innerstes. Er war nicht leidenschaftlich oder gar feurig, sondern zärtlich, süß und frisch, so wie der gerade herangebrochene neue Tag. Seine Lippen lagen dennoch schwer auf ihren. Willenlos hob sie die Hände und brachte sie an sein frisch rasiertes Gesicht, spürte an ihren Handflächen jedoch, dass er den einen oder anderen hartnäckigen Bartstoppel übersehen hatte.

    „Ich… ich muss los“, murmelte er gegen ihre Lippen und beendete den Kuss, nur um seine Aufmerksamkeit ihrem Hals zu zuwenden und sie an ihrer wild pulsierenden Halsschlagader entlang zu küssen. Zärtlich liebkoste er die sensible Haut ihres Halses und ließ seine Lippen kurz über dem äußerst empfindlichen Punkt unterhalb ihres Ohrs tänzeln, was ihr ein leises Seufzen entlockte.

    „Ich muss jetzt echt los“, wiederholte er und löste sich endgültig von ihr. „Tut mir leid.“ Er machte einen Schritt zurück. „Sehen wir uns nachher beim Essen?“, fragte er, woraufhin sie- noch immer etwas benebelt- nickte.

    „Ja“, antwortete sie. „Ja, wir sehen uns nachher.“

    Er lächelte. „Gut.“ Einen Momentlang sah es danach aus, als begäbe er sich auf direktem Wege zur Tür, doch dann machte er auf einmal kehrt und kam auf sie zu marschiert. Nur mit allergrößter Mühe konnte sie sich daran hindern zurückzuweichen, als er direkt vor ihr zum Stehen kam. Ein Schaudern durchlief ihren Körper als sie dem intensiven Blick seiner haselnussfarbenen Augen begegnete.

    „Ähem, also… ich… ähem…“ Er hob die Hand und strich sich in einer unsicher wirkenden Handbewegung durch sein dunkles Haar. Auf einmal wirkte er nicht mehr wie der Mann, dessen Namen sie wenige Stunden zuvor gewinselt hatte, sondern mehr wie ein schüchterner Junge. „Also, ich wollte nur… ähem… D…Danke für… die letzte Nacht. Ich… ich… Danke, dass… Du da warst.“

    Wenngleich überrascht, nickte sie nur stumm. Im Gegensatz zu den vielen, vielen vorherigen Malen, war er es gewesen, der am gestrigen Abend auf einmal vor ihrer Tür gestanden und um Einlass gebeten hatte, den sie ihm ohne zu zögern gewährt hatte.

    „Ich bin immer für Dich da“, hatten sie einander vor geraumer Zeit im leidenschaftlichen Affekt zugeflüstert. „Du kannst immer zu mir kommen.“ Es war ein stummes Versprechen gewesen, dem anderen das zu geben, was benötigte, und bis heute hatten sie beide sich an diese Abmachung gehalten.

    „Nun denn“, sagte er nun, „ich werd’ dann jetzt gehen. Rodney nervt mich schon die ganze Woche damit, dass ich ihm bei diesem Experiment helfen soll.“ Seine Miene verriet, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, was ihn erwartete. Die Hand zum Abschied hebend, meinte er: „Wie sehen uns nachher.“

    „Wir sehen uns nachher“, echote sie und sah ihm nach, bis er aus dem Quartier in den Korridor hinausgetreten und aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. Zischend schlossen sich die Türen hinter ihm, und mit einem Mal war sie allein. Wieder einmal. Es hatte zuversichtlich begonnen und dennoch geendet wie jedes der unzähligen vorherigen Male auch. Er ging, sie blieb zurück, nackt und verlassen, sich wieder und wieder fragend, warum sie sich nur darauf hatte einlassen können.

    Nicht ahnend, dass es das letzte Mal gewesen sein sollte, dass sie ihn sah, machte sie sich seufzend daran, ihre Kleidung zusammenzusuchen.


    Fortsetzung folgt…

    PS:
    Jaja, ich weiß, ich bin gemein*grins*. Jetzt wisst ihr aber wenigstens aus welcher Richtung der Wind weht, wenn ihr aufmerksam gelesen habt. Ich denke, ab dem nächsten Kapitel werden wir mehr über den eigentlich Grund von Johns Kündigung erfahren. Mal sehen*zwinker*….
    Geändert von Nyada (13.04.2014 um 20:50 Uhr)

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  23. #12
    Major Avatar von claudi70
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    Hi,
    auch das Kapitel ist dir wieder super gelungen.

    Da lagen wir ja alle richtig, was Teyla und John angeht. *zwinker* Schade nur, dass er nichts davon weiß und einfach abgehauen ist. Wird langsam Zeit, dass Ronon sich auf die Suche macht...*gg*


    Leider hüllst du dich immer noch in Schweigen, was das "Warum" angeht. Du machst mich immer neugieriger.

    Es ist kompliziert. Nicht mehr, dachte John und das Bild der Frau, die ihn selbst in seine Träume verfolgte, verschwand. Die Erinnerung an sie und das, was sie hatten, jedoch nicht.
    Er wird doch nicht gekündigt haben, weil er mehr von Teyla will, als er bisher hatte und denkt sie will es nicht...und er darf nicht...und und und*grübel* Arrg...ich hasse Beziehungsstress, besonders wenn man sich über seine Gefühle ausschweigt. Na mal sehen, ob es bei den beiden noch Hoffnung gibt. *gg*
    „Hey, wo willst Du denn hin?“ Mary kam den Tresen entlanggestöckelt und sah ihn fragend an. „Ein bisschen musst Du Dich noch gedulden, Darling…“
    Puh...bin ich froh, dass er doch noch gegangen ist, er hätte es sicher bereut.

    Was genau ist denn da mit Lorne geschehen, bitte um Aufklärung!

    Dann heißt es jetzt wohl wieder eine Woche geduldig warten...*seufz*

    LG

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  25. #13
    zigtausend Jahre alt ... ;-) Avatar von John's Chaya
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    „Wieso?“, fragte seine Gesprächspartnerin offen heraus. „Hast 'se wohl geschwängert und jetzt ist ihr Mann hinter Dir her, was?“
    John verschluckte sich an seinem Drink und keuchte, als die hochprozentige Flüssigkeit in seine Lungenflügel eindrang. „Was?!“, krächzte er, wenngleich er natürlich sehr wohl verstanden hatte, was Mary gesagt hatte. „Was… nein, ich… nein, habe ich nicht, und ich wüsste auch nicht, was das hiermit zu tun haben soll! Zumal es niemanden etwas angeht. Ich… also… nein!“, stotterte er.
    Oh je, wenn John wüsste, wie recht die Kellnerin hat.

    Seufzend fixierte John einen unsichtbaren Punkt, der jenseits der Toren der Stadt lag, wohl wissend, dass sich dort, irgendwo auf dem Pazifischen Ozean sein wahres Zuhause befand und, von den Augen der anderen abgeschirmt, vor sich hindümpelte.
    Ach jaaaa *seufz*, er kann und wird Atlantis nie vergessen.

    nach allem, was mit Major Lorne passiert ist
    Und wieder hatte ich recht, der arme Major.

    *grins* Du hast recht, der Flashback gefällt mir sehr! Das war ein super, klasse Kapitel und ich bin sehr neugierig wie es weitergeht!!!

    Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein.

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  27. #14
    Die nach den Sternen greift Avatar von Ailya
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    Hey, hey, hey, Moni!

    Wäre das hier Facebook und hätte ich die Möglichkeit dazu, würde ich jetzt 'Gefällt mir' drücken, denn das tut das neue Kapitel; es gefällt mir wirklich sehr.
    Die Eingangssequenz mit John in der Bar und Mary, der Kellnerin, hast du wirklich toll geschrieben und es kam mir fast so vor, als säße ich neben den beiden. Du schaffst es einfach immer wieder, mich zu begeistern. Dir gelingt es sowohl die etablierten Charaktere so glaubwürdig und authentisch wie in der Serie herüberzubringen, als auch neue/eigene Charaktere perfekt in die Storyline miteinzubauen- das schafft nicht jeder, du aber schon!

    Naja, wie gesagt, die ES war wirklich sehr schön, auch wenn ich froh bin, dass John zum Schluss doch gegangen ist und nicht irgendetwas Dummes getan hat. Ich bin mir ganz sicher, dass er es bereut hätte, wenn er auf Mary gewartet hätte. Im Moment wären seine Sorgen vielleicht vergessen gewesen, aber nicht für lange. Gut, dass du es nicht so weit hast kommen lassen.

    Schmunzeln musste ich bei dieser Stelle...

    „Hast 'se wohl geschwängert und jetzt ist ihr Mann hinter Dir her, was?“

    John verschluckte sich an seinem Drink und keuchte, als die hochprozentige Flüssigkeit in seine Lungenflügel eindrang. „Was?!“, krächzte er, wenngleich er natürlich sehr wohl verstanden hatte, was Mary gesagt hatte. „Was… nein, ich… nein, habe ich nicht, und ich wüsste auch nicht, was das hiermit zu tun haben soll! Zumal es niemanden etwas angeht. Ich… also… nein!“, stotterte er.
    Oh, John, wenn du wüsstest, mein Lieber, wenn du wüsstest. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.

    Seufzend fixierte John einen unsichtbaren Punkt, der jenseits der Toren der Stadt lag, wohl wissend, dass sich dort, irgendwo auf dem Pazifischen Ozean sein wahres Zuhause befand und, von den Augen der anderen abgeschirmt, vor sich hindümpelte.
    Ein wunderschönes Bild tauchte bei diesem Satz in meinem Kopf auf. Tja, wie Chaya es bereits sagte, er wird Atlantis wohl nie wirklich vergessen können. Wird Zeit, dass Ronon und die anderen sich auf die Suche nach ihm machen und ihn zurückholen. Atlantis ohne John und John ohne Atlantis- das kann es nicht geben, das ist unmöglich!

    Ronon deutete mit seinem Kinn auf den Zettel. „Weiß er davon?“

    „Er…“ Teyla brach ab, presste die Lippen zusammen und schüttelte mit dem Kopf. „Nein, er… er weiß es nicht. Ich weiß es auch erst seit ein paar Tagen und hatte keine Gelegenheit mehr, es ihm zu sagen. Er war schon fort, als ich es erfuhr.“

    „Also ist er…“ Wortlos reichte er ihr den Zettel, und die Athosianerin umschloss ihn fest, als ob sie befürchtete, ihn zu verlieren.

