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Thema: [Merlin] Neue Zeiten

  1. #1
    There is good in you... Avatar von Chayiana
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    Standard [Merlin] Neue Zeiten

    Titel: Neue Zeiten
    Fandom: Merlin (BBC)
    Genre: gen, canon-AU, drama, friendship
    Charaktere: alle Canon-Charaktere, aber hauptsächlich Merlin und Arthur (Background Arthur/Gwen, ist aber kein Bestandteil des Plots)
    Rating: PG-13
    Spoiler: inkl. Staffel 3

    A/N: Die FF setzt direkt am Ende von "The Tears of Uther Pendragon" (3x02) an und nimmt dann praktisch einen Canon-AU-Verlauf. Wer also die Serie bis 3x02 kennt, ist klar im Vorteil. *g*

    A/N Nr. 2: Einige von euch werden jetzt sicher sagen: "Moment mal, das kenn ich doch!" - und sie haben recht! *g* Ich hatte diese FF schon in meinem Blog gepostet, bis ich sie sträflich vernachlässigt habe. Sorry dafür! Aber da meine Muse nun scheinbar von ihrem Langzeiturlaub zurückgekehrt ist, möchte ich sie hier noch einmal in voller Länge posten. Und falls es da draußen tatsächlich noch irgendjemanden gibt, den es nach so langer Zeit interessiert, wie es weitergeht, nun, es wird weitergehen, sobald die "alten" Kapitel gepostet sind! Alle anderen sind natürlich auch herzlich eingeladen, jetzt von Anfang an mitzulesen ... *gg*




    Kapitel 1


    „Sire, ich muss Euch etwas erzählen ... über Morgana.“

    „Es ist in Ordnung, Merlin, wir wissen, was passiert ist“, antwortete Arthur und ließ Merlin stehen. Sein überraschtes „Ihr wisst es?“ nahm Arthur schon gar nicht mehr bewusst wahr. Er wusste, dass er sich unhöflich, beinahe unfair benahm, aber er verspürte schlichtweg keine Lust, sich noch weitere Lobpreisungen über das, was Morgana getan hatte, anzuhören ... und am allerwenigsten von Merlin.

    Arthur stieg die wenigen Stufen zum Podest hinauf und stellte sich neben seinen Vater, der kurz darauf mit seiner Ansprache zu ihrem Sieg und Morganas ruhmreicher Tat begann. Für einen kurzen Moment war Arthur versucht, die Augen zu verdrehen, als der König mit unverhohlener Begeisterung auszuführen begann, wie sein Mündel den Kampf praktisch im Alleingang zu ihren Gunsten entschieden hatte. Sein Vater tat gerade so, als ob er, Arthur, und seine Ritter nur daneben gestanden und Däumchen gedreht hatten. Wer hatte denn die Stadt auf die Belagerung vorbereitet? Wer hatte die Männer in den Kampf geführt? Mit ihnen an aller vorderster Front gekämpft? Wer hatte all diese schweren Entscheidungen getroffen, die alleinige Verantwortung übernommen – und das zum ersten Mal in seinem Leben? Und ja, Arthur war sich durchaus bewusst, dass man diese Gedankengänge auch als Schmollen bezeichnen konnte. Aber diese Erkenntnis machte das nagende Gefühl, übergangen und zurückgesetzt worden zu sein, auch nicht einfacher, aber zumindest brachte sie ihn dazu, sich nicht in der Öffentlichkeit gehen zu lassen. Er versteckte seine Emotionen hinter einer starren Maske, den Blick fest auf einen Punkt am anderen Ende des Thornsaals geheftet, während seine Gedanken abermals zu wandern begannen. Dies hätte seine Stunde sein sollen, sein Sieg. Ein Sieg, den niemand jemals vergessen würde. Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind sollte sich daran erinnern – bis in alle Ewigkeit. Das war das, was Merlin zu ihm gesagt hatte ... und er hatte ihm geglaubt. Und wenn er ehrlich mit sich selbst war, waren es genau diese Worte gewesen, die ihm die Kraft gegeben hatten, den Kampf überhaupt durchzustehen.

    Insgeheim wunderte er sich immer noch ein wenig über die plötzliche Weisheit, die aus seinem sonst doch so trotteligen Diener gesprochen hatte. Instinktiv sah er zu Merlin hinüber. Und als ob der junge Mann seinen Blick gespürt hatte, erwiderte er den Augenkontakt und seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsen. Ein Grinsen, das auf Arthur seltsam gezwungen wirkte, vor allem wenn er den Ausdruck auf Merlins Gesicht nur eine Moment vorher in seine Überlegungen mit einbezog. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er dort etwas entdeckt, das so gar nicht zu Merlin passte. Eine wilde Entschlossenheit, die ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Eine stumme Kampfansage. Jedoch war diese weder gegen seinen Vater noch gegen ihn selbst gerichtet gewesen, sondern – wie Arthur verblüfft feststellte – gegen Morgana. Die Frau, von der Arthur angenommen hatte, dass Merlin mehr als nur freundschaftliche Gefühle für sie hegte. Hatte er ihm nicht noch vor wenigen Minuten bewundernd über ihre Heldentat berichten wollen? Oder hatte Arthur das - in seinem eigenen Ärger versunken - nur fälschlicherweise angenommen? Verwirrt beschloss er, Merlin beizeiten darauf anzusprechen. Doch zuvor musste er das private Dinner mit seinem Vater und Morgana, das für diesen Abend geplant war, überstehen. Er konnte sich schon jetzt lebhaft vorstellen, wie diese Zusammenkunft ablaufen würde. Innerlich aufseufzend verließ er mit dem Rest des Hofstaates den Thronsaal, nachdem der König die Versammlung für beendet erklärt hatte.


    ~~~


    „Ich habe keine Angst vor ihr, Gaius.“

    „Das solltest du aber“, antwortete sein Mentor warnend.

    Zögerlich versuchte Merlin das, was er für Morgana fühlte, in Worte zu kleiden. „Nein, alles, was ich für sie empfinde, ist ... Traurigkeit. Sie schien so verbittert, so voller Hass ...“

    Für einen Moment sahen sich die beiden Männer an. Eine nachdenkliche Stille erfüllte den Raum, bis Gaius schließlich sagte: „Lass es dir nicht ebenso ergehen, Merlin.“

    „Ich glaube, nichts könnte mich jemals so wütend machen“, erwiderte Merlin just in dem Augenblick, als eine aufgebrachte Stimme draußen im Gang seinen Namen rief. Nur eine Sekunde später wurde die Tür zum Labor aufgerissen.

    „Schaff sofort dein faules Hinterteil hier raus!“, forderte Arthur lauter, als es unbedingt nötig gewesen wäre.

    Schmunzelnd blickte Merlin seinen Mentor an und meinte leise: „Wenn ich es allerdings recht überlege ...“ Er ließ den Satz unvollendet und erhob sich vom Tisch, um Arthur zu folgen.


    ~~~


    Als sie nach wenigen Minuten Arthurs Gemächer erreichten und der Prinz noch immer nicht erklärt hatte, warum er ihn zu so später Stunde noch benötigte, konnte Merlin seine Neugier nicht länger im Zaum halten.

    „Sagt Ihr mir jetzt endlich, warum ich mein Abendessen so abrupt stehen lassen musste oder soll ich tatsächlich fragen, welche Laus Euch über die Leber gelaufen ist?“

    „Ich weiß zwar nicht, was dich auf den Gedanken bringt, ich hätte schlechte Laune“, begann Arthur mit finsterer Miene, was ihm ein amüsiertes Augenrollen von Merlin einbrachte, „aber da du derjenige sein wirst, der es vorbereitet, habe ich dich hergeholt, um die Einzelheiten zu besprechen.“

    „Derjenige, der was vorbereitet?“, hakte Merlin verwirrt nach. Doch als er das undeutbare Lächeln auf Arthurs Gesicht auftauchen sah, wollte er es eigentlich schon gar nicht mehr wissen. Aber natürlich war dieser Gedanke irrelevant.

    „Wir machen morgen ein Picknick.“

    Merlin glaubte, sich verhört zu haben. Sekundenlang starrte er Arthur mit offen stehendem Mund an, bis er schließlich das Offensichtliche wiederholte.

    Wir machen morgen ein ... Picknick?“

    „Nicht wir alleine, Merlin. Warum sollte ich wohl ein Picknick mit dir veranstalten wollen?“

    Ja, diese Frage hatte sich Merlin sich auch gerade gestellt. Ganz sicher nicht, weil er mal wieder den Tag gerettet und Morgana die Lorbeeren dafür kassiert hatte. Aber das war nicht die einzige Ungereimtheit in Arthurs Ankündigung. Wie um alles in der Welt kam jemand, und ganz besonders Arthur, auf die Idee, ein Picknick zu veranstalten, wenn Camelot vor noch nicht einmal 24 Stunden beinahe einem fremden König in die Hände gefallen war? Die halbe Stadt lag noch in Schutt und Asche, und das Schloss sah auch nicht viel besser aus. Außerdem mussten Hunderte von Verletzten versorgt werden. Gaius hatte Merlin schon mit einer langen Liste von Kräutern und Heilpflanzen versorgt, die er am nächsten Tag sammeln sollte. Dem Hofarzt waren schlicht seine Vorräte ausgegangen angesichts der hohen Zahl an Opfern, die Cenreds Angriff verursacht hatte. Und während Merlin Arthurs Affront geflissentlich ignorierte, konnte er nicht umhin, seinen weiteren Gedanken unverblümt und sehr wortreich freien Lauf zu lassen.

    „Du hast ja recht, Merlin“, gab Arthur aufseufzend zu, nachdem Merlin seine Litanei beendet hatte. „Aber lass dir das nicht zu Kopf steigen“, schob er mit einem halbherzigen Grinsen hinterher, als er Merlins überraschten Gesichtsausdruck bemerkte.

    „Aber warum machen wir dann dieses Picknick?“

    „Weil Morgana es sich gewünscht hat.“ Merlin entging nicht das leise Aufschnauben, das dieser Erklärung folgte. Und auch wenn er es Arthur gerne gleich getan hätte, hielt er sich zurück und wartete geduldig auf das, was der Prinz noch zu sagen hatte. „Sie meinte, nach all den Strapazen der letzten Tage und weil sie doch so lange weg war, wäre es nett, ein wenig Erholung zu haben; sich wieder näher zu kommen, wie sie es ausdrückte. Meine Vater war sofort Feuer und Flamme und hat entschieden, dass wir gleich morgen Früh aufbrechen werden. Morgana hat ihn außerdem davon überzeugt, das Ganze ohne großes Brimborium ablaufen zu lassen. So wird nur Sir Leon als Wache mitkommen, du und Gwen seid als unsere Diener vorgesehen. Aber ich kann verstehen, dass Gaius dich braucht. Also entbinde ich dich hiermit für morgen von deinen Diensten.“

    „Nein!“ Merlin hatte dieses eine Wort beinahe geschrieen.

    „Was? Aber du hast doch eben gesagt, dass ...“

    „Ich meine, es ist schon in Ordnung“, unterbrach Merlin Arthur hastig, während er fieberhaft versuchte, diese neuen Informationen zu verarbeiten und gleichzeitig mit einer glaubhaften Erklärung aufzuwarten, um seinen Meinungsumschwung zu rechtfertigen – und sei es nur, damit Arthur endlich aufhörte ihn anzustarren, als ob ihm plötzlich ein zweiter Kopf gewachsen war. „Ich ... ich kann ja auch einfach die Kräuter für Gaius sammeln, nachdem Gwen und ich Euch das Essen serviert haben. Zwei Fliegen, eine Klappe ... oder so ...“, bot Merlin schief grinsend an.

    „Oder so ...“, wiederholte Arthur nun eher misstrauisch als irritiert, aber zu Merlins Erleichterung ließ er es dabei bewenden. Nachdem Arthur ihm noch die letzten Anweisungen für den nächsten Tag erteilt hatte, war er entlassen.

    Auf dem Heimweg überdachte Merlin die neuesten Entwicklungen. Aber so sehr er es auch drehte und wendete, die Tatsache, dass Morgana auf dieses intime Picknick bestanden hatte, konnte einfach nichts Gutes bedeuten.


    to be continued


  2. #2
    Brigadier General Avatar von stargatefan74
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    Freu, Jubel, Hüpf!!!!

    Eeeeeeeendlich!

    O. K, damit ich jetzt nicht mehr Smilies wie Wörter hier im Text habe und einen auf den Deckel bekomme ..... Wie bereits angekündigt, werde ich die Geschichte nochmal komplett mit durchlesen, um dann gespannt auf die neuen Kapitel zu warten. Richtig loslegen werde ich aber erst morgen.

    2-Tagesrhythmus????????

  3. #3
    Major Avatar von claudi70
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    Es geschehen also doch noch Zeichen und Wunder. *ggg* Ich hätte nicht mehr damit gerechnet, dass du sie doch noch beendest, umso größer natürlich die Freude.

  4. #4
    There is good in you... Avatar von Chayiana
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    Zitat Zitat von stargatefan74 Beitrag anzeigen
    2-Tagesrhythmus????????
    Vorerst ja! Spaeter koennten die Abstaende durchaus wieder etwas laenger werden, aber ich verspreche hoch und heilig, dass es nicht wieder ein Jahr dauern wird!

    In diesem Sinne ... vielen, lieben Dank an alle (Danke-Druecker und stargatefan74 und claudi70) fuers Treue halten! Ich weiss gar nicht, ob ich das verdient habe ... Fuehlt euch alle ganz doll gedrueckt!!!

    Und weiter geht's ...



