KAPITEL 1:
TAG 1
Keine Erholung
Der nächste Tag verlief wie die bisherigen auf diesem Planeten. Jeder war beschäftigt. Es galt, das Lager zu verbessern, noch mehr Holz zu sammeln, die Gegend zu erkunden, Nahrung zu suchen und so weiter und so weiter. Natürlich war auch Young wieder voll bei der Sache. Allerdings fühlte er sich nicht wirklich gut. Ihm war schon beim Aufstehen reichlich warm gewesen und die innere Unruhe der vergangen Nacht hatte ebenfalls Spuren hinterlassen. Er fühlte sich schlapp und müde. Dazu kam, dass sein Bein immer schmerzempfindlicher wurde. Aber wie es seine Art war, ignorierte er alles, ließ sich nichts anmerken und schuftete noch mehr wie die anderen.
Zum Nachmittag hin wurde es noch schlimmer. Young schob seine innere Hitze auf die Schufterei. Den ganzen Tag über hatte er wieder Holz gehackt - fürs Feuer und bessere Unterkünfte - war sonst wohin und rauf geklettert um was auch immer zu bekommen, hatte geschleppt was es zu schleppen gab, hatte zwischendurch erledigte Aufgaben abgenommen und neue Aufgaben verteilt - kurz gesagt, für eine Pause war überhaupt keine Zeit geblieben.
Irgendwann, er hatte gerade wieder Scott, Brody und James mit Frischholz ins Camp geschickt, hockte er sich völlig aus der Puste hin und trank aus seiner Flasche. „Verdammt, ist mir warm“, gestand er sich ein. „Wie können die anderen noch in voller Montur arbeiten…?“ Nachdenklich zog er wieder sein Hosenbein hoch, um sein Schienbein zu begutachten. Er hatte sich den ganzen Tag lang schon zusammen gerissen, um nicht zu humpeln. „Scheiße…“ Die Wunde war noch druckempfindlicher geworden, strahlte Wärme aus und war rund etwas angeschwollen. Zaghaft berührte Young die Naht und zuckte heftig zusammen. Sich den Schweiß von der Stirn wischend, begann er plötzlich zu frieren. „Was ist denn nun los…?“ Wie in der Nacht packte ihn wieder die Unruhe. Young schaute sich um. Aber niemand war da. Gott sei Dank war er noch immer allein. Die anderen durften nicht sehen, dass es ihm nicht gut ging. Als Vorgesetzter durfte er nicht wegen solch einer Kleinigkeit ausfallen. So eine kleine Wunde konnte ihn nicht umhauen. Ganz sicher nicht. Erneut wischte er sich den Schweiß vom Gesicht, der sich schon wieder gebildet hatte. Und das, obwohl er sich seine dickste Winterjacke wünschte, so kalt wie ihm war. Hastig nahm er noch einen weiteren Schluck aus seiner Flasche bis diese leer war. „Das auch noch…“ Als er hörte, wie sich Scott und James gut amüsiert wieder näherten, schob er seine Gedanken schnell beiseite, zog das Hosenbein wieder runter, sprang auf und tat so als wäre alles in bester Ordnung. Genug geschwächelt.
Einige Stunden später hatte sich Youngs Zustand noch mehr verschlechtert. Während er mit anderen zusammen gearbeitet hatte, hatte er immer mal die doppelte Anzahl der Leute gesehen, die um ihn herum wuselten. Erst hatte er geglaubt, es würde an dem Schweiß liegen, der ihm in die Augen tropfte. Aber als es sich wiederholte und ihm schon nach kurzen Momenten des Innehaltens eiskalt wurde, beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Getrunken hatte er schon lange nichts mehr. Dementsprechend groß war sein Wunsch nach was Flüssigem. Und die erste Stelle, die ihm einfiel, war der See, der ganz in der Nähe plätscherte. In der Hoffnung so etwas Zeit für sich allein zu finden, entschuldigte er sich und steuerte den Bach an. Niemand ahnte, dass es dem Colonel nicht gut ging. Er hatte es vor allen geheim halten können.
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Am See
Young hoffte vom Wald aus die kürzeste Strecke zum See zu finden. Jetzt, so allein, konnte er endlich dem Schmerz in seinem rechten Bein nachgeben und begann zu humpeln. Young fühlte sich immer elendiger und irgendwann war sein Blick so vernebelt und er so verwirrt, dass er nur noch raten konnte wo der richtige Weg entlang führte. Ihm war, als würde er in einer Sauna wandern, so heiß war ihm. Young stolperte weiter, konnte sein rechtes Bein kaum noch belasten. Es brannte. Und wie es brannte. Immer weiter bahnte er sich den Weg durch den Wald. Warum hatte er Idiot sich vorhin nicht einfach etwas Wasser von Scott oder jemand anderen geborgt? Er hätte sich doch diese Müherei ersparen können! Aber am Bach gab es auch Wasser. Also musste er dorthin. Youngs Gedanken gingen kreuz und quer.
