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Thema: 2034 - Das neue Sternentor (Ein Spinn-off zu TGE)

  1. #41
    Autor der ungelesenen FF Avatar von Protheus
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    Am ersten Nachschublager:

    Nur die schmatzenden Geräusche von schweren Stiefeln auf morastigem Untergrund vermischt mit dem Wogen des langen Grases im Wind war zu hören, als der padaurische Offizier sein Ziel ins Visier nahm. Geschätzte achtzig Meter. Ein leichter Schuss. Er atmete noch einmal ein, um das Gewehr ruhig halten zu können und kniff die Augen zusammen, im durch die dichten Vorhänge aus grauem Regen, die ihm die Sicht zu verdecken versuchten, sein Ziel genau zu fixieren. Dann blies er in die Pfeife, die er im Mund hielt. Ein hoher Signalton entströmte der kleinen Bronzepfeife und das Krachen von einhundert fast simultanen Schüssen hallte durch die Pampa. Die Soldaten, die vor ihnen entlang marschiert waren, wurden von der Salve voll erwischt. Mehr als die Hälfte von ihnen fiel sofort. Blitzschnell repetierte der Offizier sein Gewehr durch und legte erneut an. Die Soldaten – oder besser gesagt Söldner, denn der Systemlord hatte auf dieser Welt kaum einen Soldaten der eigenen Armeen im Feld – hatten begonnen in Richtung der Padauren wild ins hohe Graß zu feuern, doch nur einer ihrer Schüsse traf, bis ihre Gegner nachgeladen hatten. Als auch der letzte von ihnen tot zusammengebrochen war, erhob der Offizier sich und spähte über das Gras hinweg. Ein weiteres Pfeifen ließ auch seine Männer ihre Deckung aufgeben. Der Überfall war gut und schnell ausgeführt worden. Einige Männer liefen noch zu den gefallenen Gegnern, um sich zu vergewissern, dass auch jeder tot war, doch dann führte er sie weiter in den nahen Wald hinein an.

    Fast zwei Tage war es her, dass Truppen des Matriarchats und des Bundes unterstützt von Tau’ri und Padauren auf dieser Welt gelandet waren. Von den Verbündeten hatten nur die Tau’ri Landekapseln besessen, so dass die Streitmacht auf Transportschiffe angewiesen gewesen war. Das hatte sie für die Landung an hinreichend große ebene Flächen gebunden, so dass sie fast 60 Kilometer vom Ziel Fuß auf den Planeten gesetzt hatten. Ihre Befehlshaber hatten sie anschließend unerbittlich vorwärts getrieben, um die Distanz zum Ziel in kürzest möglicher Zeit zu überwinden. Und nun, vierzig Kilometer später, waren sie auf ganzer Front in heftige Kämpfe verwickelt. Während er seine Männer durch den Buschwald führte, sah der Offizier sich um. Diese Welt erinnerte an die weiten Pampas seiner Heimat und das Gras hatte zu Anfang noch in mattgoldenem Gelb gestrahlt, immer wieder unterbrochen vom Grün der Wälder. Doch keine Stunde nach der Landung hatte es zu regnen begonnen. Die Sturzbäche, die sich seitdem vom Himmel ergossen, machten nicht nur jeden Schritt zur Qual, da die Stiefel immer wieder bis zu den Knöcheln im weichen Untergrund einsanken, sondern schienen auch alle Farbe aus der Landschaft gespült zu haben, denn nun schien alles, was er noch sah, grau zu sein.

    Zwischen den Bäumen warfen seine Schützen sich ihre Tarnmäntel über, die sie im Grasland noch wie Schärpen um den Oberkörper gewickelt getragen hatten, um ihr Sichtfeld im offenen Gelände nicht einzuschränken, und suchten ohne befohlen zu werden die Deckung des dichten Gestrüpps. Ein ungeübtes Auge hätte sie nun, hätten sie regungslos verharrt, auf einen Meter schon nicht mehr erkannt. Es zeigte wozu sie fähig waren, doch vielleicht, ging es ihm durch den Kopf, war es nicht nur ein Akt militärischer Effizienz, sondern auch ein Versuch sich gegen die Nässe zu schützen, die jetzt schon auf die Haut ging und die Männer frösteln ließ.

    Nachdem er sich den Mantel umgeworfen hatte, drehte er am Schalter des Funkgeräts, dass die Tau’Ri ihm und jedem anderen Offizier der Truppe gegeben hatten. Er misstraute dieser Technologie ein wenig, wie er jeder Technologie misstraute, die er nicht verstand und die letztlich einem anderen Macht über ihn geben konnte, doch sein Vorgesetzter hatte angesichts der Anwendung dieser Werkzeuge keine Bedenken gehabt und letztlich hatten sie sich auch als nützlich erwiesen. Als er das Gerät anschaltete, hörte er sofort wieder die wütende Stimme einer Frau aus dem Ohrhörer dringen, die ihn anbrüllte: [„…re sie unnützer, stinkender Waldschrat, wo sind sie? Wir stehen hier immer noch unter Feuer!“] Sichtlich wenig erfreut verzog er das Gesicht und sagte: [„Ich höre sie, Frau Leutnant. Wir sind nur noch einige Minuten von ihnen entfernt.“] Als sie antwortete, konnte man die Geräusche heftiger Schusswechsel und die Schreie verwundeter um sie herum hören. [„Dann beeilen sie sich gefälligst. Und lassen sie das Funkgerät an.“]

    Er verzichtete darauf sie darüber zu belehren, dass Heimlichkeit Stille erforderte und signalisierte stattdessen seinen Leuten sich weiter zu beeilen. Sie brauchten im schnellen Laufschritt durch den Wald knapp sechs Minuten, bis sie die Schüsse der Zündnadelgewehre und das Fauchen der Plasmageschosse hörten. Unweit von ihnen war ein kompletter Zug aus fast viertausend Soldaten und Soldatinnen des Matriarchats auf den Feind gestoßen und befand sich jetzt schon seit fast einer Viertelstunde in einem heftigen Feuerkampf. Die Männer und Frauen waren für offene Feldschlachten ausgebildet, so dass die zumindest nach der Auffassung der Padauren überreiche Deckung, die der Wald bot, nicht voll ausnutzen konnten. Stattdessen hatte ihre Kommandantin sie die erste Linie des Gegners im Sturm angreifen und überrennen lassen. Als diese sich zurückgezogen hatten, war es schließlich zum Schusswechsel gekommen. Offenbar waren die Leute, die sie auf der Pampa erledigt hatten, hierher unterwegs gewesen, um den Kampf durch einen Flankenangriff zu beenden. So wie es jetzt passieren würde. Nur nicht auf dieselbe Art, die die Verteidiger sich wohl erhofft hatten.

    Die Padauren pirschten sich vorsichtig an ihre Ziele heran und legte die Waffen an. Zuerst konnte der Offizier die Gegner nicht entdecken. Sie waren offenbar geübt darin die Deckung auszunutzen, die der Wald bot. Dann griffen sie in den Schusswechsel ein. Binnen weniger Minuten hatten sie die Flanke des Gegners aufgerollt und ihn zurückgedrängt. Nachdem Dumuzis Soldaten erneut den Rückzug angetreten hatten, ging der Offizier zur Kommandantin dieser Einheit.

    Diese hatte sich während des gesamten Schusswechsels hinter ihren Leuten gehalten und versuchte gerade sich Schlammspritzer von ihrer weißen Hose zu reiben, die daran haften geblieben waren. Zu behaupten, dass sie für eine Jagd, oder eben den Krieg, unpassend gekleidet gewesen wäre, hätte eine Untertreibung dargestellt, doch sie waren Verbündete, also war der Offizier bereit ihre Marotten zu ertragen. [„Was zum Netu hat sie so viel Zeit gekostet“], herrschte sie ihn an, als sie seiner gewahr wurde. Die Tatsache, dass aufgestautes Wasser ihr dabei vom Dreispitz lief, ließ sie dabei aber weit weniger bedrohlich wirken, als sie es sich vielleicht gewünscht hätte. [„Wir haben verhindert, dass der Feind ihnen in die Flanke fällt. War mir übrigens ein Vergnügen. Außerdem sollten sie ja gerade selbst gemerkt haben, dass ein zu schnelles Vorrücken unüberlegt ist.“] Bei diesen Worten huschte ihm ein spöttisches Grinsen über das Gesicht. Er merkte schon, warum er lieber mit den Tau’Ri oder den Bundestruppen zu tun hatte. Auch wenn deren Offiziere oft nicht weniger arrogant waren, waren sie doch häufig Männer und neigten weniger zu Gefühlsausbrüchen.

    [„Ich hoffe doch sehr, dass sie hier nicht versuchen mich zu belehren. Wenn ich vorhabe meine Gegner zu beschleichen, wie ein Meuchler, dann bin ich dazu durchaus in der Lage.“] [„Oh, kein Zweifel, dass sie eine qualifizierte Frau sind, aber sie sollten bedenken, dass ihre Truppen nicht besonders gut für diese Umgebung ausgebildet sind. Vielleicht sollten sie uns den weiteren Vorstoß hier überlassen.“] [„Vergessen sie es. Mir wurde befohlen die Flanke des Hauptvorstoßes zu schützen und ich werde meine Befehle ausführen, komme was wolle.“] Sie mochte von Pflichterfüllung sprechen, doch er erkannte in ihren Worten mehr. Es war schlichtes Misstrauen. Die Vorstellung auf die Männer von Padaur angewiesen zu sein missfiel ihr und gerade diese Erkenntnis traf den Offizier schwerer, als jede ausgesprochene Beleidigung, hatten sie alle doch Versprechen abgegeben hier und in dieser Schlacht dem gemeinsamen Feind das Rückrad zu brechen und ihre Heimatwelten so zu verteidigen. Er nickte also nur und sagte einsilbig: [„Dann noch viel Erfolg.“] Obwohl ihm noch eine schnippische Bemerkung auf der Zunge lag verzichtete er darauf und lies stattdessen ein paar Mal seine Pfeife ertönen, um seinen Männern zu signalisieren, dass es zurück ins Grasland ging.

    Besagter Hauptvorstoß war letztlich nicht mehr, als der beschwerliche Vormarsch tausender Soldaten, die sich gemeinsam über das aufgeweichte Grasland am Ufer eines Flusses entlang kämpften, der sie direkt zur Nachschubbasis des Feindes führen sollte. Sie hatten noch am ersten Tag der Landung mehrere vorgeschobene Dörfer eingenommen, kaum mehr als Ansammlungen von Bauernhöfen, die dazu dienten den Eigenbedarf der großen Festung und des angegliederten Nachschublagers an Lebensmitteln zu decken. Dort hatte es heftige Kämpfe gegeben, doch mittlerweile schien der Feind die Lust daran verloren zu haben sich ihnen in den Weg zu stellen. Es wäre letztlich auch nicht nötig gewesen. Mit jedem Meter auf das Ziel zu schien sich der große Heereszug zu verlangsamen, während die Soldaten sich mit müden und schlurfenden Schritten vorwärts bewegten. Immer wieder blieben Einheiten zurück, um für ein paar Stunden zu rasten und frischeren Soldaten aus den hinteren Reihen den Vortritt zu überlassen, doch letztlich zeigten die Offiziere, hauptsächlich Offizierinnen, da es sich größtenteils um Truppen des Matriarchats handelte, kein Erbarmen und trieben die Truppe weiter vorwärts über jedes Hindernis hinweg, sei es Artilleriebeschuss – ob nun durch den Feind oder durch fehlgegangene eigene Granaten – seien es Feindliche Verteidigungslinien, die an taktisch günstigen Positionen postiert waren und einfach überrannt wurden oder sei es die Witterung, die das schwere Material im Schlamm versinken oder den unterspülten Untergrund wegbrechen ließ, so dass Soldaten in Schlammlawinen stecken blieben oder in den Fluss gerissen wurden. Es ging immer weiter auf das Ziel zu und fast schien es, als könne wirklich keine Macht des Universums den Marsch dieser Armee aufhalten.

    Entlang der östlichen Flanke marschierte General Parigin an der Spitze seiner Bundestruppen dem Ziel entgegen. Erwartungsgemäß wurde der Widerstand auf dem letzten Stück vor den Befestigungen wieder heftiger. Auch in diesem Moment zwang ihn heftiger Beschuss wieder einmal den Kopf einzuziehen. Nachdem sie eine Einheit, die sich ihnen auf freiem Gelände in den Weg gestellt hatte, geradezu beiseite gefegt hatten, wurde nun offenkundig, warum der Feind die Männer in einen derart aussichtslosen Kampf geschickt hatte. In der Zeit, die sie die Bundestruppen aufgehalten hatten, hatte eine andere Einheit einige auf dem Weg liegende Gehöfte, vielleicht anderthalb Dutzend beieinander liegende Häuser, besetzt. Nach einem kurzen aber heftigen Artilleriebombardement hatte er seine Männer stürmen lassen. Und er war in der ersten Welle mitgestürmt. Einer seiner Leibwächter wollte ihn zu Boden drücken, doch er ließ nicht mehr zu, als dass der Mann ihn in die Knie zwang. Dabei sah der Mann ihn vorwurfsvoll an. Parigin hatte den unangenehmen Hang dazu von seinen Truppen nie etwas zu verlangen, was er nicht selbst bereit war zu tun. Dieser Habitus hatte schon mehrere Männer in den Wahn getrieben, die ihm zur Seite gestellt worden waren, um ihn zu beschützen, doch er hatte ihm auch die Bewunderung der Truppen eingebracht.

    Noch während der Mann etwas sagen wollte, wahrscheinlich wieder einmal eine Aufforderung die erste Schlachtreihe den Soldaten zu überlassen, sah der General etwas hinter ihm. Schnell packte er ihn mit der Rechten und schon ihn beiseite, während er seinen in der Linken gehaltenen Revolver abfeuerte. Drei Kugeln streckten zwei Gegner nieder, die versucht hatten sich durch eine Ruine an sie anzuschleichen. „Ich weis was ich tue, Muntak. Und jetzt schaff mir die Funker her.“ Der Leibwächter zögerte einen Moment, doch dann nickte er schließlich und lief los, während der General hinter einem Mauerrest Deckung suchte, von wo aus er den vorwärts stürmenden Männern Deckung gab. Einige Meter von ihm entfernt sah er einige Männer in den braunen Mänteln Gemeiner in Deckung gehen und schwer atmend ihre Gewehre nachladen. Sie wirkten abgekämpft und einer schien seine Waffe kaum noch heben zu können. Ein Leutnant, der bei ihnen war, redete ihm gut zu, woraufhin er nickte und sich bereit machte wieder anzugreifen. Doch der General lief vorher zu ihnen und sagte: „Moment, warten sie.“

    Die Männer sahen auf. Keiner von ihnen war einem so ranghohen Offizier je so nahe gewesen und sie schienen sich nach dem ersten Schreckmoment in dieser Aura zu sonnen. Er sah mit entschlossener Mine zu ihnen und sagte: „Kommt erst einmal wieder zu Atem und wartet einen Moment. Wir werden gleich gemeinsam angreifen.“ Die erschöpften Männer nickten dankbar und murmelten leise Worte der Bestätigung. Dabei sah der Leutnant zu Parigin und fragte: „Warum zur Hölle sind wir überhaupt hier? Ich sehne mich fast schon in die Gräben auf Emunio zurück.“ „Wie heißen sie, Leutnant?“ „Qunan, General.“ „Ich will, dass sie eines im Kopf behalten, Leutnant Qunan.“ Er hielt ihm bei diesen Worten die geschlossene Faust vor das Gesicht und fuhr fort: „Wenn wir einzeln stehen, kann diese Galaxis uns leicht beugen, wie die Finger einer Hand. Aber versuchen sie einmal die Finger einer geschlossenen Faust wieder aufzubiegen. Egal was es uns heute kostet, wir können hier zeigen, dass wir würdig sind Teil einer größeren Allianz zu werden, die vereint sein wird, wie eine geschlossene Faust. Und dann komme was wolle, wir werden bereit sein.“

    Man hörte bei diesen Worten, dass er jeden Laut davon glaubte. Es war, als seien diese Worte ein Gebet, der Mauerrest ein Altar und dieses Schlachtfeld die Kathedrale seines Glaubens an diese Idee. Qunan sah ihn für einen Moment an, dann nickte er und lud sein eigenes Gewehr nach. Nach einigen Minuten kam schließlich Muntak zurück, der einen Trupp Patrizier und einen Funker mitgebracht hatte. Der Fernmelder trug ein klobiges Funkgerät auf dem Rücken, das in dieser Bauart immer wieder Probleme machte, war es doch fast zwanzig Kilo schwer und die Batterien unzuverlässig, aber allein seine Existenz sagte schon etwas über die Fortschritte einer Gesellschaft aus, die vor dreißig Jahren noch nicht einmal fähig gewesen war aus eigener Kraft elektrischen Strom zu produzieren. Der General nickte seinem Wächter dankend zu, dann schaltete er an dem Gerät den aufgesetzten Lautsprecher an und griff sich die Quäke.