    Kapitel 2




    In Gedanken versunken, den Blick starr auf Morgana gerichtet, ritt Merlin am Ende der kleinen Prozession, die sich am nächsten Morgen zu diesem ominösen Picknick aufgemacht hatte. Ihr Ziel war eine ausgedehnte Lichtung in der Nähe des Flusses nördlich von Camelot. Sir Leon bildete die Spitze des Zuges, ihm folgten Uther und Morgana, die in ein angeregtes Gespräch vertieft schienen. Mehr als nur einmal seufzte Merlin lautlos auf, als er die beiden beobachtete. Wie konnte jemand, der sonst überall Verrat und Verschwörungen sah, nur so blind sein?

    Hinter dem König und seinem Mündel ritt Gwen, und an ihrer Seite – rein zufällig natürlich – Arthur. Merlin wusste, dass es sich für den Prinzen nicht schickte, ein offenes Gespräch mit Morganas Zofe zu führen. Aber die Blicke, die sich die beiden zuwarfen, sprachen dafür mehr als Tausend Worte. Arthur konnte wohl von Glück sagen, dass sein Vater so sehr mit Morgana beschäftigt war, denn dieser verschämte Austausch gegenseitiger Zuneigung war alles andere als subtil. Gerne hätte Merlin die beiden weiter beobachtet. Noch mehr „Beweise“ für Arthurs nur allzu offensichtliche Gefühle Gwen gegenüber zu sammeln, um ihn später damit aufziehen zu können, wäre eine so viel angenehmere Beschäftigung gewesen. Doch seine Aufgabe war eine andere. Und so wanderte sein Blick zurück zu Morgana und seine Gedanken zu den vielfältigen Warnungen, die ihm Gaius noch am Morgen mit auf den Weg gegeben hatte: Sei vorsichtig, Merlin! Tu nichts Unbedachtes! Benutz keine Magie, es sei denn, es ist wirklich unerlässlich. Halt die Augen offen. Und auch wenn diese Mahnungen unnötig gewesen waren, schließlich war sich Merlin ganz genau bewusst, mit wem er es zu tun hatte, so hatten sie doch auch ein Gefühl der Wärme in ihm hervorgerufen. Gaius war um ihn besorgt, wie ein Vater um seinen Sohn, und er konnte sich leicht vorstellen, dass Balinor dieselben Worte für ihn parat gehabt hätte. Wehmütig schüttelte er den Gedanken an seinen wahren Vater ab und konzentrierte sich wieder auf das Hier und Jetzt. Dies war nicht der Moment, um sentimental zu werden.

    Merlin hatte mit Gaius bis tief in die Nacht gerätselt, was Morgana im Sinn haben könnte. Für den jungen Zauberer hatte festgestanden, dass sie einen günstigen Moment abpassen wollte, um dem König Schaden zuzufügen, ihn vielleicht sogar auf der Stelle zu töten. Aber der alte Mann hatte seine Zweifel gehabt. Er hatte ebenfalls in Erwägung gezogen, dass Morgana eventuell nicht so sehr darauf aus war, Uther zu schaden, als vielmehr Merlin selbst aus dem Weg zu räumen. Immerhin war er der Einzige, von dem Morgana wusste, dass er ihre zukünftigen Pläne, wie auch immer diese aussehen mochten, zu durchkreuzen vermochte.

    Gaius’ düsterer Verdacht hatte Merlin nicht losgelassen. Und auch, wenn er nicht wirklich daran glaubte – wie hatte sie schließlich wissen können, dass er tatsächlich auf diesem Ausflug mit dabei sein würde? –, konnte er sich nicht des flauen Gefühls erwehren, das sich in seinem Magen eingenistet hatte. Wenn er doch nur ihre Gedanken lesen könnte ...

    „Du kannst froh sein, dass keine Kühe in der Nähe sind.“

    Merlin wurde jäh aus seinen Überlegungen gerissen, als er plötzlich Arthurs Stimme vernahm. „Was?“ Er hatte nicht bemerkt, dass der Prinz den Platz an Gwens Seite verlassen hatte und nun neben ihm ritt. „Warum?“, hakte er verwirrt nach, als die Worte seines Herren nach einigen Umwegen endlich sein Gehirn erreicht hatten.

    „Na, bei dem Gesicht, das du ziehst, würde jede Kuh im Umkreis von drei Meilen nur noch saure Milch geben.“ Arthur grinste ihn herausfordernd an, bevor er fortfuhr: „Und ich glaube kaum, dass du die Entschädigungsgelder dafür zahlen könntest.“

    „Wer sagt, dass ich die Entschädigungsgelder zahlen müsste?“, schoss Merlin zurück. „Die griesgrämige Miene, mit der Ihr gestern herumgelaufen seid, hat doch ohnehin schon die Milch in ganz Camelot verdorben.“ Unschuldig lächelnd sah er Arthur an. Er war froh, die Situation so schnell wieder unter Kontrolle gebracht zu haben. Unglücklicherweise hatte er nicht mit Arthurs Hartnäckigkeit in diesem Fall gerechnet. Wer konnte denn auch ahnen, dass der Depp genau diesen Moment zu einer der seltenen – sehr seltenen! – Gelegenheiten auserkoren hatte, bei denen er tatsächlich Interesse an Merlins Gemütszustand zeigte.

    „Lenk nicht ab, Merlin. Ich will wissen, was mit dir los ist. Und erzähl mir nicht, es ist nichts. Hat es etwas mit Morgana zu tun?“

    Und was um Himmels Willen war mit Arthurs überaus nützlicher Blindheit gegenüber den Dingen, die er nicht mitbekommen sollte, geschehen?

    „Wie ... wie kommt Ihr darauf, Sire?“, entgegnete Merlin, wich aber Arthurs bohrendem Blick gekonnt aus. Eine Eigenschaft, die er im Laufe der Jahre perfektioniert hatte – und der Sattelknauf war ohnehin um so vieles faszinierender.

    „Merlin, ich sagte doch schon einmal, dass du mir nichts verheimlichen kannst“, erklärte Arthur selbstgefällig, scheinbar hatte er aus Merlins ausweichender Reaktion schon seine eigenen Schlüsse gezogen. „Also, was ist es? Hat sie dich beim Kleiderklau erwischt? Oder hat sie dir letztendlich doch eine Abfuhr erteilt?“ Süffisant grinsend sah er Merlin an.

    So viel zu Arthurs lichten Momenten. Natürlich dachte dieser hoheitliche Holzkopf nur an so etwas. Insgeheim stöhnte Merlin auf. Wie hatte er nur annehmen können, dass Arthur tatsächlich einen Verdacht gehabt hatte, was Morgana betraf? Seltsamerweise war er dennoch hin- und hergerissen zwischen Erleichterung und Enttäuschung über den Verlauf, den dieses Gespräch genommen hatte. Einerseits schrie alles in ihm danach, Arthur von Morgana zu erzählen, andererseits würde er damit sein eigenes Leben – und womöglich nicht nur das – aufs Spiel setzen. Aber vielleicht war dies trotz allem der geeignete Augenblick, um das Risiko einzugehen. Und wie so oft in seinem Leben, vor allem dann, wenn er frustriert oder emotional belastet war, übernahm sein Mund das Handeln und drängte den Verstand in den Hintergrund.

    „Nein, Arthur, es ist ganz anders, als Ihr denkt. Morgana ...“ Merlin atmete noch einmal tief durch und sah nach vorne, um sich zu vergewissern, dass die junge Frau noch immer mit Uther beschäftigt war. Doch genau in diesem Moment wandte sich Morgana zu ihm um, ein undeutbarer Ausdruck lag auf ihrem ebenmäßigen Gesicht. Merlin zuckte unmerklich zusammen. Jetzt saß er in der Zwickmühle. Ihm war nur allzu bewusst, dass Arthur auf eine Erklärung wartete. Er konnte den fordernden Blick des Prinzen praktisch spüren. Aber was, wenn Morgana ...

    „Merlin! Jetzt spuck es endlich aus! Oder soll ich hier bis zum jüngsten Tag warten?“

    Also gut. Jetzt oder nie. Merlin drehte sich zu Arthur um und bemühte sich, seiner Stimme einen eindringlichen und festen Klang zu verleihen.

    „Morgana hat ... sie ... sie ist ...“ Oh ja, das klappte wirklich ganz hervorragend. Aber wie machte man auch jemandem begreiflich, dass seine Ziehschwester nicht der liebevolle Mensch war, der sie vorgab zu sein, sondern stattdessen darauf aus war, den König zu töten und Camelot zu zerstören? Bar jeder Worte starrte er Arthur an, als ob er in dessen Gesicht irgendetwas finden konnte, das ihm half, die Situation zu erklären. Aber alles, was er dort vorfand, war eine sich immer weiter steigernde Ungeduld.

    „Merlin, was ist ...?“

    „Gibt es ein Problem?“

    Merlin gefror das Blut in den Adern, als er Morganas Stimme so unvermittelt neben sich hörte. Die betont beiläufig gestellte Frage implizierte durch nichts, dass sie den Anfang ihrer Unterhaltung mitbekommen hatte, und doch konnte sich Merlin den Grund ihres plötzlichen Auftauchens in seiner ganzen farbenfrohen Pracht ausmalen. Innerlich zitternd wandte er seine volle Aufmerksamkeit wieder dem Sattelknauf zu. Ein Wort von Arthur und er dürfte in wohl nicht allzu ferner Zukunft Bekanntschaft mit dem Scheiterhaufen machen.

    „Nein, Morgana, es ist alles in Ordnung, nur das Übliche. Merlin hier meinte die Gunst der Stunde zu nutzen, um mir zu gestehen, dass er ...“, Arthur machte eine kurze Pause, „... vergessen hat, meine Hunde heute Morgen noch auszuführen. Nun, er ist derjenige, der später den Dreck beseitigen darf, nicht wahr, Merlin?“

    „Ja, Sire“, entgegnete Merlin hastig und hoffte inständig, dass man ihm seine Verwirrung nicht zu sehr anmerkte. Warum hatte Arthur gelogen? Und mindestens ebenso wichtig war, hatte Morgana ihm diese Lüge abgekauft? Er wagte einen schnellen Seitenblick. Auch sie schien irritiert, wenn er das leichte Runzeln ihrer Stirn richtig deutete, aber sie ging mit einem verhaltenen Lächeln auf die Erklärung ein, bevor sie abrupt das Thema wechselte.

    „Also gut, Arthur, was hast du so in dem letzten Jahr getrieben? Irgendwelche weiblichen Bekanntschaften, von denen ich wissen müsste?“, wollte Morgana im Plauderton wissen und zwinkerte dem Prinzen vergnügt zu. Und während die beiden Adligen offenbar zwanglos begannen, das vergangene Jahr aufzuarbeiten, ließ Merlin sich zurückfallen und versuchte, sein rasendes Herz wieder zu einer normalen Gangart zu bewegen. Das war knapp gewesen.


    ~~~


    Drei Stunden später begannen sich Merlins gereizte Nerven allmählich wieder zu beruhigen. Das Picknick war bis zu diesem Zeitpunkt in sehr entspannter, fast ausgelassener Stimmung verlaufen, und nichts deutete darauf hin, dass sich dies in naher Zukunft ändern würde. Sogar das Wetter spielte mit. Auch wenn es im Schatten der umliegenden Bäumen noch recht kühl war, so verwandelte die frühe Maisonne die Lichtung, auf der sie sich befanden, in eine angenehm warme Oase, nur ab und an durchbrochen durch den leicht frostigen Hauch, der vom nahe gelegenen Fluss herüberwehte. Die Sonne hatte bisher keine Chance gehabt, den Strom, der die Reste der Schneeschmelze von den Bergen zügig an dieser Stelle vorbeiführte, aufzuheizen.

    Nachdem Merlin und Gwen den Hoheiten aufgewartet hatten, war ihnen erlaubt worden, sich ebenfalls etwas zu essen zu nehmen und auf dem Gras niederzulassen. Wenig später hatte sich auch Sir Leon zu ihnen gesellt. Merlin vermutete, dass der Ritter, der bis dahin in respektvollem Abstand Wache gestanden hatte, nicht wirklich wusste, was er auf diesem Ausflug mit sich anfangen sollte und insgeheim froh über die Möglichkeit einer ungezwungenen Unterhaltung mit ihnen war. Merlin mochte den hochgewachsenen Mann sehr, der in den vergangenen Jahren seine uneingeschränkte Loyalität zu Arthur oftmals bewiesen hatte. Er fühlte sich in dessen Gegenwart wohler als mit den anderen Rittern, was zu einem großen Teil auch daran lag, dass Sir Leon nicht wie die anderen auf den Standesunterschied pochte, sondern Merlin – sofern die Umstände es zuließen – eher wie einen Gleichgestellten behandelte. Vor allem nach dem Kampf mit dem Drachen hatte sich Sir Leons Verhalten drastisch verändert, er zeigte seither fast schon so etwas wie Respekt gegenüber Merlin.

    Und so saßen Merlin, Gwen und der Ritter beisammen und tauschten belanglose Kleinigkeiten aus, wobei keiner von ihnen seine Pflichten vernachlässigte. Sir Leon behielt weiterhin ein wachsames Auge auf die unmittelbare Umgebung, Gwen war immer zur Stelle, wenn es darum ging, die Kelche von Arthur und den anderen aufzufüllen, und Merlin erfüllte nach wie vor seine selbst gestellte Aufgabe, Morgana zu beobachten. Denn auch wenn es langsam so schien, als ob dieses Picknick tatsächlich nur dazu diente, ihren wiedergewonnenen Status auch im zwischenmenschlichen Bereich zu festigen, blieb ein Rest Misstrauen. Darüber hinaus bedeutete ein engeres Verhältnis zwischen Uther, Arthur und Morgana natürlich auch, dass es für Merlin im Zweifelsfall noch schwieriger werden würde, Morgana zu kompromittieren. Nicht gerade erstrebenswert, doch daran konnte er im Moment nichts ändern.