„Sie wissen, dass das ne richtig blöde Idee ist?“, sagte plötzlich jemand.
Schweißgebadet und mit rasendem Herz blieb Young stehen und schaute sich um. Aber da war niemand. „Hallo?“ Young lauschte eine Weile. Nichts. Nur das Rascheln des Waldes. Dann schüttelte er den Kopf und stolperte weiter. Er musste sich verhört haben, ganz klar.
„Sie sollten zurückgehen.“
Wieder diese Stimme! Der Colonel hielt erneut inne und schaute sich um. Aber in der aufkommenden Dämmerung war niemand zu sehen. Dazu kam das Gefühl, durch gewelltes Glas zu blicken. „Hallo? Ist da wer?“ Aber wieder kam keine Antwort. Young hätte schwören können, dass da jemand etwas gesagt hätte! Völlig verwirrt, kaum noch fähig sich vor Kraftlosigkeit auf den Beinen zu halten aber den See endlich im Blick, arbeitete Young sich weiter vorwärts. Der Durst wurde immer unerträglicher.
„Drehen Sie um und gehen Sie zurück ins Camp, Colonel!“
Mit einem Male erkannte Young die Stimme. Der Tonfall war scharf und eindeutig, aber genauso ruhig und bedacht. Er kannte nur einen Menschen, der so eine Tonlage drauf hatte. Erst recht ihm gegenüber. „Rush? Sind Sie das?“ Völlig verwirrt blieb Young stehen, hielt sich das bis oben hin pochende Bein und wischte sich über die Augen. Und dann sah er ihn! Dr. Nicholas Rush. Aber, Rush war doch tot…. war doch…. Das konnte nicht sein. Aber es war so. Youngs verschwommener Blick erfasste Rush und Young taumelte unsicher weiter. Er konnte es kaum glauben. Rush schien ihm das letzte Stück bis zum See deuten zu wollen.
„Haben Sie mich nicht verstanden?“
Nicht mehr fähig, einen klaren Gedanken fassen zu können, stolperte Young über einen Ast, fiel der Länge nach hin und verzog das Gesicht. Sein Hirn ließ ihn nur noch an das eine denken. „Wasser…“ Young war, als würde er innerlich austrocknen. Verzweifelt hob er den Kopf. Sein Blick fiel wieder auf Rush. Der schien jetzt mit hoch gekrempelten Hosenbeinen im Wasser zu stehen und wild zu gestikulieren, als wäre etwas nicht in Ordnung.
„Colonel! Stehen Sie gefälligst auf! Sie müssen zurück, hören Sie!“
Nur mit großer Kraftanstrengung gelang es Young, wieder hoch zu kommen. „Wasser…“ Seine Stimme war nur noch ein Murmeln. Den Blick starr auf den rettenden See gerichtet, schlurfte er die letzten Meter durch den Sand. Sein rechtes Schienbein brannte so sehr, dass er es mehr hinter sich herzog als vernünftig aufzutreten. Er schaffte es gerade bis zur Wasserkante, dann fiel er erneut vorn über und versenkte den Kopf kraftlos im kühlen Nass. Rushs traurigen Blick konnte er nicht sehen.
Es schien einige Zeit vergangen zu sein, als Young wieder etwas hörte.
„Colonel…“, sprach Rush ihn an, „Colonel!“
Erschrocken hob Young den Kopf und rieb sich die Augen. Und dann erkannte er wieder, wer zu ihm sprach. „Rush… was?” Der Colonel hatte das Gefühl, dass Rush mitten im Bach auf (!) dem Wasser stehen würde. Aber das war ihm egal. Rush war hier, tatsächlich und leibhaftig. Er war also nicht tot, sondern sehr lebendig! Auch wenn er seine Differenzen mit dem Wissenschaftler hatte, aber das der Mann nun lebend vor ihm war, das erfreute ihn doch. Young wollte weiter zu ihm.
Während Young immer weiter ins Wasser ging, sagte er: „Rush, sie verdammter Hund! Sie leben! Sie haben ja keine Ahnung was für Sorgen wir uns um Sie gemacht haben! Wir hatten schon gedacht Sie endgültig abschreiben zu können.“ Doch der Wissenschaftler sagte nichts mehr. Er starrte den Colonel einfach nur an.
