Hier ist mein Beitrag für die "Nebel-Challenge" von Kris. Weil es ein wenig *g* länger geworden ist, habe ich die FF geteilt und werde sie in den nächsten Tage posten, aber bis zum 11.2. bin ich fertig. Ich habe alle Wörter und Sätze untergebracht, aber nicht besonders gekennzeichnet. So, und nun geht es los.
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Titel: Der Nebel (1/5)
Autor: Antares
Serie: SGA
Pairing: John/Rodney
Rating: PG (im letzten Kapitel R)
Staffel: 4
Inhalt: Sheppard und McKay sitzen auf einem Planeten fest und die Zeit läuft ihnen davon.
Beta: Besten Dank an Sinaida für all die tollen Vorschläge!
Feedback: Sehr gerne!
Cover: John Sheppard trifft auf C. D. Friedrich: „Wanderer über dem Nebelmeer“(um 1818)
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Das Cover in Großformat: http://i137.photobucket.com/albums/q...oversigned.jpg
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John Sheppard stand auf einer kleinen Anhöhe und blickte in das Tal, durch das sich ein breiter, braun-grüner Fluss schlängelte. Nebelschwaden lagen über dem Wasser, das wärmer war als die Umgebungstemperatur und tauchten die Landschaft in ein unwirkliches Licht. Noch stand John in der Sonne, aber der glutrote Ball verhieß, dass sie in den nächsten Minuten untergehen und die Dämmerung immer näher an ihn herankommen würde.
Gerade als er sich abwenden wollte um zurückzugehen, sah er, dass der Nebel, der hinter dem Fluss lag, heute anders als sonst aussah. Dichter. Fester. Mehr wie eine Wand aus Watte, die jetzt schon fast das ganze nördliche Tal einnahm und sich langsam den Hügel hinaufarbeitete. Von der einen auf die andere Sekunde hatte die Szenerie nichts mehr von einem „romantischen“ Sonnenuntergang mit dahinwehenden Abendnebeln an sich, sondern wirkte bedrohlich.
Lautlos aber unaufhaltsam kroch die grau-weiße Front den Hügel hinauf, alles verschluckend, vom Sonnenlicht bis zu den Baumriesen. Vielleicht war es seine Einbildung, vielleicht war es wirklich so, aber auch die Geräusche des Waldes und des Wassers, die bis gerade noch einen stetigen Hintergrund aus Gezwitscher, Gemurmel und Geraschel gebildet hatte, klangen gedämpfter. Zu dem alles verschlingenden Nebel gesellte sich eine Lautlosigkeit, die John einen eiskalten Schauder über den Rücken jagte.
Es war soweit. Er war sich jetzt absolut sicher. Noch einmal holte er tief Luft, dann rannte er los, um Rodney zu warnen. Geschickt wich er niedrig hängenden Zweigen aus, kletterte über umgestürzte Bäume und umrundete Felsbrocken. Er nahm keine Rücksicht auf die pochenden Schmerzen in seinem Knöchel, die mit jedem Schritt stärker wurden. Er kannte den Weg mittlerweile fast wie im Schlaf, wusste genau, welche Biegung als nächstes kam. Er atmete ruhig und tief durch, schonte aber seine Kräfte nicht. Bereits nach einer viertel Stunde kam die kleine Siedlung in Sicht und John atmete erleichtert auf. Keine neue persönliche Bestzeit, das war mit seinem bandagierten Knöchel nicht möglich, aber er war zufrieden mit sich. Er wollte sich nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn er von dem Nebel draußen überrascht worden wäre.