    Als Merlin das nächste Mal zu den drei Adligen hinüberblickte, erhob sich Arthur gerade von der wollenen Decke, auf der sie Platz genommen hatten, und schlenderte zu ihnen herüber.

    „Sag mal, Merlin, hast du nicht etwas vergessen“, fragte der Prinz, sobald er sie erreicht hatte.

    „Wie? Was?“ Merlin hatte keine Ahnung, worauf Arthur anspielte.

    „Gaius? Kräuter? Klingelt es da bei dir?“

    „Oh ... ach das. Ja, das wollte ich später noch machen“, wich Merlin aus. Er konnte Arthur ja schlecht erzählen, dass Gaius ihn von dieser Arbeit entbunden hatte, damit er Morgana im Auge behalten konnte.

    „Wie wäre es mit jetzt?“, beharrte Arthur und lächelte Merlin verschlagen an. Damit ließ er keine Zweifel offen, dass es sich hierbei eindeutig um einen Befehl und keinesfalls um einen Vorschlag handelte.

    Nur sehr widerwillig erhob sich Merlin von seinem Platz, der sofort von Arthur okkupiert wurde. Nichts lag ihm ferner, als seinen „Wachposten“ zu verlassen, aber er hatte gar keine andere Wahl, wollte er sich nicht verdächtig machen.

    „Soll ich dir helfen?“, bot Gwen an.

    „Danke, Gwen, aber das wird nicht nötig sein“, wehrte Merlin schnell ab, als er den bestürzten Blick seines Herrn und Meisters auffing. „Ich werde sicher nicht lange brauchen.“ Trotz der misslichen Situation konnte er sich nur mit Mühe das Lachen verkneifen, als er sah, wie Arthur daraufhin erleichtert aufatmete. Natürlich war die Erinnerung an Gaius’ Kräuterliste nur ein Vorwand gewesen. So hatte Arthur sich unauffällig Gwen nähern und sich gleichzeitig eines lästigen Zeugen, der ohnehin schon zu viel wusste, entledigen können – mit Sir Leon als menschlichen Puffer war das Alibi perfekt. Fast hätte Merlin angesichts dieser unvermuteten Raffinesse anerkennend gepfiffen ... aber nur fast.

    Er griff sich einen der nun leeren Bastkörbe und ging nach einem letzten Blick auf Uther und Morgana, die sich noch immer angeregt unterhielten, hinunter zum Fluss. Dort angekommen, löschte er zunächst seinen Durst, wusch sich die Essenreste von den Händen und hielt gleichzeitig schon nach dem roten Fingerhut Ausschau, der auf Gaius’ Liste gestanden hatte. Er entdeckte die rosafarbenen, trichterförmigen Blüten ein Stück stromabwärts. Es beeindruckte Merlin immer wieder, wie Gaius aus einer normalerweise tödlich wirkenden Pflanze Medizin herstellen konnte, die Leben rettete. Er wanderte am Ufer entlang, bis er die Stelle erreicht hatte und sammelte ein gutes Dutzend der Gewächse ein. Danach hielt er sich weiter am Rand des Flusses, bis das Gelände unwegsamer wurde. An dieser Stelle verengte sich der Wasserlauf und Felsen lösten den seichten Sandstrand ab, so dass er gezwungen war, die Uferböschung hinaufzuklettern. Mittlerweile war er außer Sichtweite der Picknickgesellschaft. Als er zu Gwen gesagt hatte, dass er nicht lange brauchen würde, hatte er Gaius’ missbilligend hochgezogene Augenbraue praktisch schon vor sich gesehen, dennoch befand er die Situation als ausreichend gerechtfertigt, um ein kleines bisschen Magie anzuwenden. Er konnte schließlich nicht den ganzen Tag mit Kräutersammeln vergeuden. Nachdem er sich noch einmal gründlich vergewissert hatte, dass ihn wirklich niemand sehen konnte, murmelte er leise einen Sammelzauber.

    „Gadraþ gearwe, hundeshéafod, boðen!“

    Schon kurz nachdem Merlins Augen wieder ihr normales Blau angenommen hatten, kamen die von ihm gewünschten Pflanzen und Kräuter aus verschiedenen Richtungen angeflogen und stapelten sich ganz von alleine zu ordentlichen Häufchen. Mit einem Anflug von Stolz beobachtete Merlin, wie immer mehr Grünzeug den Weg in seinen Korb fand. Doch plötzlich zerriss das Geräusch eines brechenden Zweiges das leise Rascheln der sich sammelnden Pflanzen. Aufgeschreckt brach Merlin den Zauber sofort ab. Ein kurzes, goldenes Aufleuchten seiner Augen und die sich noch in der Luft befindlichen Kräuter fielen zu Boden. Erst jetzt wagte er es, sich nach der Ursache des unerwarteten Lautes umzusehen und sein Herz setzte für einen Schlag aus, als er niemand anderen als Morgana vom Flussufer her auf sich zukommen sah. Sie hielt den Blick gesenkt, so dass Merlin ihr Gesicht nicht sehen konnte. Hatte sie etwas bemerkt? Hatte sie ihn zaubern sehen? Die Ungewissheit ließ sein Herz schmerzhaft gegen seinen Brustkorb hämmern. Sein Atem ging stoßweise, während er nervös auf ihre Ankunft wartete. Als Morgana sich ihm bis auf wenige Meter genähert hatte, schaute sie endlich zu ihm auf und sagte schlicht: „Hallo, Merlin.“

    Das völlige Fehlen von Überraschung oder einer ähnlich gearteten Gefühlsregung, zeigte Merlin deutlich, dass es kein Zufall war, dass sie sich hier trafen.

    „Morgana“, entgegnete er steif, nur oberflächlich emotionslos, denn in seinem Innern tobte ein wahrer Sturm. Nicht nur, dass er sich noch lange nicht an diese neue Situation zwischen ihnen gewöhnt hatte, jetzt kam auch noch die alles beherrschende Frage hinzu, ob sie hinter sein Geheimnis gekommen war. Merlin betete zu allem, was ihm heilig war, dass sich seine an Verzweiflung grenzende Verwirrung nicht auf seinem Gesicht widerspiegelte. Morgana hingegen schien die Ruhe selbst. Nichts an ihrem Verhalten verriet, was in ihrem Kopf vor sich ging. Sie zeigte sogar die Andeutung eines aufrichtigen, wenn auch neugierigen Lächelns, als sie mit einem fragenden Blick auf seinen Korb deutete.

    „Was tust du?“, erkundigte sie sich und machte einen Schritt auf ihn zu.

    Unwillkürlich wich Merlin zurück, bevor er antwortete. „Ich sammle Kräuter für Gaius.“ Ihre Frage hatte so echt gewirkt, so ganz ohne Hintergedanken. War es möglich, dass sie tatsächlich nichts bemerkt hatte? Merlin beschloss, einen kleinen Vorstoß zu riskieren. „Die Behandlung der vielen Verletzten hat seine Vorräte aufgebraucht“, fügte er hinzu und gab sich keine Mühe, die offene Anklage hinter seinen Worten zu verhehlen.

    Für einen Moment starrte Morgana ihn regungslos an, doch dann wandte sie sich mit einem traurig klingenden Aufseufzen von ihm ab und blickte hinunter zum Fluss. Merlin hatte mit vielem gerechnet, angefangen bei einer hämischen Erwiderung bis hin zu einer dramatischen Rechtfertigung ihres Handelns, aber ganz sicher nicht damit. Was war es? Ein stilles Zugeständnis? Ein Einsehen? Irritiert wartete Merlin auf eine weitere Reaktion von Morgana. Als diese schließlich kam, konnte er seine Verblüffung kaum mehr verbergen.

    „Ich habe über deine Worte nachgedacht, Merlin. Darüber, was du in den Katakomben zu mir gesagt hast. Dass ich die Einzige wäre, die Uthers Ansichten über Magie ändern könnte.“ Sie drehte sich wieder zu ihm um und ging auf ihn zu. Dieses Mal wich Merlin nicht zurück, hin- und hergerissen zwischen Misstrauen und dem Funken Hoffnung, den ihre Reaktion entfacht hatte. Dennoch hielt er sich weiter zurück.

    „Du hast gesagt, dass wir einen anderen Weg finden können“, fuhr Morgana fort und machte noch einen Schritt auf ihn zu, sie stand jetzt direkt vor ihm. „Ich möchte, dass du mir hilfst, diesen Weg zu finden.“ Bei diesen Worten legte sie die linke Hand auf seinen Unterarm. „Du bist der Einzige, der von meiner Magie weiß, Merlin. Ich wüsste nicht, wen ich sonst fragen könnte. Bitte, Merlin, hilf mir.“

    Und wenn er vorher schon verwirrt gewesen war, so war es doch kein Vergleich zu dem, was Merlin in diesem Augenblick fühlte. Wie ein Tornado wirbelten die Gedanken in seinem Kopf völlig zusammenhanglos durcheinander. War es ein Trick oder meinte sie es ernst? War seine Magie noch immer sicher? Hatte Morgana noch eine Chance? Hatten sie alle noch eine Chance? Was war mit Morgause? Wusste sie hiervon? Ihr flehender Blick zog ihn in seinen Bann. Er musste etwas erwidern, doch er wusste beim besten Willen nicht, was er sagen sollte.

    „Morgana, ich ... ich weiß nicht ...“, begann Merlin stockend, doch bevor er auch nur ansatzweise versuchen konnte, den aufgewühlten Mahlstrom seiner Gedanken in sinnvolle Sätze zu verwandeln, veränderte sich der Ausdruck auf Morganas Gesicht plötzlich. Ihr Mund öffnete sich wie zu einem stummen Schrei, ihre Augen waren starr vor Entsetzen auf einen Punkt hinter Merlin gerichtet. Alarmiert fuhr er herum, bereit sich alles und jedem zu stellen ... doch da war nichts. Der Wald lag friedlich wie eh und je vor ihm, die Vögel zwitscherten ungestört in den Bäumen, nur bisweilen unterbrochen von dem Trippeln winziger Füße, die durch das Unterholz huschten.

    „Morgana, was ...?“

    Er bekam weder die Gelegenheit, sich wieder zu Morgana umzudrehen noch seine Frage zu Ende zu stellen, als etwas sehr Hartes mit voller Wucht auf seinen Hinterkopf prallte. Instinktiv riss er die Arme nach oben, während er gleichzeitig mit einem gequälten Aufstöhnen auf die Knie sank. Übelkeit stieg in ihm hoch, während er darum kämpfte, die Besinnung nicht zu verlieren. Das Rauschen seines eigenen Blutes dröhnte wie ein Wasserfall in seinen Ohren, und es kostete ihn fast das letzte bisschen Kraft, das er noch besaß, um sich auf Morganas Stimme zu konzentrieren.

    „Hast du wirklich geglaubt, ich würde es dir so einfach machen, Merlin?“ Er hörte sie leise höhnisch auflachen. „Nein, ich habe andere Pläne. Und du wirst mir dabei nicht mehr in die Quere kommen“, zischte Morgana ihm noch hasserfüllt zu, kurz bevor ein zweiter, weitaus heftigerer Schlag den Schmerz in seinem Schädel explodieren ließ und barmherzige Dunkelheit ihn verschlang.


    to be continued


  5. #5
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    Kapitel 3




    Arthur sah Merlin noch einen Moment hinterher, wie dieser mit missmutiger Miene von dannen zog. Er konnte förmlich hören, wie er ihn im Geiste mit Schimpfnamen bedachte, vielleicht erfand er auch gerade wieder einen neuen Begriff. Seine letzte Kreation, Klumpkopf, war schließlich nicht wirklich originell gewesen. Insgeheim musste Arthur über seinen Gedankengang grinsen, denn eigentlich hätte Merlin für diese Insolenz in den Stock gehört. Stattdessen tadelte Arthur ihn, dass er sich keine bessere Namen für ihn ausdachte. Nur gut, dass sein Vater hiervon nichts wusste. Aber was in diesem Augenblick am meisten zählte, war, dass er seinen Diener losgeworden war. Arthur konnte zwar über die frechen Betitelungen seiner eigenen Person hinwegsehen, aber auf Merlins spöttische Blicke und Kommentare, wenn er versuchte, sich Guinevere zu nähern, konnte er getrost verzichten. Zumal Arthur das Gefühl hatte, dass Gwen die Situation ein wenig unangenehm war. Warum sonst hatte sie Merlin so eifrig angeboten zu helfen? Fest entschlossen, ihr die aufkommende Unbehaglichkeit zu nehmen, begann Arthur zunächst, Sir Leon in ein lockeres Gespräch zu verwickeln. Er hatte vor, Gwen nach und nach unauffällig in diese Unterhaltung mit einzubeziehen. In den ersten Minuten verlief auch alles nach Plan, zumindest so lange, bis Gwen plötzlich aufsprang.

    „Mylady?“

    Arthur blickte zur Seite und bemerkte, dass Morgana sich erhoben hatte. Sie sagte leise etwas zu seinem Vater und drehte sich dann zu Gwen um. Lächelnd winkte sie die unausgesprochene Frage ihrer Zofe nach Hilfe ab und wandte sich in Richtung des Flusses - dieselbe Richtung, in die auch Merlin verschwunden war.

    Verunsichert ließ sich Gwen wieder zu Boden sinken.

    „Sie will sich wahrscheinlich nur etwas frisch machen“, beruhigte Arthur sie. „Falls sie dich brauchen sollte, wird sie es dich wissen lassen. Keine Sorge.“

    Doch während Gwen diese Erklärung dankbar anzunehmen schien, fragte Arthur sich, ob nicht mehr dahintersteckte. War es wirklich ein Zufall, dass Morgana so kurz nach Merlin zum Fluss hinunterging? Unwillkürlich musste Arthur an das seltsame Gespräch vom Morgen denken. Irgendetwas war zwischen Merlin und Morgana vorgefallen, nur hatte er noch nicht herausbekommen, was dieses Etwas genau war. Nachdem Morgana sie unterbrochen hatte, hatte sich keine Gelegenheit mehr ergeben, das Thema noch einmal anzuschneiden.