    „Ja“, bestätigte sie schließlich das, was Ronon bereits geahnt hatte, „er ist der Vater.“
    Ich will jetzt nicht sagen, dass ich es geahnt habe, aber... ich habe es geahnt. Oh Mann, Teyla tut mir irgendwie richtig leid. Sie hat es aber auch nicht leicht, die Arme. Die Geschichte, die sie Ronon erzählt hat, wie sie und John 'zusammengekommen' sind, war durchaus nachvollziehbar. Ich meine, die Ärmste musste erfahren, dass ihr Mann/Partner, oder was auch immer Kanaan für sie ist, und ihr Sohn 3 Millionen Lichtjahre weit weg sind- das ist verdammt hart. und es war klar, dass so etwas in der Art passiert. John war in dieser dunklen Stunde für sie da, und es ist doch ganz natürlich, dass man sich Trost sucht. Dass die beiden dann aber sogar 'weiter' gegangen sind, überrascht mich ebenso wenig. Ich befürchte nur, dass es jetzt, wo Teyla von ihm schwanger ist, noch viel komplizierter für John werden wird. Aber wir werden ja sehen...

    Ich möchte noch erwähnen, dass mir der Dialog zwischen Teyla und Ronon wirklich sehr gut gefallen hat. Man hat einfach gemerkt, wie gut die beiden zusammen und miteinander agieren können. Zwei, die sich wirklich verstehen*seufz*.

    Und zum kursiven Teil bleibt mir eigentlich nur eins zu sagen: Die Vorstellung von Johns blankem Hinterteil hat mich... sprachlos gemacht. Und wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass bei den beiden mehr als nur der Sex eine Rolle spielt? Mysteriös, mysteriös. Stellt sich nur die Frage, wie Kanaan auf all die Veränderungen reagieren wird, falls Atlantis jemals nach Pegasus zurückkehren sollte.

    Ein tolles, neues Kapitel*imaginäre 'Gefällt mir'-Taste drück'* Danke fürs Lesen lassen.
    LG, deine Ally

  28. Danke sagten:


  29. #15
    Mama, im Dienste Ihrer Majestäten Avatar von Nyada
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    Standard Kapitel Drei

    A/N: *Seufz* Eigentlich wollte ich euch mit diesem Kapitel ja schon am Sonntag erfreuen, was jedoch offensichtlich nicht ganz so hingehauen hat. Letzte Woche war der pure Stress. Von Familienzuwachs bis zu Umzugsplänen, Vorstellungsgesprächen und Wohnungsbesichtigungen im schönen Hamburg (@Chaya: Jetzt weiß ich, warum du diese Stadt so liebst.) war wirklich alles dabei, weswegen das neue Kapitel auch etwas kürzer und weniger vorantreibend ausfällt, sorry. Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem.

    Viel Spaß beim Lesen!
    Eure Moni


    Kapitel Drei



    „Vielen Dank für die Information, Peter. Ich werde mich dann wieder bei Ihnen melden… Selbstverständlich. Grüßen Sie Judy und die Kinder von mir… Ja, werde ich machen… Ja, den wünsche ich Ihnen auch… Aber natürlich, ja… Bis Samstag. Auf Wiederhören, Peter.“ Mit diesen Worten beendete Dave Sheppard das Telefonat, legte den Hörer auf und sank seufzend gegen das harte Leder des Sessels zurück. Anderthalb Stunden, dachte er, und für was? Für eine Einladung zum Brunch am Samstag und eine Verabredung zum Golfspielen am Sonntag; dabei hasste er Golf, und die Idee, Peter McKennas fünfköpfige Familie zum Brunch einzuladen, war die seiner Frau gewesen, nicht seine. Dave schnitt eine Grimasse. Er konnte diesen behäbigen Mistkerl nicht ausstehen, schlimm genug, dass er ihm jeden Morgen bei der alltäglichen Aufsichtsratsversammlung gegenübersitzen musste. Ihn nun auch noch am Wochenende sehen? Unmöglich für Dave, aber seine bessere Hälfte hatte darauf bestanden, also hatte er zähneknirschend zugestimmt. Obschon er wusste, dass Allison recht hatte, graute es ihm vor seinen Pflichten, weswegen er sich stets geweigert hatte mehr Zeit als nötig mit Peter McKenna zu verbringen. Dass sie nun jedoch seit fast zwei Jahren gemeinsam die Firma seines verstorbenen Vaters, Patrick Sheppard, leiteten, erleichterte es Dave nicht unbedingt, aber bis zum heutigen Tag war ihm durchaus gelungen, Peter McKenna und seine schottischstämmige Sippe aus seinem Leben herauszuhalten.

    Wie gesagt, bis zum heutigen Tag.

    Dave seufzte erneut, rieb sich mit der Hand übers Gesicht und setzte sich auf. Schlimmer konnte es eigentlich nicht mehr kommen, sagte er sich, als er den Blick über den Aktenberg schweifen ließ, der sich auf seinem Schreibtisch türmte. Er hasste diesen elenden, nie enden wollenden Papierkram, und wie er ihn hasste! Doch so sehr er es sich auch wünschte, es führte kein Weg daran vorbei, also beschloss Dave, sich lieber zügig an die Arbeit zu machen, als unnötigen Frust zu schieben.
    In dem Moment, jedoch, als er sich der ersten Akte zuwandte, klopfte es an der Tür.

    „Herein“, bellte Dave, worauf sich die Tür öffnete und Duncan Medley, sein Aushilfssekretär, seinen braunen Lockenschopf hereinschob. „Ah, Duncan, kommen Sie doch herein, Junge!“ Dave mochte Duncan, möglicherweise weil der junge Bursche ihn ein wenig an sich selbst erinnerte. Duncan Medley war nur befristet eingestellt worden, da Daves bisherige Vorzimmerdame, Susan Fielding, sich momentan im Mutterschaftsurlaub befand, nachdem sie vor sechs Wochen einen putzmunteren, fidelen Jungen zur Welt gebracht hatte. Doch Dave hatte den schlaksigen Jungen mit den viel zu langen Armen schon jetzt ins Herz geschlossen.

    „Kommen Sie doch rein“, wiederholte er und bedeutete Duncan einzutreten, was dieser daraufhin auch tat.

    „Verzeihen Sie die Störung, Mr. Sheppard, Sir, aber da ist ein Anruf für Sie auf Leitung Eins“, erklärte Duncan. „Ich weiß, dass Sie nicht gestört werden wollten, aber… nun ja, wie soll ich sagen? Der Anrufer besteht darauf Sie persönlich zu sprechen. Er sagt, es sei dringend.“

    „Dringend?“, echote Dave, und Duncan nickte. „Wer ist es?“

    Sein Gegenüber runzelte die Stirn. „Ähem, es ist Ihr Bruder, Sir“, erwiderte er.

    „Mein…“ Dave erstarrte, beugte sich dann vor und fasste seinen Sekretär ins Auge. „Sagten Sie gerade mein… Bruder?“ Das war unmöglich! Er musste sich verhört haben!

    Doch Duncan nickte. „Ja, Sir, und wenn ich das bemerken darf, er klang ziemlich ungehalten. Es scheint wirklich dringend zu sein.“

    „Mein Bruder“, wiederholte Dave murmelnd.

    „Mr. Sheppard, Sir, ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Duncan besorgt. „Soll ich Ihrem Bruder sagen, dass er Sie später noch einmal zurückrufen soll?“

    „Was? Nein!“ Dave schüttelte mit dem Kopf. „Nein, nein, mir geht’s gut, Duncan. Ich… ich werde den Anruf annehmen. Stellen Sie ihn mir bitte durch.“

    Duncan neigte den Kopf zur Seite. „Ja, Mr. Sheppard“, sagte er, drehte sich um und verließ das Büro. Dave wartete, bis die Tür hinter ihm ins Schloss zurückgefallen war, ehe er den Telefonhörer abnahm und die aufgebrachte Stimme seines Bruders zu hören.

    Eine Minute“, dröhnte Johns Stimme am anderen Ende der Leitung. „Geben Sie mir eine gottverdammte Minute, okay?

    Sir“, erklang auf einmal eine weitere Stimme, die Dave gänzlich unbekannt war, „bitte, mäßigen Sie Ihren Ton, sonst sehe ich mich gezwungen-“

    Jaja“, hörte Dave seinen Bruder brummeln, „schon gut. Nur noch eine Minute, in Ordnung? Ich will nur kurz mit meinem Bruder reden, geht das?“

    Eine Minute“, warnte die andere Stimme, und Dave hörte, wie sich schwere Schritte entfernten und wie eine Tür geöffnet und dann wieder geschlossen wurde.

    „John?“, sprach er in den Hörer hinein. „John, bist Du’s?“

    Es sei denn, Du hast noch einen anderen Bruder, der so heißt“, tönte die dunkle Stimme seines Bruders in seinem Ohr. „Hey, Dave, wie geht’s so?“

    „Gut… mir geht’s gut, danke“, erwiderte Dave; Johns lockerer Plauderton verwirrte ihn. „Ähem, und Dir?“

    Kann mich nicht beklagen“, antwortete John. „Hör zu, ich hab’ wenig Zeit, und ich würde Dich gerne um etwas bitten. Du müsstest mir einen Gefallen tun und mich abholen.“

    „Du bist in der Stadt?!“, wunderte sich Dave.

    Ja, seit ein paar Tagen. Den Rest erzähl’ ich Dir später.“ Ein Poltern im Hintergrund ließ ihn kurz verstummen, dann meinte er: „Jetzt wär’s aber erst einmal toll, wenn Du mich abholen könntest.“

    „John“, sagte Dave, „ich habe zu arbeiten. Ich kann jetzt nicht einfach weg. Kannst Du nicht irgendjemand anderes anrufen oder selbst fahren?“

    Bitte, Dave.“ Sein Bruder antwortete nicht auf seine Frage. „Ich werde Dir später alles erklären, versprochen, ja?“

    Dave seufzte. „Okay, schön“, gab er sich geschlagen und nahm einen Stift zur Hand, um sich die Adresse zu notieren. „Wo soll ich Dich abholen?“

    John lachte leise und nannte ihm die Adresse, und Dave ließ den Stift sinken und starrte für einen Augenblick ins Leere. Dann schloss er die Augen und seufzte erneut. Es hatte doch so gut begonnen…


    ooOOoo


    Als Dave seinen Wagen keine viertel Stunde später vor dem alten Backsteingebäude parkte, dachte er kurz an jenen Tag zurück, an dem er seinen Bruder zum letzten Mal gesehen hatte. Es war exakt eine Woche nach der Trauerfeier ihres Vaters gewesen, und seit diesem Tag waren fast zwei Jahre vergangen. Zwei lange Jahre, in denen Dave sich jeden Tag aufs Neue gewundert hatte, auf welchen gottverdammten Breitengraden sich sein kleiner Bruder wohl dieses Mal herumtrieb. Johns Besuch war damals nur von kurzer Dauer gewesen, und Dave hatte nicht sonderlich viel aus ihm herausbekommen außer, dass sein Job ihm Spaß bereitete und dass er- entgegen Daves Erwartungen- sein Leben nicht auf leichtsinnige Art und Weise aufs Spiel setzte, zumindest hatte er das behauptet. Sein drei Jahre jüngerer Bruder war noch nie ein besonders gesprächiger Mensch gewesen. Dave hatte sich damit abgefunden. John und er hatten nie jenes enge Verhältnis gehabt, welches man Brüdern nachsagte, dafür waren sie viel zu verschieden gewesen. Während Dave in seiner kühlen, sachlichen Art mehr nach der Seite ihres Vaters schlug, hatte John die Hitzköpfigkeit ihrer Mutter geerbt. Wo Dave den Dingen ruhig und gelassen ins Angesicht blickte, ging John an die Decke. Als sie noch Kinder gewesen waren, hatte Dave seinen kleinen Bruder für seinen unermüdlichen Forscherdrang nur müde belächelt; als sie jedoch älter wurden, hatte ihn Johns leicht flapsige Art nur noch mit dem Kopf schütteln lassen. Alles in allem war John das, was Dave nicht war, und umgekehrt. Sie konnten nebeneinander her leben und einander respektieren. Ein engeres Verhältnis hatte es zwischen ihnen nie gegeben, und Dave bezweifelte, dass es ihnen je gelang eines aufzurichten.