    „Kämpft weiter“, scholl seine Stimme, für die direkt umstehenden nur knapp unterhalb der Schmerzgrenze, über das Schlachtfeld. „Kämpft und lehrt sie die zu fürchten, die sie zu beherrschen glaubten. Lasst sie die Wut der Menschen spüren, die sich erhoben haben. Für unsere Heimat, für den Bund, für die Allianz, in die wir eingewilligt haben. Heute werden wir sie in die Knie zwingen, wie sie es dereinst mit uns versucht haben!“ Es kam nicht wirklich darauf an, was er sagte. Seine Worte waren in diesem Moment kaum mehr, als Parolen. Es war der Tonfall, der zählte, der die Männer seine Entschlossenheit spüren ließ. Es war seine Stimme, die ihnen das Gefühl gab, dass er hinter ihnen stand und sie antrieb. Und tatsächlich schien es noch einmal jenes Feuer in ihnen zu entfachen, das zwei Tage Dauerregen und ständige Kämpfe ausgelöscht zu haben schienen. Sie warfen sich noch einmal mit besonderer Verbissenheit in den Kampf, während der Feind ins Wanken geriet. Als sie stürmten, kam Qunan dabei ein Vers in den Sinn, den er in jüngeren Jahren – es schien ein halbes Leben her – gehört hatte: Auf auf zum Kampf, auf auf zum Krieg. Auf auf, Tod und Teufel spielen zum Tanze.

    Entlang der Hauptkampflinie zog Major Kratides, der die europäischen Kompanien in diesem Abschnitt befehligte, einmal heftig an seinem Fuß, um das bis halb zu den Knien im Schlamm eingesunkene Bei wieder zu befreien. Als es sich mit einem schmatzenden Lauf löste, fiel er beinahe um und verfluchte wortreich den Regen. Einige andere Soldaten hatten gemunkelt, dass die Triebwerke der Truppentransporter und das Bombardement in der Gegend diese Wetterkapriolen ausgelöst hatten, doch ihm war es letztlich egal. Er sehnte nur noch das Ende dieses Verdammnismarsches herbei. Dabei hatte ihre Verbündeten sich bisher deutlich besser geschlagen, als er es bisher erwartet hatte. Die Kadenz ihrer Waffen mochte ebenso miserabel, wie die Schusspräzision der meisten Soldaten, doch die Männer und Frauen legten eine bemerkenswerte Zähigkeit an den Tag und glichen durch pure Anzahl und massive Salven aus, was dem einzelnen fehlte. Sie kamen durch einen weiteren Abschnitt, wo Späher ursprünglich noch Ansammlungen von gegnerischen Soldaten gemeldet hatten. Die Artillerie des Bundes hatte hier ordentlich aufgeräumt, um das mindeste zu sagen. Tatsächlich wollte er nicht wissen, was in den Granaten war, die sie verschossen. In den beschossenen Gebieten war das Land schon nach kurzem Bombardement geschwärzt und die Pflanzen begannen abzusterben. Zudem schienen einige gegnerische Soldaten, die den eigentlichen Beschuss schwer verletzt überlebt hatten, Anzeichen von Vergiftungen zu zeigen.

    Er lenkte seine Schritte um einen weiteren Granattrichter herum und sah dabei die verkrümmten Leiber der Toten, die darin im Wasser lagen. Ihre schmerzverzerrten Gesichter hatten teilweise einen gelblichen Teint angenommen. Er hatte schon viele Tote gesehen, nicht wenige davon waren durch sein Verschulden gestorben, doch aus irgendeinem Grund ging ihm der Anblick dieser Gefallenen an die Nieren. Aber es war vielmehr ein ganz allgemeines Gefühl, dass ihn gepackt hatte, seit sie diese Welt betreten hatten. Alles war viel zu glatt gelaufen. Obschon diese Gedanken angesichts der hunderten von Toten, die ihre Verbündeten bereits zu beklagen hatten, wie bitterer Hohn klangen, wusste Kratides doch, wie Goa’uld wirklich kämpfen konnten. Trotz seiner griechischen Abstammung war er als Sohn eines Kochs in Deutschland aufgewachsen und hatte während des ersten Goa’uld-Krieges die deutsche Staatsbürgerschaft besessen. So war es gekommen, dass er sich kurz vor Ende des Krieges freiwillig gemeldet und nach der AGA in der letzten Schlacht gegen die Systemlords mitgekämpft hatte. Und verglichen mit dem Kampf, der ihnen damals geliefert worden war, war das Geschehen auf dieser Welt lachhaft. Oder er war mittlerweile so weit abgestumpft, dass es ihn nicht mehr kümmerte? Er wusste nicht, welche Idee ihm mehr Angst machte.

    An der linken Flanke brach in diesem Moment wieder die Uferböschung weg und fast hundert Soldaten wurden von Schlamm und Wasser mitgerissen. Andere stürzten sofort herbei, um ihre Kameraden aus dem Schlamm zu ziehen. Nur mit Bajonetten als Grabwerkzeugen oder teilweise auch mit bloßen Händen wühlten sie nach verschütteten. Für einen Moment war Kratides versucht hinzueilen und zu helfen, doch bevor er sich in Bewegung setzen konnte, kam ein Funkspruch herein: „Elftes Regiment an Tau’Ri, hören sie mich?“ „Elftes Regiment, hier Major Kratides. Ich höre sie gut. Was gibt es?“ „Wir liegen hier unter schwerem Beschuss. Mindestens sechzehn Kampfdrohnen und ein halbes Dutzend Gleiter. Dazu mehrere hundert Soldaten. Wir erleiden schwere Verluste und brauchen Unterstützung.“ Lautlos fluchte er. Das Elfte gehörte zu den Regimentern, die den Angriff im Westen absichern sollten. Er sah sich einmal kurz in Richtung der Kommandantin der Matriarchatstruppen um, die einige hundert Meter hangabwärts und einige dutzend Gefechtslinien hinter ihm marschierte. Sie würde nicht glücklich sein, wenn ihre Leute den weiteren Vorstoß alleine tragen mussten, aber sie konnten keine Öffnung der Flanke riskieren.
    Also gab er ihr kurzerhand per Funk durch, dass er das Gros seiner Leute abziehen musste, um die Flanke zu schützen. Dann signalisierte er seinen Soldaten ihm zu folgen und führte sie nach Westen auf den Buschwald zu.

    Zunächst ging der Heereszug auch ohne sie reibungslos weiter, doch als sie schon gut drei Kilometer in Richtung des elften Regiments hinter sich gebracht hatten, brachen vor der Vorhut, die sie gerade noch begleitet hatten, unter Kriegsgeschrei hunderte Soldaten ihrer Deckung entlang der Uferböschung hervor. Sie waren besser Bewaffnet, als die Söldner, gegen die sie bis jetzt in der Mehrheit gekämpft hatten und entfesselten ein wahres Inferno gegen ihre Gegner. Binnen weniger Augenblicke hatte die vorrückende Truppe über einhundert Tote zu beklagen. Die Generalin sah sich mit einer unangenehmen Situation konfrontiert. Ihre eigenen Truppen waren durch das Gelände eingeengt und konnten ihre Zahlenmäßige Überlegenheit nicht richtig zum Tragen bringen. Mit der Entscheidung konfrontiert, ob sie die Tau’Ri zurückrufen oder anderweitig Unterstützung holen sollte, rief sie über Funk nach General Parigin, der sofort Hilfe zusagte.

    Nach einigen Minuten erbebte die Erde schließlich unter dem Donnern tausender Hufe, als der General seine Kavallerie, vornehmlich Dragoner, zu Pferde in die Schlacht reitende Infanterie, heranführte. In hohem Tempo schmetterten sie in die Flanke des Gegners. An der Spitze des Angriffs sah man eine Einheit Patrizierkavallerie reiten, deren Banner von der persönlichen Anwesenheit des Generals kündeten. Es gelang in einem beherzten Angriff den Feind in die Defensive zu zwingen, so dass die Generalin ihrer Hauptstreitmacht schließlich den Befehl gab weiter zu marschieren und den Kampf hier der Vorhut und den Dragonern zu überlassen. Diese setzten dem Gegner auch nach, als er sich in Richtung des Waldesrandes zurückzog. Aber Fortuna bewies an diesem Tag einmal mehr, dass sie ein mürrisches Weib war, das seine Geliebten schnell wechselte. Obwohl andere sagten, dass es so etwas wie Glück nicht gab, sondern nur Konsequenzen aus Planungen und Entscheidungen.

    Als sie den Waldrand erreicht hatten – der große Heereszug zog knapp drei Kilometer entfernt an ihnen vorbei in Richtung des Ziels – entzündeten sie plötzlich stark qualmende Fackeln, die mit Ölen imprägniert waren, deren Verbrennungsgerüche die Pferde scheu werden ließ. Die ersten Reihen der Kavallerie gerieten ins Stocken, doch die nachfolgenden und die Infanteristen drängten sie weiter vorwärts in ein tödliches Sperrfeuer. Des Vorteils ihrer Geschwindigkeit beraubt waren sie ein leichtes Ziel. Gleichzeitig begannen die Krieger Dumuzis mit einem schnellen Umfassungsmanöver, das den Rückzug abschnitt. Sie gerieten während des Kampfes in arge Bedrängnis und riefen nach Unterstützung, doch sie kam nicht. Niemand bemerkte, wie beim Heereszug eine Offizierin des Matriarchats als sie den Rauch sah ein kleines Gerät aktivierte, das sie in der Tasche trug und das heftiges statisches Rauschen in den Äther schickte. Nach einigen Minuten war der Kampf vorbei. Kurz und einseitig.

    Auf der Erde:

    Vor der europäischen Botschaft in New York hatte es in den letzten Tagen wiederholt Aufläufe von Menschen gegeben, die in teils spontanen, teils organisierten Protestkundgebungen der Wut Luft gemacht hatten, die sie seit dem Angriff bei Manaus um trieb. Doch an diesem Tag war es erfreulich ruhig verlaufen, so dass es keine Störungen gab, als ein abgedunkelter Rolls Royce an einem Hintereingang der Botschaft vorfuhr. Nur zwei, drei Reporter, die in Erwartung einer neuen Story hier ausgeharrt hatten, bemerkten das Schauspiel und zückten sofort ihre Kameras. Doch der Vorgefahrene zeigte wenig Begeisterung ob dieser Aufmerksamkeit und ließ sich von einem Mitarbeiter abschirmen, während er selbst sich eine Aktenmappe vor das Gesicht hielt und schnell im Gebäude verschwand. Im Inneren wurde er von einem angestellten in Empfang genommen, der ihm den Mantel abnahm und sagte: „Willkommen, Minister Kinsey. Die Herren Botschafter erwarten sie oben im Salon.“

    Das Botschaftsgebäude war ein knapp hundertfünfzig Jahre altes Haus an der Upper East Side, das früher einmal die Büros einer Handelsgesellschaft und danach Appartementwohnungen beherbergt hatte, bevor die EU es nach der Zerstörung Washingtons aufgekauft und zur neuen Botschaft umfunktioniert hatte. Das Gebäude vereinte nun sowohl die Botschaft für die Allianz, als auch die Büros der europäischen Vertretung bei den Vereinten Nationen unter einem Dach. Es war ursprünglich im wilhelminischen Stil gehalten gewesen und auch wenn es in den zwanziger Jahren des vorangegangenen Jahrhunderts noch einmal in deutlich schlichterem Stil renoviert worden war, strahlte es noch viel von seiner einstigen Pracht aus. Das erste Mal, als er hier gewesen war, war Kinsey recht positiv angetan gewesen, doch mittlerweile beeindruckte ihn das Ambiente nicht mehr sonderlich. So ließ er den Bediensteten mit den Worten „Bemühen sie sich nicht, ich kenne den Weg“ einfach an der Tür stehen und nahm mit schnellen Schritten die mit dicken Teppichen ausgelegten Treppen in den fünften Stock, wo der Salon zu finden war.

    Der Raum wurde von mehreren Lampen aus geschliffenem Kristall erhellt, die allem ein warmes Ambiente gaben. Umso kälter waren allerdings die Blicke, mit denen die Botschafter und Legationsräte, die großen Tisch des Salons saßen, Kinsey abschätzig musterten, als er den Raum betrat. Er kam mit schnellen Schritten durch die Tür und wirkte dabei so beschwingt und fröhlich, wie man ihn selten erlebte. Er legte seine Tasche schwungvoll auf den Tisch und setzte sich. Dabei sah er die Männer fröhlich an und fragte: „Warum denn so ernst, Exzellenzen? Es war heute doch ein wundervoller Tag. Außerdem war ihre Gastfreundschaft auch schon einmal besser. Beim letzten Mal stand etwas zu Trinken bereit, als sie mich hier empfangen haben.“ „Beim letzten Mal standen wir auch nicht ihretwegen kurz vor einem Atomkrieg.“ Kinsey lachte. „Na wenn das so ist, wo bleiben die Getränke?“ Er sprach die letzten Worte etwas lauter aus, so dass die Bediensteten im Flur es hören konnten und warf dabei den Kopf gen Tür in den Nacken. Die Herren, die ihm gegenüber saßen wunderten sich derweil nicht mehr über dieses Verhalten. Sie wussten, dass dies der wahre Kinsey war und nicht etwa jener distinguierte Herr, den er in den Medien an den Tag legte. Der Botschafter für die Allianz räusperte sich einmal geräuschvoll, woraufhin Kinsey wieder zu ihm sah und meinte: „Wirklich, wenn das der Grund für ihre Leichenbitterminen ist, können sie sie ablegen. Ich glaube nicht, das jemals reale Kriegsgefahr bestanden hat und wenn doch, dann ist sie mittlerweile verflogen.“

    „Ich fürchte ich kann ihnen nicht folgen“, meinte Lothar von Minkwitz, der links von Kinsey saß. Das entlockte dem alliierten Minister ein Lächeln. „Nur weil ich zwei Mal auf sie habe schießen lassen, sollten sie sich nicht von Vorurteilen mir gegenüber leiten lassen. Es ist im Grunde genommen ganz einfach.“ Er zog einen elektronischen Datenträger und eine Zeitung aus seiner Tasche. Zuerst warf er einem der Botschafter den Datenträger zu, dann knallte er die Zeitung auf die Mitte des Tisches. „Ich nehme an, dass sie ein wenig angefressen sind, weil in den Medien von Mobilmachungen die Rede war. Auf dem Stick finden sie die Anweisungen, die ich an das Militär herausgegeben hatte. Die Einheiten in England, von denen Bilder über die Sender geisterten, hatten nur Anweisung sich für Manöver bereit zu machen. Sie waren nicht einmal in wirklicher Alarmbereitschaft. Das war alles nur ein riesiger Bluff, der nicht mal an ihre Adresse gerichtet war.“ „Verstehe. Hatte das ganze denn wenigstens die gewünschten Effekte auf die Umfragewerte?“

    Dieses Mal grinste Kinsey umso breiter und deutete auf die Zeitung. „Seite drei. Ich liege mittlerweile gleichauf. Noch ein zwei geschickte Schachzüge und die Sache ist geritzt.“ Ein anderer Botschafter schüttelte den Kopf. „Sie haben tatsächlich einen Krieg riskiert, nur um an Stimmen zu kommen.“ „Na und? Das ist in der Politik Gang und Gebe, egal was irgendwelche selbsternannten Moralapostel sagen.“ „Ein Irakkrieg vielleicht, ja. Aber kein weltumspannender Atomkrieg.“ Wieder lachte Kinsey. „Wie gesagt, ich hatte zu keinem Zeitpunkt vor Krieg gegen sie zu führen. Obwohl ich wahrscheinlich die notwenige Mehrheit im Parlament dafür bekommen hätte. Ich bin schließlich nicht blöd. Wenn wir in der jetzigen Situation einen direkten Krieg mit Europa wagen, gehen wir alle dran kaputt und China übernimmt die Welt. Nein, dass ist nicht meine Vision.“ „Ihnen sollte trotz allem klar sein, wie dicht wir an einem Atomkrieg vorbeigeschrammt sind. In Nordkorea wäre beinahe ein atomarer Erstschlag gegen den Süden ausgelöst worden, als man die Chance witterte, dass sie in einem Krieg gegen uns abgelenkt sein könnten. Ganz zu schweigen davon haben sie jetzt Krieg in Brasilien.“

    Kinsey sah seine Gegenüber noch einmal schräg an, dann wurde er schlagartig ernst. „Also gut, reden wir Tacheles. Ja, wir hätten beinahe einen Krieg gehabt. Aber die Gefahr ist ziemlich schnell vorüber gewesen. Schließlich ist Amerikas Zorn schnell geweckt, verflüchtigt sich aber auch genauso schnell wieder. Der Pöbel dieser Nation handelt aus dem Bauch heraus. Brasilien ist bei dieser Angelegenheit ein bedauernswerter Kollateralschaden, aber mehr auch nicht. Wir hätten dort so oder so intervenieren müssen, um unsere Interessen zu wahren und haben den Prozess einfach nur etwas beschleunigt. Sicher, jetzt kotzt sich dieser Garcia vor den UN aus, aber der kocht auch nur mit Wasser. Und wenn er seine Armee tatsächlich einsetzen sollte, um unseren Vormarsch aufzuhalten, wird das ein sehr ungleiches Duell. Das weis er genauso gut. Entsprechend wird er die Sache aussitzen. In fünf, sechs Jahren werden wir unsere Truppen wieder abziehen, sobald wir unsere Vormachtstellung dort gefestigt haben und dann kann er gepflegt weiter machen. Wenn er vernünftig kooperiert, bekommt er sogar einen Posten als Marionettenpräsident. Das ist für ihn kein schlechter Tausch. Sie sehen also, es wird keinen Weltkrieg geben, egal was die Sensationsblätter sagen. Nicht solange die Balance der Kräfte besteht. Aber ich nehme an, dass sie mich nicht einbestellt haben, nur um sich anzuhören, was ich zu sagen habe.“