    Diese Erinnerung brachte Arthur auf eine andere Frage, für die er ebenfalls noch keine Antwort gefunden hatte. Warum um alles in der Welt hatte er für Merlin gelogen? War es, weil er sich noch immer ärgerte, dass Morgana das ganze Lob von seinem Vater kassiert und er wie ein Tunichtgut daneben gestanden hatte? Hatte er sie auf indirekte und vermutlich kindische Art und Weise bestrafen wollen? Oder hatte er einfach seinen Freund – natürlich würde er niemals öffentlich zugeben, dass er Merlin insgeheim als solchen betrachtete – nicht in Verlegenheit bringen wollen? Oder war es noch etwas ganz anderes? Er wusste es nicht. Das Einzige, was Arthur wusste, war, dass es sich richtig angefühlt hatte, für Merlin zu lügen.

    Beinahe hätte Arthur frustriert aufgeseufzt; da saß er hier an einem warmen Frühlingstag, die Frau, die er liebte, an seiner Seite, und hatte nichts Besseres zu tun, als darüber zu grübeln, welche höchstwahrscheinlich nichtigen Probleme Merlin mit seiner Ziehschwester hatte. Rigoros schüttelte er die Gedanken daran ab und wandte sich endgültig wieder Gwen und Leon zu.

    Die nächste viertel Stunde verlief dann auch endlich so, wie Arthur es sich vorgestellt hatte. Sir Leon war, was keiner vermutet hatte, ein hervorragender Unterhalter und hatte viele amüsante Anekdoten zu erzählen. Arthur genoss es sehr, Gwen neben sich so unbefangen lachen zu hören. Es war viel zu lange her, dass er sie so sorglos erlebt hatte. Tatsächlich waren unbeschwerte Momente wie dieser für sie alle zu einer Rarität geworden. Er blickte zu seinem Vater hinüber und stellte fest, dass auch der König den Nachmittag auf seine Weise auskostete. Nachdem Morgana gegangen war, hatte er sich auf der Decke zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Selten hatte Arthur seinen Vater so entspannt erlebt, und trotz des Mangels an Anerkennung, den Arthur erfahren hatte, gönnte er ihm diesen friedlichen Augenblick von Herzen. Beinahe bereute er es auch, dass er Merlin weggeschickt hatte. Dem Jungen hätte ein solcher Moment auch gut getan. Arthur war nicht blind. Er hatte natürlich bemerkt, dass Merlin nach dem Kampf um Camelot erschöpft gewesen war, das Gesicht blasser, als es ohnehin schon war, fast so, als ob er sich von einer schweren Krankheit erholte. Vielleicht würde er Merlin dafür den nächsten Tag ausnahmsweise einmal frei geben. Doch gerade, als Arthur sich im Stillen für diesen großzügigen Gedanken beglückwünschen wollte, hörte er einen erstickten Schrei.

    Reflexartig schnellte er hoch. Auch Leon, Gwen und sein Vater waren in Sekundenbruchteilen auf den Beinen. Jeder von ihnen hatte den Schrei gehört und starrte nun angespannt in die Richtung, aus der er gekommen war.

    „Was war das?“, flüsterte Gwen atemlos. Doch noch bevor Arthur sein eigenes Unverständnis bekunden konnte, tauchte Morgana in ihrem Blickfeld auf. Stolpernd und strauchelnd lief sie auf sie zu. Die langen, dunklen Locken fielen ihr wirr in die Stirn.

    „Arthur!“ Der erschütterte Klang ihrer Stimme ließ Arthurs Herz schneller schlagen. Irgendetwas Schreckliches war geschehen. „Arthur!“, rief sie noch einmal seinen Namen und endlich erwachte er aus der momentanen Starre, die Morganas aufgelöstes Erscheinungsbild verursacht hatte. Zusammen mit den anderen rannte er auf sie zu.

    „Morgana, was ist passiert?“, fragte er, als er sie erreicht hatte. Eindringlich sah er die junge Frau, die wie eine Schwester für ihn war, an, doch mehr als ein hysterisches Schluchzen bekam er nicht zur Antwort.

    „Morgana, Kind, bitte beruhige dich!“, versuchte nun auch Uther, zu Morgana vorzudringen. Tröstend legte er den Arm um sie. Und diese Geste schien die ersehnte Wirkung zu erzielen. Morgana entspannte sich spürbar und ihr Blick verlor etwas von der gehetzt wirkenden Ruhelosigkeit.

    „Es ... es ist ... Merlin“, erwiderte sie schließlich am ganzen Körper zitternd. „Er ... er ist in den Fluss gestürzt.“

    Arthur hörte, wie Gwen neben ihm erschrocken die Luft einsog, nur gedämpft durch ihre Hand, die sie sich vor den Mund geschlagen hatte. Er selbst hingegen versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass ihm diese Nachricht regelrecht die Kehle zuschnürte. Er konnte es sich nicht leisten, übermäßige Sorge für seinen Diener zu zeigen – nicht im Beisein seines Vaters. Aber er konnte und musste herausfinden, was genau geschehen war.

    „Zeig mir wo!“, drängte er Morgana und ergriff dabei ihre Oberarme. Als sie ihn nur irritiert ansah, wiederholte er seine Aufforderung. „Wo, Morgana?“ Er musste sich beherrschen, sie nicht mit Gewalt in Richtung des Flusses zu ziehen. Nach einer weiteren, schier endlos scheinenden Sekunde nickte sie kaum merklich mit dem Kopf und führte sie dann endlich an den Ort des Geschehens. Etwa 50 Meter stromabwärts deutete Morgana auf den ersten größeren Felsen, der am Ufer des Flusses aufragte.

    „Er hat dort oben gestanden. Ich ... ich habe ihm zugewinkt, doch als er zurückwinken wollte, hat er den Halt verloren und ist ...“ Schaudernd brach sie ab. Doch es war auch nicht nötig, dass sie aussprach, was dann passierte. Jeder von ihnen konnte sich das folgende Szenario nur allzu gut ausmalen.

    „Merlin!“, rief Arthur – mehr, um seiner Sorge ein Ventil zu geben, als dass er wirklich eine Antwort erwartete. Warum nur konnte man sich sicher sein, dass dieser tollpatschige Idiot keine Gelegenheit ausließ, um sich in Schwierigkeiten zu bringen?

    Arthur lief zum Fuß des Felsens und suchte mit den Augen das umliegende Ufer und den Fluss ab. Nichts. Daraufhin stürmte er die Böschung hoch – in der Hoffnung von dem verfluchten Felsen selbst einen besseren Überblick zu haben. Doch oben angekommen, fiel sein Blick auf eine verdächtig dunkelrot gefärbte Stelle auf dem Gestein. War das ... Blut? Er ging in die Hocke und nahm mit den Fingern etwas von der Flüssigkeit auf. Es bedurfte keines Genies, um zu erkennen, dass sich seine düstere Vorahnung gerade bewahrheitet hatte. Merlin musste sich bei seinem Sturz verletzt, vielleicht sogar den Kopf angeschlagen haben. Arthur ließ sich auf die Knie sinken und stützte sich mit den Händen ab, während er sich über die Klippe lehnte und nochmals den gurgelnden Wasserlauf unter ihm absuchte, doch auch dieses Mal ohne Erfolg. „Verdammt, Merlin, wo steckst du?“, fluchte er leise.

    „Sire?“ Arthur richtete sich wieder auf, als er Sir Leons Ruf vernahm. „Habt Ihr ihn entdecken können?“

    „Nein. Er muss abgetrieben worden sein“, entgegnete er und musste bei seinen eigenen Worten beklommen schlucken. „Holt mein Pferd, Leon. Ich warte hier oben.“

    „Arthur, du willst doch nicht wirklich ...“

    „Nicht jetzt, Vater“, unterbrach Arthur den König brüsk. „Ich werde Merlin suchen, ganz egal, was du sagst.“ Danach drehte er sich um und verließ den Felsen, um auf Sir Leon zu warten. Wie konnte sein Vater nur in Frage stellen, ob er nach seinem Diener suchen sollte oder nicht? Frustriert kickte er einen etwa apfelgroßen Stein mit dem Fuß nach vorne und runzelte dann überrascht die Stirn, als dieser auf Merlins Bastkorb prallte. Was machte er hier? Er sah zurück zum Fluss. Wieso hatte Merlin den Korb nicht bei sich gehabt? Irritiert schaute er sich weiter um. Durch den dichten Bewuchs am Boden konnte er keine Fußabdrücke ausmachen, aber dafür entdeckte er etwas, das ihn seltsamerweise an Schleifspuren erinnerte. Nachdenklich fuhr Arthur sich mit der Hand durch die Haare, doch er konnte sich schlicht keinen Reim auf darauf machen.

    In diesem Moment hörte er Sir Leon heranreiten. Arthur schob seine Grübeleien gedanklich beiseite und blickte zu dem Ritter auf, der sein eigenes Pferd im Schlepptau mit sich führte.

    „Ich werde Euch bei der Suche helfen, Mylord.“

    „Nein, Leon. Ihr müsst Euch um meinen Vater und die Frauen kümmern“, widersprach Arthur bestimmt. „Es wird bald dunkel werden und Ihr seid mir dafür verantwortlich, dass sie heil nach Hause kommen. Keine Sorge, ich werde Merlin finden“, fügte er etwas sanfter hinzu, als er Leons unwilligen Blick auffing. Er hatte schon lange den Verdacht, dass einige seiner Ritter, und ganz besonders der hochgewachsene Mann vor ihm, einen Narren an seinem vorlauten Diener gefressen hatten.

    Ohne ein weiteres Wort, nur mit dem respektvollen Neigen seines Kopfes reichte Sir Leon ihm die Zügel für sein Pferd. Erst als Arthur aufgesessen hatte, sah der Ritter ihn noch einmal direkt an und sagte leise: „Viel Glück!“ Dann wendete er sein Pferd und ritt zu den anderen zurück. Arthur schaute ihm noch für einen Moment hinterher – sein gemurmeltes „Ich hoffe es.“ nur für seine eigenen Ohren hörbar – und wandte sich schließlich in die entgegengesetzte Richtung.


    to be continued

  6. Danke sagten:


  7. #6
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    Asche auf mein Haupt! Da habe ich doch beim letzten Kapitel vergessen, mich fuer die ganzen Dankes zu bedanken! Deshalb an dieser Stelle noch mal ein herzliches Danke dafuer! Es freut mich sehr, dass ihr alle noch mal dabei seid!





    Kapitel 4




    Arthur beschattete seine Augen, als er in die tiefstehende Sonne blickte. Sie berührte fast den Horizont. Nicht mehr lange und es würde zu dunkel werden, um weiterzusuchen.

    „Merlin!“

    Er wusste nicht, wie oft er seinen Namen in den vergangenen Stunden gerufen hatte. Seine Stimme war rau und heiser. Arthur griff mit einer Hand nach dem Wasserbeutel, den er sich der Einfachheit halber um die Schulter gehängt hatte, und befeuchtete seine trockene Kehle. Mit der anderen Hand hielt er weiter das rote Stück Stoff umklammert. Merlins Halstuch was das Einzige, was er bis jetzt von seinem Diener gefunden hatte. Es hatte sich an einem losen Ast am Flussufer verfangen.

    Für einen Moment schloss Arthur die Augen, die Kiefer fest zusammengepresst, während er sich ermattet über das Gesicht fuhr. Er spürte nur allzu deutlich, wie ihn langsam die Hoffnung verließ, Merlin überhaupt zu finden. Selbst wenn er ihn fand, wie standen die Chancen, dass er noch lebte?

    „Nein!“, flüsterte er entschieden. Merlin war am Leben. Er wusste es. Und er würde erst ruhen, wenn er ihn gefunden hatte. Er war ein Pendragon, ein Ritter Camelots, und als solcher würde er niemals aufgeben. Er hatte geschworen, die Einwohner seines Landes zu beschützen, wenn nötig mit seinem Leben. Und Merlin war einer dieser Menschen.

    Mit neuem Mut schwang er sich – wie so unzählige Male zuvor – aus dem Sattel und ging hinunter zum Fluss.

    Nachdem die Felsen, die das Ufer gesäumt hatten, zurückgewichen waren, hatte er für eine Weile direkt am Rand des Flusses entlang reiten können. Ein Umstand, der die Suche sehr vereinfacht hatte, doch unglücklicherweise hatte sich die Vegetation schon bald verändert. Der Boden war morastiger geworden und Schilfgras hatte den sandigen Untergrund abgelöst. So war er gezwungen gewesen, weiter landeinwärts zu reiten und in kurzen Abständen immer wieder Halt zu machen, um das Flussufer zu Fuß abzusuchen. Nicht selten hatte er dabei bis zu den Oberschenkeln in das Wasser hineinwaten müssen, um sich einen Überblick zu verschaffen.

    Abermals bahnte er sich seinen Weg durch das hohe Schilfgras, bis er die natürliche Grenze zwischen Vegetation und dem offenen Wasser erreicht hatte und suchte dann jeden Zentimeter des Ufers mit den Augen ab. Mittlerweile hatte sich der Strom so stark verbreitert, dass er nur noch träge dahinfloss.

    „Merlin!“ Und wieder verhallte sein Ruf ungehört.

    Arthur wollte sich gerade umdrehen und zu seinem Pferd zurückkehren, als er aus den Augenwinkeln etwas bemerkte, das sich uncharakteristisch hell von den immer länger werdenden Schatten abhob. Sein Magen zog sich krampfhaft zusammen, als ihm klar wurde, was er da vor sich hatte. Eine Hand. Eine fahle Hand, die aus einer abgewetzten, braunen Lederjacke hervorguckte. Der dazugehörige Arm hing schlaff über einem mit Moos bewachsenen Baumstamm.