    Mit nachdenklicher Miene kontrollierte er nun noch einmal die von John genannte Adresse, was ebenso lächerlich wie überflüssig war. Es bestand gar kein Zweifel, dass dies der Ort war, wo er seinen Bruder abzuholen hatte, und merkwürdigerweise war Dave nicht einmal sonderlich überrascht. Er knüllte den Notizzettel zusammen, steckte ihn sich in seine Hosentasche und atmete einmal tief ein und wieder aus. Dann öffnete er die Wagentüre und stieg aus.
    Es war ein ungewöhnlich kalter und harter Winter für diese Breitengrade, und Dave schlug den Kragen seines Mantels hoch, als er raschen Schrittes den geräumten Bürgersteig überquerte und die Treppe hinaufeilte. Er öffnete die Tür, betrat das Gebäude und wurde augenblicklich von einem Schwall warmer Luft in Empfang genommen. Er blieb kurz stehen, um sich durchwärmen zu lassen, steuerte dann zielsicher auf eine Art Empfangstresen zu, hinter dem ein gelangweilt aussehender junger Mann seine blasse Nase in einem dicken Wälzer von John Grisham vergraben hatte.

    „Entschuldigen Sie, bitte.“ Dave räusperte sich, worauf der Uniformierte aufblickte. „Ich bin auf der Suche nach John Sheppard. Könnten Sie mir bitte sagen, wo ich ihn finde?“

    „Und Sie sind?“, fragte sein Gegenüber und bedachte ihn abschätzigen Blickes.

    „Ähem, sein Bruder“, antwortete Dave. „Ich soll ihn… abholen.“ Er kramte seine Brieftasche hervor und präsentierte dem jungen Mann seinen Ausweis.

    „Aha, okay.“ Der Mann, dessen goldenes Namensschild Dave verriet, dass er ‚Sergeant Troy’ vor sich hatte, wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Buch zu. „Den Gang runter, dann rechts und dann geradeaus. Sie müssen durch die Tür am Ende des Ganges, dann sind Sie eigentlich schon so gut wie da. Ist nicht zu verfehlen. Den Kerl müssten Sie eigentlich schon von Weitem hören. Ziemliches großes Maul hat er, wenn Sie mich fragen. Wenden Sie sich einfach an Jo.“

    Dave bedankte sich und sah zu, dass er weg kam, zumal seine Anwesenheit den jungen Mann wenig zu interessieren schien. Er folgte der Wegbeschreibung des Sergeants und fand sich schon bald einer geschlossenen Tür gegenüber, auf der in großen, schwarzen Buchstaben ‚Bitte klingeln’ geschrieben stand. Dave tat wie ihm geheißen und klingelte. Erst tat sich gar nichts, dann hörte er Schritte, die auf die Tür zukamen, dann das Klirren eines Schlüsselbundes, und noch ehe er sich einen passenden Satz zurechtgelegt hatte, wurde die Tür aufgerissen und er sah sich einer kleinen, ebenfalls uniformierten Frau lateinamerikanischer Herkunft mit großen braunen Augen gegenüber.

    „Ja?“, schnalzte sie. „Was kann ich für Sie tun, Mister?“, verlangte sie zu wissen und musterte ihn von Kopf bis Fuß.

    „Ich… ähem, ich bin auf der Suche nach John Sheppard“, erklärte Dave sein Anliegen. „Man sagte mir, dass ich mich an… Jo wenden soll.“

    „Ich bin Jo“, erwiderte die Frau. „Na, eigentlich Josephina, doch ich mag’s nicht, wenn man mich so nennt.“ Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. „Officer Jo Sanchez“, stellte sie sich vor, „und Sie sind sicher Dave. Unser kleines Schmuckstück hat schon viel von Ihnen erzählt“, grinste sie. „Kommen Sie, ich bring’ Sie zu ihm.“

    „Oh, danke.“ Dave folgte Officer Sanchez den Gang entlang, in einen Raum hinein, der trostloser als alles andere war, was er in seinem Leben bereits gesehen hatte. Die Mauerwände waren grau, ebenso die Decke und der kalte Betonboden. Der Raum war zweigeteilt; auf der einen Seite war ein kleiner, schäbiger Schreibtisch aufgebaut worden und auf der anderen Seite, jenseits der Gitterstäbe, befand sich… sein Bruder.

    „John! Um Himmels Willen!“ Dave schob sich an Officer Sanchez vorbei. „Was zur Hölle…“

    „Na, sieh mal einer an.“ Sein Bruder, der auf einem schmalen, pritschenähnlichen Gebilde Platz genug gefunden hatte, um sich der Länge nach auszustrecken, setzte sich auf und grinste keck. „Ich hatte schon befürchtet, Du hättest es Dir anders überlegt, Mann.“

    „Mein Gott“, stöhnte Dave, als sein Bruder sich aufrichtete, „Du siehst echt beschissen aus.“

    John verdrehte die Augen. „Hey, ich freu’ mich auch Dich wiederzusehen, großer Bruder. Echt gut siehst Du aus.“

    „Im Gegensatz zu Dir“, setzte Dave nach und betrachtete seinen Gegenüber skeptisch. „Was hast Du bloß angestellt?“ Eigentlich wollte er es gar nicht wissen, nein, er wollte es wirklich nicht wissen. Johns Bier war Johns Bier, und Dave wollte damit nichts, aber auch gar nichts zu tun habe. Als er seinen kleinen Bruder nun jedoch völlig zerknittert, mit leerem Blick und Dreitagebart vor sich stehen sah, fragte er sich doch, was passiert war.

    „Ihr Bruder kam auf die Idee nach einem Barbesuch eine kleine Spritztour mit dem Wagen zu unternehmen“, antwortete Officer Sanchez aus dem Hintergrund. „Er fiel einer Streife auf, als er in Schlangenlinien und mit Tempo einhundertzwanzig über den Freeway raste.“

    „Was?“ Dave wirbelte herum und fasste seinen Bruder ins Auge. „Du hast was?! Bist Du jetzt vollkommen meschugge?“

    „Hey, hey-“ John hob verteidigend beide Hände- „es ist doch nichts passiert, oder? Niemand ist verletzt worden, und so schnell war ich nun auch wieder nicht, Officer.“

    „Das Messgerät sagt da etwas anderes, Mr. Sheppard“, erwiderte Officer Sanchez. „Sie können von Glück reden, dass Sie mit einer Verwarnung davonkommen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten Sie noch ein paar Nächte mehr hier verbracht.“

    „Nur, wenn Sie sich bereiterklärt hätten, mich in diesem eiskalten Bunker warmzuhalten.“ John brach ein anzügliches Grinsen los, und Dave verdrehte die Augen.

    „Kann ich ihn mitnehmen?“, wandte er sich an Officer Sanchez.

    Die Polizistin zuckte mit den Achseln„Wenn Sie sich wirklich sicher sind, dass Sie das wollen. Rein rechtlich gesehen spricht nichts dagegen; er kann gehen.“

    „Na endlich.“ John begab sich zur Zellentür. „Ich hätte schon gedacht, ich würde hier drin versauern.“ Mit einem erleichterten Seufzen verließ er die Zelle, nachdem Officer Sanchez diese aufgeschlossen hatte, schnappte sich seine Jacke von der Garderobe und sah dann zu seinem Bruder herüber. „Und, können wir?“

    „Ich weiß immer noch nicht, ob ich Dich nicht doch lieber hier lassen sollte“, antwortete Dave ihm, doch John befand sich schon auf halbem Wege zur Tür hinaus, weswegen er sich beeilte Officer Sanchez ein dankendes Nicken zu zuwerfen und seinem Bruder zu folgen.

    „Viel Glück“, hörte er Officer Sanchez ihm nachrufen, ehe sie die Türe hinter ihnen schloss und Dave allein mit seinem Bruder ließ, der mitten im Gang stehengeblieben war und sich zu ihm umgedreht hatte.

    „Hey, danke nochmal, dass Du mich…“, setzte John an, doch Dave packte ihn im nächsten Augenblick so fest am Ellenbogen, dass er mit einem zischelnden Stöhnen verstummte. „Autsch, Mann, was soll das?“

    „Nicht hier“, knurrte Dave und zog ihn am Ellenbogen haltend hinter sich her. Durch den Gang, dann rechts, zurück in die Empfangshalle, wo Sergeant Troy von seiner Lektüre aufsah, nur um gleich darauf wieder tief in den Zeilen von Grishams ‚Der Anwalt’ zu versinken. Dave bedachte auch ihn eines kurzen Nickens, welches der junge Sergeant jedoch nicht mitbekam, öffnete die schwere Eingangstür, schleifte seinen Bruder zur Tür heraus, die Treppen herunter, über den Bürgersteig und beförderte ihn, nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand sie beobachtete, mit einem kräftigen Schubs gegen seinen parkenden Wagen.

    „Okay, was zur Hölle sollte das?!“, verlangte er zu wissen.

    „Ein bisschen vorsichtiger, wenn ich bitten darf, ja?“, beschwerte sich John mit schmerzverzerrter Miene. „Ich bin nicht aus Stahl.“

    „Lass die dummen Sprüche, John“, zischte Dave. „Sag mir lieber, was das da gerade eben sollte!“

    „Was meinst Du?“

    Dave kniff die Augen zusammen. „Spiel jetzt bitte nicht das Unschuldslamm, John. Du weißt ganz genau was ich meine, also rede gefälligst oder ich zerr’ Dich postwendend wieder zurück in die Zelle, und dann kannst Du von mir aus da drin versauern.“

    „Kein Grund gleich unhöflich zu werden, ja?“ John hob die Hand und rieb sich den Nacken. „Ich war heute Nachmittag in ’ner Bar und hab’ mir ein paar Drinks gegönnt- das war alles. Glaub mir, die haben da drin maßlos übertrieben. Ich war nüchtern, konnte noch geradeaus gehen und fahren.“

    „Nüchtern, was?“ Dave machte einen Schritt auf seinen Bruder zu und rümpfte die Nase. An Johns Jackenkragen schnüffelnd keuchte er: „Himmel, Du müffelst, als wärst Du in ein Brauerreifass gefallen!“

    „Mein Gott-“ John verdrehte auf theatralische Art und Weise die Augen-„ Daddy wäre stolz auf Dich gewesen.“ Er grinste.