John öffnete die Tür des Hauses in dem sie wohnten mit mehr Schwung als nötig und humpelte herein. Rodney schaute von dem Schreibtisch, an dem er saß, hoch. Er schien in Johns Blicken lesen zu können, denn ruckartig sprang er auf, warf dabei seinen Stuhl um, der laut zu Boden krachte und fragte mit sich fast überschlagender Stimme: „Ist es soweit?“
„Ja“, japste John. Er stemmte die Arme in die Seiten und holte tief Luft. „Das ist kein normaler Nebel, der da aufzieht.“
„Verdammt, verdammt, verdammt. Ich habe noch längst nicht alles fertig! Das geht doch viel zu schnell. Ich dachte, wir hätten noch Wochen, wenigstens aber Tage.“ Während Rodney jammerte, lief er auf und ab, bis John sich ihm in den Weg stellte und somit seine Wanderung effektiv unterbrach.
„Rodney, wir haben alles getan, was wir konnten“, meinte er immer noch leicht atemlos. „Jetzt bleiben uns vielleicht noch zwei Stunden, würde ich schätzen.“ Mit beiden Händen umfasste er Rodneys Oberarme und schüttelte ihn leicht. „Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Ja, es ist früher als gehofft, aber wir sind vorbereitet. Schau dich doch um.“ Mit seiner linken Hand machte er eine Geste, die das ganze Zimmer einschloss. „Es wird ganz anders sein, als beim ersten Mal, versprochen…“
* * *
Er erwachte mit einem leicht dröhnenden Schädel. Oh Mann, womit hatte man jetzt schon wieder auf ihn gezielt? Wer hatte ihm was über den Kopf gebraten? Blinzend öffnete er ein Auge und schaute sich um. Ein einfach eingerichtetes, altmodisches Zimmer mit niedriger Decke. Ein Tisch, vier Stühle, Schränke, Bücher. Langsam setzte er sich auf und glücklicherweise nahm das Hämmern in seinem Kopf nicht mit jedem Zentimeter, den er sich in die Senkrechte begab, zu. Nein, eher das Gegenteil war der Fall, seine leicht verschwommene Sicht wurde klarer, seine Umgebung bekam wieder Kontur. Auch wenn ihm das nicht viel nützte, denn er hatte nicht den blassesten Schimmer, wo er sich befand.
„Hi.“ Erschrocken drehte er sich um, als er dieses eine Wort hörte, denn er hatte angenommen, dass er allein war. Dieses ‚Hi’ kam von seiner rechten Seite.
Dort saß ein anderer Mann auf dem Fußboden, ganz in schwarz gekleidet und lächelte ihn freundlich an.
„Hi. Ich bin … bin …Ich heiße … “ Oh, Gott! Er wusste nicht wer er war! Er hatte einen Namen und der lag ihm auch auf der Zunge – aber er konnte dieses Wort nicht zu fassen kriegen. „Mein Name ist …“, begann er noch einmal. Aber immer, wenn er dachte, er könnte es sagen, entzog es sich ihm. Er spürte eine Welle von Panik heranbranden, denn wenn man nicht mehr wusste, wer man war, war das nicht gut. Gar nicht gut.
„Mir geht es genauso“, beruhigte ihn der Fremde, der sein Stammeln offensichtlich richtig interpretiert hatte. „Ich weiß nur … irgendwie … dass ich in meinem richtigen Körper stecke. Keine Ahnung, warum ich auf den Gedanken komme, ich könnte nicht ich sein, aber es ist so. Aber wie gesagt: Entwarnung, ich bin ich.“ Der Fremde schüttelte den Kopf, wie als wolle er die Spinnweben darin zerreißen.
„Was?“ Er versuchte zu sortieren, was der Fremde da gerade gesagt hatte. Obwohl … ‚Fremder’ war nicht ganz richtig. Er hatte den Fremden schon mal gesehen, da war er sich sicher. Schwarze Hose, schwarzes T-Shirt, schwarzes, unordentliches Haar – doch, das kam ihm alles bekannt vor. Und seine erste Reaktion war auch nicht Angst oder Vorsicht, sondern Vertrauen gewesen. Er wusste, dass dieser Unbekannte … zu den Guten und nicht zu den Bösen gehörte. Aber auch er konnte dem anderen Mann keinen Namen geben. „Dann beruhigt es Sie ja wahrscheinlich zu erfahren, dass ich auch ich bin“, bemerkte er stattdessen schnippisch.