    „Merlin!“, flüsterte Arthur tonlos. So schnell es das wadentiefe Wasser zuließ, stürmte er auf den reglosen Körper zu und fiel neben ihm auf die Knie. Es mochte ein schier glücklicher Zufall gewesen sein, dass Merlin auf dem einzigen, trockenen Stückchen Erde inmitten des sonst sumpfigen Ufers an Land gespült worden war. Er lag bäuchlings neben dem verrotteten Baumstamm, so dass Arthur sein Gesicht nicht sehen konnte, die Beine noch immer halb im Wasser. Das kurze, schwarze Haar klebte feucht an seinem Kopf.

    Hastig griff Arthur als Erstes nach Merlins Hand, um nach einem Puls zu suchen, doch beinahe hätte er sie entsetzt wieder losgelassen. Seine Hand war eiskalt, klamm ... leblos. Er biss die Zähne zusammen und suchte weiter. Es dauerte eine ganze Weile, bis er endlich ein zwar schwaches und langsames, aber regelmäßiges Klopfen unter seinen Fingerspitzen spürte. Erleichtert atmete er auf. Erst jetzt wagte er es, Merlin herumzudrehen. Er wusste nicht, ob er tatsächlich dazu imstande gewesen wäre, hätte er kein eindeutiges Zeichen gehabt, dass Merlin noch lebte. Die Erleichterung hielt jedoch nicht lange an. Als er Merlin schließlich so weit herumgerollt hatte – die linke Hand stützend unter seinem Kopf –, dass er sein Gesicht sehen konnte, keuchte er schockiert auf. Die blutigen Schlieren, die sich von den Wangen und Merlins Stirn über die Augen hinweg zu seiner Nase vorgearbeitet hatten, verwandelten sein Gesicht in eine albtraumhafte Maske. Der unnatürliche Kontrast zu seiner bleichen, fast wächsern wirkenden Haut und den bläulich verfärbten Lippen verstärkte diesen makabren Eindruck noch. Doch woher kam all das Blut? Nervös schluckte Arthur gegen die aufsteigende Übelkeit an. Er konnte keine Verletzungen erkennen, es sei denn ...

    Plötzlich wurde er ihm klar, dass Merlins Haare nicht allein wegen des Wassers so feucht waren. Und er sah seine Annahme in grauenhafter Weise bestätigt, als er seine blutüberströmte Hand unter Merlins Kopf hervorzog. Arthur musste sich beherrschen, um nicht entmutigt aufzustöhnen.

    „Was noch, Merlin?“, knurrte er und griff nach dem Halstuch, das er sich unter seinen Gürtel geklemmt hatte. „Reicht es nicht, dass du noch nicht einmal Kräuter pflücken kannst, ohne über deine eigenen Füße zu stolpern?“, fuhr Arthur fort, während er behutsam begann, Merlins Gesicht zu säubern. „Nein, du musstest natürlich in den Fluss stürzen und dir dabei gleich noch den Schädel einschlagen.“ Langsam redete er sich in Rage. Es tat gut, seinem Frust, aber vor allem seiner eigenen Hilflosigkeit auf diese Weise Luft zu machen. „Oh, und keine Sorge, Merlin, ich erwarte gar nicht, dass du aufwachst und mir in irgendeiner Weise behilflich bist.“

    Nachdem er Merlins Gesicht mehr schlecht als recht von dem Blut befreit hatte, wusch Arthur das Stück Stoff mit etwas sauberen Wasser aus seinem Wasserbeutel aus. Anschließend verband er damit provisorisch die Wunde an Merlins Kopf. „Du bist wirklich ein Idiot!“, verkündete er in einem Tonfall, der selbst, wenn sein Gegenüber bei Bewusstsein gewesen wäre, keine Widerrede geduldet hätte. „Und jetzt siehst du wenigstens auch noch aus wie einer.“


    ~~~


    Arthur wusste nicht, wann er das letzte Mal so erleichtert gewesen war, die Türme von Camelot zu sehen. Mittlerweile war es Abend geworden, doch das Licht des aufgehenden Vollmondes hatte genügend Kraft, um das Schloss in ein fast gespenstisches Licht zu tauchen.

    „Wir haben es gleich geschafft, Merlin“, murmelte Arthur und legte nochmals die Hand auf Merlins Stirn. Besorgt kaute er auf seiner Unterlippe, es gab keinen Zweifel, dass sich das Fieber festgesetzt hatte. Selbst durch Merlins noch immer feuchtkalte Kleidung konnte er die Hitze, die der junge Mann ausstrahlte, spüren. „Mach jetzt bloß nicht schlapp. Gaius würde dir das nie verzeihen ... und ich auch nicht“, fügte er noch etwas leiser hinzu, fast so, als ob er nicht wollte, dass Merlin ihn hörte. Das war natürlich Unsinn, denn der hatte auf dem gesamten Rückweg nicht auch nur den kleinsten Laut, geschweige denn eine Regung von sich gegeben. Nichts, bis auf periodisch auftretene Zittern seines Körpers, hatte darauf hingedeutet, dass Merlin sich seiner Umwelt bewusst war.

    Nachdem Arthur Merlin am Flussufer notdürftig versorgt hatte, hatte er ihn zurückgetragen und unter einiger Anstrengung vor sich auf das Pferd gehievt. Den linken Arm fest um den Oberkörper des Bewusstlosen geschlungen, die rechte Hand am Zügel war er losgaloppiert – gerade so schnell, wie er es gewagt hatte, ohne zu riskieren, dass Merlin aus dem Sattel rutschte oder sein Pferd sich in der zunehmenden Dunkelheit die Beine brach. Mit den letzten Sonnenstrahlen, hatte er den großen Handelsweg, der Camelot mit den nördlichen Territorien verband, erreicht. Von da an war das Reiten einfacher geworden, doch war es auch der Moment gewesen, in dem Arthur bemerkt hatte, dass Merlin fieberte.

    Doch jetzt – das Schloss fest im Blick – wusste er, dass Hilfe nahe war. Er war sich sicher, dass Gwen Gaius über die Ereignisse informiert hatte und der alte Hofarzt voller Ungeduld und Sorge auf ihre Ankunft wartete. Bei diesem Gedanken gab Arthur seinem Pferd ein letztes Mal die Sporen und überbrückte die restliche Distanz in einem schnellen Kanter.


    ~~~


    So schnell es seine alten Knochen zuließen, erhob Gaius sich von den Stufen der großen Schlosstreppe, als er das herannahende Klappern von Hufen auf der Zugbrücke vernahm. Seine Sehkraft mochte über die Jahre schwächer geworden sein, doch seine Ohren taten ihren Dienst wie eh und je. Beunruhigt, aber auch seltsam erleichtert, dass sich endlich etwas tat, wartete er auf die Ankunft des Reiters.

    Er hatte sich um die Verletzten des Kampfes gekümmert, als Gwen ihn in dem behelfsmäßigen Lazarett aufgesucht und stockend berichtet hatte, was geschehen war. Sie war den Tränen nahe gewesen. Und auch wenn Gaius sich nach außen hin gefasst gezeigt hatte, hatte er nicht verhindern können, dass sich auch seine Augen mit Feuchtigkeit gefüllt hatten. Allein der Gedanke, den Jungen, der wie ein Sohn für ihn war, zu verlieren, war mehr, als er verkraften konnte. Vielleicht war es ein Segen gewesen, dass schon kurz nach Gwen ein aufgebrachter Uther Pendragon in der Krankenhalle erschienen war und verlangt hatte, dass er sofort nach Morgana sah. So hatte er sich für den Moment von seiner Sorge um Merlin ablenken können.

    Morgana hatte aufrichtig betroffen gewirkt. Etwas, das Gaius hinsichtlich der Ereignisse der vergangenen Tage doch sehr irritiert hatte. Nur zu gerne hätte er ihr ein paar unauffällige Fragen gestellt, hatte es aber in Anwesenheit des Königs und Gwen nicht gewagt. Und nachdem er Morgana etwas zur Beruhigung und einen leichten Schaftrunk verabreicht hatte, war diese Möglichkeit vertan und er war wieder seinen eigenen Bedenken ausgeliefert gewesen. Genau diese Bedenken hatten Gaius schließlich auf die große Schlosstreppe getrieben, wo er seitdem im Schein der Fackeln auf Arthurs und hoffentlich auch Merlins Rückkehr gewartet hatte.

    Doch obwohl er vorgewarnt gewesen war, konnte Gaius nicht verhindern, dass ihm nun der Schreck in die Glieder fuhr, als das Pferd des Prinzen wenige Meter vor ihm zum Stehen kam. Noch während Arthur eine der Torwachen zu sich rief und mit deren Hilfe Merlin vorsichtig aus dem Sattel hievte, nahm sein jahrzehntelang antrainierter fachmännischer Blick schon all die Details um den Zustand des Jungen auf. Seine schlaffe, bewusstlose Form, die erschreckende Blässe seines Gesichtes, nur unterbrochen von den hektischen roten Flecken auf Wangen und Stirn – ein sicheres Anzeichen für Fieber –, der provisorische Verband und die Spuren von Blut, die darüber hinaus auf eine Kopfwunde hindeuteten ... all diese Einzelheiten zeigten Gaius mit erschütternder Klarheit, wie ernst es um Merlin bestellt war.

    „Gaius?“

    Die Stimme des Prinzen riss ihn abrupt aus seinen Gedanken. „Ja ... bitte ... bitte bringt ihn in meine Kammer“, entgegnete er heiser, seine Kehle schien plötzlich wie ausgedörrt. ‚Merlin, mein Junge, was ist nur geschehen?’


    to be continued

  8. Danke sagten:


  9. #7
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    „Reicht es nicht, dass du noch nicht einmal Kräuter pflücken kannst, ohne über deine eigenen Füße zu stolpern?“

    Wahrscheinlich nicht, wenn man ein Zauberer ist.

    Aber wenigstens hat Arthur Merlin jetzt gefunden und bei Gaius ist er ja auch in besten Händen.

  10. #8
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    Asche auf mein Haupt! Irgendwie ist die letzte Woche foermlich an mir vorbeigerannt und hat nicht mal angehalten, um 'Hallo' zu sagen ...


    @Liljana und stargatefan74: Vielen Dank fuer das Danke!

    @Antares: Arthur kann manchmal echt nur froh sein, dass er nichts weiss, oder? *lol* Vielen Dank fuer deinen Kommi!

    Und jetzt mal schnell weiter ... *g*




    Kapitel 5


    „Legt ihn bitte auf mein Bett, Sire. Er wird es dort am Feuer wärmer haben als in seinem Raum“, sagte Gaius und deutete auf seine Schlafstätte. Es hatte ihn ein wenig überrascht, dass der Prinz darauf bestanden hatte, Merlin selbst hinaufzutragen. Die anwesenden Wachen hatten sich nur um sein Pferd kümmern sollen.

    „Er hat Fieber, Gaius“, sagte Arthur, während er Merlin auf dem Bett platzierte und dann beiseite trat, um dem Hofarzt mehr Raum zu geben.

    „Ja, Sire, und das ist tatsächlich ein gutes Zeichen, ebenso wie das Zittern. Es zeigt, dass sein Körper aktiv die Kälte in seinem Inneren bekämpft“, erklärte Gaius und fuhr mit seiner Untersuchung fort. Dabei versuchte er, sich nicht anmerken zu lassen, dass Merlin nicht der Einzige war, der zitterte. „Wie war sein Zustand, als Ihr ihn gefunden habt?“

    „Er ... er war eiskalt, völlig reglos. Sein Puls war regelmäßig, aber schwach und sehr langsam“, berichtete Arthur stockend und Gaius bemerkte, wie schwer es ihm fiel, sich dieses Bild in Erinnerung zu rufen.

    „Dann ist es wirklich eine Verbesserung, Sire“, beruhigte er den Prinzen und atmete insgeheim selbst auf. „Nun können wir sicher sein, die Unterkühlung in den Griff zu kriegen. Etwas anderes ist es mit seiner Kopfverletzung. Aber leider kann ich die Auswirkungen erst beurteilen, wenn Merlin aufwacht. Für den Moment sollten wir zusehen, dass er es warm und trocken hat. Dürfte ich Euch bitten, ihm Stiefel, Jacke und das Hemd auszuziehen? Ich werde ein paar Decken holen.“

    „Ja, natürlich“, antwortete Arthur ohne zu zögern und begann sofort damit, Merlin behutsam aus seiner Kleidung zu schälen.

    Während Gaius die Decken zusammensuchte, das Feuer im Kamin schürte und auch gleich noch etwas Wasser aufsetzte, beobachtete er Arthur aus den Augenwinkeln. Nicht ohne Stolz stellte er fest, wie sehr sich dieser in den letzten Jahren verändert hatte. Eine Tatsache, an der Merlin wohl nicht ganz unschuldig gewesen war. Seitdem sein Mündel in Arthurs Dienste getreten war und ihn mit seiner doch recht vorlauten und unerschrockenen Art immer wieder herausgefordert hatte, war aus dem arroganten Rüpel ein junger Mann geworden, der gelernt hatte, Verantwortung zu zeigen und sich um das Wohlergehen seiner Untergebenen zu sorgen.

    ‚Nun ja, zumindest meistens’, fügte Gaius im Stillen hinzu. Und auch wenn der Prinz und Merlin nicht müde wurden, sich auf das Heftigste über den jeweils anderen zu beschweren, so wurde doch das Band der Freundschaft zwischen ihnen mit jedem Tag stärker. Nur würde das wohl zu diesem Zeitpunkt noch keiner von beiden offen zugeben wollen.