    „Spar Dir Dein freches Grinsen“, warnte Dave ihn mit erhobenem Zeigefinger, „und halt Dad aus der Sache raus, klar?“ John nickte. „Gut, und jetzt steig ein, ich fahr’ Dich nach Hause.“

    „Und was ist mit meinem Wagen?“, begehrte sein Bruder auf.

    „Du denkst doch jetzt nicht wirklich, dass ich Dich ihn fahren lasse, oder? Los, steig jetzt ein. Um Deinen Wagen kümmern wir uns später.“

    „Ich brauch’ keinen Chauffeur“, erwiderte John. „Ich komm’ schon allein nach Hause. Fahr’ Du nur zurück zur Arbeit.“

    „Und verantworte, dass mein angetrunkener Bruder San Fransisco unsicher macht?“ Dave schüttelte mit dem Kopf. „Keine Chance! Los, steig jetzt ein, oder ich komm rüber und zwing Dich dazu.“

    John schnaubte verächtlich. „Was ist eigentlich Dein Problem, Dave?“

    „Was mein Problem ist?“, echote der Ältere der beiden Brüder. „Du willst wissen, was mein Problem ist? Mein Problem ist, dass ich meinen kleinen Bruder gerade aus dem Gefängnis holen musste, weil der Gute zu eitel war, ein Taxi kommen zu lassen, und lieber sein Leben und das der anderen gefährdet hat.“

    „Dave…“

    „Zumal Du es, wärest Du nicht im Kittchen gelandet, offensichtlich nicht für nötig gehalten hättest, mir zu sagen, dass Du in der Stadt bist“, fiel er John ins Wort. „Das ist mein Problem.“ Kurze Pause, dann: „Du bist mein gottverdammtes Problem, John. Du und Deine Art, alles und jeden in Beschlag zu nehmen. Jeder muss nach Deiner verdammten Pfeife tanzen. Alles dreht sich nur um Dich. Du baust Mist und ich muss den Kopf dafür hinhalten. Das kotzt mich echt an, weißt Du das eigentlich?!“

    „Ich kotz’ Dich also an“, wiederholte John.

    Dave seufzte. „Das habe ich doch gar nicht gesagt“, stöhnte er. „Ich meinte doch nur… also, ich… es…“ Er seufzte erneut. „Steig jetzt verdammt nochmal ein, John. Bitte, ja? Ich fahr’ Dich jetzt nach Hause.“

    Sein Bruder murmelte sich etwas Unverständliches in den Bart, stieg dann aber zu Daves Erleichterung in den Wagen. Dave, seinerseits, verharrte noch einen Augenblick auf dem Bürgersteig, schloss die Augen und ging in sich, ehe er sich hinter das Steuer seines Lexus’ setzte und den Wagen startete. Ohne weiter auf seinen Bruder einzugehen, fädelte er sich in den Verkehr ein. Erst, als sie an der ersten roten Ampel zum Stehen kamen, blickte er zu John herüber.

    „Wo musst Du eigentlich hin?“, fragte er.

    „Marketstreet“, antwortete John, und Daves Hände verkrampften sich um das Lenkrad. Mit einem Mal war seine Wut verfolgen, und er starrte seinen Bruder ungläubig an.

    „Du… Du bist wieder dort eingezogen? In das Haus?“ Er glaubte sich verhört zu haben.

    John rollte mit den Augen. „Natürlich in das Haus. Ich kann ja wohl schlecht in der Garage leben, oder?“

    „Wow“, murmelte Dave und wandte sich wieder dem Verkehr zu. „Nachdem, was damals passiert ist, hätte ich nicht gedacht, dass Du je wieder einen Fuß über die Schwelle dieses Hauses setzt.“

    „Da sind wir schon zu zweit“, sagte John und blickte aus dem Fenster. „Aber Dinge ändern sich, Dave.“ Ein kurzes, angespanntes Schweigen folgte, dann hörte Dave ihn leise sagen: „Und Menschen ändern sich auch.“

    Wohl wahr, dachte Dave, verkniff sich jedoch einen Kommentar, konzentrierte sich stattdessen auf den Verkehr und manövrierte den Lexus durch San Fransiscos Straßen. Es hatte keinen großen Sinn auf Johns kryptische Aussage zu antworten, also ließ er es bleiben. Den Rest der Fahrt verbrachten die beiden Brüder schweigend; Dave blickte auf die vor ihm liegende Straße, John sah aus dem Fenster. Dave legte die Hände fester um das Lenkrad. Hin und wieder warf er seinem jüngeren Bruder einen verstohlenen Seitenblick zu, was John entweder nicht bemerkte oder zu ignorieren versuchte. Seine Finger trommelten nervös gegen die Verkleidung der Beifahrertür, er presste die Lippen zu einem schmalen, blutleeren Strich zusammen, und seine Stirn lag in tiefen Falten. Er sah… alt aus, befand Dave. Älter, als er ihn in Erinnerung hatte. Zwei Jahre waren vergangen, seit er John das letzte Mal gesehen hatte, und die Veränderungen waren unübersehbar; feine Fältchen zeichneten sich um die grün-braun gesprenkelten Augen seines Bruder ab und sein dunkles Haar wurde teilweise von ersten, silbrigen Strähnen durchzogen. Die Zeit hatte ihre Spuren in Johns Gesicht hinterlassen, doch das war nicht alles. Dave wusste nicht, was es war, aber da war noch etwas anderes im Gesicht seines Bruders zu finden. Etwas… anderes. Fremdes. Er konnte nicht genau sagen, was es war, doch es war da.
    Dave löste den Blick von seinem Bruder und versuchte sich wieder auf die Straße zu konzentrieren, was ihm jedoch nicht wirklich gelingen wollte. Was war nur in ihn gefahren, fragte er sich und ließ Johns Anruf und die Szene auf dem Polizeirevier in seinem Kopf noch einmal Revue passieren. Er wusste, dass John schon immer das getan hatte, was er nicht hätte tun sollen. Es war die Verlockung gewesen, die ihn gereizt hatte. Er hatte das Verbotene geliebt, das Risiko war stets sein bester Freund gewesen und er war mit der Gefahr Hand in Hand gegangen. Dave verstand nicht, was sein Bruder an dem Nervenkitzel fand, womöglich weil sie einander so wenig ähnelten. Er hatte versucht, zu verstehen, konnte es aber nicht. John war schon immer wie ein Buch mit sieben Siegeln gewesen; er wollte ihn verstehen, vermochte es jedoch nicht zu tun.

    Nicht, dass er es nicht versucht hatte.

    Als Dave den Lexus fünf Minuten später in die Marketstreet einlenkte, schwiegen John und er noch immer. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich ihn, als er die Straße entlangfuhr und die vertrauten Häuserfronten erkannte. So viele Erinnerungen waren mit diesem Ort verbunden, und Dave schluckte. Wenn es schon ihm schwerfiel, hier zu sein, wie mochte wohl dann erst seinem Bruder zumute sein? Er sah zu John herüber, der vollkommen regungslos neben ihm saß und aus dem Fenster starrte, so wie er es die ganze Fahrt über getan hatte. Nichts hatte sich geändert, weder an seiner Haltung, noch an dem Ausdruck in seinem Gesicht, dennoch wunderte sich Dave, was wohl in dem Kopf seines Bruders vorging.
    Er ließ den Wagen langsam die verschneite Straße entlangkriechen und brachte ihn schließlich vor dem Haus Nummer Sechs zum Stehen. Es war ein gutes Haus, sagte er sich. Ein typisch amerikanisches Haus, unscheinbar und dennoch unterschwellig auf die gut situierten Umstände seiner Besitzer hindeutend. Dave erinnerte sich, wie sein Vater von diesem Haus geschwärmt, es schließlich gekauft und seinem jüngsten Sohn zu seiner Hochzeit geschenkt hatte. John hatte das Geschenk zuerst abgelehnt, doch ihr Vater hatte ihn dazu gezwungen, es anzunehmen, und schließlich hatte John seinem Drängen nachgegeben und war mit Nancy in das Haus Nummer Sechs eingezogen.

    Es war ein gutes Haus, ruhig gelegen, friedlich.

    Bis zu jenem Tag vor acht Jahren…

    „Danke fürs Abholen und Herbringen.“ Johns Stimme riss Dave aus den Gedanken, und wenn er ehrlich sein sollte, war er froh darüber. Die Erinnerungen an die Zeit vor acht Jahren gehörten nicht unbedingt zu seinen liebsten.

    „Hast Du jemals darüber nachgedacht es zu verkaufen?“ Dave hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Kaum war es heraus, da bereute er es auch schon zutiefst. Wie konnte er nur so unsensibel sein? Unsicher blickte er zwischen seinem Bruder und dem Haus hin und her, während er sich selbst eine mentale Ohrfeige verpasste.

    Johns Miene, jedoch, blieb ungerührt. „Ein paar Mal, ja“, antwortete er mit tonloser Stimme. „Hab’s dann aber doch nicht übers Herz bringen können. Der Herrgott allein weiß, warum ich’s nicht getan habe.“

    „Es wird sicher einen Grund geben“, murmelte Dave so leise, dass sein Bruder es nicht hören konnte, dann fragte er: „Soll ich… soll ich noch mit reinkommen?“

    „Ich denke, dass ich es von hier aus alleine schaffen werde“, antwortete John grinsend, rührte sich jedoch nicht vom Fleck. „Danke nochmal, dass Du mich da raus geholt hast, Dave.“

    Sein Bruder nickte. „Pass das nächste Mal ein bisschen mehr auf, klar? Ich will nicht, dass man Dich irgendwann von einer Wand oder der Straße abkratzen muss.“

    „Klar.“ John öffnete die Wagentür. „Grüß Ally und die Kids von mir.“

    „Sie würden sich sicher freuen, Dich zu sehen“, sagte Dave. „Komm doch einfach mal vorbei, wenn Du Zeit hast. Es wäre sicher schön.“

    „Klar“, wiederholte John, „aber ich würd’ nicht drauf warten, Dave.“ Mit diesen Worten schloss er die Wagentür, und Dave sah ihn die Hausauffahrt hinaufschlendern. Er erwartete nicht, dass John sich umdrehte und ihm zum Abschied winkte, dennoch blieb er wo er war, bis die Haustür hinter seinem Bruder ins Schloss gefallen war. Erst dann fuhr er los, jedoch nicht ohne ein letztes Mal in den Rückspiegel zu blicken.