„Yep.“ Der Schwarzgekleidete grinste, ging auf die Knie und stemmte sich vorsichtig hoch, indem er sich mit der Hand an der Anrichte zu seiner Linken festhielt. „Puh, habe ich einen Brummschädel.“
Er konnte unmöglich sitzen, wenn der Andere stand, also sah er zu, dass er auch auf die Beine kam. „Das ist fürchterlich! Ich meine, wie soll ich arbeiten, wenn ich nicht mal weiß, wie ich heiße? Wissen Sie, was das bedeutet, all mein umfangreiches Können ist irgendwo da drin“, er tippte sich heftig an den Kopf, „Verschollen. Begraben. Weg. Unabrufbar.“
„Wir werden schon noch drauf kommen“, versuchte ihn der andere Mann zu beruhigen.
Doch so leicht war er nicht zu beruhigen. Stakkatoartig schossen die nächsten Fragen aus ihm heraus: „Wo sind wir hier? Was ist das? Sind wir allein? Seit wann sind wir hier? Und warum haben wir Gedächtnislücken, groß wie ein Wurmloch?“
Der andere Mann verwuschelte seine Haare noch mehr, als er mit der Hand hindurchfuhr. „Keine Ahnung, wo und warum wir hier sind. Aber mein Gehirn schlägt vor, dass zu Wurmloch Stargate gehört – was auch immer das ist.“
„Ja!“ Er schaute den Sprecher überrascht an. „Das ist richtig. Wir … wir haben etwas damit zu tun. Wir … das würde auch unsere Uniformen erklären. Oder nicht?“, stellte er seine These wieder in Frage.
„Doch.“
„Jim? Jack? George?“, versuchte er.
„Nein …“ Der andere Mann schien die Namen im Kopf auszuprobieren. „Das klingt alles falsch. Aber warten Sie, ich erinnere mich da an was.“ Er fummelte an seiner Weste herum und zog dann an einer silbernen Kette zwei kleine Schildchen hervor. „Lieutenant Colonel John Sheppard“, las er voller Befriedigung vor – und es klang absolut richtig.
Eine Minute später wusste Rodney, dass er Dr. Rodney McKay hieß und auf etliche Dinge allergisch war, ganz besonders auf Zitronen. Das alles stand auf einer Marke, die er ebenfalls unter der Kleidung trug, auch wenn sie anders war als Sheppards und weit mehr Angaben enthielt.
Colonel Sheppard streckte ihm die Hand hin: „Freut mich, Sie kennen zu lernen, Dr. McKay.“
McKay ergriff die Hand und schüttelte sie – ganz korrekt fühlte sich das nicht an. Sie schienen sonst einen anderen Umgang zu pflegen.
„Schön Sie kennenzulernen, Colonel Sheppard. Dann bleibt ja nur noch die Frage zu klären, was wir hier machen, und warum unser Hirn so blank ist wie eine neu formatierte Festplatte.“
Sie schauten sich im Zimmer um und entdeckten Dinge, die alt und Dinge, die neu aussahen. Für alltägliche Sachen, wie Tische, Bänke, Teller, Bücher waren die Wörter sofort da. Manche von den offensichtlich neuen Gegenständen konnten sie jedoch nicht gleich benennen. Rodney wusste zwar auch sofort, dass der rechteckige Kasten ein ‚Computer’ war, aber in diesem Augenblick konnte er nicht sagen, wie er funktionierte.
„Mist, verdammter. Alle komplexeren Informationen scheinen irgendwie unabrufbar“, schimpfte McKay und hämmerte ziellos auf den Tasten mit den Buchstaben herum.