    „Gaius?“ Arthur hielt Merlins nun mehr blanken Oberkörper mit einer Hand aufrecht, während er mit der freien Hand auf einen Punkt auf dessen Rücken deutete. „Was ist das?“

    Gaius trat näher und als er sah, was Arthur meinte, runzelte er verwundert die Stirn. „Ich bin mir nicht sicher, Sire, aber ...“

    „... es sieht nach einer Stichwunde aus, nicht wahr?“, vollendete der Prinz den Satz. Er schüttelte verwirrt den Kopf. „Aber wie kann das sein? Wann könnte er sich diese Verletzung zugezogen haben? Und wer ist so feige und greift einen unschuldigen Diener von hinten an?“ Ein zorniger Unterton schlich sich in Arthurs Stimme.

    „Leider kann ich keine von Euren Fragen beantworten. Ich weiß auch nicht mehr als Ihr“, erwiderte Gaius und griff dabei nach seinem Vergrößerungsglas. Eingehend untersuchte er die Verletzung auf Merlins Rücken, wobei er vorsichtig die Wundränder betastete. Etwas, das Merlin trotz seiner Bewusstlosigkeit leise aufstöhnen ließ. „Die Wunde ist noch nicht sehr alt, kaum verheilt. Ich verstehe das nicht. Er war doch immer mit einem von uns zusammen. Ich bin mir sicher, dass wir etwas bemerkt hätten, denn solch eine Verletzung wäre ohne Zweifel zu schmerzhaft gewesen sein, um sie zu verheimlichen.“

    „Aber er war für mindestens einen Tag fort, Gaius. Ihr habt selbst gesagt, dass ihr ihn gesucht habt. Und er ist auch nicht zum Dienst erschienen. Hätte diese Zeit ausgereicht, um den Angriff und die Verletzung zu vertuschen? Und wenn ja, warum?“

    Für einen Moment schloss Gaius die Augen. Es war wahr, dass Merlin ihm nicht erzählt hatte, wo genau er während seiner Abwesenheit gesteckt hatte. Aber selbst wenn Merlin in dieser Zeit angegriffen worden wäre, hätte er doch etwas bemerken müssen. Oder nicht? Gaius war ratlos, dennoch antwortete er: „Nein, ich bin mir sicher, dass die Zeit nicht gereicht hätte, Sire. Aber das ist noch nicht alles ...“

    „Was noch?“ Die innere Anspannung des Prinzen zeichnete sich deutlich auf seinem Gesicht ab.

    „Seht Ihr diese dunkel verfärbten Flecken um die Wunde herum?“, fragte Gaius. Er ließ Arthur einen Moment Zeit, sich die Male selbst anzusehen, bevor er fortfuhr: „Das sind eindeutige Anzeichen, dass die Klinge oder was auch immer ihn verletzt hat, vergiftet gewesen ist.“

    „Vergiftet?“, wiederholte Arthur fassungslos.

    Genau in diesem Augenblick traf Gaius die Erkenntnis wie ein Schlag. Er hatte eine ähnliche Wunde schon einmal gesehen. Vor etwa zwei Jahren, als Morgana von den Druiden zurückgekehrt war. Sie hatte ihm damals anvertraut, dass sie im Wald von Serkets angefallen worden war und Aglain sie geheilt hatte. Gaius hatte von diesen Geschöpfen, die riesigen Skorpionen glichen, gehört. Ihr Gift war tödlich, sofern das Opfer nicht die richtige Behandlung erfuhr. Und mit der richtigen Behandlung war Magie gemeint.

    „Gaius, Ihr habt angedeutet, dass auch etwas anderes als eine Klinge Merlin verletzt haben könnte“, begann Arthur und unterbrach damit ein weiteres Mal Gaius’ Gedankengang. „Vielleicht etwas, das nicht von Menschen gemacht wurde ... wie ein Stachel?“

    „Was sagt Ihr da?“ Gaius’ Kopf schoss nach oben, um den Prinzen anzusehen. Er hoffte sehr, dass dieser ihm seine Überraschung nicht anmerkte. „Wie kommt Ihr darauf?“

    „Morgana hat mir damals, als wir sie aus den Händen der Druiden befreit haben, von diesen ... Skorpionen erzählt, die sie angegriffen haben. Ich wollte es erst nicht glauben, doch sie hat mir die Wunde gezeigt und ... und sie sah fast so aus wie Merlins. Ich habe mich gerade erst wieder daran erinnert“, schloss Arthur seine Erklärung nachdenklich ab.

    „Nun, Sire, ich glaube, wie können diese Möglichkeit ausschließen.“

    „Warum?“

    „Der Stich eines Serkets wirkt tödlich, Merlin wäre danach sicherlich nicht munter in der Gegend herumgelaufen“, erklärte Gaius ausweichend, während er damit begann, die Wunde auf Merlins Rücken und auch die Kopfverletzung fachgerecht zu verbinden. Der Junge würde ihm später einiges zu erklären haben.

    „Ich verstehe nicht ... die Druiden haben doch auch Morgana geheilt“, beharrte Arthur. „Auch wenn ich glaube, dass sie das nur getan haben, weil sie ihnen lebendig mehr wert war als tot.“

    „Aber Ihr sagt es selbst, Sire, die Druiden haben Morgana geheilt, etwas, das ich nicht vollbringen könnte.“ Aufmerksam beobachtete Gaius den jungen Mann, ob er die Bedeutung seiner Worte verstehen würde. Es erschien ihm sicherer, wenn Arthur selbst darauf kam, dass Merlin unmöglich in Magie verstrickt gewesen sein konnte.

    „Ihr ... Ihr wollt sagen, dass nur Zauberkraft, wie sie die Druiden besitzen, eine solche Verletzung heilen kann?“

    „Ja, Arthur, das ist genau das, was ich damit sagen will“, stimmte Gaius zu. „Und wir beide wissen, dass es im Umkreis von mindestens drei Tagesreisen keine Druiden mehr gibt. Merlin hätte sie nicht um Hilfe bitten können, selbst wenn er gewollt hätte.“

    „Aber wer hat ihm das dann angetan?“

    „Ich weiß es nicht“, entgegnete Gaius und wich dem bohrenden Blick des Prinzen aus, indem er jetzt gleich zwei Decken über Merlin ausbreitete und ihn darin einwickelte. „Wir können nur abwarten, was Merlin dazu zu sagen hat, wenn er wieder aufwacht.“

    „Gaius, er ... ich meine, er wird doch wieder gesund?“

    „Solange wir das Fieber unter Kontrolle halten können und sich seine Wunden nicht entzünden, sehe ich keinen Grund, warum er Euch nicht schon bald wieder zu Diensten sein sollte“, erwiderte Gaius mit etwas mehr Zuversicht, als er insgeheim verspürte. Es beunruhigte ihn ein wenig, dass Merlin das Bewusstsein noch immer nicht wiedererlangt hatte.

    „Ihr meint, mich schon bald wieder in den Wahnsinn treibt, oder?“, verbesserte ihn Arthur mit einem schiefen Grinsen, doch seine Augen blieben ernst. Er erhob sich von dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte. „Ich werde mich jetzt besser bei meinem Vater zurückmelden. Lasst es mich wissen, falls sich an Merlins Zustand etwas ändert oder Ihr sonst irgendetwas benötigen solltet.“

    „Ja, Sire“, erwiderte Gaius. „Und Arthur?“, fügte er hinzu, als der Prinz gerade die Tür erreichte. „Danke, dass Ihr ihn zu mir zurückgebracht habt.“

    Für einen Moment sahen sich die beiden Männer stumm an, bevor Arthur leicht den Kopf neigte und sagte: „Gern geschehen, Gaius.“


    ~~~


    In dieser Nacht träumte Arthur von Kapuzen tragenden Druiden, die auf riesigen Skorpionen durch einen Fluss ritten. Und dass dabei jede dieser albtraumhaften Kreaturen Merlins Gesicht hatte, machte den Traum auch nicht wirklich besser.

    Dementsprechend gerädert wachte Arthur am nächsten Morgen auf. Während er noch schlaftrunken überlegte, ob er aufstehen oder vielleicht doch noch ein bisschen liegen bleiben sollte, hörte er, wie leise die Tür zu seinen Gemächern geöffnet und ebenso leise wieder verschlossen wurde. Danach verriet ihm ein kaum wahrnehmbares Klappern, dass ihm soeben sein Frühstück serviert worden war. Also wurde aus dem ‚noch ein bisschen liegen blieben’ wohl nichts. Und innerlich stählte er seine Nerven schon für das rücksichtslose Aufreißen der Vorhänge und das unvermeidbare, an Unverschämtheit grenzend fröhliche „Raus aus den Federn!“. Als aber vor allem Letzteres ausblieb, begann Arthur zu schwanen, dass etwas nicht stimmte. Widerstrebend öffnete er nun doch die Augen und blickte daraufhin verblüfft auf die Gestalt, die gerade seinen Becher mit Wasser füllte.

    „Guten Morgen, Mylord“, begrüßte ihn der fremde Diener und verbeugte sich tief. So tief, dass Arthur für einen Moment befürchtete, er würde vorne über kippen. Aber natürlich tat er das nicht, denn dieser braunhaarige Mann in seinen Mittvierzigern war ganz offensichtlich nicht Merlin ...

    Merlin! Plötzlich fiel Arthur alles wieder ein. Das Picknick, Merlins Unfall, seine verzweifelte Suche, die Rückkehr zum Schloss, die rätselhafte Wunde auf Merlins Rücken und zu guter Letzt das anschließende Gespräch mit seinem Vater, bei dem dieser ihm gleich großzügig seinen eigenen Diener als Ersatz für Merlin angeboten hatte.

    Mit einem Satz war Arthur aus dem Bett und kleidete sich in Windeseile an, bevor er den Becher mit dem Wasser in einem Zug leerte und sich einen Kanten Brot griff. Er wollte so schnell wie möglich zu Merlin, doch unglücklicherweise hatte das Schicksal andere Pläne.

    „Mylord, ich soll Euch im Namen seiner Majestät daran erinnern, dass heute Morgen eine Besprechung anberaumt wurde, bei der Eure Anwesenheit erforderlich ist.“

    Arthur stoppte jäh auf seinem Vormarsch zur Tür und schnaubte ergeben auf. „Ich bin schon unterwegs“, entgegnete er und verließ den Raum in Richtung Thronsaal, ohne dem Diener noch eines Blickes zu würdigen.


    ~~~


    Es war bereits früher Nachmittag, als Arthur endlich die Zeit fand, Merlin zu besuchen.

    Nach der Besprechung, bei der es um Verteidigungsstrategien im Falle eines erneuten Vorstoßes Cenreds gegangen war, hatte sein Vater auf ein gemeinsames Mittagessen bestanden, zu dem auch Morgana erschienen war. Sie schien die Ereignisse des Vortages gut verkraftet zu haben. Allerdings hatte ihn ihre Reaktion auf die Nachricht, dass er Merlin letztendlich gefunden hatte, ein wenig irritiert. Sie hatte dies und die Ungewissheit, ob er wieder gesund werden würde, mit seltsam ausdrucksloser Miene entgegengenommen. Morgana hatte ihn lediglich gebeten, sie auf dem Laufenden zu halten. Nicht zum ersten Mal hatte Arthur sich daraufhin gefragt, was zwischen den beiden wirklich vorgefallen war. Doch abermals war er nicht dazu gekommen, diesen Gedanken weiterzuverfolgen, da sein Vater seine volle Aufmerksamkeit gefordert hatte.

    Schließlich hatte Arthur Gaius’ Labor erreicht und klopfte vernehmlich an die Tür. Auf der anderen Seite hörte er ein leises Rascheln, ein paar hastige Schritte, dann wurde ihm geöffnet.

    „Guinevere!“

    „Arthur!“, erwiderte Gwen offenbar ebenso überrascht wie er selbst.

    „Ist Gaius nicht hier?“

    „Nein, er musste zu seinen Patienten ins Lazarett und hat mich gebeten, bei Merlin zu bleiben“, antwortete sie und strich sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

    „Wie geht es dir?“

    „Gut, danke. Aber ich bin nicht die Person, um die Ihr Euch Sorgen machen solltet, Sire“, entgegnete sie abrupt. „Entschuldigt bitte, ich meinte damit nicht, dass ich es nicht zu schätzen wüsste ... es ist nur ...“ Mit einem leisen Seufzen brach Gwen ab und blickte zu Merlin, der sich unruhig auf dem Bett bewegte. Und Arthur verstand.

    „Ist er schon aufgewacht?“

    „Immer nur kurz, aber auch nicht richtig“, antwortete Gwen, während sie gemeinsam zu Merlin hinübergingen und Gwen sich wieder auf dem Stuhl neben dem Bett niederließ. Sie nahm ein Tuch, tauchte es in eine Schüssel mit Wasser und tupfte – nachdem sie es ausgewrungen hatte – behutsam den Schweiß von Merlins Stirn. „Er öffnet ab und zu die Augen, aber er scheint weder seine Umgebung noch Gaius oder mich wirklich wahrzunehmen“, fuhr sie fort, über Merlins Zustand zu berichten. „Gaius meint, dass er wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung hat.“

    „Und das Fieber?“ Arthur hatte sich hinter Gwen postiert und beobachtete seinen Diener. Merlin zitterte am ganzen Körper, während sein Kopf unstet hin- und herruckte. Sein Atem ging schnell und stoßweise, und die unnatürliche Blässe auf seinem Gesicht war einem hektischen Rot gewichen. Arthur fühlte, wie sich bei diesem Anblick unwillkürlich sein Magen zusammenkrampfte.

    „Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht“, entgegnete Gwen, als ob sie seine Beklommenheit gespürt hätte. „Gaius sagt, dass das Fieber eine normale Abwehrreaktion ist. Und solange er genügend trinkt, besteht kein Grund zur Sorge. Aber ...“

    „Was ‚aber’, Guinevere?“, hakte Arthur argwöhnisch nach und legte sanft eine Hand auf ihre Schulter, um sie zu ermutigen fortzufahren.