    Einer der Botschafter grinste süffisant und lehnte sich vor. „Nein, keineswegs. Auch wenn ich es erfreulich finde, dass sie doch um einiges Schlauer sind, als sie öffentlich zeigen.“ Kinsey zuckte mit den Schultern. „Das Volk mag keine altklugen Besserwisser. Außerdem sollten sie darauf hoffen, dass ich gewählt werde. Denn Crocodile Dundee wird für sie ein deutlich unangenehmerer Verhandlungspartner werden, als ich, egal wie populär er im Moment in Europa ist.“ „Das ist Ansichtssache. Aber nun Klartext. Wir sind hier, um sie über eine neuerliche Entwicklung zu informieren.“ Einer der Botschafter schob ihm ein auf Papier gedrucktes Dokument über den Tisch, das das indische Staatssiegel als Briefkopf trug. Er nahm es und las es sich durch. Danach sagte er mit leiser Stimme: „Also gut, das stellt tatsächlich eine empfindliche Störung des Gleichgewichtes dar…“

    Frontplanet Beta:

    Nachdem die Reiter des Bundes sich dem Angriff auf die Vorhut entgegen geworfen hatten, waren die Einheiten des Matriarchats fast ungehindert bis zur Nachschubbasis vorgedrungen und hatten sie durch schiere Überzahl eingenommen. Einige Stunden später hatte der Rauch der Schlacht sich gelegt und die Schreie der Verwundeten waren verhallt. Während viele Soldaten noch damit beschäftigt waren die Anlage zu sichern oder Verwundete zu versorgen, war bereits eine Gardeeinheit auf einem größeren Platz zu einer Ehrenformation angetreten. Die Soldaten waren noch von den Spuren der Schlacht gezeichnet, doch sie gaben nichtsdestotrotz einen eindrucksvollen Anblick ab. Die Generalin stand mit zwei anderen Offizieren vor den Bannerträgern der Heeresgruppe und sah zu den vier Soldatinnen und dem Soldaten, drei aus den Gardeeinheiten, zwei niedere, die vor ihnen standen. Ein lauter Trommelwirbel kündigte ihre Worte an, als sie sagte: „Die an den heutigen Kämpfen beteiligten Soldaten haben der Geschichte der Verteidiger unserer Heimat ein weiteres ruhmvolles Kapitel hinzugefügt. Und einige haben sich dabei besonders ausgezeichnet. Deshalb will ich in Ausübung meiner Rechte als Kommandantin Belobigungen aussprechen.“

    Wieder setzte der Trommelwirbel ein und eine Offizierin rief: „Soldatin Dahlia, neun Schritte vortreten.“ Die erste Soldatin, eine Gardistin, setzte sich in Bewegung. Jeder einzelne ihrer Schritte wurde von einem Trommelschlag begleitet. Als der letzte ertönte, stand sie direkt vor der Generalin. Diese sah ihr in die Augen und meinte: Für außerordentliche Tapferkeit vor dem Feind soll ihnen eine Belohnung zu Teil werden.“ Sie streckte die Hand aus, woraufhin die dritte Offizierin herantrat und eine Schatulle hochhielt. Die Kommandantin entnahm daraus eine Hand von Goldmünzen und begann sieben Stück davon in die Hand der Soldatin abzuzählen. Danach sagte sie: „Bringen sie weiter solche Leistungen, dann werden sie es noch weit bringen.“

    Während nun die zweite Soldatin vor gerufen wurde, erklang am Zugang zum Hof wütender Lärm. Die Soldaten starrten weiter unbeirrbar geradeaus, doch die Generalin sah sich kurz um, um festzustellen, was los war. Sie sah einen Mann im Braunen Mantel eines gemeinen Bundessoldaten, der die Abzeichen eines Leutnants trug, jedoch zugleich auch eine Kordel an der Uniform besaß, die sie zunächst nicht zuzuordnen vermochte. Erst bei genauerem Nachdenken fiel ihr ein, dass der Bund vor kurzem Probleme mit aufsässigem Pöbel gehabt hatte und dass seit dem eine solche Kordel einen Freisassen unter den Soldaten kennzeichnete. Er war in Begleitung mehrerer hoch aufgeschossener Männer und Frauen in halb verrottet wirkenden Rüstungen und einiger anderer Soldaten, unter anderem auch eines Patriziers. Die Neuankömmlinge sahen sich auf dem Hof um und als er die Kommandantin erblickte, streckte einer von ihnen die Hand aus und sagte aufgeregt etwas zu seinen Begleitern.

    Die Gruppe kam auf sie zu. Die Kommandantin sah, wie einer der Männer mit seiner Hand in gefährlich wirkender Manier seine Hand auf dem Griff seines Revolvers ruhen ließ. Sie signalisierte einer ihrer Untergebenen sich um die Sache zu kümmern, doch die Soldatin wurde einfach beiseite gedrängt. Als die Gruppe direkt vor ihr stand, sprach sie den Patrizier an: „Erklärt euch. Was soll dieser Trubel?“ „Er ist nicht der Wortführer“, sagte daraufhin der Freisasse. „Ich bin hier der ranghöchste Offizier.“ Sie zog die Augenbrauen hoch. Es hätte nicht fiel gefehlt, damit sie die Nase gerümpft hätte. „Ach ja? Und wer sind sie?“ „Leutnant Abai Qunan. Und ich bin hier, um sie zur Verantwortung zu ziehen.“ „Wofür?“ „Sie haben General Parigin in den Tod laufen lassen. Er ist vier Kilometer entfernt von ihnen gestorben, um ihre Leute zu retten und sie haben nichts getan, um auf die Hilferufe seiner Männer zu reagieren. Wir sind nur seinetwegen hier, sie haben ihn kaltblütig sterben lassen und jetzt will ich, dass sie vor seine Truppen treten und ihnen erklären, warum. Weil sie den Ruhm für sich wollten als erste das Ziel zu erstürmen, weil es ihnen nichts bedeutete oder warum auch immer, aber sie werden sich rechtfertigen.“ Sie lachte und antwortete: „Einen Teufel werde ich tun. Sprechen sie mit den Tau’Ri und fragen sie sie, warum ihre Funkgeräte nicht funktionieren, wenn sie einen schuldigen Suchen.“ „Nein, so leicht kommen sie mir nicht davon.“ Er machte einen Schritt auf sie zu und streckte die Hand aus. Noch bevor er die Bewegung ganz vollenden konnte, hatten die beiden Offizierinnen links und rechts von der Kommandantin ihre Waffen gezogen und sie auf die Bundessoldaten gerichtet. „Keinen Schritt weiter.“ Als sei dies eine Herausforderung gewesen, nahmen die gepanzerten Soldaten ihre Gewehre vom Rücken und sagten: „Glaubt mir, das wollt ihr nicht.“ Gleichzeitig packte Qunan die Generalin am Kragen, um sie mitzuzerren. Im nächsten Augenblick sackte er von einer Kugel in die Stirn getroffen zusammen und auf dem Hof brach die Hölle los.

    Im Orbit erreichte die Nachricht über die Geschehnisse während der Ehrung den europäischen Flottenführer, Konteradmiral Nebogatow, während er sich gerade in einer Besprechung mit Major Kratides befand, in der ebenfalls der Tod des Generals besprochen wurde, von dem die Tau’Ri als erste erfahren hatten, da es ihre Soldaten gewesen waren, die die Leiche entdeckt hatten. Ein Projektor warf eine vereinfachte Darstellung des Schlachtverlaufes an die Wand. Immer und immer wieder zeigte er im Zeitraffer die Truppenbewegungen von der Landung bis zum schlussendlichen Fall des Depots. Nachdem er es sich zum zehnten Mal angesehen und sich genauso oft den Hergang vom Major hatte beschreiben lassen, wobei sein Mund sich wortlos bewegt hatte und seine Hände gezuckt hatten, als wolle er Schachfiguren über ein Brett bewegen, sagte er: „Das war von Anfang an so geplant. Wir haben dem Bastard in die Hände gespielt.“ „Was meinen sie?“ „Sehen sie es sich an. Er hat ihnen zu Anfang einige Leute entgegen geworfen und danach in fast regelmäßigen Abständen Angriffe unternommen. Aber es waren nie so viele, dass sie wirklich eine Gefahr dargestellt hätten. Es war gerade genug, damit sie keinen Verdacht schöpften, aber gleichzeitig so wenig, dass er die Verluste hinnehmen konnte.“ „Und zu welchem Zweck das Ganze?“, wollte Kratides wissen. „Königsmord. Der Kerl ist ein Schachspieler. Das einzige Ziel ist der König.“

    „Das kann nicht ihr Ernst sein. So eine Schlacht, so ein wichtiger Planet für einen einzigen Mann.“ „Doch. Es gibt keine andere Erklärung. Sehen sie sich die Daten an. Die Zahlen und die Bewegungen. Die Besatzung des Planeten war ungleich geringer, als wir es erwartet hatten und zugleich führten alle Truppenbewegungen zwangsläufig auf diesen einen Kampf zu, in dem der General den Tod gefunden hat.“ Kratides seufzte. „Also gut. Königsmord. Und mit welchem Ziel?“ „Das kann ich selbst nicht beantworten. Aber er hielt Parigin für wichtig genug, um alles das hier zu initiieren.“ Die beiden Männer saßen einander einen Moment lang schweigend gegenüber, unschlüssig wie sie jetzt reagieren sollten, doch in diesem Moment betrat ein Agent der Tok’Ra den Raum. Sein Name war Korra und er war geschickt worden, um bei der Erfassung der erbeuteten Vorräte zu helfen, damit diese unter den Beteiligten aufgeteilt werden konnten. So lautete zumindest der Plan. Doch als er den Raum betrat, sah er aus, als habe er selbst an der Schlacht teilgenommen. Seine Kleidung war teilweise angerissen, er war von Dreck verschmiert, stank nach Schießpulver und hatte eine blutende Wunde am Kopf. „Was ist mit ihnen passiert“, fragte der Konteradmiral. Die Antwort viel ernüchternd aus: „Die Leutchen sind da unten gerade aufeinander losgegangen. Die Armeen richten untereinander ein Massaker an.“

    Frontplanet Alpha:

    Das Gewehr bockte noch einmal in Nicoles Händen auf, als sie ihre letzten Kugeln verschoss. Reflexartig griff sie nach ihrem Gürtel, um ein neues Magazin zu nehmen, doch da war keines mehr. „Munition“, rief sie in ihr Funkgerät. „Hier“, antwortete Asena, der ihr zwei Magazine zuwarf. Besser als nichts, schoss es ihr durch den Kopf und sie lud ihr Gewehr nach. Sie warf einen Schnellen Blick aus ihrer Deckung heraus und erfasste die Gegner, die sie durch die Gänge trieben. „Los, weiter!“ Die Teams verließen ihre Deckung und liefen den Gang weiter hinunter. Nicole erschoss dabei mit präzisen Salven noch zwei Gegner, dann drehte sie sich um und rannte den anderen hinterher. Ein Schuss aus einer Stabwaffe schlug dabei nur eine Hand breit von ihr entfernt in die mit Glyphen bedeckte Wand ein. Knapp zwanzig Meter weiter warf sie sich hinter ein Relief in eine Nische, wo sie unsanft von der Wand abgebremst wurde. Dabei sah sie mit einem Lächeln zu Guv und Nicole, die sich mit leicht abgekämpft wirkendem Gesichtsausdruck an der gegenüberliegenden Wand feuerbereit machten.

    „Belebend, nicht wahr?“ „Oh yeah, absolutely.“ Corinna, die gerade ihr letztes Magazin in die Railgun einsetzte, grinste Guv an und meinte dan an Nicole gewandt: „Das war das letzte mal, das ich so einem beschissenen Plan zugestimmt habe.“ „Du verkennst da einige Dinge. Erstens ist das hier keine Demokratie, sondern das Militär, weshalb du dir deine eigene Meinung in die Haare schmieren kannst und zweitens hat es doch wunderbar funktioniert.“ „Ja, sicher.“ Die ersten Verfolger bogen um die Ecke und eröffneten sofort das Feuer auf die fünfzehn Soldaten, die den Gang blockierten. Corinna feuerte einen Schuss ab, der drei Gegner tötete und die Wand hinter ihnen förmlich pulverisierte. „Einfach großartig. Du wolltest sie wütend haben. Herzlichen Glückwunsch, sie sind es.“ „Seit wann bist du unter die Pessimisten gegangen?“ „Lass mich überlegen… Ungefähr seit dem Zeitpunkt, an dem ich heute nur noch zwanzig Schuss übrig hatte.“ Weitere Verteidiger stürmten heran, machten jedoch nicht den Fehler der anderen und suchten systematisch Deckung, um die Tau’Ri mit möglichst gezielten Salven einzudecken. Nicole und ihre Leute hielten ihr Feuer dabei zurück und schossen nur noch, wenn sie sich sicher waren zu treffen. Munitionsmangel machte alles andere undenkbar.

    Nach einigen Minuten stellten auch die anderen plötzlich das Feuer ein und Nicole hörte fast schon bedächtige Schritte, die sich näherten. Ein Mann, der noch die alte Rüstung eines Jaffa trug, welche Dumuzis Leute fast völlig abgelegt hatten, kam um die Ecke und sah mit süffisantem Grinsen zu ihnen. „Das sind also die großmächtigen Tau’Ri. Ich muss sagen ich bin ein wenig enttäuscht. Nach allem, was man über ihresgleichen erzählt, hätte ich mehr erwartet, als nur einen Frontalangriff und einen Trupp von Einbrechern, der es kaum zwei Etagen weit in die Festung hinein schafft.“ „Und ich hätte mehr erwartet, als einen Offizier, der sich einfach in unser Schussfeld stellt.“ „Halt mich nicht für dämlich, Weibsbild. Ihr schießt kaum noch, habt also fast keine Munition mehr. Gebt jetzt auf, dann bleibt euch ein sehr schmerzvoller Tod erspart.“ Nicole gab ein kurzes Grummeln von sich, dann hob sie ihre Waffe und schoss um Haaresbreite am Offizier vorbei auf einen Mann, der hinter ihm stand. Die Kugel riss ihm die Halsschlagader auf, so dass er seine Hände darauf presste, während sein Krieger tot zusammenbrach. „Noch haben wir mehr als genug.“ Wütend schrie der Mann: „Tötet sie alle und bringt mir die Frau lebend.“ Die Krieger aktivierten ihre Waffen erneut und wollten schießen, doch plötzlich streikte jede einzelne davon. Nur einen Liedschlag später tauchten die beiden Tollaner aus den Wänden auf. Die Waffenneutralisationsgeräte, die sie an ihren Gürteln trugen, leuchteten dabei hell. Fast synchron zogen sie ihre Waffen und richteten sie auf die Krieger. Eine schnelle Kadenz von Schüssen erledigte die Gegner. Omoro wandte sich Nicole zu und meinte: „Auftrag ausgeführt.“ Sie lächelte. „Keinen Moment zu spät. Hauen sie rein.“ Der Tollaner nickte und nahm einen Fernzünder aus der Tasche. Fast im gleichen Moment, in dem er den Auslöser drückte, explodierten die Sprengsätze, die die beiden am Reaktor gelegt hatten, während die Europäer die Festung aufgemischt hatten.

    Vor der Festung suchte Ernst Allert gerade hinter dem Wrack eines Panzers Deckung und fluchte leise in sich hinein. Der Vormarsch seiner Truppen hatte die äußeren Verteidigungswerke des Gegners im Sturm genommen, doch nun saßen sie am inneren Schildwall fest. Er hatte mittlerweile fünf Myrmidonen und fast einhundert Mann verloren, zusammen mit fast doppelt so vielen verletzten. Außerdem hatte es neun Kampfflieger erwischt, für deren Rettung man Teams in Landekapseln abgesetzt hatte. Er zog eine Granate aus der Munitionstasche an seinem Gürtel und schob sie in den auf sein Gewehr aufgesetzten Werfer. Dann erhob er sich und zielte über das Wrack hinweg auf eine der Stabkanonenstellungen, die seinen Leuten derart einheizten. Die Sprenggranate zerlegte die Stellung. Gleichzeitig feuerten zwei der Panzer auf eine der schweren Geschützstellungen. Nur eine der vier Granaten durchschlug den Schild zog aber am Geschütz vorbei.

    Doch dann, nur wenige Augenblicke später durchzuckte eine heftige Explosion die Festung. Sekundenbruchteile danach fiel der Schild aus und die Plasmageschütze verloren ihre Energie. Ernst stieß einen Jubelruf aus und setzte einen Funkspruch ab: „Scharfschützen, markiert die Docks.“ Die Schützen gaben eine Bestätigung durch und begannen ihre Lasergewehre auf die eingedockten Schiffe zu richten. „Einsatzkoordinator“, gab er die zweite Anweisung durch, „die Basisschilde sind unten. Zielmarkierung für Raketenbeschuss steht. Macht sie fertig.“ Er richtete sein Gewehr wieder auf die Befestigungen und feuerte auf jedes Ziel, das sich ihm bot. Es dauerte nur noch einen Moment, dann übertönte das Dröhnen von Raketentriebwerken den Schlachtenlärm, als mehrere Geschosse der Schlachtschiffe Feuerschweife hinter sich herziehend vom Himmel herabjagten und von den Laserstrahlen gelenkt in die Docks krachten. Sie zerstörten die Halteklammern und sprengten die Hangars, so dass die eingedockten Mutterschiffe abstürzten und auf dem Erdboden zerschellten. Der Anblick schien die Verteidiger zu demoralisieren, so dass ihre Linien zu bröckeln begannen und sie den Rückzug tiefer in die Festung antraten.