„Kommen Sie“, meinte Sheppard. „Gehen wir mal vor die Tür und schauen wir, wo wir hier sind. Vielleicht erkennen wir etwas wieder.“
Als sie vor die Tür traten, sahen sie eine Ansammlung von vielleicht zwanzig ein- und zweigeschossige Gebäuden in mehr oder minder gutem Zustand. Bei einigen waren die Dächer eingestürzt, bei einigen die Fensterscheiben zerbrochen. Das Haus, bei dem sie jetzt auf der Veranda standen, war mit am besten erhalten. Auch hier bröckelte die Farbe ab und im zweiten Stock hing ein Fenster schief im Rahmen. Aber alles in allem wirkte es nicht einsturzgefährdet und auch einigermaßen gepflegt. In denselben rotbraunen Erdtönen wie die anderen Häuser gestrichen, hatte es als einziges eine überdachte Veranda an der Vorderseite. Wenn es hier Klassenunterschiede gegeben hatte, war dies wohl das Haus des Dorfvorstehers oder wie immer er oder sie sich genannt haben mochten, gewesen.
Die kleine Ortschaft wurde von einem dichten Wald umgeben, Bäume, so weit das Auge reichte. Nadelbäume, Laubbäume und Buschwerk. Zur Linken sahen sie eine Lichtung, die langsam von hohen Gräsern zugewuchert wurde und einen Brunnen beherbergte. Überall waren die Spuren des Verfalls unübersehbar, die Natur hatte schon wieder fast alle freien Flächen zurück erobert.
Sie schlenderten die staubige Straße, die den Ort durchzog, einmal rauf und dann wieder herunter. Sie spähten in einige Wohnungen hinein und versuchten alles zu verstehen, was sie sahen und in einen Zusammenhang zu bringen mit den spärlichen Informationen, die sie bereits über sich selbst hatten. Aber es machte nicht ‚Klick’ und die ganz große Erleuchtung blieb aus. Es war ihnen nur klar, dass dies nicht ihre ständige Heimat war.
„Wir waren wir hier auf einer Mission. Wir wollten etwas herausfinden – und dann … Flatsch, Ende, Aus – und mein Gehirn liefert nichts mehr. Das ist doch wirklich zum Verrücktwerden“, beschwerte sich McKay, als keiner der Gegenstände, die er anfasste, irgendeinen Schalter in seinem Gehirn umlegte, der ihm sein Wissen mit einem Schlag wieder zurück gab.
„Wir sollten systematisch vorgehen. Es gibt hier doch Unmengen von Büchern. Mal sehen, was die uns verraten“, schlug Sheppard vor und gemeinsam gingen sie zu dem Haus zurück, in dem sie aufgewacht waren ...
* * *
„Ich will auch sehr hoffen, dass es anders ist als beim ersten Mal! Das war ja schrecklich. Alleine die Zeit, die wir damit verplempert haben, herauszufinden, wer wir sind.“ Rodney seufzte tief auf.
„Das ging doch noch überraschend schnell. Schlimmer waren doch die ersten beiden Wochen. Das war wirklich frustrierend.“
Rodney schubste John sanft zu einem Stuhl und zwang ihn sein linkes Bein hochzulegen. Dann machte er sich daran, den Verband am Knöchel abzuwickeln.
„Du hast es viel zu sehr belastet.“ Tadelnd drückte er vorsichtig auf die Schwellung.
„Au!“
„Bleib hier sitzen, ich hole einen kalten Lappen.“
„Danke. Aber du wirst verstehen, dass ich so schnell wie möglich zurück musste.“
„Ja. Ob du jedoch überhaupt hättest gehen sollen, wollen wir jetzt nicht diskutieren.“ Rodney kam mit einem feuchten Lappen zurück und legte ihn auf Sheppards Knöchel.
„So sind wir vorgewarnt, Rodney.“
„Dickkopf.“
Sheppard grinste mit zusammengebissenen Zähnen. „Danke, Doktor.“
Rodney schaute leidend gen Zimmerdecke.
„Es wird dieses Mal einfacher. Glaub’ mir.“ John streckte seine Hand aus, um Rodneys Schulter zu tätscheln.