    „Pass auf Dich auf, kleiner Bruder“, sagte er seufzend, nicht ahnend, dass sein Bruder seinem davonfahrenden Wagen durch einen Spalt in der Gardine nachsah, dann an der Wand hinabrutschte und sich fragte, was er nur angerichtet hatte.

    „Pass ja auf Dich auf.“

    Fortsetzung folgt…
    Geändert von Nyada (12.07.2013 um 08:30 Uhr)

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  31. #16
    zigtausend Jahre alt ... ;-) Avatar von John's Chaya
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    Ich wusste schon bei dem Anruf, als John sagte - kannst du mich abholen, dass er im Gefängnis war, hatte so eine Ahnung. Tja, da ist mein John doch irgendwie ganz schön neben der Spur. Wird Zeit, dass er wieder auf die Beine kommt. Bin sehr gespannt wie es weitergeht! Dieses Kapitel hat einen anderen John gezeigt, einen nur zu menschlichen.

    Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein.

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  33. #17
    Die nach den Sternen greift Avatar von Ailya
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    Dave!*freu* Aus irgendeinem Grund- den ich leider noch nicht bis in seine Einzelteile zerlegt und analysiert habe- mag ich Dave. Ich kann dir auch nicht sagen warum. Hhm, vielleicht liegt es daran, dass mein erster Gedanke, als ich ihn in 'Outcast' sah, "Wow!" war. Ich bin sowieso ein großer Fan von Dylan Neal und somit schlichtweg begeistert gewesen, dass er Johns Bruder spielt. Und in puncto Aussehen steht er- meiner Meinung nach- seinem Bruder in nichts nach.
    Nun ja, jetzt weißt du es: Ich mag Dave, und dass er auch in deiner FF vorkommt freut mich. Mir erging es ähnlich wie John's Chaya. Ich hatte so eine Ahnung, dass es unseren Johnnboy hinter Schwedische Gardinen verschlagen haben könnte, und siehe da, tatsächlich!
    Ich finde, dass man in diesem Kapitel sehr deutlich sehen konnte, dass hinter der harten Soldatenfassade auch nur ein ganz normaler Mensch steckt, und ich habe den Verdacht, dass wir noch sehr viel mehr von diesem 'anderen' John zu sehen bekommen werden. Ich hoffe nur, dass Dave sich um seinen 'kleinen Bruder' kümmern wird und ihn nicht sich selbst überlässt. Es ist klar, dass John Hilfe braucht.
    Tolles Kapitel, welches das angespannte und doch irgendwie brüderliche Verhältnis von John und Dave sehr schön rübergebracht hat. Ich hoffe, dass wir noch sehr viel mehr von denen beiden zu lesen bekommen werden.
    LG, deine Ally

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  35. #18
    Major Avatar von claudi70
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    Wieder ein gelungenes Kapitel

    Ich hab mich echt gefreut, dass du Dave mit eingebunden hast. Ich sehe ihn gern an der Seite von John. Es gibt leider nicht ganz so viele FF 's mit den beiden. Ich hoffe, er bekommt noch mehr Platz in deiner Geschichte.

    Na das passt ja, erst den Kummer runterspülen und dann durch die Gegend rasen...*Kopfschüttel* aber nur zu gut nachvollziehbar. Na da ist es ja wirklich gut, dass der große Bruder in der Stadt lebt und ihn da rausgeholt hat.

    Na dann wünsch ich dir noch viel Glück bei deiner Wohnungssuche und all dem Anderem.
    LG

  36. #19
    Mama, im Dienste Ihrer Majestäten Avatar von Nyada
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    Standard Kapitel Vier

    A/N: Wow, ich hätte nie gedacht, dass man so lange an einem Kapitel schreiben kann. Sorry, dass ihr so lange auf die Fortsetzung warten musstet, aber meine Muse hatte sich wohl in den Urlaub verabschiedet und mich vollkommen hilflos zurückgelassen. Jetzt ist sie aber wieder da, und ich gelobe hiermit feierlich Besserung! Ihr dürft mich beim Wort nehmen*grins*.

    Jetzt wünsche ich euch aber erst einmal ganz, ganz, ganz viel Spaß beim Lesen des neuen Kapitels und freue mich schon auf eure Meinung.
    LG, eure Moni


    Kapitel Vier


    „Oh, Addison, Daaarling, hier drüben!“ Cynthia Dixons sirenenartige Stimme durchschlug die Luft wie ein Pistolenschuss und bereitete so der ruhigen und entspannten Atmosphäre ein jähes Ende. Addison Sheppard, die Cynthia Dixon den Rücken zugewandt hatte, verdrehte die Augen und spielte einen Momentlang mit dem Gedanken, einfach so zu tun, als hätte sie ihre Freundin nicht gehört, doch ehe sie sich versah, tauchte diese unvermittelt hinter ihr auf.

    Mein Gott, es ist aber auch schwer, Dich in diesem Getümmel zu erwischen“, klagte Cynthia Addison ihr Leid und umarmte sie rasch. Cynthia war die frisch angetraute dritte Ehefrau eines reichen Immobilienmaklers, mit dem Dave schon seit Ewigkeiten Geschäfte tätigte und jeden Donnerstagnachmittag zum Indoortennis zu gehen pflegte. Sie war sowohl jung als auch hübsch, eine großgewachsene, blauäugige Naturblondine mit langen Beinen, einer zierlichen Taille und einem Vorbau, den sie sich zwar eindeutig hatte machen lassen, der Addison und bestimmt auch jede andere auf diesem Planeten lebende Frau aber trotzdem vor Neid erblassen ließ. Addison mochte Cynthia, zumindest versuchte sie sich das immer wieder einzureden. In Wirklichkeit fand sie das Verhalten ihrer ‚Freundin’ oft kindisch und hin und wieder schämte sie sich für Cynthias teilweise tollpatschiges Auftreten, doch Addison wusste, dass man von ihr verlangte, alles mit einem freundlichen Lächeln hinzunehmen und wenn möglich vollkommen zu ignorieren. So gehörte es sich nun einmal in den Kreisen, in denen sie und ihr Mann verkehrten, auch wenn es mehr als offensichtlich war, dass es Dave weniger Schwierigkeiten bereitete als ihr, sich angemessen zu verhalten.
    Es gab Tage, an denen Addison Sheppard ihr Leben hasste und sich nichts sehnlicher wünschte, als ein normales, weniger prestigereiches Dasein führen zu können. Es war nicht so, dass sie ihren Mann nicht liebte und ihm nicht dankbar dafür war, dass er ihr und ihren Kindern das alles ermöglichte. Doch an manchen Tagen fragte sich Addison, ob es denn wirklich so falsch war, sich etwas mehr Normalität und Beständigkeit zu wünschen.

    An Tagen, wie diesem, zum Beispiel.

    Addison seufzte und versuchte sich ganz und gar auf Cynthia zu konzentrieren, die gerade mit leidiger Miene über ihren letzten Besuch bei Hugo, ihrem Friseur, klagte und kein gutes Wort an dem Ärmsten zu lassen schien. Gespräche solch oberflächlicher Art weckten schon lange nicht mehr Addison Aufmerksamkeit oder gar Interesse, also heuchelte sie ihrer Gesprächspartnerin beides so gut wie nur eben möglich vor, während sie in Wirklichkeit verstohlen über Cynthias knochige Schultern spähte und sowohl nach ihren beiden Kindern, als auch nach ihrem Mann Ausschau hielt. Ihre Tochter und auch ihren Sohn konnte sie relativ schnell in der Nähe des Weihnachtsbüffetts entdecken, von Dave, jedoch, fehlte jede Spur. Addison runzelte die Stirn und reckte den Hals etwas weiter. Es sah ihrem Gatten nicht ähnlich, sich eine solche Party entgehen zu lassen, zumal es mehr oder weniger seine Party war, und Dave Sheppard war aller anderen Meinung zu trotz ein guter Gastgeber, der seine Rolle stets ernst nahm. Zu Beginn des heutigen Abends hatte er jeden einzelnen Gast persönlich begrüßt und kurz Konversation betrieben, war dann aber verschwunden, was für Addison Grund genug gewesen war, sich Sorgen zu machen. Dave war nun schon seit einer guten dreiviertel Stunde wie vom Erdboden verschluckt, und es entging Addison selbstverständlich nicht, dass so mancher Gast sich suchend nach ihm umsah. Anscheinend war sie nicht die Einzige, die sein Verschwinden bemerkt hatte.

    „… und dann hat er mich doch tatsächlich erdbeerblond färben wollen. Ist das zu fassen? Ich meine, jeder weiß doch, dass erdbeerblond so gar nicht meine Farbe ist, und-“ Cynthia redete noch immer wie ein Wasserfall und machte dabei ausschweifende Gesten. Hätte sie sie nicht unterbrochen, da war Addison sich sicher, hätte die Gute wahrscheinlich noch den ganzen Abend so weitergeredet, womöglich sogar noch länger. Ein grausiger Gedanke!

    „Cynthia“, unterbrach Addison sie daher höflich, „es tut mir leid, aber ich fürchte, ich muss nach meinen Kindern sehen.“

    Das Gesicht ihrer Gesprächspartnerin zeugte von Unverständnis, doch Cynthia nickte und meinte: „Oh, ja natürlich. Die beiden sind wirklich herzallerliebst“, setzte sie mit einem aufgesetzten Lächeln nach. „Colin ist wirklich ein Engel und Sarah, die kleine Prinzessin.“

    „Sie heißen Connor und Sophie“, verbesserte Addison die junge Frau mit einem Lächeln, wünschte ihr dann noch weiterhin viel Spaß und verabschiedete sich von ihr. Cynthia entschwand in der Gästemenge, während Addison sich auf die Suche nach ihrem verschollenen Ehemann machte. Weit konnte er ja nicht gekommen sein. Ihr erstes Ziel war ein etwas abgeschotteter Bereich der Hausbibliothek, wo sie allerdings nur auf zwei ältere, Zigarre rauchende Herren stieß, die ihr bedauerlicherweise auch keine Auskunft über den Verbleib ihres Gatten geben konnten. Auch Connor und Sophie zuckten nur mit den Achseln, während Jasmina, das Hausmädchen, zu berichten wusste, dass sie Mr. Sheppard in Richtung seines Büros hätte davongehen sehen, vor etwa vierzig Minuten. Zurückgekommen sei er nicht, sagte sie, weswegen sich Addison auch sogleich auf den Weg machte.

    Sie fand das Objekt ihrer Begierde tatsächlich in seinem Büro, schlafend über den Schreibtisch gebeugt. Um ihn herum sah es auch, als wäre eine Bombe explodiert; überall lagen Papiere verstreut, Akten, wie Addison feststellte, als sie sich ihren Weg durch das Chaos zu bahnen begann. Ihr Ehemann war bei aller Liebe kein Ordnungsfanatiker, aber diese Unordnung war selbst für ihn untypisch. Addison runzelte nachdenklich die Stirn, als sie an der Seite ihres Mannes ankam und ihn sanft an der Schulter berührte. Wenngleich man ihm die Erschöpfung ansehen konnte, sah er dennoch so friedlich im Schlaf aus, dass es Addison beinahe leidtat, ihn wecken zu müssen.