    Über der Beta-Frontwelt:

    Nebogatow sprang von seinem Platz auf und fragte den Tok’ra: „Was sagen sie da?“ „Die Truppen von Bund und Matriarchat haben angefangen aufeinander zu schießen. Ein paar Füsiliere fanden die Gelegenheit passend um zu versuchen mich mit einem Goa’uld gleichzusetzen. Ich bin nur knapp mit dem Leben davon gekommen.“ „Was ist mit unseren Leuten?“ „Ihre Soldaten und die Padauren halten sich bis jetzt aus der Sache heraus. Sie hätten auch kaum eine Chance etwas zu erreichen.“ Der Konteradmiral fluchte und lief aus dem Raum. Dabei kontaktierte er die Brücke und befahl: „Kapitän, unsere Schiffe sollen sich sofort formieren und zwischen den Schiffen unserer Alliierten in Stellung gehen. Ich will eine Blockade zwischen Bund und Matriarchat. Kurz bevor er die Brücke erreichte, hallte plötzlich der Gefechtsalarm durch das Schiff.

    Er trat auf die Brücke und sah fragend zum Kapitän. Dieser stand vor dem taktischen Hologramm und beobachtete die Schiffsbewegungen im System. „Was ist los? Warum haben sie Alarm geben lassen?“ „Die Flaggschiffe des Bundes und des Matriarchats haben gerade angefangen aufeinander zu feuern.“ Der Konteradmiral sah fassungslos auf das Hologramm und sah, wie die beiden Flügel der Flotte aufeinander losgingen. Das Bündnis brach gerade vor seinen Augen zusammen. Die ersten Schiffe gingen über dem Planeten in Flammen auf, während der Kommandant der Padauren nach Anweisungen fragte. Verzweiflung kochte in Nebogatow auf, als er versuchte die Kämpfenden zur Räson zu bringen. Binnen weniger Minuten war es schon wieder vorbei. Mehrere Schiffe waren zerstört, die meisten beschädigt. Doch was den Kampf beendete war keine Einsicht, sondern ein extrem starkes Signal, das vom Planeten aus abgestrahlt wurde.

    Es dauerte keine Viertelstunde, dann registrierten die Sensoren eine größere Anzahl an Hyperraumereignissen im Orbit. Ein gutes Dutzend Raumkreuzer tauchten auf und begannen sofort Kampfflieger auszusetzen. Zwei davon waren gewaltige Schlachtschiffe, deren Entwürfe lose auf dem alten Flaggschiffe von Apophis basierten. Auf allen Kommunikatoren im System flackerte das Gesicht von Systemlord Dumuzi auf, der verkündete: „Ihr Menschen seid gekommen, um mich herauszufordern. Ihr habt euch von den Tau’ri und den Tok’ra einflüstern lassen euch gegen das unvermeidliche zu stellen. Jetzt stellt euch den Konsequenzen eures Handelns und erkennt, wo euer Platz ist.“

    Die schnellen Ha’tak des Systemlords eröffneten sofort das Feuer auf die Gegner, kaum dass sie in Waffenreichweite waren. Sie konnten ihre Gegner ohne Schwierigkeiten ausmanövrieren. Gleichzeitig stürzten sich Horusfalken, wie sie in solchen Konzentrationen noch nie in einer Schlacht gesehen wurden, sich auf die alten Todesgleiter, die Bund und Matriarchat ihnen entgegensetzen konnten. Nebogatow formierte seine Schiffe zusammen mit den Einheiten von Padaur zu einer Gefechtslinie. Er stand auf der Brücke und beobachtete angestrengt das taktische Hologramm. „Hauptgeschütze in Bereitschaft. Feindliche Schlachtschiffe anvisieren.“ „Sir, Feindliche Ha’tak versuchen das Flaggschiff des Bundes zu umschließen.“ „Fregattengeschwader drei und vier zum Gegenangriff. Unsere Truppen auf dem Planeten sollen sich durch das Tor absetzen.“ Er besah sich die Anzeigen über die gemessenen Leistungsdaten der feindlichen Schiffe. Der Energieausstoß der Reaktoren der Schlachtschiffe ließ vermuten, dass sie bei ihrer Schildstärke nicht besonders schnell werden konnten. „Bringen sie uns näher ran. Wir sind schneller und manövrierfähiger.“ „Wie nahe, Admiral?“ „Bis in den Schlund der Bestie.“

    Negobatows Flaggschiff, der mächtige Schlachtkreuzer ‚Machiavelli’, beschleunigte und hielt flankiert von vier schweren Kreuzern auf den Gegner zu. Dieser erkannte die Bewegung und begann mit einem Ausweichmanöver, um den schweren Hauptgeschützen zu entkommen, doch seine Schlachtschiffe waren hoffnungslos langsam, so dass sich die Gelegenheit für eine Salve bot, die zwei Ausleger eines der Schlachtschiffe am oberen Drittel abrasierte. Danach eröffneten die Strahlengeschütze das Feuer und beide Seiten lieferten sich ein Feuergefecht auf kürzeste Distanz. Hier zeigte sich allerdings die Strategie, die hinter den neuen Schiffen stand. Sie besaßen mächtige Schilde, die den schweren Waffen der Tau’ri ohne weiteres Stand hielten. Und von den einfachen Plasmakanonen ihrer anderen Gegner zeigten sie sich völlig unbeeindruckt. Zudem besaßen die Schiffe eine Anzahl an Waffen, die sie ein tödliches Sperrfeuer entfesseln ließ. Negobatows Schiffe erzitterten unter dem Dauerfeuer, während die Kontrahenten sich als ebenbürtig erwiesen. Erst als es gelang die Hauptgeschütze ein zweites Mal zum Einsatz zu bringen, konnte das Goa’uld-Schlachtschiff so ernsthaft beschädigt werden, dass es sich in den Hyperraum zurückzog. Doch während es die Erdlinge beschäftigt hatte, hatte das andere unter ihren Verbündeten gewütet. Die Flotten von Bund und Matriarchat, die fast alle Schiffe, die sie besaßen, hatten stellen müssen, um ihre Armeen ans Ziel zu transportieren, waren praktisch völlig vernichtet. Nur noch vereinzelte Al’Kesh schafften es in den Hyperraum. Und so war Negobatow dankbar für die Gelegenheit zum Rückzug, die sich ihm bot, als eine Nachricht des Flottenkommandos ihm mitteilte, dass Verstärkung sich bei einem Planeten zwei Flugstunden entfernt sammelte. Er stellte noch sicher, dass der Rückzug der Bodentruppen durch das Tor begonnen hatte, legte den verbliebenen Streithähnen auf dem Planeten nahe es ihnen gleich zu tun und sammelte die Padauren hinter sich, um sie in Sicherheit zu bringen.

    Der Hyperraumflug dauerte mit interstellaren Triebwerken – intergalaktische konnten aufgrund der niedrigen Marschgeschwindigkeit einiger der älteren Schiffe im Verband nicht eingesetzt werden – vier Stunden. Vier Stunden, in denen der Konteradmiral viel Zeit hatte über sein Scheitern zu sinnieren. Doch als sie dort aus dem Hyperraum sprangen, erhellte der Anblick seine Stimmung wieder, denn die Verstärkung war von anderer Natur, als er erwartet hatte. Über einem Gasriesen, der einem europäischen Unternehmen als Bergbaustandort diente, im ansonsten unbewohnten System standen fünf Großkampfschiffe mit umfangreichem Geleit. Als sie in Kommunikatorreichweite kamen, meldete das Führungsschiff des Verbandes sich: „Admiral Negobatow, hier spricht Admiral Manmohan Pradesh an Bord der INS Viraat. Wir wurden angewiesen uns hier mit ihnen zu treffen. Unsere Aufgabe besteht darin sie in ihrer Offensive zu unterstützen.“ Die Worte machten Negobatow neuen Mut. Mit dem Auftauchen indischer Streitkräfte hätte er am allerwenigsten gerechnet. Also gut, vielleicht noch weniger mit Chinesen, aber trotzdem war eine Einmischung Indiens zum Zeitpunkt ihres Abfluges denkbar unwahrscheinlich. „Ich danke ihnen. Wir mussten uns nach einem feindlichen Gegenschlag von der Front zurückziehen. Wir sollten unsere Schiffe zur Verteidigung formieren. Es ist gut möglich, dass man uns nachsetzt.“

    Und tatsächlich tauchten knapp eine halbe Stunde nachdem sie begonnen hatten ihre Schiffe zu formieren, das zweite Schlachtschiff und sechs Ha’taks auf. Insbesondere durch die Präsenz der Inder waren sie zahlenmäßig deutlich unterlegen, doch der Goa’uld-Kommandant schien es sich nicht nehmen zu lassen eine deutliche Botschaft senden zu wollen, denn er ließ seine Schiffe in Position gehen, um die irdischen Schiffe und den Planeten auf große Distanz zu beschießen. Doch dann geschah ein Ereignis von solcher Seltenheit und solch chaotischem Auftreten, dass niemand es hätte vorhersagen können. Die Sonne des Systems, sowieso kein besonders ruhiger Stern, stieß plötzlich eine gewaltige Sonneneruption aus, die mit rasender Geschwindigkeit das System durchzuckte. Es war keine gewöhnliche Eruption, sondern die wohl stärkste, die die irdischen Raumfahrer bis dahin beobachtet hatten. Ihre eigenen Schiffe standen dicht an einem Mond des Gasriesen, der durch seinen metallischen Kern ein eigenes Magnetfeld generierte, dass sie schützte, doch die Goa’uld-Schiffe wurden voll erwischt. Ihre Schilde konnten die Eruption nicht abfangen, so dass sie völlig mit Neutronenstrahlung überflutet wurden, die im Inneren ihrer Schiffe entstand, als die Sonnenwinde auf ihre Hülle trafen. Die Besatzung starb binnen weniger Minuten einen qualvollen Tod.

    Als Negabatow das sah, starrte er zunächst einige Minuten lang gebannt auf die taktische Anzeige. Als sein indischer Kollege nach Abflauen der Eruption Schiffe schicken wollte, um die nun besatzungslosen Schiffe der Goa’uld aufzubringen, kam plötzlich wieder Bewegung in ihn. Blitzschnell lief er zur Komstation und sagte: „Warten sie einen Moment, Admiral Pradesh. Das ist ein Geschenk des Himmels.“ „Was meinen sie damit?“ „Das hier ist genau das, worauf wir seit Elysium gewartet haben. Wir müssen schnell einige Umbauten an einem unserer Schiffe vornehmen.“

    Als einige Stunden später Späher der Goa’uld in das System kamen, um nach der verschwundenen Flotte zu suchen, sahen sie einen einzelnen Kreuzer der Tau’Ri, der inmitten der unbeschädigten Flotte schwebte und an dessen Bug eine seltsame Gitterkonstruktion angebracht schien, in deren Mitte eine Kugel aus nur mühsam gebändigter Energie schimmerte, die offenbar von Fokussiereinheiten im Gitter in Position gehalten wurde. Der Späher nahm auf die Distanz zugriff auf die noch aktiven Computersysteme der Schiffe und stellte fest, dass Landekommandos der Tau’ri an Bord waren. Er rief die Sensorlogs der Schiffe auf, doch die externen Sensoren waren offenbar zum Zeitpunkt des Todes der Besatzung gestört gewesen, während die internen ihren qualvollen Tod durch Neutronenstrahlung zeigten. Das letzte, was man vor der Störung auf den Sensoren noch sehen konnte, war wie dieser einzelne Kreuzer, an dessen Flanken der Name ‚Chimaira’ prangte, auf die Flotte zuflog und die Waffe an seinem Bug unter Energie setzte. Die Piloten des Spähers erschauderten und suchten mit diesen Daten sofort das Weite. Die Tau’Ri hatten eine neue furchtbare Waffe entwickelt, die ganze Flotten auf einen Schlag vernichten konnte. Diese Nachricht musste den Systemlord erreichen.

    Sechs Tage später auf der Erde:

    Die Nachrichten von der Erde und von den Welten ihrer vormaligen Alliierten hätten in den letzten Tagen nicht unterschiedlicher sein können. Währen Harry Maybourne nicht ohne ein fröhliches Schmunzeln hatte feststellen können, wie sich das Säbelrasseln zwischen Europa und der Allianz in Wohlgefallen aufgelöst hatte – lediglich einige ultrarechte Schreihälse auf beiden Seiten forderten noch Krieg – waren die Reaktionen ihrer Verbündeten auf den Verlauf der Offensive niederschmetternd. Was auf der Erde als Zeichen von Stärke und Durchsetzungsvermögen interpretiert worden war, hatte bei den Oanes Abscheu hervorgerufen. Man hatte die Tau’ri beschuldigt unfähig zu sein eine Allianz zusammen zu halten und nicht genug getan zu haben, um die Katastrophe zwischen Bund und Matriarchat zu verhindern. Eine Einschätzung, die Maybourne durchaus zu teilen begann, gab es doch kein Matriarchat mehr. Die Raumschiffe, die eine Verlegung von Truppen und Ressourcentransport zwischen den verschiedenen Planeten ermöglicht hatten, waren die Lebensadern jenes Bündnisses gewesen. Nun ohne sie waren die Systeme isoliert und noch nicht bestätigten Gerüchten zu Folge hatte Dumuzi bereits ein halbes Dutzend davon angegriffen und erobert. Dem Bund erging es ähnlich, sah man davon ab, dass er sich wesentlich besser hielt. Seine Welten waren technisch fortschrittlicher und industriell stärker gewesen, so dass sie auch auf sich allein gestellt ernst zu nehmende Gegner darstellten.

    So wurde ihm nun klar, dass sie Dumuzi von Anfang an in die Hände gespielt hatten. Er wusste, dass Bund und Matriarchat wie Materie und Antimaterie waren. Brachte man sie zusammen, musste es zu einem Inferno kommen. Die Europäer hatten gehofft diese Urgewalt beherrschen zu können, dabei jedoch die Fähigkeit der anderen zum Pragmatismus überschätzt. Damit hatten sie ihm die Arbeit abgenommen und letztlich eine Wende in einem Krieg herbeigeführt, den er zu verlieren begonnen hatte. Die einzigen Lichtblicke in diesem Schlamassel waren, dass Indien nun offiziell bei allen Fremdweltaktionen militärisch auf Seiten der EU stand und dass sowohl die Tollaner, als auch Skolotai und die Padauren in dieser Situation weiter zum Bündnis hielten, das auf so grandiose Art gescheitert schien. Und vielleicht gab es noch einen.

    Er las gerade Berichte, als die Tür zu seinem Büro sich öffnete und ein Offizier des Geheimdienstes hereingeschneit kam. Er legte ihm ohne viel Aufhebens eine Akte und meinte: „Das sollten sie sehen.“ Maybourne nahm die Mappe, auf der mit großen Buchstaen CHIMAIRA und der Aufdruck ‚Streng geheim’ standen. Er schlug sie auf und sah sich die ersten Unterlagen durch. Schließlich fragte er: „Was ist das?“ „Dass ist unsere Rettung. Am Ende der Offensive rettete dieses Waffensystem unserer Flotte das Leben. Es ist in der Lage direkt in Feindschiffen Neutronenstrahlung zu induzieren und so ihre Besatzung zu töten. Es gibt keine bekannte Verteidigung.“ Er sah den Mann ein wenig scheel an und fragte: „Wollen sie mich verarschen? Ich habe die offiziellen Berichte gelesen. Es war eine Sonneneruption.“ „Nein, derartige Berichte existieren nicht. Es war ein neues Waffensystem.“ Er setzte sich auf den Stuhl, der dem Schreibtisch gegenüber stand. „Sehen sie auf Seite drei.“ Maybourne tat, wie ihm geheißen und entdeckte dort eine Art Zeitungsartikel. „In den nächsten Tagen“, verkündete der Agent, „wird ein Journalist einer Warschauer Zeitung ein Treffen mit einem Informanten haben, den wir ihm vor Jahren vor die Nase gesetzt haben. Er weis nicht, dass er letztlich schreibt, was wir lesen wollen, aber gerade das macht ihn nützlich. Der Informant wird ihm von CHIMAIRA erzählen und sein Artikel wird weltweite Resonanz hervorrufen. In ein paar Tagen wird dann Doktor Rodney McKay, der anerkannt größte Experte für experimentelle multidimensionale Technologie in einer Talkshow auftreten und erklären, dass diese Waffe eine Weiterentwicklung von Antikertechnologie darstellt, die wir damals in der Pegasus-Galaxie gefunden haben. Er wird genug Fakten in den Raum streuen, um der Sache Glaubwürdigkeit zu verleihen.“ Maybourne sah ihn über das Papier an und meinte: „Die Sache ist also ein riesiger Bluff?“ „Nein. Die Sache ist unser einziger wirksamer Schutz gegen die Streitkräfte von Nyx. Sie wissen, dass nicht wir die Wurmlochwaffe eingesetzt haben. Aber wenn wir die Galaxie glauben machen können, dass wir eine vernichtende Waffe wie diese besitzen, ist das für uns der heilige Gral. Wir werden vorerst unangreifbar sein, solange die Fassade hält.“ Maybourne nickte, dachte sich aber zugleich, dass in diesen Sätzen zu viel Konjunktiv drinsteckte, um ihn wirklich zu beruhigen.
    Die Freiheit des Bürgers heißt Verantwortung.