„Wenigstens wussten wir noch so grundlegende Dinge, wie dass man Essen muss, um nicht zu verhungern.“ Rodney setzte sich zu John und biss in einen Apfel, den er sich aus der Küche mitgebracht hatte.
„Ja, Rodney. Gut, dass es deinen Magen gibt. Auf den ist Verlass.“ John klopfte anerkennend auf Rodneys Bauch. …
* * *
Die ersten beiden Tage ernährten sie sich von dem Obst, das die Bäume und Sträucher, die überall in den Gärten standen, trugen. Schmackhafte Früchte, denen sie aber keinen Namen geben konnten, bis sie ein Buch fanden, das genau das tat. Jede Frucht war ordentlich gemalt, von verschiedenen Seiten, mit Blüten und Blättern und sorgfältig beschriftet.
„Na, wenigstens haben sie auf die Erziehung ihrer Kinder Wert gelegt. Es gibt hier in jedem Haus diese Bilderbücher. Das ist doch sehr praktisch.“
„Mein Magen sagt mir aber auch, dass ich nicht dazu geboren wurde, immer nur Obst zu essen“, nörgelte Rodney.
Dann hatte er plötzlich eine Idee. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir ohne Verpflegung auf diese Mission gegangen sind.“ Er suchte noch einmal den Inhalt des Rucksacks durch, den er achtlos auf den Boden geschüttet hatte. Jetzt schenkte er auch der hellbraun-beigen Tüte mehr als einen Blick und las erfreut: „Spaghetti mit Fleisch und Sauce.“
Begeistert hielt er die Tüte in die Höhe. „Essensfertig!“
„Los, probieren wir es aus.“
Sie erwärmten das Gericht, setzten sich auf die Treppe vor ‚ihrem’ Haus in die Sonne und schon die ersten Bissen brachten mit dem Geschmack eine Flut von Erinnerungen zurück.
„Klingt es blöde, wenn ich sage, dass ich mich an eine … fliegende Stadt erinnere?“, fragte John zwischen zwei Bissen vorsichtig an.
„Fliegende St…?“ begann Rodney sarkastisch, als er innehielt und triumphierend rief: „JA! Genau! Türme, Wasser, buntes Glas, ich … “
„Atlantis“, gab John diesem gemeinsamen Bild einen Namen.
„Atlantis“, versuchte auch Rodney den Klang des Namens und nickte heftig dazu.
Sie grinsten sich erleichtert an. Jedes Wort, das sie dazu lernten, fühlte sich wie ein Etappensieg an. Natürlich hätten sie sich, oder den Dingen einen Phantasienamen geben können, aber sie waren so an den Klang des richtigen Namens gewöhnt, dass es immer wie ein Platzhalter gewirkt hätte. Selbstverständlich brachte es ihnen im Moment überhaupt keinen sichtbaren Vorteil, wenn sie wussten, dass es irgendwo da draußen eine wunderschöne Stadt namens Atlantis gab – außer dem Wissen, irgendwo hinzugehören. ‚Atlantis’ klang wie ein Lockruf, dem sie folgen konnten. Wie ein langfristiges Ziel, das sie sich vornehmen konnten.
Kurz – und mittelfristig hatten sie jedoch erst einmal andere Probleme. Sie mussten überleben. Lange genug, um Atlantis wiederzusehen, um gerettet zu werden, oder um aus eigener Kraft dahin zu gelangen.
Am nächsten Tag suchte Rodney gerade Brennholz zusammen, als er Sheppard plötzlich auf dem Dach des Hauses, in dem sie Quartier bezogen hatten, herumspazieren sah. Scheiße, nein! Wenn der Mann da herunter fiel, war er tot, und er wäre ganz alleine hier! Das wäre entsetzlich! Rodney schaute genauer hin und musste feststellen, dass der Colonel tatsächlich ohne jegliche Sicherung da oben herumturnte. Und irgendeine Stimme sagte ihm, dass das typisch Sheppard war.