Durch die plötzliche Stille irritiert, schaute Young auf. „Rush?“ Doch der Wissenschaftler war nicht mehr da. „Rush? Wo… wo sind Sie?“ Young war mittlerweile bis zu den Knien im Wasser. Mühsam drehte er sich um sich selbst, suchte nach dem Mann, den er eben doch noch gesehen hatte. „Rush? Das ist jetzt nicht lustig!“ Dann zwangen ihn die leichte Strömung und eine plötzliche Schwindelattacke in die Knie. Young drohte das Gleichgewicht zu verlieren, und vom Wasser mitgerissen zu werden.
„Sie hätten auf mich hören sollen und zurück zum Camp gehen sollen“, hörte er auf einmal wieder die besorgte Stimme Rushs.
Young suchte nach der Quelle, nach dem Punkt, von wo aus der Wissenschaftler zu ihm gesprochen hatte. Aber da war nichts, oder doch? Völlig verwirrt stapfte Young durchs Wasser. Sein Herz schien doppelt so schnell zu pumpen wie gewöhnlich. „Rush?“ Da! War er da eben nicht am Ufer gestanden? Irgendwie mühte sich Young Richtung Ufer.
„Helfen Sie….“ Youngs Blick verschwamm. Kraftlos sank er auf den feuchten Boden, das Gesicht halb im Sand, und blieb regungslos liegen.
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Der Fund
Es war bereits Abend, als auch die Letzten wieder im Camp eintrudelten. Für heute war genug gearbeitet worden. Kleine Grüppchen versammelten sich um die Lagerfeuer. Es war Zeit fürs Abendessen. Es gab irgendwas, was an Hase erinnerte. Scott biss genüsslich in sein Stück, als Chloe fragte: „Wo steckt eigentlich der Colonel?“
„Der kommt bestimmt auch gleich. Ist wieder der Letzte, der aufhört“, stichelte Brody. Camile sah besorgt in die Runde. „Ist euch auch aufgefallen, wie blass er heute aussah? So wie ich es sehe, könnten alle mal einen freien Tag gebrauchen.“ Die Unterhaltung ging noch eine ganze Weile.
Als alle fertig waren, sprang Lisa Park auf. „So, Kinder. Ich hol noch mal frisches Wasser. Hat wer Lust mitzukommen?“
„Ich geh mit“, meldete sich Greer breit grinsend, als er gerade Steine ablud, die er als Begrenzung für das Lagerfeuer geholt hatte. TJ musste lachen: „Warum wundert mich das jetzt nicht…“ Greer zwinkerte ihr zu und rannte Lisa hinterher, die schon losmarschiert war.
Sich gegenseitig mit den gebastelten Holzeimern neckend, schlenderte das junge Glück zum See. Nichts ahnend, was sie dort erwartete. Bis Lisa plötzlich in ihrer Bewegung stockte. „Ron?“
Der sah sie, noch immer amüsiert, an. „Was denn? So böse war der Witz doch gar nicht.“ „Ron! Sieh mal da unten!“ Greer folgte ihrem Blick und seine Miene wurde wieder ernst. Da unten, halb im Wasser und vom selbigen immer wieder umspült werdend, lag ein Mann. „Colonel Young!“, rief Greer aufgebracht und stürmte ans Ufer. Park hinterher.
Unten angekommen, ging Greer in die Knie und drehte den regungslosen Offizier um. Eine Gesichtshälfte war teilweise mit Sand bedeckt. Hastig packte er Young an den Armen und zog ihn komplett aus dem Wasser. Als Lisa bei Greer angekommen war, rang sie um Luft, bekam es mit der Angst. „Ist er… ist er…“
„Hol die anderen, Lisa! Schnell!“ Sofort raste die Wissenschaftlerin Richtung Camp. Die Eimer ließ sie einfach bei Ron liegen. Greer kümmerte sich inzwischen um seinen Vorgesetzten. Young hatte ordentlich Wasser geschluckt, das nun wieder raus musste. „Nun kommen Sie schon, machen Sie mir keinen Ärger, Colonel.“
Kurz darauf kam Lisa zurück. Mit TJ und Scott im Schlepptau. Vanessa James, Camile, Varro, Eli und Brody waren im Camp geblieben, damit nicht noch mehr Unruhe aufkam. Die Sanitäterin ließ sich neben Young nieder und fühlte dessen Puls. „Was hat er sich nur dabei gedacht?“, fluchte sie, als Youngs Augenlider flackerten. „Everett! Everett, kannst du mich hören?“
„TJ…“ Young spuckte etwas Wasser, hustete und rang nach Luft.