    (Joachim Gauck)


    "You may belong to any religion[...] - that has nothing to do with the buisness of the state. We are starting with this fundamental principle, that we are all citizens and equal members of one state." (Sir Mohammed Ali Jinnah)

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  2. #42
    Gehasst, Verdammt, Vergöttert Avatar von Colonel Maybourne
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    Die Taktik von Duzumi war ziemlich clever gewesen, auch wenn er einiges an Truppen in dem Kapf berloren hat.
    Vor allem die gesprengten Hatak in dem versteckten Flottenstützpunkt dürfen ihn mehr als nur schmerzen.

    Was die Erde angeht, so verhält sich Kinsey ja fast genau wie sein Vater, wenn nicht sogar noch schmieriger.
    Allerdings dürfte ihm die Erklärung Indiens, jetzt eine Allainz mit Europa geschlossen zu haben, bitter aufstoßen.
    Denn wenn Brasilien auf den selben Trichter kommt, dann geht das Pulverfass doch erst richtig in die Luft.

    Die Sache mit der Sonneneruption und der anschließenden Vertuschung, bzw Falschmeldung war hingegen klasse.
    Erinnerung so schön an den kalten Krieg, wo die Amis und Sowjets sowas praktisch einmal im Monet vom Stapel ließen.
    Und Duzumi wird sich hüten, die Erde direkt anzugreifen, wenn er von der Militärischen Macht erfährt.

    Bis dann.
    Das Leben ist ein Schwanz und wir die Eier, die mitgeschleift werden.


    Meine aktuellen Fanfiction:


    TGE Combined Season 1 Fire of War:

    http://www.stargate-project.de/starg...ad.php?t=11836




  3. #43
    dumm geboren und nix dazugelernt:P Avatar von Santanico Pandemonium
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    Wow, das war mal wieder Arbeit das alles durchzulesen... da weiß ich gar nicht mehr was ich schreiben wollte

    Jedenfalls war die Schlacht gut beschrieben und nachvollziehbar. War die Offizierin des Matriarchats jetzt eigentlich eine Agentin Dumutzis oder war sie bloß so dämlich und wollte den Bund schaden indem sie das Rauschen aussendet und hat damit unbewusst Dumutzi in die Hände gespielt? Die Erdlinge müssten doch eigentlich das Störsignal empfangen müssen und zurückverfolgen können.

    Die Sache mit kinsey war auch interessant, der hat sich da ja auf einem schmalen Grat bewegt, was sehr gefährlich ist auf einer derart hochgerüsteten Welt.

    Die Neutronenwaffe zum Schluss war auch interessant, oder war es doch nur die Sonne? Bin gerade nur verwirrt...
    WEIR: ... putting your life and other people's lives at risk. You destroyed three quarters of a solar system!
    McKAY: Well, five sixths. It's not an exact science.
    WEIR: Rodney, can you give your ego a rest for one second?

    Ein Jahr später:
    Spoiler 
    CARTER: About a year ago, your brother came across an abandoned alien experiment called Project Arcturus.
    CARTER: It was an attempt to generate zero point energy.
    JEANIE: That would be virtually limitless power. What happened?
    McKAY: A slight problem. It was the creation of exotic particles in the containment field.
    CARTER: He destroyed a solar system.
    JEANIE: Meredith! (She smacks his arm.)
    McKAY: It was uninhabited!

  4. #44
    Autor der ungelesenen FF Avatar von Protheus
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    Auf ein neues. Zunächst zu den Reaktionen:

    @Colonel Maybourne: Jep, die Strategie war gewagt. Aber letztlich war sie das Ergebnis der Situation, die ihm durch das Wiederauftauchen der Erde aufgezwungen wurde. Er musste diesen Krieg führen und hätte ihn auf 'konventionellem' Wege verloren. Also hat er die Erde kurzerhand als Vollstreckungsgehilfen wider Willen eingespannt und sich einige lästige kleinere Feinde so vom Hals geschafft. Außerdem wollte ich eine Schlange kreieren, die tatsächlich in der Lage ist gegen die Erde gegen zu halten und nicht einfach so hinweggefegt wird. In Puncto Kinsey: Meine Lieblingskreation. Der wird uns noch einige Zeit lang erhalten bleiben. Und ja, die Sache mit Indien bringt ihn in eine unangenehme Lage. Aber dafür kann er der Öffentlichkeit Brasilien als Kriegsbeute präsentieren. Das ist auch etwas wert. Und CHIMAIRA... Tja, der Name ist Programm^^

    @Santanico Pandemonium: Danke für die Blumen. Die Schlacht hat tatsächlich auch einige Mühe gemacht. Ich hab meine ursprüngliche Version verworfen und das, was hier im Forum steht, statt dessen neu geschrieben. Ich wollte bei den Armeen von Matriarchat und Bund eine Atmosphäre einer Massenarmee erzeugen, die verzweifelt vorwärts stürmt und alles auf ihrem Weg zermalmt. Ich finde, dass der Regen ein vernünftiges Mittel war, um diese Atmosphäre rüber zu bringen. Und die Offizierin wurde tatsächlich bestochen. Deshalb hatte Dumuzi gegenüber Baal auch von etwas Gold gesprochen. Und in Sachen Neutronenwaffe: Das ist nur ein riesiger Bluff. Es gibt keine solche Waffe und der Geheimdienstler will mit seiner Wortwahl nur deutlich machen, wie ernst die EU diese Sache nimmt. Sobald also ein Gegner die Probe aufs Exempel macht, wird er feststellen, dass die Apparatur am Bug des Kreuzers nichts anderes ist, als etwas Budenzauber.

    Zum neuen Kapitel: Länge dieses Mal genau 14 Seiten, nähert sich also wieder dem angepeilten Umfang. Das ganze soll Leute beschreiben, die meiner Meinung nach in solchen Geschichten immer zu kurz kommen. Gewissermaßen die kleinen Leute an der Basis. In diesem Fall die Raumfahrer. Ich habe mich bemüht ein wenig gefühlte Authentizität mit rein zu bringen und sie ein wenig kauzig zu beschreiben. Ich hoffe, dass das ganze gut rüber gekommen ist. Und wie in diesem Kapitel schon angedeutet wird, wird es um Jules nicht dauerhaft so ruhig bleiben, wie im Moment. Außerdem sei erwähnt, dass es eine kleine Namensänderung gibt. Der Statist, den ich in "Das Kapital" Voigt genannt habe, heißt hier Naumer. Das hat programmatische Gründe. Die Figur wird neu interpretiert.


    Episode 11: Völkerwanderung

    Zuerst wurde Jules vom harten Licht der Neonleuchten geblendet, als die Tore des Hangars vor ihren Augen aufglitten. Sie wandte den Blick ab und blinzelte zwei drei Mal, bevor sie wieder vernünftig sehen konnte. Eine Träne stieg ihr dabei in die Augenwinkel. Gideon hingegen schien die Helligkeit nichts auszumachen. Er stand mit seinem Gehstock in den Händen neben ihr und sah unumwunden in das Licht. Während sie ihren Blick wieder hob, fiel ihr auf, dass er sein Gewicht nicht mehr auf den Stock stützte, sondern diesen nur noch zur Zierde zu tragen schien. Die Medikamente, die die Ärzte ihm gaben, verfehlten ihre Wirkung wahrlich nicht. Sie lenkte ihren Blick in den Hangar hinein und sah darin ein sehr schlichtes Raumschiff von gut siebzig Metern Länge. Es schien vor allem aus seinem großen Hangar im Mittelschiff zu bestehen, um den ein Antrieb und eine Bugsektion herumgebaut wurden. Dazu kamen Aufbauten von ungefähr vierzig Metern Länge, die ein zusätzliches, wenn von außen auch etwas beengt wirkendes Deck bildeten. Das Schiff schien erst kürzlich neu lackiert worden zu sein und strahlte in etwa die Eleganz eines Backsteines aus.

    Davor standen achtunddreißig Männer und Frauen. Sie wirkten in ihren grauen Uniformen und mit ihren verhärteten Gesichtern wie eine Truppe, die eine Inspektion durch ihren Offizier erwartete. Als sie und Gideon den Hangar betraten, machte einer der dort wartenden, ein durchtrainiert wirkender Mann, den Jules auf ungefähr fünfzig Jahre schätzte, zwei Schritte vor und salutierte vor ihnen. Es war derselbe Mann, der die Wächter angeführt hatte, die sie nach Petersburg begleitet hatten. „Herr von Sachleben“, sagte er in einem Tonfall, der verriet, dass er ein Leben in militärischen Einheiten gewohnt war, „die ‚Argo’ ist startbereit.“ Gideon nickte. „Gut. Gab es irgendwelche Probleme mit dem Material oder der Mannschaft?“ „Nein. Alle Systeme funktionieren ordnungsgemäß und ich habe zwei Ausfälle unter der Mannschaft mit nachträglichen Anwerbungen ausgeglichen.“ „Wer ist abgesprungen?“ „Ich habe mich bereits darum gekümmert.“ „Diese Sache ist kritisch, Naumer. Ich kann es mir nicht erlauben, dass jemand rumerzählt, was ich hier vorhabe.“

    Der Soldat – nein, wahrscheinlich eher der Söldner – sah Gideon noch für einen Moment schweigend an, dann meinte er: „Lippert und Sanchez.“ Anstatt direkt darauf zu antworten murmelte er nur „Na also“ und zog einen Filofax aus der Anzugtasche, um sich die Namen zu notieren. Dann sah er zu Jules und meinte: „Komm, ich zeige dir das Schiff.“ Sie nickte und folgte ihm zur Eingangsluke. Dabei rief er dem Kommandanten der Söldner zu: „Sie haben in einer Stunde ein Startfenster. Sorgen sie dafür, dass das Schiff rechtzeitig in die Luft kommt.“

    Im inneren des Schiffes bestätigte sich Jules erste Einschätzung, dass es Eng war. Die Gänge waren kaum mehr als einen Meter breit und zwei durchtrainierte Männer hätten Schwierigkeiten gleichzeitig hindurchzugelangen. Der Heckbereich, über den man das Schiff betrat, bestand fast ausschließlich aus einem kräftigen Maschinenblock, dem ersten Anschein nach eine Anordnung mehrerer einfacher Linearbeschleuniger. Der Maschinist schien bei den Antrieben zu schlafen, denn im Maschinenraum lagen eine aufgerollte Hängematte und ein paar persönliche Gegenstände in einer Nische verstaut. Den Übergang in den Hangar stellte ein kurzer Durchgang dar, der zwischen verschiedenen Tanks hindurch führte. Die Techniker schienen auf die ursprüngliche Verschalung an den Wänden verzichtet zu haben, um leichter an die Tanks zu kommen, was dem Gang zwar etwas das klaustrophobische Element nahm, die Luft aber gleichzeitig mit widerwärtigen Ausdünstungen der Tanks und Leitungen schwängerte, so das Jules für einen Moment kämpfen musste, um ihr Frühstück im Magen zu behalten. Der Hangar selbst war schließlich der einzige etwas größere Raum auf dem Schiff. Dort waren acht Kampfflieger eines Jules unbekannten Typs abgestellt. Mehrere Maschinen hingen dabei in Halteklammern unter der Decke, um Platz zu sparen, während die anderen startbereit auf Katapulten standen.

    „Eigentlich kann diese Schiffsklasse nur sechs Jäger tragen“, erklärte Gideon ihr, „aber der hier wurde stark modifiziert. Durch die Katapulte können die Piloten ohne ihre Triebwerke starten, so dass kein Sicherheitsabstand gebraucht wird. Außerdem haben wir sehr Platz sparende Maschinen an Bord genommen. So bekommen wir zwei mehr an Bord.“ „Dann ist das ganze als Trägerschiff gebaut worden?“ Er atmete einmal tief durch, dann meinte er etwas zögerlich: „Jep. Diese fliegenden Container wurden als Geleitträger für Konvois gebaut. In letzter Zeit stößt die Regierung sie in Massen ab, weil sie auf größere Schiffe umsteigen. Da ist es einfach an so was zu kommen.“ Jules bemerkte, wie zwei der Söldner Gideon bei diesen Worten argwöhnisch musterten. Irgendetwas, was er sagte, schien ihnen sauer aufzustoßen. Doch bevor sie groß darüber nachdenken konnte, nahm er sie schon mit aufs Oberdeck – im vorderen Bereich war sowieso nichts Interessantes zu sehen, außer bis zum Rand vollgestopfter Lagerräume.

    Oben befanden sich eine kleine Brücke, ein achteckiger Raum, der gleichzeitig die Komstation beherbergte und als Koordinationszentrum für die Jäger diente, sowie die Crewquartiere und eine kleine Messe. Jules bekam, anders als die anderen an Bord, eines davon für sich allein, was trotz des sehr begrenzten Platzes – lediglich sechs Quadratmeter und eine Schlafnische – einen echten Luxus darstellte. Nachdem sie ihre Sachen dort verstaut hatte, ging sie mit Gideon zurück auf die Brücke, wo sie Naumer und zwei andere Söldner vorfanden, die gerade damit beschäftigt waren die Schiffssysteme hochzufahren. Jules merkte, wie der Anführer mit einer Computerstation sprach, deren Antworten jedoch für ein gewöhnliches Spracherkennungsprogramm zu individuell schienen. Gideon, der ihre unausgesprochene Frage zu erkennen schien, klatschte einmal mit der flachen Hand auf die Konsole und meinte: „Das hier ist das Herzstück der Modifikationen. Eine KI, die das Schiff fliegt.“ „Eine echte KI? Ist so was nicht verboten?“ Naumer stieß einen spöttischen Laut aus und erwiderte: „Das ist einer der Vorteile, wenn man außerhalb der Legalität operiert. Das Gerät ersetzt uns den Navigator und den Piloten für diesen Kübel.“ „Es wird einen Grund geben, warum solche Systeme verboten sind.“ Der Söldner sah von der Station auf und musterte sie mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen. „Ja, den gibt es. Den Chinesen ist 2019 ein militärische KI ausgetickt und hat die Kontrolle über ein Arsenal autonomer Waffensysteme übernommen. Sie mussten Atomraketen einsetzen, um das Ding wieder zu rösten. War damals über Wochen ganz groß in allen Nachrichten.“

    „Besten Dank für die Auskunft, Naumer“, schnitt Gideon ihm das Wort ab. „Und jetzt zurück an die Arbeit.“ „Jawohl.“ Gideon nickte und wandte sich wieder Jules zu, um ihr zu erklären, dass der Rumpf mit zusätzlichen Panzerplatten verstärkt und das Schiff mit drei leichten Railguns nachgerüstet worden war. Als er mit der Aufzählung fertig war, schloss er mit den Worten: „Das sollte eigentlich die Chancen verbessern. Der lokale Cluster ist gefährlicher, als mancher glaubt. Also sei vorsichtig.“ Sie nickte und schmiegte sich ein wenig an ihn, um ihm noch einen Abschiedskuss zu geben. Die nächsten Monate würden sie einander nicht mehr sehen, während sie unterwegs war. Als sie sich wieder voneinander gelöst hatten, raunte er ihr zu: „Ich liebe dich, Jules.“ Sie wollte etwas antworten, doch im Augenwinkel sah sie etwas, was sie ablenkte. Obwohl er mehr geflüstert, als gesprochen hatte, schien Naumer Gideons Worte verstanden zu haben. „Verdammt Sachleben“, rief er wütend, „dann ist es also wahr. Ich habe ihr Gesicht gleich wieder erkannt, als wir sie nach Petersburg eskortiert haben.“ „Und?“ „Sie haben mich die ganzen Jahre belogen. Ich bin bei ihnen geblieben, weil sie mir was davon erzählt haben ich sollte ihnen helfen ihr Andenken zu bewahren. Und die ganze Zeit hatten sie kein Recht für sie zu sprechen.“

    Verwundert sah Jules zu Gideon. Bevor sie allerdings eine Frage stellen konnte, machte Naumer einen Ausfallschritt und wollte nach Gideon schlagen. Dann ging alles blitzschnell. Sie packte seine vorschnellende Hand, schaffte es irgendwie seinen Arm auf den Rücken zu biegen und schmetterte ihn zu Boden. Die beiden anderen Söldner wollten ihre Pistolen ziehen, doch ein stählerner Blick von Jules ließ sie in ihrem Tun innehalten. Jeder Gedanke über das, was er gesagt hatte, war verflogen, als er Gideon hatte angreifen wollen. Er sah immer noch wütend aus, doch als sie sich herunterbeugte, um mit ihm etwas zuzuflüstern, schien er sich wieder halbwegs unter Kontrolle zu haben. „Egal, was zwischen ihnen passiert ist, sie haben gerade einen Fehler gemacht. Sie wollten in meiner Gegenwart meinen Mann angreifen. Also entschuldigen sie sich, oder ich breche ihnen den Arm.“ Sie flüsterte diese Worte nur, aber trotzdem klangen sie bedrohlicher als jedes Brüllen. Er schien zuerst Widerworte äußern zu wollen, doch als sie seinen Arm noch etwas stärker verbog, war der Schmerz stärker, als der Trotz. Widerwillig presste er zwischen Zähnen hervor: „Ich bitte um Verzeihung, Herr von Sachleben.“

    „Na also, geht doch.“ Sie ließ ihn los und stand wieder auf. Gideon sah den sich wieder aufrappelnden Söldner dabei verächtlich an. „Sie haben Glück Naumer, dass ich sie gerade brauche. Anderenfalls hätten wir jetzt sehr ernste Probleme miteinander.“ „Jawohl, Herr von Sachleben.“ Er spuckte den Namen geradezu aus, als sei es Gift. Gideon schien dies zu ignorieren, und meinte: „Und jetzt bringen sie dieses Schiff in die Luft.“ Er umarmte Jules noch einmal und sagte: „Ihr müsst jetzt los, sonst seid ihr für einige Tage am Boden gefesselt. Wir besprechen alles weitere, sobald ihr eine Sprechverbindung aufbauen könnt. Pass auf dich auf.“ Sie verabschiedeten sich noch einmal voneinander, dann verließ er das Schiff. Er ging jedoch nicht sofort, sondern blieb noch ein wenig am Rande der Landebahn stehen und beobachtete den Start. Erst als der helle Schein der Triebwerke zwischen den Sternen über dem Raumhafen Frankfurt nicht mehr zu erkennen war, machte er sich auf den Rückweg nach Hause.