„John!“, brüllte er. Sie waren schon nach einem Tag zu Vornamen übergegangen, da sich beide erinnerten, über das ‚Colonel’ und ‚Doktor’- Stadium hinaus zu sein.
John drehte sich herum, rutschte ein paar Zentimeter nach unten, bekam wieder Halt und winkte McKay zu. „Ich repariere das Dach!“, rief er.
„Das sehe ich. Ich bin ja nicht blind! Aber komm sofort da runter, das ist viel zu gefährlich!“
„Ach was. Ich bin auch gleich fertig. Ich muss nur noch ein paar Holzschindeln festnageln.“
Was immer Rodney darauf antworten wollte, wurde von den folgenden Hammerschlägen geschluckt und McKay musste hilflos mit ansehen, wie es Sheppard scheinbar gar nichts auszumachen schien, wenn er dabei manchmal ins Rutschen geriet.
Er rannte ins Haus zurück und suchte hektisch ein Seil. Rasch stieg er in den Dachboden hinauf. Dort überlegte er, wie er nun am besten aufs Dach käme, als Sheppard sich durch das Fenster am Giebel wieder hinein hangelte.
„So, alles erledigt. Jetzt kann uns auch ein Regenschauer nichts anhaben.“
„Mach das nie wieder!“ Rodneys anklagender Finger unterstrich jedes seiner Worte.
„Was? Dach reparieren?“ Sheppard warf ihm einen spöttischen Blick zu. „Irgendwie habe ich in Erinnerung, dass du ganz schön miesepetrig werden kannst, wenn du nasse Klamotten anhast.“
„Du weißt genau was ich meine!“, spie ihm Rodney entgegen, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte die Treppe wieder hinunter.
„McKay …“
Mit einem Knall ließ Rodney die Haustür ins Schloss fallen.
Na toll. Wie John diese Art von Szenen hasste! Nancy – ja, er war tatsächlich mal verheiratet gewesen, fiel ihm ausgerechnet bei dieser laut zufallenden Tür ein – war auch eine Meisterin darin gewesen. Vorwürfe, Türenknallen, wenn es nicht so lief, wie sie sich das in Kopf gesetzt hatte. John wusste schon, warum er keine längerfristigen Beziehungen mehr einging. Irgendwann kam immer der Punkt, an dem der andere Partner versuchte mit mehr oder weniger subtilen Mittelchen ein Umerziehungsprogramm zu starten, um sich den Partner nach dem eigenen Bild hinzubiegen. Da hatte er echt keine Lust drauf. Nur blöde, dass er McKay leider im Moment nicht ausweichen konnte.
Rodney stürzte in den nahe gelegenen Wald und suchte noch mehr Brennholz zusammen, um sich abzureagieren. Es war eine Sache, sein Leben aufs Spiel zu setzen, wenn man damit eine ganze Stadt retten konnte. Das konnte man zur Not noch mit dem Wohl der Vielen rechtfertigen. Aber es war einfach nur dusselig und blödes Macho-Gehabe, wenn man sich unnötigen Risiken aussetzte. Es gab nicht umsonst Richtlinien für sicheres Arbeiten. Und das Minimum war der gesunde Menschenverstand. Der bei manchen Leuten aber offensichtlich auf die Größe eines Mikrochips geschrumpft zu sein schien. Voller Zorn belud Rodney den Handkarren, den er hinter sich herzog, mit einem weiteren dicken Zweig.
Als er es nicht länger hinauszögern konnte, ging er wieder zum Haus zurück.
Sheppard hatte einen Obstsalat vorbereitet und ihn mit den Resten der Lebensmittel aus ihren Rucksäcken garniert. Das war wohl ein Friedensangebot, musste Rodney denken, ehe er sich schweigend den Teller bis zum Rand voll lud.