    „Dave?“, sagte sie mit gesenkter Stimme und begann ihn sanft an der Schulter zu rütteln. „Dave, Schatz, wach auf. Dave?“

    Ein undefinierbarer Laut drang aus dem Mund ihres schlafenden Gatten, ehe dieser Sekunden später erschrocken aus dem Schlaf hochfuhr und dabei einige, der auf seinem Tisch ausgebreiteten Akten auf den Boden verfrachtete. „W…Was…“ Dave blinzelte, als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnten, und starrte seine Frau dann verwirrt an. „Addison, was… was…“ Er brach ab, seufzte und rieb sich über seine Wange. „O Gott“, stöhnte er und sah sich dann suchend um. „Bin ich etwa… eingeschlafen?“

    Addison lächelte. „Sieht ganz danach aus, befürchte ich.“

    „O verdammt.“ Dave kniff die Augen zusammen. „Tut… tut mir leid“, murmelte er dann. „Ich wollte nur kurz etwas nachschauen und muss wohl dabei eingenickt sein. Tut mir leid, Addison“, wiederholte er schuldbewusst.

    „Solange Du jetzt mit mir zurück auf die Feier kommst“, beschwor sie ihn. „Deine Gäste fragen sich inzwischen schon, wo Du steckst.“ Schmunzelnd strich sie ihm über sein kurzes, dunkelblondes Haar und warf nebenbei einen raschen Blick auf den flimmernden Bildschirm von Daves Laptop, den er vor sich aufgebaut hatte. Hastig überflog sie einige der Zeilen, hielt jedoch verdutzt inne, als ihr ein bekannter Name ins Auge stach, der Name ihres Schwagers. Rasch las sie die letzten Zeilen ein zweites und danach noch ein drittes Mal, runzelte die Stirn und sah dann ihren Mann an.

    Dave, der ihren Blick bemerkt hatte, seufzte, rieb sich übers Kinn und stellte dann, den Blick wieder auf den Bildschirm gerichtet, nüchtern fest: „Er ist nicht gekommen.“

    „Nein.“ Addison schüttelte mit dem Kopf. „Er ist nicht gekommen.“

    „Ich wusste es“, seufzte Dave.

    „Vielleicht kommt er ja noch“, versuchte Addison ihn zu ermutigen. „Wer weiß, vielleicht steht er ja gleich vor der Tür.“

    „Das glaubst Du doch wohl selber nicht“, lautete die kühle Erwiderung ihres Mannes. „Wir beide wissen, dass er nicht kommen wird.“

    Addison seufzte. „Dave…“

    „Er ist so ein verdammter Sturkopf“, zischte dieser.

    „Er ist Dein Bruder“, verbesserte sie ihn, „und ich möchte nicht, dass Du in so einem Ton von ihm sprichst. Er ist Dein Bruder, Dave“, wiederholte sie.

    „Aber er verhält sich nicht so“, wand ihr Ehemann ein. „Er verhält sich nicht wie mein Bruder. Er… er…“ Händeringend nach den richtigen Worten suchen, begann Dave zu gestikulieren, seufzte dann tief und schwer und sah seine Frau an. „Addison-“ Er sprach ihren Namen mit Bedacht aus- „ich befürchte, dass mir etwas verschweigt.“

    „Dass er Dir etwas verschweigt?“, echote Addison und hob die Augenbrauen. Dave, seinerseits, nickte.

    „Ich glaube, er steckt in Schwierigkeiten“, ergänzte er und meinte noch, bevor Addison darauf etwas erwidern konnte: „Er war so… anders, als ich ihn gesehen habe. Ich hatte das Gefühl, als sei er-“

    „Halt, Moment“, fiel seine Frau ihm ins Wort, denn sie glaubte sich verhört zu haben. „Was hast Du das gerade gesagt? Er… John ist hier? Hier, in der Stadt?“

    Dave nickte. „Er hat mich vor ein paar Tagen angerufen, ja.“

    „John ist in der Stadt?“, wiederholte Addison ungläubig. „Aber… wie… warum.. wieso sagst Du mir denn nichts?“, verlangte sie zu wissen, mit einer Mischung aus Verwunderung und Ärger, die in ihrer Stimme mitschwangen. Sie hatte ihren Schwager das letzte Mal vor Jahren gesehen, während einem seiner seltenen Besuche, der damit geendet hatte, dass John und sein Vater Patrick sich fürchterlich in die Haare bekommen hatten, worauf ihr Schwager ärgerlich geschworen hatte, nie wieder einen Fuß über die Schwelle des Hauses zu setzen. Sie hatte es damals nicht für möglich gehalten, ihren Schwager seither aber nicht mehr zu Gesicht bekommen, so wie er es vorausgesagt hatte. Selbst auf der Beerdigung seines Vaters waren sie sich seltsamerweise nicht über den Weg gelaufen, und als John einige Tage später vor ihrer Tür gestanden hatte, war sie gerade auswärts mit einer Freundin zum Essen verabredet gewesen und hatte erst später von ihrem Mann erfahren, dass sein Bruder ihn besucht hatte.
    Addison mochte John und John mochte sie. Sie waren seit jeher ein eingeschworenes Team gewesen, wenn es darum gegangen war, sich gegenüber Dave oder gar Patrick zu behaupten- nicht, dass ihre Aktionen oft von Erfolg gekrönt waren, aber Addison fand es einfach beruhigend, wenigstens einen aus der Familie stets auf ihrer Seite zu wissen. Sie war John, einige Tage bevor sie seinen Bruder Dave kennengelernt hatte, auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung begegnet, die sie beide wohl eher als notwendiges Übel als ein Vergnügen angesehen hatten. Ihre erste Erinnerung an John war jene eines großen, breitschultrigen Mannes mit dunklen, wirr vom Kopf abstehenden Haaren, der sie durch seine in die Stirn hängenden Ponysträhnen verschmitzt angestiert hatte. Er war ihr auf Anhieb sympathisch gewesen, und Jahre später hatte John ihr gesagt, dass er ebenso empfunden hatte.
    John war für sie wie der große Bruder, den sie sich immer gewünscht, aber nie bekommen hatte. Sie war die älteste von drei Schwestern und hatte sich stets behaupten müssen. Nichts hatte sie sich damals mehr gewünscht, als einen Beschützer, einen großen Bruder, der immer für sie eintrat. Genau das wurde John für sie. Für sie war er nie ein Mann gewesen, in den sie sich Hals über Kopf hätte verlieben können. Er war attraktiv, keine Frage. Addison hatte über die Jahre gesehen, wie unzählige Frauen sich ihm an den Hals geworfen hatten, und wie John diese Aufmerksamkeit auf seine Art und Weise genossen hatte. Er war ein Lebemann, anders als Dave, bei dem alles genaustens geplant und festgelegt sein musste. Er ließ sich gerne auf ein Abenteuer ein, während Dave das Altbewährte bevorzugte. Zwei Brüder, die unterschiedlicher nicht sein konnten, und es immer irgendwie schafften, sich in die Wolle zu kriegen.

    Nun hören zu bekommen, dass John wieder in der Stadt war, versetzte Addison in ein Gefühl der Euphorie, und sie brannte auf einmal darauf mehr zu erfahren. Die Tatsache, dass Dave ihr ein so wichtiges Detail verschwiegen hatte, ignorierend, begann sie ihn nach Strich und Faden auszuquetschen und ihn alles zu fragen, was sie wissen wollte, angefangen damit, wann John ihn angerufen und wann er ihn das letzte Mal gesehen hatte.

    „Letzten Dienstag“, antwortete Dave. „Er hat mich im Büro angerufen und wollte, dass ich ihn abhole, was ich getan habe. Ich weiß auch nicht warum, ich habe es einfach getan. Wahrscheinlich weil ich schon zu diesem Zeitpunkt wusste, dass etwas nicht in Ordnung war.“ Anschließend berichtete er ihr, wie er John aus dem Gefängnis abgeholt und nach Hause gefahren hatte. Addison lauschte den Worten ihres Mannes schweigend, während sie sich gleichzeitig ihren herzensguten Schwager hinter Gittern vorzustellen versuchte. John hatte sich noch nie besonders gern an die Regeln gehalten, war von jungen Jahren an ein Rebell gewesen und hatte seinen Vater damit oft genug zur Weißglut getrieben; selbst als sein Sohn den Kinderschuhen längst entwachsen war, hatte sich Patrick Sheppard stets über seinen Jüngsten aufzuregen gepflegt. Aber… Gefängnis?

    „Du denkst also wirklich, dass er Dir etwas verschweigt.“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

    Dave zuckte mit den Achseln. „Ja… ich meine, ich weiß es nicht. Er war so… anders. Ich habe ihn kaum wieder erkannt. Er war abwesend, sah schlecht aus, fast so, als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders.“

    „Hast Du ihn darauf angesprochen?“, wollte Addison wissen.

    „Wir reden hier von John, Addison“, erinnerte ihr Ehemann sie. „Selbst wenn ihm etwas fehlte, würde er es nicht sagen. Du weißt doch wie er ist.“

    Seufzend senkte Addison den Kopf. „Ja, das weiß ich.“

    „Ich mache mir Sorgen um ihn“, erklang Daves Stimme schließlich wieder, nachdem er und Addison mehrere Momente lang nachdenklich geschwiegen hatten. „Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Es ist fast so wie damals, als…“ Er brach ab, doch Addison wusste auch so, wovon ihr Mann gesprochen hatte; von jener dunklen Zeit, von der niemand in der Familie zu sprechen wagte. Von Johns Zeit in Afghanistan. Von dem Einsatz, der sein Leben grundlegend verändern sollte und der ihm gleichzeitig um ein Haar das sinnbildliche Genick gebrochen hätte. Niemand sprach mehr darüber, was aber nicht bedeutete, dass nicht daran gedacht wurde.

    „Du denkst…“ Auch Addison brachte ihren Satz nicht zu Ende. Sie wagte es nicht, es auszusprechen. Sie konnte es nicht.