    Während die KI den Träger assistiert von Naumer, der offenbar nicht das erste Mal auf diese Art ein Schiff kommandierte, in den Orbit brachte, suchte Jules sich einen Platz auf der Brücke von dem aus sie alles im Auge behalten konnte. Dabei gingen ihr Naumers Worte immer wieder durch den Kopf. Sie hatte sich schon gefragt, wie Gideon diese Leute hatte anheuern können. Es schien eine bunt gemischte Truppe aus aller Herren Länder zu sein. Mindestens fünf Asiaten, drei Araber und ebenso viele Lateinamerikaner waren darunter. Doch gleichzeitig schienen sie eine sehr gut eingespielte Mannschaft zu bilden. Alle Vorgänge beim Start waren mit einer Reibungslosigkeit abgelaufen, die sie nur von gut ausgebildeten Militäreinheiten kannte. Außerdem war zu sehen, dass sie ihre Uniformen nicht trugen, weil sie es schick fanden im Einheitslook herum zu laufen, sondern weil sie eine streng durchreglementierte Einheit bildeten.

    Der Träger fädelte sich in ein Startfenster zwischen Linienraumschiffen ein und passierte die inneren Postenschiffe des Zolls auf Höhe der Aurora. Danach ließ Naumer die Beschleunigung verringern und das Schiff in den Warteorbit einschwenken, in dem die beiden Kolonieschiffe warten sollten, die zu eskortieren sie hier waren. Während die Söldner damit beschäftigt waren die Funkfeuer zu setzen, anhand derer die Avis sie finden sollten, warf Jules einen Blick aus den Brückenfenstern, die umlaufend um die Kontrollstationen platziert worden waren. Sie konnte die Erde vom kaspischen Meer bis hin zu den britischen Inseln sehen. Über allem schwebte die Raumstation Aurora, majestätisch wie für einen Seefahrer in vergangenen Zeiten die Leuchtfeuer des rettenden Hafens. Dann etwas anderes ihren Blick. Zwischen den dutzenden von Schiffen, die allein in jenem Ausschnitt des Erdorbits standen, den sie hier sehen konnte, schob sich etwas entlang, das so groß war, dass selbst die Raumstation daneben klein aussah. Es sah aus, wie eine gewaltige metallisch schimmernde Ellipse, die von einem Halo aus flimmerndem Licht umgeben war. Es wirkte fast ein wenig wie Nordlichter. In Relation zur Station gesetzt schätzte sie die Größe ohne weiteres auf mehr als zwanzig Kilometer.

    Während sie wie gebannt auf das Objekt starrte, für das alle anderen Schiffe eine Schneise gebildet hatten, fragte sie: „Was ist das?“ Naumer, der sich nachdem sie ihm das Deck vorgestellt hatte offenbar entschieden hatte sie zu ignorieren, überging die Frage einfach, doch die Söldnerin, die an der Funkstation saß, meinte: „Ein Solarsegler.“ Auch sie gab sich reichlich einsilbig, nachdem sie miterlebt hatte, wie Jules mit ihrem Vorgesetzten umgesprungen war. Es war jedoch vor allem die gleiche Wut, die auch Naumer verspürte und die Gideon galt. Sie alle kannten ihn wahrscheinlich besser als seine Frau und die Erkenntnis, dass sie in dieser Sache belogen worden waren, ließ sie an einer Menge Dingen zweifeln, die er ihnen im Laufe der Jahre erzählt hatte. Doch glücklicherweise kam Jules nicht mehr dazu an diesem Punkt nachzuhaken, denn das Funkfeuer wurde in diesem Moment beantwortet.
    Die Freiheit des Bürgers heißt Verantwortung.

    (Joachim Gauck)


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    Kapitän Anton Bartok eilte durch die rot beleuchteten Korridore des Kommandodecks auf die Brücke zu. Gerade hatte sein Funkoffizier ihm mitgeteilt, dass das letzte Schiff des Konvois eingetroffen war und sie endlich los fliegen konnten. Die Nachricht hatte das nach dem Ende der Startvorbereitungen so ruhig daliegende Schiff in ein Epizentrum der Betriebsamkeit verwandelt. Vor allem für die Maschinisten und die Astronautische Crew bedeutete dieser Augenblick den Beginn von viel Arbeit, um das Schiff in den offenen Raum zu bringen, wo sie navigieren und letztlich den ersten Sprung einleiten konnten. Auf diesen Schiffen hing noch viel von den Menschen an Bord ab und dieser Umstand erfüllte die Besatzungen der Avis mit einigem Stolz. Sie waren die Pioniere gewesen, die wieder ins All vorgestoßen waren, nachdem die militärische Raumfahrt zwischendurch fast völlig eingestellt worden war. Sie hatten die Kolonisation überhaupt erst ermöglicht und waren zum Sinnbild des Raumfahrers geworden, der gleich Seefahrern auf den Ozeanen vergangener Jahrhunderte zu einem Helden stilisiert wurde. Zumindest war das so gewesen, bevor die großen Unternehmen angefangen hatten ihre Frachterflotten mehr und mehr auf Autopiloten umzustellen und die militärische Raumfahrt jene hunderttausenden von Raumfahrern aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verdrängte, die immer noch die wahren Garanten der Zeitenwende hin zur weltenübergreifenden Gesellschaft waren. Das große Zeitalter der unabhängigen Kolonisation schien vorbei und die Bewunderung für die Raumfahrt sollte offenbar mit ihm ein Ende finden.

    Er erreichte die Brücke und die schweren Panzertüren glitten vor ihm auseinander. Der weitläufige Raum dahinter war nur vom Licht der Arbeitsstationen und dem erhellt, was von außen hineinfiel. Nur so konnten die Besatzungsmitglieder im Zweifelsfall erkennen, was außerhalb des Schiffes geschah, etwas, dass sich mehr als einmal als Lebensrettend erwiesen hatte. Nicht umsonst waren die meisten Schiffe mit optischen Sensoren ausgestattet. Nachdem seine Augen sich durch das schwache Licht in den Korridoren bereits an die Dunkelheit hatten gewöhnen können, bereitete es Anton auch auf der Brücke keine Schwierigkeiten sich zurechtzufinden. Sein erster Offizier deutete mit einigen Handzeichen aus den Fenstern und gab ihm dann einen Wink zur Kommunikationskonsole. Mit einem Nicken trat er dorthin und nahm die eingehende Nachricht an. Eine Lampe flammte vor dem Bildschirm auf und illuminierte sein Gesicht, so dass die Kamera und damit letztlich sein Gesprächspartner ihn zu sehen vermochte. Dann aktivierte sich der Bildschirm und das Gesicht einer Frau, die ihm irgendwoher bekannt vorkam, wurde sichtbar. „Hier ist…“ – ein kurzes Zögern – „der Träger ‚Argo’. Raumschiff ‚Akkan’, sind sie reisefertig?“ Er lachte verschmitzt in sich hinein und antwortete: „Jederzeit.“ „Dann lassen sie uns keine Zeit verlieren. Beschleunigen sie und steuern sie die Sprungzone an.“ Er nickte, fügte allerdings noch hinzu: „Ich möchte Anraten uns die Navigation zu überlassen. Meine Leute können alle sechs Schiffe im Sprung koordinieren.“ „Machen sie es so.“ „Ausgezeichnet. Koppeln sie ihre Navigation an unsere, wir leiten sie dann durch den Sprung.“

    Unterdessen auf der Erde:

    Nachdem das Schiff gestartet war, ging Gideon mit schnellen Schritten über die Startbahnen hin zum Terminal des Privatbereiches des Raumhafens. Es war ein gediegen wirkendes dreistöckiges Gebäude, das von berühmten Stararchitekten gebaut worden war und auf dezente Art und Weise die Abgrenzung einer finanziellen Elite, die seit der humanistischen Wende in Europa und dem Krieg auf Ganymed mit Nachdruck am schmollen war, vom Pöbel des einfachen Volkes darstellte. Angesichts der Klientel, die hier verkehrte – der Betrieb von Raumschiffen zu rein privaten Zwecken stellte, gelinge gesagt, eine Herausforderung für die Finanzen selbst wohlhabender Menschen dar – war dieser Umstand nicht weiter verwunderlich und Gideon genoss einen Aufenthalt in dieser an einen gehobenen Herrenclub erinnernden Atmosphäre normalerweise. Doch heute hatte er kein Auge für die im hiesigen Restaurant dargebotenen Speisen – der Koch durfte sich mit fünf Sternen zieren – oder die hervorragenden Spirituosen im Rauchersalon. Stattdessen durchquerte er das Gebäude mit schnellen Schritten, um zum Wagen zu gelangen, der davor auf ihn wartete. Er musste schnellstens einige Telefonate führen, um seine Investition und noch wichtiger Jules zu schützen.

    Als er jedoch den Vorplatz betrat, war die Limousine, in der sein Chauffeur auf ihn hatte warten sollen, nirgends zu sehen. Stattdessen kamen zwei Männer in edlen schwarzen Anzügen auf ihn zu. Der eine schien die ganze Zeit die Umgebung zu beobachten, während der andere sagte: „Herr von Sachleben, kommen sie bitte mit uns.“ Ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden auf sie zu hören, herrschte er sie an „Aus dem Weg“ und wollte sich an ihnen vorbeischieben. Doch sie stellten sich ihm erneut in den Weg und einer sagte: „Bitte, Signore Falconi möchte sie sprechen.“ Bei diesen Worten deutete er mit einer Geste auf eines der wartenden Fahrzeuge, einen Rolls Royce mit abgedunkelten Scheiben, den Gideon wiedererkannte. Widerwillig nickte er und ging auf den Wagen zu. Einer der Männer hielt ihm die Tür auf, während der andere sich ans Steuer setzten. Wenige Augenblicke später fuhren sie los.

    Auf der Rückbank des Wagens saß ein Mann in einem maßgeschneiderten Seidenanzug, dessen zurückgegelte Haare und dunkler Teint ihm ein schmieriges Äußeres verliehen, den Gideon aber sehr gut als einen der wohlhabendsten Waffenfabrikanten Europas kannte. Seine Firma stellte Leitsysteme für Raketen her und wie Gideon war er bei der Sache auf Ganymed mit einem blauen Auge davon gekommen, was allerdings weniger damit zu tun hatte, dass er seine Spuren gut verwischt hatte, sondern damit, dass er die israelische Armee belieferte und der Mossad ihn dafür protegierte. „Hallo Gideon“, begrüßte er seinen halb unfreiwilligen Fahrgast mit einem Grinsen und starkem italienischem Akzent. „Mir kamen in letzter Zeit Dinge zu Ohren, die mein Interesse geweckt haben. Einiges davon gefiel mir ganz und gar nicht.“ „Irgendetwas von allgemeinem Belang?“ Der Italiener grinste und holte aus der Mittelkonsole des Wagens eine Flasche Cognac, sowie zwei Gläser heraus. „Dass du heute so kurz angebunden bist zeigt mir, dass du schon in die richtige Richtung denkst.“ Zuerst gab er ihm ein Glas der edlen Spirituose, dann zog er einige Papiere heraus, die er zwischen sie beide auf die Rückbank warf. Das oberste davon ließ Gideon innerlich erstarren. Es war ein Photo, das ihn und Jules in Petersburg zeigte.

    „Ich muss gestehen, dass ich ziemlich enttäuscht bin. Seit Jahren lassen wir alle einander gegenseitig ausspionieren und dann unterläuft dir nicht nur ein solch gravierender Fehler, sondern gleich eine ganze Reihe. Wobei die Schuld wohl weniger bei dir, als bei deinem unfähigen Sohn liegt.“ Nachdem er seine Sprache wieder gefunden hatte, murmelte Gideon: „Wie meinst du das?“ „Ich bitte dich: Die Finanzströme zum Freikauf deiner Japaner hast du ja noch ganz gut verschleiert, aber danach… Fünf Avis, startklar gemacht binnen zwei Wochen und Material für eine Koloniegründung in einem Ausmaß, wie wir es seit der zweiten Welle für Sarpedon nicht mehr gesehen haben. Gesamtvolumen der Operation von über 600 Millionen Euro. Dazu Verhandlungen mit Banken über Kredite für eine neue Werft. So etwas lässt sich nicht verschleiern, insbesondere wenn dein Sohn das Geld aus deinen Briefkastenfirmen abzieht.“ Er seufzte. „An sich hätte der Aufsichtsrat ja gar nicht mal was dagegen, wenn du versuchst die wilden Kolonien als Markt zu erschließen. Es kann uns nur recht sein, wenn dort jemand den Boden für weitere Geschäftsbeziehungen bereitet. Aber du weist, was diese Gegenden für uns bedeuten und du weist, wie deine Frau reagieren wird, wenn sie mit unseren Aktivitäten dort in Berührung kommt.“

    „Ich verlasse mich schlicht und ergreifend darauf, dass ihr um meine Besitzungen dort einen großen Bogen machen werdet.“ Er fühlte sich bei dieser Begegnung zunehmend unwohl. Vor allem, weil Falconi völlig recht hatte. Er hatte vorschnell gehandelt und sich damit nun vielleicht Feinde gemacht, die er lieber auf seiner Seite wüsste. „Du weist, dass es nichts gäbe, was wir lieber täten. Insbesondere nach allem, was du für uns getan hast. Du bist für uns mehr, als nur ein Freund. Du gehörst praktisch zur Familie. Aber über kurz oder lang muss deine Frau mit den wilden Kolonien in Kontakt kommen. Und bei dem Verhalten, dass man ihr nachsagt, wird es nicht lange dauern, bis sie zu einem erheblichen Störfaktor wird. Im schlimmsten Fall wird sie sogar die Raumflotten auf das Geschehen aufmerksam machen.“ „Das ist mir egal. Ich habe mit euren Geschäften bei den Kolonien nichts zu tun.“

    Der Italiener sah ihn an, als habe er ihm gerade ins Gesicht gespuckt und schien einen Moment nachzudenken. Dann meinte er: „Das ist jetzt sehr kurzsichtig von dir. Sehr, sehr kurzsichtig. Du profitierst von den Aktionen im wilden Raum wie jeder andere im Rat auch. Wie viel hast du im letzten Quartal an Reingewinn daraus abgegriffen? 8 Millionen? Tatsache ist: Du hängst auf die eine oder andere Art genauso mit drin, wie jeder von uns. Mag sein, dass du jetzt vor deiner Frau den weißen Ritter spielen willst, wie du es vor der Öffentlichkeit seit Jahren so eindrucksvoll tust. Aber wir wissen beide, dass dieser bedingungslos altruistische Gideon von Sachleben, der bemüht ist durch seine Wohltätigkeit für medizinische Forschung und Wohlfahrt das beschädigte Image des Kapitalisten zu restaurieren, nur eine Fassade ist. Du warst bis zum bitteren Ende auf Ganymed mit dabei und du warst es, der die Überlebenden unter uns rechtzeitig dazu gebracht hat ihre Aktivitäten zu verlagern, bevor die Friedenstruppen den Mond überfallen haben. Wir können dir jeden einzelnen Schmutzfleck auf deiner angeblich so weißen Weste nachweisen. Die Anwerbungen, deine Initiative zur Einführung von Sklavenfesseln, die Kooperation mit den Syndikaten von außerhalb, die ersten Anwerbungen von Söldnern, um die Fabriken zu schützen. Außerdem hast du mit deinen leichten Trägerschiffen einen nicht unwesentlichen Beitrag zu unseren anfänglichen Erfolgen gegen die Blauhelme geleistet. Wenn wir damit an die Öffentlichkeit gehen, kommt die Polizei gar nicht mehr dazu dich zu verhaften. Denn dann hat ein Lynchmob aus Überlebenden dein Haus schon niedergebrannt, bevor die überhaupt ausrücken können.“

    Er sah Falconi nur ausdruckslos an und meinte: „Liefert mich aus und ihr seid selbst dran. Ich kann euch ans Messer liefern, wie ihr mich.“ Der Waffenfabrikant nickte. „Ja, möglich. Höchstwahrscheinlich sogar. Aber das Schicksal hat uns etwas in die Hände gespielt, mit dem wir sogar dich in der Hand haben. Dich, dessen Kaltschnäuzigkeit und Fähigkeiten als Täuscher uns immer wieder beeindruckt haben und den die Staatsgewalt nie zu schrecken vermochte.“ Bei diesen Worten tippte er auf das Foto von Jules. Bei diesem Anblick stieg Zorn in Gideon auf. Sein Gesicht verfärbte sich rot und eine Wutader trat an seinem Hals hervor. Leise und bedrohlich zischte er: „Wage es nicht.“ Dabei drehte er den Knauf seines Gehstockes, so dass die Klinge, die darin verborgen war, entriegelt wurde und er sie ziehen konnte.