Sie sprachen nicht mehr über den Zwischenfall, aber als Sheppard am nächsten Tag den Brunnen wieder instand setzten wollte, damit das Wasserholen etwas einfacher wurde, fragte er Rodney, ob er ihm helfen wollte. Natürlich war diese Aktion völlig ungefährlich und alles, was Rodney davon trug, war eine Brandblase, als ihm das Seil für den Eimer zu rasch durch die Hände rutschte.
Ohne schlechtes Gewissen plünderten sie die anderen Behausungen und trugen alles, was sie brauchen konnte, oder von dem sie annahmen, dass sie es in naher Zukunft eventuell brauchen könnten, in ihr neues Zuhause. Einrichtungsgegenstände, Küchenutensilien, Decken, Bücher, Lampen, Brennholz, Werkzeuge – Platz hatten sie genug in dem zweigeschossigen Gebäude. Es war ein buntes Sammelsurium, das ihre Wohnung am Ende ihres Beutezuges ein wenig wie ein Piratennest aussehen ließ.
Nachdem sie ein paar Tage lang einfach an den nächsten Baum gepinkelt hatten, kam ihnen die Idee, das Häuschen am anderen Ende des Gartens näher zu untersuchen und nicht einfach anzunehmen, dass es ein Stall für Tiere oder ein Lager für Gartengeräte gewesen war.
Und sie hatten Recht, es war ein altmodisches Plumpsklo.
Rodney war hin- und hergerissen, ob das vom hygienischen Standpunkt aus betrachtet jetzt ein Fort- oder ein Rückschritt war. Aber Sheppard versicherte ihm, dass sie nicht auf ewig ihre Hinterlassenschaften einfach überall hinterlassen konnten und weihte es ein.
Spätestens als Rodney das letzte Papiertaschentuch benutzte, wusste er, dass jetzt ein neues Problem auf sie wartete. John kam auf die Idee, trockene Blätter zu verwenden und so sehr Rodney es hasste einzugestehen – er malte sich aus, welche Kontaktekzeme und allergische Reaktionen die Blätter auslösen konnten – es schien die einzige machbare Lösung zu sein, wollten sie nicht anfangen, die Seiten der Bücher herauszureißen und zu benutzen.
John fand recht schnell raus, wie seine Waffe funktionierte und als er sein Denken bewusst ausschaltete, konnte er sie sogar zerlegen und wieder zusammensetzen. Seine Finger wussten noch wie es ging, es war wirklich in seinem Unterbewusstsein verankert. Dem Drill-Sergeanten schuldete er wohl jetzt einen Dank.
Rodney zog den Vergleich zum Klavierspielen: „Selbst wenn man die Noten nach langer Abstinenz nicht mehr so schnell lesen kann, die Finger erinnern sich noch an die Abläufe, als wären sie ins Gehirn eingraviert. Können noch Arpeggien spielen, von denen du glaubst, dass du sie vergessen hast. Dein Hirn hat das noch gespeichert.“
„Ich habe nie Klavier gespielt.“
„Aber …“
„Gitarre. Ja!“
Es war immer phantastisch, wenn Gedächtnislücken sich ganz von alleine füllten und ihre Persönlichkeiten langsam mehr Details bekamen.
John wusste, dass er Munition sparen musste, aber am Ende der ersten Woche schoss er ein Wildtier für sie. Sie hatten keine Ahnung, wie sie es fachgerecht zerlegen konnten und machten eine riesige Sauerei in der Küche. Überall war Blut, so entsetzlich viel Blut, dass Rodney überlegte die Küche zu verlassen. Dabei hatten sie das Tier schon draußen ausbluten lassen. Er wollte Sheppard aber keinen Angriffspunkt bieten und deshalb blieb er.
Im Endeffekt jedoch bescherte es ihnen das beste Essen, das sie seit Tagen gehabt hatten.
Da sie nicht wussten, wie sie das Fleisch haltbar machen konnten, gab es die nächsten Tage zum Frühstück, Mittag- und Abendessen gebratenes Fleisch, bis selbst Rodney freiwillig zu einem Stück Obst griff.
TBC ...