    Dave ließ sich gegen die Lehne seines Sessels zurückfallen, hob die Hände und rieb erneut über sein Gesicht. „Wenn ich das wüsste“, seufzte er. „Ich weiß nur, dass etwas mit ihm nicht stimmt.“

    „Vielleicht solltest Du zu ihm fahren und mit ihm darüber reden“, schlug Addison vor, erkannte aber sofort, als Dave sie ansah und die Stirn runzelte, wie irrsinnig dieser Vorschlag gewesen war. „Vielleicht sollte ich dann zu ihm fahren“, versuchte sie daraufhin zu retten, was noch zu retten war. In Daves Gesicht war noch immer Skepsis geschrieben, weswegen Addison hinzufügte: „Ganz ungezwungen. Wie Du gesagt hast, Dave, wir beide kennen Deinen Bruder. Wissen, wie er ist. Er wird niemals mit Dir darüber reden, aber vielleicht mit mir.“

    Kurzes Schweigen, dann: „Das würdest Du machen?“

    „Ja.“ Addison nickte. „Er gehört zur Familie, Dave, und wenn etwas mit ihm nicht stimmt oder ihn bedrückt, dann sollten wir herausfinden, was es ist. Ich werde gleich morgen zu ihm fahren und mit ihm reden.“

    „Ein Versuch kann ja nicht schaden“, meinte ihr Mann. „Ich fürchte nur, dass Du nicht allzu viel aus ihm herausbekommen wirst. Ich sag Dir, er ist irgendwie… anders. Er ist nicht mehr der John, den Du in Erinnerung hast. Irgendetwas ist passiert und hat ihn verändert. Frag mich nicht was, ich weiß es nicht.“

    „Dann gilt es das herauszufinden“, beschloss Addison, erhob sich von der Kante des Tisches, auf der sie Platz genommen hatte, strich ihr Kleid glatt und fuhr sich dann einhändig über ihr langes, blondes Haar. „Wir sollten jetzt wieder zur Party zurückgehen“, sagte sie dann und streckte Dave ihre Hand entgegen. „Unsere Gäste werden sich sicherlich schon fragen, wo wir stecken.“

    „Ja“, erwiderte Dave und erhob sich ebenfalls. „Und, Addison?“ Als sie sich zu ihm umwandte, zog er sie an sich und küsste sie kurz, aber voller Liebe auf den Mund. „Danke, dass Du das machst“, flüsterte er, als sie sich voneinander löste. „Das bedeutet mir wirklich sehr viel.“

    Lächelnd lehnte Addison ihre Stirn gegen seine. „Du bist nicht der Einzige, er möchte, dass es John gut geht“, sagte sie leise und küsste ihn erneut. „Du bist nicht der Einzige, Dave.“


    ooOOoo


    Es hatte in den frühen Morgenstunden, noch vor Sonnenaufgang zu schneien begonnen, und als Teyla Emmagan gegen Abend unbemerkt aus der Mensa schlich, um dem Trubel der dort stattfindenden Feier für ein paar Minuten zu entkommen, wirbelten die weißen Flocken noch immer durch die Luft und fanden sich außerhalb der Stadt, auf dem Boden des Balkons, auf welchen sich die Athosianerin geflüchtet hatte, zu einer durchgängigen und völlig unberührten Fläche zusammen, die im Licht des bereits vor Stunden aufgegangenen Mondes funkelte und glitzerte.
    Der frisch gefallene Schnee knirschte unter den Sohlen ihres Schuhwerks, als Teyla langsamen Schrittes auf die Balustrade des Balkons zuschlenderte und sich gegen sie lehnte, den Blick auf den im Mondlicht schimmernden Ozean und das beleuchtete Stahlgerüst der Golden Gate Bridge gerichtet, die sich in nicht allzu großer Entfernung als ein architektonisches Mahnmal über die ruhigen Wasser des Hafens spannte. Von Osten her wehte ein eiskalter Wind, und Teyla zog die beiden Hälften ihrer Jacke fester zusammen, als die frische Brise durch ihr Haar zauste. Die kalte Winterluft ließ ihr Gesicht und ihre Wangen rosig werden, aber so erfrischend dieses Gefühl auch sein mochte, Teyla spürte wie die Kälte ihr in ihren müden Augen zu brennen begann und ihre Glieder steif werden ließ. Lange würde sie sich nicht hier draußen aufhalten können, stellte sie bedauernd fest, seufzte und drehte sich dann in die Richtung, aus der sie gekommen war und aus der sie die laute Musik vernahm, die in der Mensa bestimmt ohrenbetäubend sein musste. Die Stimmung in der Mensa war heiter; Teyla hörte das Gelächter und Gejohle der anderen durch das dicke Glas der Türen hindurch, und sie hatte gesehen, wie ausgelassen in der Mensa gefeiert wurde. Für viele war es das erste Weihnachtsfest auf der Erde seit Jahren, weswegen um dieses Fest bereits seit Wochen ein großer Wirbel veranstaltet worden war. Die Vorbereitungen hatten vor etwas mehr als zwei Wochen damit begonnen, dass unter den wachsamen Augen des Expeditionsleiters ein riesiger Tannenbaum in der Mensa aufgestellt und festlich geschmückt worden war. Teyla wusste, dass das Weihnachtsfest etwas besonderes für die Menschen von der Erde war, und obwohl sie zuerst etwas skeptisch gewesen war, hatte sie sich schnell vom „Geist der Weihnacht“, wie Elizabeth dieses wohlig-warme Gefühl einmal beschrieben hatte, anstecken lassen und jedes der vergangenen Feste stets genossen.

    Dieses Jahr, jedoch, war es anders, wenngleich dieses Fest eines der mitunter schönsten und prächtigsten war. Die ganze Expedition schien sich in der Mensa versammelt zu haben, um diesen besonderen Tag miteinander zu begehen und mit Musik und Tanz zu feiern. Eine angenehme, freudige Atmosphäre hatte Einzug in die Stadt gehalten, und obschon Teyla ihren Freunden gegenüber etwas anderes behauptet hatte, war ihr alles andere als nach Feiern zumute. Sie genoss das Zusammensein mit Ronon, Rodney, Jennifer, Amelia Banks, Carson und dessen reizender Begleitung Doktor Alison Porter, jedoch nicht so sehr wie im Jahr davor. Zu sehen, wie sich ihre Freunde vergnügten, lachten, sich freuten und miteinander glücklich zu sein schienen, schnürte Teyla die Kehle zusammen. Sie hatte versucht, es sich nicht anmerken zu lassen und ihren Freunden den Spaß und ihr Glück zu gönnen, hatte sich jedoch, als es für sie schlussendlich doch unerträglich geworden war, unter einem Vorwand von der Feier entfernt und war davongeschlichen.

    Teyla wusste, dass ihre Freunde sie schon bald suchen würden, da sie sich Sorgen machten, und deshalb beschloss sie, die wenigen Minuten, die ihr noch blieben, zu nutzen, weshalb sie sich wieder umdrehte und ihr Gesicht dem Meer zuwandte. Mit einem leisen Seufzer lehnte sie sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Balustrade, schloss die Augen und ließ sich die beißend kalte Luft um die Nase wehen, in der Hoffnung, zumindest für einen Augenblick das Chaos in ihrem Kopf und in ihrem Herzen ignorieren oder besser noch vergessen zu können…
    … leider wieder einmal ohne Erfolg. Der Druck der letzten Wochen, der sie schon seit geraumer Zeit um ihren Schlaf, Appetit und ihre Nerven brachte, lastete einfach zu stark auf ihren Schultern, als dass Teyla ihn einfach ignorieren oder gar wegdenken konnte. Noch nie zuvor hatte sie sich dermaßen ausgelaugt und erschöpft gefühlt wie in den beiden vergangenen Wochen. Die Geschehnisse der letzten Zeit hatten erbarmungslos an ihren Kräften gezerrt, auch wenn sie das ihren Freunden gegenüber nicht zugeben wollte. Teyla wusste, dass diese sich Sorgen um sie machten, doch wenn sie sich nach ihrem Befinden erkundigten, speiste sie sie meist mit einem netten Lächeln ab und verheimlichte ihnen, wie es wirklich um sie bestellt war.

    So auch heute Abend. Teyla freute sich für ihre Freunde, dass sie diesen besonderen Tag nach so vielen Jahren endlich wieder auf der Erde verbringen durften, allerdings konnte und wollte sie dieses merkwürdige Gefühl loswerden, welches ihr sagte, dass dieses Weihnachtsfest trotz allem nicht so war, wie sie es sich wünschte.

    Die Athosianerin seufzte erneut, blickte zum wolkenverhangenen Nachthimmel hinauf und blinzelte, als sich eine Schneeflocke in ihren Wimpern verfing. Fern am Horizont entdeckte sie einen schmalen Silberstreifen, das hell erleuchtete San Fransisco, das sich an der kalifornischen Küste erstreckte. Irgendwo da draußen, sagte Teyla sich, jenseits des Ozeans, auf dem Atlantis still und vor den Augen der Welt verborgen vor sich hindümpelte, war er, der Grund für das Chaos in ihrem Kopf und Herzen und die schlaflosen Nächte.
    Teyla ließ ihren Blick an der fern gelegenen Küste entlangschweifen. [i]Wo bist Du nur[/i ], dachte sie dabei geradezu verzweifelt, hätte es am liebsten laut auf den Ozean hinausgeschrieen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die ihren Blick verschleierten, und noch ehe Teyla wusste, wie ihr geschah, kippte ihr Oberkörper nach vorne und sie musste sich mit der Hand auf der Balustrade abstützen.
    Ein lautes, hilfloses Schluchzen entkam ihr, und Teyla presste sich ihre freie Hand vor den Mund. Da sie wusste, dass niemand sie hörte, gab sie sich hemmungslos ihrer Verzweiflung und ihrer Trauer hin und weinte, bis ihre Tränen wenige Minuten später versiegten. Mit bebenden Lippen trocknete sie sich die Tränen, atmete einmal tief ein und wieder aus und klammerte sich nach Halt suchend an die metallene Balustrade. Sie ließ den Kopf nach vorne auf ihr Brustbein wegfallen, holte erneut ein paar Mal tief Luft und sammelte sich so gut wie es ihr nur eben möglich war, löste dann eine Hand von der Balustrade und legte sie auf ihren Bauch. Ein zittriges Seufzen entkam ihr, und es begannen sich unwillkürlich neue Tränen in ihren Augenwinkeln anzusammeln, als sie an das winzige Wesen dachte, das in ihr heranwuchs. Zwei Wochen waren vergangen, seit Carson Beckett Abnormalitäten in den Ergebnissen ihrer Routineuntersuchung festgestellt und sie wenig später mit einem Lächeln von der Schwangerschaft in Kenntnis gesetzt hatte.
    Den Verdacht, dass sie ein Kind erwarten könnte, hatte Teyla bereits seit längerem gehegt, aber der Vorsicht halber für sich behalten, da allein die Vorstellung verstörend gewesen war und sie ihn Panik versetzt hatte.
    Mit Bestimmtheit zu wissen, dass sie ein Kind erwartete, hatte jedoch nichts an dieser Panik geändert; Teyla verspürte sie noch immer.
    Schwanger zu werden war alles andere als das gewesen, was Teyla gewollt hatte, und obwohl sie sich auf irgendeine, ihr noch nicht ganz verständliche Art und Weise auf das Kind freute, wusste sie, dass es niemals soweit hätte kommen dürfen. Das, was zu dieser Schwangerschaft geführt hatte, war von Anfang an ein Fehler gewesen, ein schwerer Fehler. Sie hatte vom allerersten Augenblick an gewusst, dass sie sich nicht darauf hätte einlassen dürfen, hatte es aber trotzdem getan und musste nun mit den Konsequenzen ihres Handelns leben.
    Mit dem Kind, welches sie in sich, unter ihrem Herzen trug.
    Ihrem Kind.
    Johns Kind.