    Falconi hingegen lächelte ihn nur unerschütterlich an. „Du verkennst die Situation. Wir sind nicht deine Feinde. Ganz im Gegenteil. Wir sind bereits dabei deine Transaktionen zu verschleiern, damit das Finanzamt dir nicht auf die Schliche kommt. Außerdem wollten zwei deiner Söldner offenbar bei dieser Aktion nicht mitmachen. Ich habe ihnen heute Morgen schon meine Leute an die Fersen geheftet. Sie werden keine Chance mehr haben jemandem etwas zu erzählen. Und für all diese Freundschaftsdienste haben wir nur eine kleine Bitte an dich: Sei ein Mann und halt deine Frau an der kurzen Leine. Denn wenn sie zum Problem wird, können wir für nichts garantieren.“ Missmutig und wütend willigte Gideon ein. Den Rest der Fahrt zurück zu Gideons Haus verbrachten sie schweigend.

    Eine Woche später, irgendwo im lokalen Cluster:

    Als Jules Blick durch die Fenster der ‚Akkan’ hinaus auf den angedockten Träger fiel, wurde ihr unweigerlich klar, wie gewaltig das Kolonieschiff tatsächlich war. Mit seinen um und bei tausendfünfhundert Metern war es knapp neunzehn mal länger, als das kleine Trägerschiff, auf dem sie die letzte Woche verbracht hatte. Die meiste Zeit waren sie im Hyperraum gewesen, so dass es relativ ruhig geblieben war. Sie war über diese Tage schwerpunktmäßig damit beschäftigt gewesen ihre Wissenslücken über die letzten Jahre weiter zu schließen und sich einiges über Terraforming und Landwirtschaft anzulesen, was in der neuen Kolonie von Nutzen sein konnte. Außerdem hatte sie viel Zeit damit verbracht im Hangar mit den Söldnern zusammen zu trainieren. Sie musste zugestehen, dass Gideon eine kompetente Truppe angeheuert hatte, auch wenn die Stimmung auf dem Träger immer noch ziemlich angespannt war. Nur wenige von ihnen hatten sich nicht von Naumers ablehnender Haltung ihr gegenüber anstecken lassen und verhielten relativ offen.

    Bis jetzt war es noch nicht zum Problem geworden, doch sobald sie am Ziel tatsächlich Zusammenarbeiten mussten, konnte es unangenehm werden. Irgendwie würde sie sich mit dem Söldneroffizier gut stellen müssen. Sie hing diesen Gedanken noch ein wenig nach, während sie ihre Schritte durch die Gänge entlang der äußeren Hülle zu den Quartieren der Besatzung lenkte. Dabei fiel ihr auf, wie Schlicht das Schiff gehalten war. Rohre und Kabelbahnen lagen offen, es gab praktisch keine Verzierungen oder ähnliches. Selbst die Kriegsschiffe des ersten Goa’uld-Krieges waren opulenter ausgestattet gewesen. Zweckmäßigkeit war die dominierende Eigenschaft. Zudem war die Schwerkraft hier nur sehr niedrig. Schon ein minimal zu festes Auftreten konnte sie mehrere Meter weit tragen. Die Besatzung schien sie daran gewöhnt zu haben. Sie sah, wie die Männer und Frauen, die nicht nur auf diesen Schiffen arbeiteten, sondern lebten, die Korridore mit weiten und ausholenden Schritten durchquerten, von denen sie jeder fast zwanzig Meter weit trug. Einige besonders wagemutige stießen sich gar mit großer Kraft an den Wänden ab, um ganze Korridore mit einem Satz zu überbrücken.

    Die Besatzung schien ihr zudem eine Ansammlung recht interessanter Individuen zu sein. Sie sah nicht nur Menschen aus allen Erdteilen, die sich in einem seltsamen Dialekt verständigten, der sich unter dem Einfluss dutzender Sprachen herausgebildet hatte, sondern unter den jüngeren Besatzungsmitgliedern auch solche mit abnorm schlaksigem Körperbau, die sich zwar in der Nahezu-Schwerelosigkeit mit beispielloser Eleganz bewegten, aber auf den ersten Blick wirkten, als hätten sie Zeit ihres Lebens an schweren Krankheiten gelitten. Elfen oder Schlangen nannten die anderen Besatzungsmitglieder sie. Es waren Kinder von Raumfahrern, die unter solchen Schwerkraftverhältnissen geboren worden waren, wie sie an Bord herrschten. Elfen waren dabei die noch etwas… ja, menschlicher wirkenden, die lediglich unter Niedrigschwerkraft geboren und aufgezogen worden waren, während die Schlangen fast ihr ganzes Leben in Schwerelosigkeit zugebracht hatten. Jules konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die auf Planeten geborenen Besatzungsmitglieder etwas auf sie herab sahen, da zumindest die Schlangen physisch eher abstoßend als attraktiv wirkten.

    So schien die Besatzung insgesamt aus recht gegensätzlichen Figuren zu bestehen. Auf der Suche nach dem Kapitän, der sie in die Offiziersmesse eingeladen hatte – sie hatten die 1000-Lichtjahr-Grenze zur Erde passiert, was ähnlich einer Äquatortaufe an Bord gefeiert wurde, begegnete sie an einem der Schächte, die die unterschiedlichen Schiffsteile miteinander verbanden, dem Bordingenieur. Er war ein Mann mit dunklem Teint, aber unverkennbar indogermanischem Aussehen, was ihn als Inder auswies. Er war von kleiner Statur, kaum größer als sie, hatte einen nicht unbeträchtlichen Bauchumfang und war außerordentlich breitschultrig. Er machte den Eindruck er könne durch eine der inneren Wände rennen. Sein Gesicht war trotz seines bestenfalls mittleren Alters schon zerfurcht und ledrig, wie sie es von Soldaten kannte, die viel mit Flammenwerfern hantierten und er wirkte nicht besonders glücklich. Tatsächlich schrie er gerade als er vor ihr im Schacht erschien lautstark etwas den Schacht hinauf, dass sie nicht ganz verstand.

    Als er sie bemerkte, musterte er sie kurz abschätzig und fragte dann, immer noch sichtlich wütend: „Was machen sie hier? Passagiere dürfen die ausgebauten Bereiche nicht verlassen.“ „Dann habe ich ja Glück, dass ich nicht zu den Passagieren gehöre. Der Kapitän erwartet mich.“ Seine Augen weiteten sich, als ihm klar wurde, wen er da gerade angepflaumt hatte. „Oh, sie sind die Repräsentantin des Auftraggebers.“ „Eben die.“ „Ja, natürlich. Sie müssen acht Decks höher, dann sind sie bei den Mannschaftsquartieren. Aufpassen, da oben gibt es wieder Schwerkraft.“ „Danke für die Warnung. Was war da gerade los?“ „Ach, nichts von Bedeutung“, bemühte er sich abzuwiegeln, „nur eine kleine Meinungsverschiedenheit mit dem Frachtmeister.“ „Welcher Art?“

    Er wich ihrem Blick kurz aus, dann sagte er: „Wollen sie es wirklich wissen? Der Kerl hat mehrere Spulen mit Leitermaterial aus meinem Lager geklaut, um damit die Systeme der Frachtrampen zu reparieren. Sicher, dass ist wichtig, aber wenn wir mitten auf dem Flug einen Maschinenschaden bekommen, muss ich wieder losziehen und irgendwelche Systeme ausschlachten, um die Reparaturen durchführen zu können. Es ist mir also scheißegal in welchem Zustand die Frachtsysteme sind, ich muss die Triebwerke und den Reaktor am Laufen halten. Und ich bin sowieso versucht beim nächsten mal wenn er raus geht die Luftschleuse hinter ihm zu verkeilen. Damit würde ich auch endlich Ugos Fluch von diesem verdammten Schiff nehmen.“

    Mit diesen Worten ließ er die Leiter los, stieß sich noch ein wenig ab und ließ sich weiter den Schacht hinunter sinken. Jules sah ihm leicht zweifelnd hinterher, dann stieg sie selbst in den Schacht hinein und zog sich mit ausholenden Bewegungen an den Sprossen hinauf. Als sie in Richtung der Crewquartiere kam, merkte sie tatsächlich, wie die Schwerkraft stärker wurde und sie wieder nach unten zog. Irgendwo in der Nähe mussten wieder stärkere Generatoren sein. So wurde sie zunächst langsamer, dann musste sie sich ganz an der Leiter festhalten und die letzten Meter normal herausklettern. In diesem Bereich war das Schiff ausgebaut, um wenigstens ein Minimum an Komfort zu bieten. Abdeckplatten verbargen die Leitungen und die Besatzung hatte an einigen Stellen versucht dem kalten Stahl des Schiffes so etwas wie wärme zu verleihen. So strahlten die Lampen in diesen Korridoren warmes und helles Licht aus und einige Abdeckplatten waren verziert worden.

    Sie lenkte ihre Schritte in Richtung der Offiziersmesse, wo sich bereits einige Männer und Frauen der Besatzung versammelt hatten. Sie trugen bis auf die jungen Männer, die heute ihre Tausender-Taufe erhalten sollten, sowie zwei Kostümierte anwesende volle Uniform. Es wurden Getränke gereicht und der Smutje schien damit beschäftigt einiges an Essen aufzutragen, dass es geben sollte, sobald die Taufe vorbei war. Kaum dass sie die Messe betreten hatte, kam der Kapitän auch schon auf sie zu, die Arme zu einer freundlichen Geste der Begrüßung erhoben. „Ah, hallo. Willkommen auf meinem Schiff. Ich bitte um Verzeihung, dass ich sie nicht an der Schleuse abholen konnte, aber ich wurde hier noch gebraucht.“ Sie nickte und meinte: „Kein Problem. Was erwartet uns hier denn gleich?“ „Sie nichts, keine Sorge. Aber die sieben dort“ – er deutete auf die Täuflinge – „werden gleich die Segnung durch Zeus, Gott des Himmels und Hera, die die Milchstraße erschuf, erhalten.“ Bei diesen Worten nahm sein Gesicht einen Ausdruck diabolischen Amüsements an, so dass Nicole vermutete, dass die jungen Männer diesen Tag nachhaltig in Erinnerung behalten würden.

    „Na dann.“ Sie schwieg für einen Moment, dann meinte sie, während sie ihren Blick in der weitläufigen Messe schweifen ließ, deren Decke aus transparenten Octagonen bestand, die den Blick zu den Sternen öffneten: „Ein beeindruckendes Schiff.“ Er lächelte. „Danke. Ich würde nie ein anderes fliegen wollen. Obwohl die letzten Jahre nicht gut für die freischaffenden waren. Es gibt kaum noch unabhängige Kolonisation und die großen Organisationen haben mittlerweile eigene Schiffe. So gesehen erfüllen sie uns mit dieser Reise noch einmal einen Traum. Kolonisation ist schließlich etwas anderes, als einfach nur Auswanderer nach Sarpedon oder Elysium zu fliegen.“ Mit einem Nicken fuhr sie fort: „Sie haben also früher schon solche Unternehmungen mitgemacht?“ „Im Grunde genommen schon. Aber nie so große. Fünf Schiffe sind ein echter Rekord. Das hat man normalerweise nur bei Regierungsprojekten. Außerdem hatte ich noch nie einen so ruhigen Flug. Ihre Leute legen eine Disziplin an den Tag, die ich mir manchmal sogar von meiner Besatzung wünsche. Aussiedler drehen normalerweise nach ein paar Tagen an Bord am Rad, weil sie sich keine Vorstellung gemacht haben, wie lang so ein Flug sein kann.“

    „Hm. Verstehe. Und wohin sind sie schon geflogen?“ „Gute zwei dutzend Welten. Das meiste im lokalen Cluster, aber auch ein Trip auf Fernkolonisation. Da draußen gibt es noch wahre Freiheit. Zwischen den großen Kolonien ist mittlerweile schon so viel erschlossen und es gibt so viele Raumschiffe, dass man einander beinahe über den Haufen karrt. Alles ist durchorganisiert und durchreglementiert. Das hat nichts mehr mit Raumfahrt zu tun. Wenn ich feste Routen abfahren wollte, wäre ich Straßenbahnfahrer geworden. Echte Freiheit findet man hier nur noch im wilden Raum.“ Er nahm sich ein Glas Wasser vom Bankett, das der Smutje aufbaute, und sagte ihr mit einem verschwörerischen Blick über den Rand des Glases: „Dort, wo wir gerade hinfliegen.“ Sie konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Man merkte deutlich, wie der Kapitän in der Aufgabe aufging, die dieser Flug darstellte.

    Sie führten noch einige Minuten lang belanglose Konversation, dann meinte sie: „Sagen sie, Kapitän, was ist Ugos Fluch?“ Er lachte ausgelassen. „Die Geschichte? Sie haben mir Ram gesprochen, nicht wahr? Tja, wissen sie, bei derart komplexen Gebilden wie diesem Schiff gibt es immer irgendetwas, das nicht funktioniert. Meistens suchen die Menschen dann irgendeine Erklärung dafür und bei uns ist es Ugos Fluch.“ „Gibt es eine Geschichte dahinter?“ „Oh ja. Eine düstere. Ugo war der erste Chefingenieur an Bord. Ist auf der zweiten Reise durch die Luftschleuse gegangen. Die Maschinisten behaupteten damals steif und fest der Frachtmeister und seine Leute hätten ihn im Streit ermordet und dann ins All hinaus geworfen. Kurz danach begannen die Maschinen Probleme zu machen. Nichts was man nicht beherrschen könnte, aber es war lästig und in den darauf folgenden Jahren starben drei der vier Männer, die damals verdächtigt wurden, bei Arbeitsunfällen. Da war es klar, dass irgendwann so eine Geschichte zu kursieren beginnt.“ „Und was ist mit dem letzten Verdächtigen passiert?“ Wieder lächelte der Kapitän und reichte auch Jules ein Glas. „Der ist jetzt unser Frachtmeister.“

    „Und sie lassen solche Geschichten zu?“ „Warum nicht? Hebt die Stimmung an Bord und der alte Gray ist auch so schon so unbeliebt, dass die Geschichte mit dem Fluch keinen Schaden mehr anrichtet. Außerdem führt es den Typen von der Marine vor Augen wie armselig sie sind, dass ihre Schiffe nicht einmal anständig verflucht sind.“ Sie hatte gerade das Glas an den Lippen sitzen und prustete bei diesen Worten leicht hinein. „Das ist gemein. Sie haben gewartet, bis ich trinke.“ „Vielleicht.“ „Aber warum diese harschen Worte gegen die Flotte? Haben sie das gegen die?“ Er sah kurz einmal zu seinen Besatzungsmitgliedern, dann meinte er: „Sehen sie diese Leute? Sie alle leben für dieses Schiff, für diese Fahrt, so wie sie für jede andere Fahrt leben werden, die sie noch antreten. Ich könnte mir mittlerweile kein anderes Leben mehr vorstellen. Aber immer weniger junge Leute wollen noch in die Zivilschifffahrt, seit die Raummarine wieder aufgerüstet wird. Es hat sich wohl herumgesprochen, dass es keinen Ruhm gibt und dass das Leben nicht einfach ist. Also nehmen sie lieber die Uniformen mit den polierten Knöpfen und Raumschiffe, die so gut wie nie die bekannten Horizonte verlassen. Es ist eine Schande.“

    Ein Schmunzeln stahl sich auf sein Gesicht. „Aber es gibt auch Ausnahmen. Vor ein paar Jahren, nachdem sie dieses große Rüstungsprogramm aufgelegt hatten und uns die Neulinge in Scharen wegliefen, hat mich damals in einer Bar im Raumhafen ein junger Mann angesprochen, der wusste, dass er die Tauglichkeitsprüfungen nicht schaffen würde. Er hatte zwar einen beeindruckenden Scharfsinn, aber das reicht nun mal nicht, um die Ärzte zu überzeugen. Deshalb hat er mich gefragt, ob ich ihm nicht einen Platz verschaffen könnte. Ich hab ihn natürlich weggeschickt, aber er ist immer wieder gekommen und hat mit mir geredet. Ab fünften Tag hab ich mir dann gedacht, dass er selbst auf die Schnauze fallen sollte und ihn in die Lehrgänge eingeschmuggelt. Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber er hat es geschafft. Hat das Studium durchgezogen und danach die Solarfahrt gemacht. Als er damit fertig war, hat er mir geschrieben. Ich war dabei, als er seine erste Fahrt als Offizier antrat. Ich hätte ihn kaum erkannt. Er hatte mindestens zwanzig Kilo weniger auf den Rippen, war kräftiger geworden und hatte einen Stolz in den Augen… Ein echter Raumfahrer. So was finden sie bei der Flotte nicht. Aber wenigstens scheinen sie es kapiert zu haben und wollen jetzt auch Segler zur Ausbildung einsetzen.“

    „Meinen sie Solarsegler? Solche wie den im Erdorbit?“ Er nickte. „Segler auf den Sonnenwinden, nur angetrieben von den Interaktionen zwischen den geladenen Partikeln der Winde und den Magnetfeldern des Segels. Man ist dem All in einem Ausmaß ausgesetzt, dass man auf anderen Schiffen nicht erfährt. So was formt den Charakter und schreckt nutzlose Störenfriede ab.“ „Wie meinen sie das?“ Er sah sie überrascht an und meinte: „Die Solarfahrt. Man muss nach dem Studium auf dem Segler eine Fahrt zum Jupiter und zurück mitmachen. Das dauert gut sechs Monate. Verglichen mit so einer Zeit auf einem Segler ist das Leben auf diesem Schiff ein Kinderspiel.“

    „Und warum so ein Aufwand, wenn sie zu wenige Bewerber haben?“ „Weil wir vorher jede Menge Bewerber hatten, die zu viel Star Trek geschaut hatten. Sie glaubten der neue Captain Picard werden zu können und wie auf einem Mittelklasse-Passagierschiff leben zu können. Mit solchen Leuten kann man hier nichts anfangen. Deshalb trennt man mittlerweile bei der Solarreise die Spreu vom Weizen. Aber erlauben sie mir die Frage: Wenn sie davon noch nicht gehört haben, unter welchem Stein haben sie in den letzten zehn Jahren gelebt?“ Sie lächelte. „Unter einem katholischen im Rheinland. Was ist eigentlich aus ihrem jungen Freund geworden?“ „Der ist jetzt erster Offizier auf einem Freihändler. Die fliegen auf den Fernrouten und transportieren die richtig wertvollen Waren. Wenn sie also mal der ‚Adam Smith’ begegnen, grüßen sie ihn von mir.“ „Unwahrscheinlich. Aber danke für die Geschichte.“ Einige Minuten später begannen die verkleideten Offiziere mit der Taufe. Der Abend wurde noch zu einem rauschenden Fest.