„Es wird alles gut, keine Sorge“, sprach sie ihm gut zu. Um es dem Colonel etwas zu erleichtern, nahm Greer dessen Kopf und bettete ihn in seine Arme.
„TJ, ich hab Rush gesehen…“, brachte Young mühsam hervor als er endlich wieder genug Luft hatte, „ er ist hier…. Irgendwo.“
TJ tauschte Blicke mit den andern. Dann wandte sie sich stirnrunzelnd wieder dem Colonel zu: „Everett, Rush ist nicht hier. Das weißt du doch. Er ist…. Er ist nicht hier.“
„Aber er hat mit mir geredet, TJ.“ Young hustete erneut.
„Was hat er gesagt?“, fragte Scott, während die Sanitäterin Young weiter untersuchte, der alles über sich ergehen ließ. Er war viel zu matt, um sich zu beschweren.
„Er hat gesagt…. gesagt, ich solle zurück zum Camp“, brachte Young mühsam hervor.
„Dann frag ich mich, warum du nicht auf ihn gehört hast!“, schalt die Sanitäterin ihn keine Sekunde später.
„TJ…. ich bin nicht verrückt… er war wirklich da…“, beteuerte Young, bevor er nochmal husten musste.
„Ich hab auch nie gesagt, dass du verrückt bist, Everett.“
Als TJ auf sein rechtes Bein fasste, stöhnte der Colonel schmerzhaft auf. Sie sah ihn skeptisch an und entschied sein Hosenbein aufzuschneiden, um nachzusehen. „Herzlichen Glückwunsch, mein Bester. Da hast du ja ganze Arbeit geleistet.“ Die genähte Wunde war wieder ein Stückchen aufgeplatzt, schimmerte in einem schicken Rot, genauso wie ein großflächiger Bereich drum herum. Und geschwollen war es auch noch. Young hob seinen Kopf an um zu sehen was TJ da machte, doch Greer drückte ihn einfach wieder runter. Zudem legte Scott noch seine Hand auf seine Brust um ihm klar zu machen, dass sie ihn nicht hoch lassen würden.
„Hey!“, maulte Young, gab sich dann aber doch geschlagen. TJ untersuchte das Schienbein, wollte wissen, ab wo ein Druckschmerz kam. „Au! Lass das!“, muckte Young schon bald wieder auf.
„Everett, was hast du da nur angestellt, verdammt!“, fluchte sie. Ihre Stimmung sank tief in den Keller. Greer, Lisa Park und Scott schauten sie fragen an, während TJ Youngs Stirn fühlte. „Du hast Fieber. Hohes Fieber. Wahrscheinlich glaubst du auch deswegen, Rush gesehen zu haben.“ Young wollte etwas erwidern, doch TJ ließ ihm gar nicht die Zeit dazu.
„Ron, Matt? Meint ihr, ihn bis ins Camp zu bekommen?“
Die Männer bejahten und halfen Young auf die Beine. Der drohte vor Schwäche prompt wieder zusammenzusacken. Also nahmen die zwei Soldaten Young in ihre Mitte und legten sich dessen Arme um die Schultern. „Na kommen Sie, Colonel. Ab ins Lager mit Ihnen“, sprach Scott seinem Vorgesetzten zu, dem der Kopf kraftlos vorn über hing. Langsam und bedacht machten sie sich auf den Rückweg. Lisa und TJ schnappten sich die Eimer - das Wasser durfte ja trotz aller Aufregung nicht vergessen werden.
Im Camp angekommen, verfrachteten sie Young direkt in dessen Nachtlager und versorgten ihn. TJ blieb noch eine Weile bei ihm, verband sein Bein und lagerte es etwas erhöht. „Immer wieder was Neues“, murmelte Camile kopfschüttelnd als man sie informiert hatte. Dann kam auch TJ dazu.
„Und?“, schauten sie alle beistehenden fragend an.
„Die Wunde ist wieder etwas offen und hat sich entzündet. Wer weiß, wie sein Bein im Wasser gelegen hat. Förderlich war es jedenfalls nicht. Dazu hat er Fieber. Ich kann nur hoffen, dass die Medikamente anschlagen, die ich Gott sei Dank noch hatte.“
Chloe stutze: „Worauf willst du hinaus, TJ?“
Die Sanitäterin ließ sich erschöpft auf die kleine Holzbank nieder, die vor drei Tagen gebaut worden war. „Wenn wir Pech haben, bekommt er eine Blutvergiftung… wenn es nicht schon so ist.“ Geschockt mussten auch die anderen sich setzen. Wenn es wirklich so kam, standen unruhige Zeiten bevor.
Fortsetzung folgt...