    „Das ist das Problem. Er will nicht trinken. Jedes Mal, wenn ich versuche, ihm etwas Wasser einzuflößen oder den Trank, den Gaius für ihn gebraut hat, verweigert er sich.“ Sie drehte sich um und schaute zu Arthur hoch, in ihren Augen ein Ausdruck leiser Verzweiflung, gepaart mit der Hoffnung, ob er helfen könnte.

    „Warum versuchen wir es nicht zusammen?“, fragte er und schenkte Gwen ein aufmunterndes Lächeln, das von ihr dankbar erwidert wurde.

    Er nahm sich einen Stuhl und platzierte sich auf der anderen Seite des Bettes. Gwen wartete, bis Arthur Merlins Oberkörper ein wenig angehoben hatte, bevor sie den schlichten Kelch an seinen Mund setzte. Aber sobald das kühle Metall Merlins Lippen berührte, drehte er den Kopf abwehrend zur Seite.

    „Komm schon, Merlin, trink!“, forderte Arthur seinen widerspenstigen Diener auf, während Gwen sich weiter bemühte, die Flüssigkeit in dessen Kehle zu befördern. Merlins einzige Antwort darauf war ein unwilliger Laut und ein erneutes Wenden seines Kopfes, diesmal zu der anderen Seite.

    „Das gibt es doch nicht“, meinte Arthur halb ungläubig, halb genervt. „Lass es mich mal versuchen, Gwen. Kannst du ihn für einen Moment halten?“ Sie nickte wortlos und reichte ihm den Becher. Doch auch seine Versuche wurden nicht durch Erfolg gekrönt.

    „Verdammt, Merlin!“ Langsam wurde es Arthur zu viel. „Du bist und bleibst ein Idiot – und ein ganz besonders störrischer noch dazu!“, fluchte er, obwohl ihm bewusst war, dass dieser ihn sehr wahrscheinlich gar nicht hörte. „Wann wirst du endlich lernen, dass ich hier das Sagen habe? Du trinkst jetzt dieses Wasser oder ich schwöre dir, dass deine erste Amtshandlung, sobald du wieder auf den Beinen bist, das Ausmisten der Ställe sein wird. Und zwar aller Ställe! Mindestens zwei Wochen lang ... jeden Tag! Habe ich mich klar ausgedrückt?“

    Gwen stieß verblüfft die Luft aus, die sie bei Arthurs Ausbruch unbewusst angehalten hatte, als sich Merlins Stirn daraufhin in ärgerliche Falten legte, er aber dennoch folgsam den Becher leerte.

    „Na also, es geht doch“, meinte Arthur und grinste Gwen zufrieden an, als sie Merlin wieder zurück auf das Bett legten. „Ich muss jetzt leider wieder los. Richte Gaius bitte von mir aus, dass ich nach dem Abendessen noch mal vorbeischaue.“

    „Das werde ich“, antwortete sie, als er sich erhob. „Und danke, Arthur.“

    „Dir auch, Guinevere. Für ...“, er machte eine unbestimmte Handbewegung in Merlins Richtung, „ ... alles.“

    „Er ist auch mein Freund“, entgegnete sie schlicht und lächelte Arthur wissend an.


    to be continued


  11. #9
    There is good in you... Avatar von Chayiana
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    Sorry, dass es mal wieder so lange gedauert hat, aber wie ihr ja wisst, hatte/habe ich momentan ne Menge um die Ohren ... *gg* aber wie sagt mein Chef immer so schoen? Alles wird gut!!!

    @Antares, claudi70, stargatefan74 und Valdan
    Vielen Dank fuers Danke!!!




    Kapitel 6



    Seine ganze Welt beschränkte sich auf simple Sinneseindrücke – nass und trocken, kalt und warm, bequem und unbequem – und Stimmen. Stimmen, deren Worte keinen rechten Sinn ergeben wollten, aber von denen er wusste, dass sie irgendwie wichtig waren ... oder etwa nicht? Natürlich gab es da noch dieses nicht enden wollende, dumpfe Hämmern in seinem Kopf, aber das ignorierte er. Er glaubte einfach nicht, dass ein kleiner Mann, der ununterbrochen von innen gegen seine Schädeldecke klopfte, ihm in irgendeiner Weise behilflich sein konnte, seine derzeitige Lage zu erfassen. Empfindungen und Stimmen, ja, das war etwas, mit dem er arbeiten konnte. Also versuchte er, sich darauf zu konzentrieren.

    Angefangen hatte es mit Kälte, ziemlich nasser Kälte, um genau zu sein, aber es war seltsam bequem gewesen. Dazu hatte sich eine Stimme gesellt. In seinem Kopf. Was hatte eine Stimme in seinem Kopf zu suchen? Hatte sie ein Schwätzchen mit dem Hammermann halten wollen? Nein, er war sich sicher, dass sie zu ihm gesprochen hatte. Ihr Tonfall war dringend gewesen, wenn auch ein bisschen nervig.

    Irgendwann war die Kälte nicht mehr ganz so nass gewesen, nur noch halb-nass. Gab es einen solchen Zustand überhaupt? Auf jeden Fall war die dringend-nervige Stimme dann plötzlich verschwunden und für eine Weile hatte seine Welt nur noch aus eben dieser halb-nassen Kälte bestanden, die leider aber nicht mehr ganz so bequem gewesen war. Doch er hatte sich nicht beschweren wollen, denn etwas ganz Wichtiges war ihm von da an leichter gefallen. Er konnte beim besten Willen nicht sagen, was es gewesen war, nur, dass es wirklich wichtig gewesen sein musste.

    Später war eine neue Stimme aufgetaucht und hatte ihn aus der halb-nassen Kälte gezogen. Konnten Stimmen jemanden ziehen? Diese Stimme hatte anders geklungen, immer noch ein wenig nervig, aber doch anders. Und zum Glück war sie nicht in seinem Kopf gewesen. Denn mal ehrlich, Stimmen in seinem Kopf zu hören, konnte einfach kein gutes Zeichen sein, richtig?

    Diese neue Stimme hatte ihn eine ganze Zeit begleitet, mal freundlich, meistens nervig, aber manchmal sogar besorgt. Das hatte er nicht verstanden. Seine Welt war doch besser geworden. Sie war nicht mehr halb-nass, sondern nun eher halb-trocken gewesen, und er wusste mit Bestimmtheit, dass die Kälte irgendwann wohliger Wärme gewichen war. Er war sich sicher, dass man das unter ‚besser’ einstufen durfte. Nur was die Bequemlichkeit angegangen war, hätte er gerne mit der Stimme über andere Konditionen verhandelt. Dummerweise war er jedoch nicht im Stande gewesen, seine eigene Stimme einzusetzen. Etwas, das er als extrem unfair empfunden hatte. Warum war es scheinbar jedem erlaubt, seine Stimme benutzen, nur ihm nicht? Oder hatte er am Ende gar keine eigene Stimme? Unsinn! Jeder hatte eine Stimme. Oder nicht? Er hätte gerne eine Antwort für dieses Dilemma gefunden, aber der Mann in seinem Kopf hatte sich in diesem Moment entschieden, einen größeren Hammer zu benutzen. Und da hatte er es für klüger gehalten, doch wieder in seiner halb-trockenen, unbequemen, aber wenigstens warmen Welt zu versinken – notfalls eben ohne Stimme.

    Doch dann war es kompliziert geworden. Zu der ersten Stimme – die Stimme in seinem Kopf zählte er besser nicht – hatte sich gleichzeitig eine zweite Stimme eingefunden. Diese Stimme hatte ebenfalls besorgt geklungen, aber im Gegensatz zu der ersten hatte sie auch sehr beruhigend auf ihn gewirkt. Abgesehen von der Verwirrung, sich auf zwei Stimmen konzentrieren zu müssen, konnte er mit Fug und Recht behaupten, dass seine kleine Welt von diesem Augenblick an immer behaglicher geworden war. Trocken, sehr bequem und warm ... nun, vielleicht etwas zu warm, aber perfekt war ja nichts. Was ihn ein wenig irritiert oder vielleicht sogar geärgert hatte, war die Tatsache, dass die beiden Stimmen nicht mehr mit ihm, sondern vielmehr über ihn gesprochen hatten. Er hatte keine Ahnung, woher er das gewusst hatte, nur, dass es so gewesen war. Und hätte er eine Stimme gehabt, hätte er sicher darauf hingewiesen, dass er auch noch anwesend war. So aber hatte er sich wohl oder übel damit abfinden müssen, ignoriert zu werden. Warum war seine Welt nur so unfair?

    Als dann jedoch noch eine dritte Stimme – zugegeben, eine sehr angenehme und warme Stimme – hinzugekommen war und sich in unregelmäßigen Abständen mit der manchmal nervigen und der beruhigenden Stimme abgewechselt hatte, war es ihm allmählich zu viel geworden. Zumal auch der kleine Mann in seinem Kopf wieder heftiger zu hämmern begonnen hatte. Das musste ein Ende haben!

    Das war der Moment, in dem er beschloss, seine eigene, kleine Welt zu verlassen und die Welt der Stimmen zu betreten.


    ~~~


    Langsam öffnete Merlin die Augen. Er hätte es schneller getan, wenn er dazu fähig gewesen wäre. Aber irgendwie schienen seine Lider sich weigern zu wollen, fast so, als ob er sie zu lange nicht benutzt hätte. Doch kaum hatte er sie einen Spaltbreit geöffnet, kniff er sie auch schon wieder fest zusammen und ächzte gequält auf. Ihm war, als hätte er geradewegs in die Hölle geblickt. Grelle Flammen tanzten auf seinen Netzhäuten, so dass ihm selbst hinter seinen geschlossenen Augenlidern die Tränen kamen. Nur vage vernahm er die Schritte, die sich ihm näherten.

    „Merlin?“

    Und plötzlich fiel ein wohltuender Schatten auf seine strapazierten Sehnerven und schirmte ihn von dem Feuer ab. Als er sich sicher war, dass der Schatten keine Ausgeburt seiner Phantasie war, wagte er einen erneuten Versuch. Dieses Mal noch ein wenig vorsichtiger. Zunächst konnte er nur verschwommene Schemen wahrnehmen, doch als er die Flüssigkeit in seinen Augen erfolgreich weggeblinzelt hatte, erkannte er seinen Mentor, der ihn besorgt anschaute. Erst jetzt bemerkte Merlin, dass er auf Gaius’ Bett lag und sein Gesicht direkt dem Feuer in dem Kamin zugewandt war. Also doch keine Hölle, das war beruhigend.

    „Gaius?“ Er erschrak beim Klang seiner Stimme. War dieses heisere Krächzen wirklich aus seiner Kehle gekommen? Er probierte es noch einmal. „Gaius ...“

    „Merlin, mein Junge, dem Himmel sei Dank! Ich dachte schon, du wolltest gar nicht mehr aufwachen.“

    Nicht mehr aufwachen? Warum sollte er nicht mehr aufwachen wollen? Doch als ob diese Frage ein Licht in seinem Kopf entzündet hätte, erwachten plötzlich auch seine Erinnerungen und brachen in einem Strom aus verworrenen Fragmenten über ihn herein. Aber schon bald hatten sich die einzelnen Teile zu einem Gesamtbild zusammengesetzt. Das Bild seiner letzten klaren Erinnerung, bevor er hier bei Gaius aufgewacht war.

    „Es tut mir leid, Gaius“, flüsterte Merlin, als ihm schließlich die ganze Tragweite dessen, was passiert war, bewusst wurde.

    „Schon gut, Merlin“, entgegnete Gaius und setzte einen Becher mit Wasser an Merlins Mund. „Hier, trink erst mal einen Schluck.“

    Und Merlin nahm sowohl das kühle Nass als auch die Hilfestellung dankbar an. Doch sobald er seine trockene Kehle ein wenig erfrischt hatte, fuhr er fort. Es drängte ihn, Gaius zu erklären, dass er Recht gehabt hatte.

    „Es tut mir wirklich leid. Ich hätte auf dich hören sollen, Gaius. Sie ...“

    „Merlin!“, unterbrach ihn Gaius mit ungewohnter Schärfe in der Stimme. „Es ist alles in Ordnung, mein Junge“, fügte er dann aber sogleich um einiges sanfter hinzu. „Du musst dich jetzt ausruhen.“

    Warum sollte er sich ausruhen? Merlin hatte das Gefühl, wirklich lange genug geschlafen zu haben. Und außerdem gab es verdammt noch mal wichtigere Dinge als sich auszuruhen. Er musste ihm erzählen, was Morgana getan hatte.

    „Aber versteh doch, Gaius! Ich war so dumm, ich habe mich wieder von ihr einlullen lassen. Ich habe ihr geglaubt, als sie um meine Hilfe bat ...“

    „Merlin, nicht!“

    „... doch dann hat sie mich niedergeschlagen“, fuhr Merlin unbeirrt fort. „Sie hatte niemals vor, einen anderen Weg zu finden. Manchmal denke ich, Arthur hat Recht. Ich bin wirklich ein Idiot!“

    „Wie schön, dass wir uns in diesem Punkt endlich einig sind, Merlin. Aber hättest du vielleicht auch die Güte, mir zu erklären, wer ‚sie’ ist?“

    Merlin erstarrte, als er die nur allzu vertraute Stimme in seinem Rücken hörte. Von einem Wimpernschlag zum nächsten schien eine unbekannte Macht sein Blut durch flüssiges Eis ersetzt zu haben. Nur am Rande bekam er mit, wie Gaius auf seinem Stuhl zusammensackte und leise aufseufzend den Kopf senkte. Mit weit aufgerissenen Augen fuhr er im Bett herum. Doch noch bevor er diese Bewegung zu Ende geführt hatte, überschwemmten ihn Übelkeit und Schwindel wie eine Flutwelle; ein sengender Schmerz bohrte sich in seinen Schädel und nahm ihm für eine Sekunde den Atem. Gepeinigt keuchte er auf und ließ sich zurück auf das Kissen fallen.