    Als John Sheppard sie vor Monaten während eines abendlichen Spaziergangs aus heiterem Himmel geküsst hatte, war sie völlig überrumpelt gewesen und hatte nicht gewusst, was sie tun sollte. Ihre Erinnerungen an diesen schicksalhaften Tag waren merkwürdigerweise sehr verschwommen, und sie konnte sich nicht mehr an jede Kleinigkeit erinnern. An was sie sich aber klar und deutlich erinnern konnte, war der Schauer, der sie durchfahren hatte, als John seine Lippen auf ihre gepresst hatte. Es war, als hätte sich eine Tür geöffnet, die bis zu diesem Moment verschlossen geblieben war, und mit einem Mal hatte alles für sie einen Sinn ergeben. Teyla erinnerte sich, wie sie sich in diesem Moment zum allerersten Mal seit langer Zeit nicht ermattet, sondern lebendig gefühlt hatte. Die schwierigen Wochen und Monate waren vergessen gewesen, als John sie küsste. Er hatte die Last von ihren Schultern genommen, und Teyla hatte dieses Gefühl der Freiheit genießen wollen, was alles in allem der Grund dafür gewesen war, dass sie seinen Kuss erwidert hatte ihm in sein Quartier gefolgt war, wo sie sich im Anschluss zum allerersten Mal geliebt hatten.

    Teyla schloss die Augen.

    Sie hatte von Anfang an gewusst, dass es ein Fehler war. Ihre kleine Liaison mit John hatte vom ersten Augenblick an unter einem schlechten Stern gestanden, dennoch hatte sie nicht widerstehen können. Es war nicht der Sex gewesen, der sie veranlasst hatte, die Affäre aufrecht zu erhalten, auch wenn sie neidlos gestehen musste, dass Johns Qualitäten als Liebhaber alles übertrafen, was sie sich vorgestellt und bis dato gekannt hatte. Aber nein, es war nicht der geradezu atemberaubend gute Sex, sondern vielmehr der Schmerz tief in ihrem Inneren, der sie immer wieder zu ihm hatte zurückkehren lassen. Der Schmerz, der jedes Mal ein bisschen weniger schmerzhaft gewesen war, wenn er sie in die Arme genommen und geküsst hatte, und sogar ganz verschwand, wenn er sich in ihr bewegt und ihr ins Ohr geflüstert hatte, dass alles wieder gut werden würde.
    Ja, John Sheppard hatte ihr die Hoffnung zurückgegeben, dass sich alles wieder zum Guten wenden würde, wenn sie nur ganz fest daran glaubte. Er hatte ihr versprochen, dass er alles tun würde, um sie, Atlantis und alle anderen wieder zurück nach Hause zu bringen, ganz gleich was es ihn kosten würde…
    … und sie hatte ihm geglaubt. Sie glaubte ihm noch immer, dass er sie eines Tages zurück in die Pegasusgalaxie bringen würde, jedoch erwiesen sich die Umstände jetzt um einiges… schwieriger und komplizierter.

    Ihr Kind. Johns Kind. Ihres.

    Hier sind Sie!“, ertönte da auf einmal eine Stimme hinter ihr, und Teyla fuhr erschrocken zusammen und dann herum und blickte in die nicht minder überraschten Augen von Rodney McKay, der soeben den Balkon betreten hatte. „Wir haben Sie schon überall gesucht!“

    „Ich… ich war hier“, sagte Teyla. „Ich wollte nur etwas frische Luft schnappen.“

    „Oh, okay.“ Rodney blieb stehen. „Nun, wir… wir haben uns Sorgen um Sie gemacht. Sie verpassen da drin eine wirklich Wahnsinnsparty, also dachte ich mir…“

    „Ich werde gleich nachkommen, Rodney“, versprach Teyla ihm. „Ich brauche nur noch einen Augenblick.“

    „Gut, dann werde ich den anderen sagen, dass…“ Rodney war gerade dabei, vage hinter sich zu deuten, als sich sein Gesichtsausdruck veränderte. Er runzelte die Stirn und sah sie prüfend an, und Teyla ahnte, was nun folgen würde. „Ist alles in Ordnung?“, hörte sie Rodney besorgt fragen.

    „Ja, ja“, beeilte sie sich zu antworten. „Es ist alles in Ordnung, Rodney.“

    „Aber Sie…“ Die Augen ihres Kollegen verengten sich, und er betrachtete sie näher. „Weinen Sie etwa? Sie weinen ja!“

    „Es ist wirklich nichts, Rodney“, versuchte Teyla ihn zu beschwichtigen und wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten Wangen. „Es geht mir gut.“

    „Aber Sie weinen!“, begehrte der Kanadier auf und machte unvermittelt einen großen Schritt auf sie zu. „Ja, ja, Sie weinen eindeutig, also kann es Ihnen nicht gut gehen. Was… was ist los?“

    Teyla bemühte sich um ein Lächeln. „Rodney…“, sagte sie schwach. „Bitte. Es geht mir gut. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“

    „Glauben Sie mir, ich bin nicht gerade gut, was das zwischenmenschliche angeht“, erklärte ihr Rodney. „Fragen Sie Jennifer, sie kann es bestätigen. Aber… aber Sie… Sie weinen! Und Sie weinen nie. Nun ja, zumindest habe ich Sie nie weinen sehen, also…“

    „Rodney“, unterbrach Teyla den Redefluss ihres Freundes sanft.

    „Ja, ja, ich weiß, ich rede schon wieder zuviel“, plapperte er, sah dann auf. „Aber… aber…“ Er brach ab, holte tief Luft und setzte noch einmal an. „Was ist los, Teyla?“

    „Rodney…nicht.“

    Ihr Gegenüber schnitt ihr mit einer wirren Handbewegung das Wort ab, musterte sie dann noch intensiver, bis Teyla das Gefühl hatte, seine blauen Augen würden sie durchbohren. „Es ist wegen Sheppard, nicht wahr?“ Seine Worte ließen die Athosianerin zusammenzucken, was Rodney nicht entging. „Wusste ich es doch“, murmelte er, lehnte sich dann mit einem tiefen Seufzer neben Teyla gegen die Balustrade und meinte: „Wir vermissen ihn alle.“

    Teyla musste unwillkürlich schmunzeln. „Sie etwa auch, Rodney?“

    Der Angesprochene seufzte erneut. „So hirnrissig das auch klingen mag, ja, sogar ich vermisse ihn. Zumindest… irgendwie. Nicht seine… Art, sondern vielmehr…“ Rodney brach ab und kräuselte die Stirn, als ob er nach dem richtigen Wort zu suchen schien.

    „Ihn“, beendete Teyla den Satz ihres Freundes. „Sie vermissen ihn, Rodney.“

    „Ich habe mich jahrelang über ihn aufgeregt, und glauben Sie mir, Teyla, ich hätte ihn so manches Mal auf den Mond schießen können, wenn ich es gedurft hätte.“ Ein Schmunzeln verzog Rodneys Züge. „Aber trotzdem ist er in all den Jahren so etwas... wie… ein Freund geworden.“ Das Schmunzeln verschwand und seine Miene wurde ernst. „Ich hätte nie gedacht, dass es eines Tages so kommen würde“, sagte er.

    „Niemand dachte das“, entgegnete Teyla ihm nach einer Weile und kniff die Lippen aufeinander, da sie spürte, dass sich neue Tränen in ihren Augenwinkeln sammelten. Rasch hob sie die Hand und wischte sie weg, doch Rodney hatte das feuchte Glitzern ihn ihren Augen bereits bemerkt.

    „Wir werden Ihn finden“, sagte er leise. „Das verspreche ich Ihnen. Wir werden ihn finden und zurückbringen.“

    Teyla nickte. „Das weiß ich doch, Rodney.“

    „Gut.“ Der Wissenschaftler stemmte sich von der Balustrade weg, drehte sich um und machte Anstalten, zur Feier zurückzukehren, blieb jedoch stehen, als Teyla seinen Namen rief und raschen Schrittes zu ihm aufschloss.

    „Danke“, sagte sie leise, mit Tränen in den Augen, und schlang aus einem Impuls heraus ihre Arme um Rodneys Schultern. Sie spürte, wie ihr Freund sich anspannte, aber nach wenigen Sekunden ließ diese Spannung wieder nach, und Rodney legte eine Arme ebenfalls um sie und tätschelte sie sanft an der Schulter.

    „Wir werden ihn finden, Teyla“, hörte sie ihn in ihr Ohr flüstern. Sie nickte und verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter. Noch vor ein paar Monaten hätte sie nie gedacht, so etwas einmal zu tun, aber Rodney war inzwischen mehr als nur ein Freund; er war ein guter Freund, dem sie vertraute. Sie vertraute ihm so, wie sie auch Ronon vertraute. Rodney McKay mochte manchmal etwas kompliziert sein, dennoch wusste Teyla, dass sie sich immer auf ihn verlassen konnte, weswegen sie ihm auch glaubte, als er ihr versprach, John zu finden und nach Atlantis zurückzuholen.

    Ja, sie würden ihn finden, ganz egal, was es sie kosten würde, und sie würden ihn nach Atlantis zurückholen, denn die Stadt war sein Zuhause. Sie waren sein Zuhause. Und daran würde sich nie etwas ändern!

    Fortsetzung folgt…
    Geändert von Nyada (12.07.2013 um 08:31 Uhr)


  37. #20
    zigtausend Jahre alt ... ;-) Avatar von John's Chaya
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    Ach, *seufz* wie traurig das doch alle ist. Sogar Dave macht sich große Sorgen um seinen Bruder. Und Addison, seine Frau, macht sich sogar noch mehr Sorgen. So sehr, dass sie John sogar aufsuchen will. Ich hoffe, sie hat Glück und kann ihm helfen, dazu müsste er allerdingst erst einmal mit ihr reden.
    Da kann Teyla ein schönes Erdweihnachtsfest feiern und kann es nicht genießen. John fehlt ihr so sehr, das kann ich sehr gut nachvollziehen. Sie trägt ja auch noch ihr gemeinsames Kind unter dem Herzen. *seufz* Es ist alles so traurig ...
    Ich hoffe, die kleine Dramaqueen in dir, bringt diese Geschichte trotzdem zu einem guten Ende. Das war wieder ein tolles Kapitel!

    Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein.

  38. Danke sagten:


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