    „Merlin!“

    Ihm war relativ egal, wer von den beiden seinen Namen gerufen hatte. Das Einzige, was in diesem Moment für Merlin eine gewisse Bedeutung hatte, war, den Wirbelsturm in seinem Innern zu bekämpfen oder zumindest zu dämpfen. Er kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich ganz darauf, die bittere Galle wieder dorthin zu verbannen, wo sie hingehörte, und Luft in kontrollierten Portionen in seine Lunge zu befördern.

    „Du hast eine Gehirnerschütterung, Merlin, und solltest dich besser nicht zu heftig bewegen.“

    ‚Oh, vielen Dank, Gaius, glaub mir, das habe ich auch gerade gemerkt’, dachte Merlin sarkastisch. ‚Und vielleicht könntest du mich auch das nächste Mal warnen, wenn Arthur in meinem Rücken lauert!’, fügte er an, obwohl ihm bewusst war, dass dieser stille Vorwurf ungerechtfertigt war. Gaius hatte ihn warnen wollen, doch als der Idiot, der er nun einmal war, hatte er die subtilen Hinweise, dass sie nicht alleine waren, nicht zur Kenntnis genommen. Nur half ihm das Selbstmitleid jetzt auch nicht weiter. Wenigstens hatte die Welt aufgehört, sich um ihn zu drehen, und der Schmerz in seinem Kopf war auf ein halbwegs erträgliches Maß gesunken.

    „Merlin? Geht es dir gut?“

    „Ging mir nie besser, Sire“, krächzte Merlin und versuchte gar nicht erst, den ironischen Tonfall in seiner Stimme zu unterdrücken.

    „Na, wenn das so ist, kannst du ja jetzt meine Frage beantworten“, erklärte Arthur süffisant.

    „Sire, ich denke, Merlin sollte sich jetzt ausruhen. Vielleicht könntet Ihr ein andermal wiederkommen ...“

    Merlin wusste zu schätzen, was Gaius hier versuchte, doch das würde das unausweichliche Gespräch nur verschieben, aber keinesfalls aufheben. Bei den unzähligen Jagdausflügen mit Arthur, hatte er gelernt, dass dieser niemals willentlich seine Beute entkommen ließ. Und unglücklicherweise war er nun die Beute – oder besser gesagt, das, was er zu sagen hatte. Er atmete noch einmal tief durch und öffnete wieder seine Augen.

    „Ist schon gut, Gaius“, meinte er ruhig. „Irgendwann muss Arthur es erfahren.“ Merlin sah seinen Mentor fest an, bis dieser endlich mit einem stummen Nicken sein Einverständnis gab.

    „Was muss ich erfahren, Merlin? Was wird hier gespielt?“ Arthurs Stimme klang verwirrt und bedrohlich zugleich.

    Langsam drehte Merlin seinen Kopf, um Arthur in die Augen schauen zu können.

    „Als ich eben von ‚ihr’ gesprochen habe, meinte ich damit ...“ Er hielt inne. Wenn er jetzt den Namen aussprach, gab es kein Zurück mehr. Auf der anderen Seite war es doch genau das, was er schon seit Tagen anstrebte und vielleicht bekam er nie wieder eine solche Gelegenheit.

    „Merlin, ich warte ...“

    „... Morgana!“, platzte er schließlich heraus und wartete dann mit klopfendem Herzen auf eine Reaktion.

    „Entschuldige bitte ...?“ Ungläubig starrte Arthur ihn an.

    „Ich sagte, sie ist Morgana“, wiederholte Merlin nun doch ein wenig irritiert.

    Das habe ich verstanden“, begann Arthur, ein gefährlicher Unterton in seiner Stimme. „Du willst mir also erzählen, dass Morgana, die, wenn mich meine Erinnerung nicht trübt, mindestens einen Kopf kleiner ist als du und außerdem eine Frau, dich erst niedergeschlagen und dann in den Fluss geworfen haben soll? Und das alles, nachdem sie gerade dich – weshalb auch immer – um Hilfe gebeten hat?“

    „Ja“, antwortete Merlin schlicht, bevor ihn plötzlich ein Detail aus Arthurs Zusammenfassung verwirrt die Stirn runzeln ließ. „Aber was heißt ‚in den Fluss’?“
    Er wusste nichts davon, dass er im Fluss gelandet sein sollte.

    „Ich habe dich etwa zehn Meilen stromabwärts von unserem Picknickplatz aus dem Wasser gezogen“, erklärte Arthur ungeduldig. „Morgana hat erzählt, dass sie gesehen hat, wie du beim Kräutersammeln ausgerutscht und dann in den Fluss gestürzt bist. Es tut mir schrecklich leid, aber diese Version der Geschichte hört sich für mich doch wesentlich plausibler an. Wir reden hier immerhin von dir, Merlin.“

    Und obwohl er noch immer mit der Tatsache zu kämpfen hatte, dass Morgana ihn, nachdem sie ihn außer Gefecht gesetzt hatte, zusätzlich auch noch ins Wasser geworfen hatte, konnte sich Merlin an diesem Punkt ein leises, abfälliges Aufschnauben nicht verkneifen. Hatte er denn etwas anderes erwartet? Die ehrliche Antwort darauf lautete nein.

    „Möchtest du vielleicht noch etwas dazu sagen?“, hakte Arthur nach, der sein Aufschnauben offenbar falsch gedeutet hatte.

    „Nur, dass ich die Wahrheit gesagt habe“, entgegnete Merlin mit fester Stimme.

    „Also gut, Merlin, dann erleuchte mich! Welchen Grund könnte Morgana wohl gehabt haben, dich töten zu wollen?“

    Merlin vermutete stark, dass Arthurs Interesse in diesem Moment größtenteils vorgetäuscht war, aber trotzdem gab er bereitwillig Auskunft und wappnete sich im Stillen schon gegen einen erneuten Ausbruch.

    „Weil sie weiß, dass ich ihr und Morgause auf die Schliche gekommen bin. Weil ich weiß, was die beiden getan haben und weil sie befürchten müssen, dass ich mein Wissen weitergebe.“

    „Morgause? Was um Himmels Willen hat Morgause mit der ganzen Sache zu tun?“ Fassungslos starrte Arthur erst Merlin und dann Gaius an. Und Merlin spürte genau, welche Wirkung die Erwähnung dieses Namens auf den Prinzen hatte. Er schien nur mit Mühe den alten Zorn auf die Zauberin in Schach halten zu können.

    „Morgause hat sich mit Morgana verbündet, um Euren Vater zu stürzen und Camelot zu zerstören“, antwortete Gaius jetzt, bevor Merlin selbst auf die Frage reagieren konnte.

    „Seid ihr jetzt beide von allen guten Geistern verlassen? Das ist doch lächerlich!“, begehrte der Prinz auf und erhob sich abrupt von seinem Stuhl. Überreizt begann er, vor dem Bett auf- und abzulaufen.

    „Nein, Sire, es ist leider die Wahrheit“, erwiderte Gaius düster. „Sie haben Euren Vater verzaubert und damit fast in den Wahnsinn getrieben. Und nur deshalb hat Cenred überhaupt die Gelegenheit für einen Angriff nutzen können. Er muss gewusst haben, dass Camelot durch die Krankheit des Königs geschwächt war. Wir gehen davon aus, dass auch er in das Komplott involviert gewesen ist.“

    „Was sagt Ihr da?“ Wie angewurzelt blieb Arthur plötzlich stehen. „Sie haben meinen Vater verzaubert? Morgana soll ...?“

    „Nun, ich nehme an, Morgause hat den Teil der Zauberei übernommen“, unterbrach Gaius ihn schnell und Merlin atmete insgeheim erleichtert auf. So, wie der Prinz im Moment reagierte, war eine schwerwiegende Enthüllung wohl mehr als genug Öl aufs Feuer. Ihm kamen allmählich Zweifel, ob es wirklich das Richtige gewesen war, Arthur von Morgana zu erzählen. Doch nun war es nicht mehr rückgängig zu machen.

    Für ein paar endlos erscheinende Augenblicke sah der Prinz sie nur wortlos an. Dabei wanderte sein Blick immer wieder zwischen Merlin und Gaius hin und her. Und es dauerte nicht lange, bis Merlin sich unter dem kalten, beinahe verachtenden Ausdruck auf Arthurs Gesicht innerlich zu winden begann. Als er schließlich sprach, war sein Tonfall schneidend und unnachgiebig.

    „Falls das, was ihr sagt, tatsächlich der Wahrheit entsprechen sollte, stellt sich mir nur eine Frage ...“ Er machte eine Pause und heftete seinen Blick nun vollends auf Merlin. „Warum hast du mir nichts davon erzählt?“

    „Ich habe es versucht, Sire. Zweimal“, entgegnete Merlin leise. „Aber irgendwie ... es ist kompliziert ...“

    „Spuck es aus!“

    „Ich ...“ Merlin stockte. Unsicher blinzelte er zu Gaius hinüber, der nur unmerklich den Kopf schüttelte. Richtig. Es wäre wahrscheinlich in höchstem Maße unklug, Arthur nun auch noch auf die Nase binden zu wollen, dass er Morgana vergiftet hatte und sie diese Tatsache jetzt dazu benutzte, um sich sein Schweigen zu erpressen. Natürlich hatte er das nur getan, um ganz Camelot vor dem sicheren Untergang zu bewahren. Aber diese Erklärung würde die Frage aufwerfen, woher er gewusst hatte, dass er Morgana hatte töten müssen, um den Rittern von Medhir und damit Morgause Einhalt gebieten zu können. Und das wiederum würde zu einem gewissen Drachen führen; zufällig derselbe Drache, den er später mit Magie aus seinem unterirdischen Verlies befreit hatte, damit dieser seinen Rachegelüsten frönen und halb Camelot in Schutt und Asche hatte legen können. Etwas, das unzähligen Menschen das Leben gekostet hatte. Nein, dies war sicher nicht der richtige Augenblick für die uneingeschränkte Wahrheit. Zumal er nicht wusste, ob er selbst schon dazu bereit war, die Ereignisse, die ihn noch immer in seinen Träumen verfolgten, in aller Ausführlichkeit zu erörtern. Sogar mit Gaius hatte er noch nicht über alles gesprochen, was damals geschehen war. Allerdings ahnte Merlin, dass sein Mentor ohnehin wusste, was er getan hatte.

    Und so antwortete er, als ein bedeutsames Räuspern ihn aus seinen Gedanken riss, nur: „Morgana ist des Königs Mündel und ich lediglich ein Diener. Wer hätte mir geglaubt?“

    „Du hättest es versuchen können“, erwiderte Arthur kühl, doch Merlin hörte auch den Hauch der Enttäuschung, der in seiner Stimme mitschwang. „Nun aber kann ich nur annehmen, dass du deine eigene Unzulänglichkeit mit diesen absurden Lügen übertünchen willst.“

    „Aber, Sire, ich ...“

    „Nein, Merlin, vergiss es.“ Arthur wich seinem flehenden Blick aus und sah aus dem kleinen Fenster auf der anderen Seite des Labors. „Es ist spät. Du hast eine Kopfverletzung und wahrscheinlich auch noch Fieber. Ich werde zu deinen Gunsten davon ausgehen, dass du nicht bei klarem Verstand bist und nicht weißt, was du sagst. Und was Euch angeht, Gaius, so kann ich nur annehmen, dass Ihr Merlins Lügen durch Euer Alter und Eure Zuneigung zu ihm nur allzu leichtfertig Glauben schenkt“, erklärte Arthur mit ausdrucksloser Miene. Und es war diese berechnende Gleichgültigkeit, die Merlin tief erschütterte. Mit Wut, Zorn, ja selbst mit offener Verachtung hätte er umgehen können, aber das ...?

    „Arthur, bitte ...“

    „Ich werde für den Augenblick davon absehen, dem König von euren infamen Unterstellungen zu berichten und euch Zeit geben, das Gesagte zu überdenken. Nutzt diese Zeit gut“, beendete der Prinz ungerührt seine kleine Rede und verließ dann ohne ein Wort des Abschieds das Labor.

    „Arthur!“

    Verzweifelt versuchte Merlin, die Decken, in die er noch immer eingewickelt war, abzustreifen und dabei gleichzeitig das immer stärker werdende Hämmern in seinem Kopf zu ignorieren.

    „Merlin, bitte beruhige dich“, bat Gaius eindringlich und drückte ihn mit sanfter Gewalt zurück auf das Bett.

    „Aber ich muss mit ihm reden, ich muss es ihm erklären, ich ...“ Schwer atmend brach Merlin ab, der quälende Schmerz in seinem Schädel raubte ihm fast das Bewusstsein.

    „Merlin, glaub mir, wir sind nicht die Einzigen, die über das Gesagte nachdenken werden“, fuhr sein Mentor fast beschwörend fort. „Arthur ähnelt in vielerlei Hinsicht seinem Vater, und ebenso wie es Uther oftmals getan hat, wird auch Arthur unsere Worte reflektieren und die Dinge zu gegebener Zeit hinterfragen. Lass ihm diese Zeit, Merlin.“

    „Bist ... bist du sicher?“, fragte Merlin erschöpft. Er hatte den Kampf gegen die Laken aufgegeben und ließ sich nun kraftlos auf das Bett zurücksinken.

    „Ganz sicher, Merlin“, antwortete Gaius und lächelte ihn aufmunternd an. „Schlaf jetzt, mein Junge.“

    Fügsam schloss Merlin die Augen und war eingeschlafen, noch bevor er einen Gedanken daran verschwenden konnte, wie er nach diesem Debakel überhaupt Schlaf finden sollte.


    to be continued

  12. Danke sagten:


  13. #10
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