    Mehrere Tage später:

    Der Konvoi stand kurz vor dem angepeilten Ziel. Ein letzter Sprung lag noch zwischen den Raumfahrern und der Koloniewelt, die Gideon für die Japaner ins Auge gefasst hatte. Die letzte Normalraumstrecke führte sie durch ein Doppelsternsystem, das abgesehen von einigen Gasriesen am äußeren Rand nichts Nennenswertes zu bieten zu haben schien. Kapitän Bartok hatte sich trotzdem entschlossen jeden einzelnen Moment auszukosten, so dass er jede Wache auf der Brücke verbrachte, etwas dass er im Linienverkehr meistens seinen Wachoffizieren überließ. Er saß an der Navigationsstation der Brücke und war damit beschäftigt die Fixsterne, die praktisch überall in lokalen Cluster an derselben Position am Himmel standen, in Relation zu den bewegten zu kartographieren. Die meisten dieser Sterne würde wahrscheinlich nie ein Mensch erreichen, aber trotzdem wurden auf diese Arten die Sternenkarten erstellt, auf die irdische Raumfahrer sich stützen. Dabei bemerkte er eher zufällig einen dunklen Fleck auf den optischen Sensoren, der sich zu schnell bewegte.

    „Systemoffizier“, befahl er, „Sensorabtastung in Richtung 9 zu 6 zu 1.“ Die Offizierin murmelte eine Bestätigung und setzte sich den Helm auf, durch den sie in die virtuelle Realität der Bordsysteme eintauchen konnte. Das System verlinkte sich direkt mit ihrem Nervensystem. Auf diese Art vermochte sie eine Kontrolle über das Schiff auszuüben, die ihr an einem Bildschirm nicht ohne weiteres möglich gewesen wäre. Einen Augenblick später flackerten alle Anzeigen an Bord, als der Energiebedarf der aktiven Scanner sich bemerkbar machte. Für einen Moment schien die Offizierin wie erstarrt, dann legte sie Anton die Bilder auf seinen Schirm. Was er sträubte ihm die Nackenhaare. Ein Asteroid mit großer Trümmerwolke, der ihren Kurs kreuzen würde. Er sprang von der Navigation auf und ging an eine andere Konsole, wo er nervös Formeln und Werte einzutippen begann. Die Geschwindigkeit und der Kurs des Asteroiden, die Geschwindigkeit und Trägheit des Konvois… Als das Ergebnis sichtbar wurde, schlug er wütend mit der Faust auf die Konsole.

    „Intrakom und Verbindung auf alle Schiffe.“ Nach einigen Augenblicken kam die Bestätigung: „Steht, Kapitän. Sie können sprechen.“ „An alle, hier Kapitän Bartok. Wir werden in schätzungsweise vierzig Minuten einen nicht verzeichneten zyklischen Asteroiden dieses Systems passieren. Kurs und Geschwindigkeit lassen kein volles Ausweichmanöver zu, so dass wir bei der wahrscheinlichen Ausdehnung der Trümmerwolke des Asteroiden in Hagel geraten werden. Alle Passagiere haben sich in die Schutzräume zu begeben und die Sektionen sind abzuriegeln. Wir werden schätzungsweise dreißig Minuten brauchen, um das Hindernis zu passieren. Es besteht im Moment keine akute Gefahr. Bleiben sie also ruhig. Kapitän Bartok, Ende.“ Er ging zum Gastank, in dem Hologramme des Systems projiziert wurden und ließ sich die Situation anzeigen. „Signal an die anderen Kapitäne: Wir bilden eine Kiellinie, um durch zu kommen. Wendemanöver einleiten, um die Schiffe in den Hagel zu drehen. Je weniger Angriffsfläche wir bieten, desto besser.“

    Jules rief ihn noch an und fragte, warum der Hagel eine Gefahr darstellte. „Wir sind ein ziviles Schiff“, antwortete er kurz angebunden. „Wir müssen kostendeckend arbeiten und Schilde sind verdammt teuer.“ Er hatte ihren Träger allerdings aus dem Verband entlassen können. Das kleinere Schiff konnte aufgrund seiner ungleich niedrigeren Trägheit ohne weiteres Ausweichen. Seine Eigene Besatzung musste Unterdessen Alarmpositionen beziehen.

    Hagel war im Grunde genommen deutlich weniger spektakulär, als man es sich vorstellte. Selbst in der Trümmerwolke eines Asteroiden konnten hunderte Meter zwischen zwei Bruchstücken liegen. Die Ausmaße solcher Felder waren es, die sie gefährlich machten. Je größer sie waren, desto größer war auch die Gefahr eines Treffers. Und dieses war ziemlich groß. Die Kolonieschiffe schafften es fast zwanzig Minuten lang ohne Zwischenfall hindurch zu fliegen, doch dann erschütterte ein heftiger Schlag die ‚Akkan’. „Einschlag mit Hüllenbruch am Backbordrumpf. Notfallabriegelung hält. Techniker sind informiert?“ „Weitere Schäden?“ „Druckverlust in den Treibstoffleitungen der Manövertriebwerke an Backbord. Ein kleineres Stück muss eine Leitung beschädigt haben.“ „Da kommt man nur von außen ran. Jemand muss nach draußen.“

    In einer der Luftschleusen an Backbord setzten der Frachtmeister und ein Team seiner Techniker, die Bereitschaft hatten, sich die Helme ihrer Raumanzüge auf. Der Frachtmeister aktivierte sein Funkgerät und meinte: „Test, test. Könnt ihr mich hören?“ „Leider“, kam die Antwort eines seiner Leute. „Klappe halten, du elende Schlange.“ Die anderen lachten und auch er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, auch wenn es niemand sah. Er griff sich seinen Werkzeuggürtel, legte ihn an und rief den anderen in Erinnerung: „Draußen sofort die Sicherheitsleine verankern. Immer eine Hand für dich, eine Hand für das Schiff. Und denkt nicht an den Hagel. Wenn es einen von uns erwischt, können die anderen es sowieso nicht verhindern.“ Die Techniker bestätigten und er stimmte an: „Reis ut Quartier in Gottes Nam, Ji möt den Mann ant Rohr verfangn, De Utkiek schall nicht länger stahn, Reis ut Quartier in Gottes Nam!“

    Das alte Wahlfängerlied diente dazu die anderen auf einen bestimmten Takt einzustimmen. In der Seeschifffahrt hatten die Matrosen immer zum selben Moment ziehen oder schieben müssen, um die schweren Schiffsteile in Bewegung setzen zu können, doch für Raumfahrer im All war es weit mehr. Wenn sie zu mehreren draußen waren und an schweren Teilen hantierten, mussten sie absolut synchron agieren. Eine kleine Unstimmigkeit konnte dazu führen, dass Gegenstände ins Trudeln gerieten, abrutschten oder jemanden verletzten. So fielen auch die anderen in den Gesang mit ein. Am Schluss der Strophe waren sie alle genau im Takt. Der Frachtmeister stimmte ein anderes Lied an und öffnete die Schleuse.

    Sie arbeiteten sich die Außenhülle des Schiffes entlang in Richtung der Leckage, deren Lage ihnen auf ihren Helmdisplays angezeigt wurde. Der Frachtmeister bildete die Spitze und alle anderen zogen sich an der Sicherheitsleine entlang, die er mit sich zog und deren anderes Ende an der Schleuse verankert war. Die schadhafte Stelle lag unweit einer der großen Kuppeln der Biodome an der Flanke des Schiffes. Treibgas, das benutzt wurde, um Druck in den Leitungen aufzubauen, entströmte der Stelle in einer weißlichen Fontäne. Die vier erreichten die Stelle und postierten sich um die Rumpfplatte herum, die über der Leitung lag. „Einklinken“, befahl der Frachtmeister und sie befestigten die Platte an Seilen, die sie an den Spanten festmachten, über denen sie lag. Dann löste er per Fernbedienung die Haltebolzen und alle schoben ihre Finger in die Haltegriffe an der Platte. Wieder stimmte er ein Lied an. Bei der zweiten Strophe stemmten sie sich alle zugleich zum ersten Schlag des zweiten Taktes mit aller Kraft vom Rumpf ab und setzte die schwere Platte damit in Bewegung. Sie segelte einige Meter von ihnen weg, bis die Seile sie stoppten.

    Darunter lagen über ein Dutzend verschiedener Leitungen, teilweise für Energie, teilweise für Gase und Flüssigkeiten, die in einem auf den ersten Blick verwirrenden Geflecht den Rumpf entlang liefen. Sie waren wie die Adern in der Haut des Schiffes. Einer Haut, die aus Schichten aus Metall und fünfzehn Zentimeter starker Keramik bestand. Der Frachtmeister brauchte nur einen Blick, um die beschädigte Leitung zu entdecken. Sie war von einem Splitter glatt durchschlagen worden. „Ok, wir brauchen ein Ersatzstück für ein gewalztes Stahlrohr, Durchmesser 200. Ein Meter, zwei Manschetten und ein Schweißgerät. Tobias, ab dafür. Hohl das Zeug. Alexander, gib der Brücke die Rohrnummer durch. Und du, Schlange…“

    Bei diesen Worten sah er den raumgeborenen Techniker an, der nickte und sein Arbeitsmesser zog. Die beiden maßen ein einen Meter langes Stück am Rohr ab und begannen dann es mit ihren Messer herauszuschneiden, nachdem die Brücke die Pumpe für das Treibgas abgestellt hatte. Der junge Techniker musste dafür eine Schablone ansetzen, doch dem Alten machte es keine Schwierigkeiten einen geraden Schnitt auch aus dem Handgelenk heraus setzen zu können. Sie trennten das Rohr heraus und befestigten es am Seil. Danach mussten sie einen Augenblick auf ihren Freund warten, der das Material holen geschickt worden war. Dabei sah der Frachtmeister hinaus in das Trümmerfeld. Der große Asteroid, ein kolossaler Felsbrocken, der in mehrere Teile zerbrochen war, zog fast fünf Kilometer entfernt von ihnen vorbei, war aber dennoch gewaltig. Und um ihn herum konnte man immer wieder kleine Bruchstücke umherflitzen sehen. Jedes davon, das mit bloßem Auge zu erkennen war, war schon nahe genug, um im Schein der Schiffslichter sichtbar zu sein. Zu nahe.

    Quälend lange Minuten vergingen, bis der junge Frachtarbeiter zurück war. Er trug das verlangte Material bei sich und übergab es sofort an die anderen. Schnell flickten sie das Rohr. Als sie die Platte wieder aufsetzten, ging dem Frachtmeister durch den Kopf, dass es schon wieder der Fluch war, dass es geradewegs an jener Schleuse passiert war, bei der er Bereitschaft gehabt hatte. Kaum dass er den Gedanken zu Ende formuliert hatte, traf auf einmal etwas das Glas seines Helmes. Das Bruchstück war nur staubkorngroß gewesen, doch die Wucht hatte ausgereicht. Er sah, wie sich dünne Linien von der Einschlagstelle aus ausbreiteten und ein feines Netz über das Glas legten. Eine Spinne auf dem Glas… Ein Todesurteil. Mit aller Kraft schrie der Alte noch wütend einen Namen heraus, dann zerbarst das Glas.

    Zwei Tage später auf dem Zielplaneten:

    Durch den Einsatz der Besatzungen – auf gleich drei Schiffen hatten Reparaturmannschaften in den Hagel hinaus gemusst – hatten sie den Asteroiden erfolgreich passieren und den finalen Sprung durchführen können. Kurz darauf hatten sie die Zielwelt erreicht. Es war ein kleiner Mond, der einen großen Planeten vergleichbar dem Neptun umkreiste. Jules sah den Eisriesen wie einen grotesk großen Mond in der Unendlichkeit der Sterne am Himmel stehen. Vor Jahren war der Himmelskörper, auf dem sie gerade stand, grundlegend terraformiert worden, doch der Investor war pleite gegangen, bevor er einen Käufer hatte finden können. So hatte Gideons Firma die Besiedlungsrechte als Spekulationsobjekt erworben und auf einen günstigen Widerverkaufspreis gehofft. Nun wurde diese Option auf andere Weise genutzt.

    Der Ort, den sie für die Kolonie ausgewählt hatten, war alles andere als paradiesisch, aber dennoch einer der besseren auf jener jungen Welt. Es war felsige Landschaft, die zum Horizont hin in weite Steppen ausuferte, in denen jedoch keine Pflanzen größer als niedere Sträucher existierten. Alles war von feiner heller Erde bedeckt, die eine wenige Zentimeter dicke Bodenschicht bildete. Fast den einzigen farblichen Kontrast bildete der Fluss, dessen smaragdfarbene Fluten zwischen den Felsen entsprangen und auf die Steppe hinaus zu einem breiten Strom ausuferten. Es war ein irgendwie surrealer Anblick, der einem verriet, wie unfertig diese Welt war, aber für Jules hatte es den Geschmack eines Neubeginns.

    Den ganzen letzten Tag über waren sie vor allem damit beschäftigt gewesen das große Zeltlager aufzubauen, in dem die Leute schlafen würden, bis die Behausungen aus den Fertigbauteilen errichtet waren, die gerade von den Schiffen ausgeladen wurden. Nun hatte sich das anfängliche Chaos soweit gelegt, dass Jules die Möglichkeit fand einige Worte an die Kolonisten zu richten. Sie stellte sich auf einen Frachtcontainer und ließ sich von einem Söldner ein Megaphon bringen. Dann, nachdem sie die Aufmerksamkeit der Leute erreicht hatte, begann sie: „Ich weiß, dass keiner von ihnen wirklich freiwillig hier ist. Die Entscheidung fällten andere und sie wurden gezwungen Japan zu verlassen. Mir kam zu Ohren, dass einige von ihnen damit nicht glücklich sind. Aber ich möchte, dass sie diese Welt nicht als neues Gefängnis begreifen, sondern als Chance. Es mag kein Paradies sein, aber es ist ein Ort, an dem sie frei sein können. Diese Kolonie soll ihre Kolonie sein. Deshalb will ich, dass sie Fürsprecher bestimmen, die zu mir kommen, um zu bereden, wie es weiter gehen soll. Ich weis, dass sie in Tokyo in Arbeitskolonnen organisiert waren. Auch wenn diese Organisationsform von ihren Unterdrückern erzwungen worden sein mag, bitte ich sie sich der Einfachheit halber darauf zu besinnen und für jede Kolonne jemanden zu bestimmen. Ansonsten gibt es noch viel Arbeit um die direkten Bedürfnisse, Schlaf, Nahrung und Wasser zu befriedigen. Halten sie sich dafür an die Pläne, die an sie ausgeteilt wurden und helfen sie die Wasseraufbereitung und die Schlafplätze aufzubauen. Bis die Grundversorgung steht, erwarte ich von jedem von ihnen Disziplin und Einsatzbereitschaft. Alles Weitere werde ich dann mit ihren Sprechern bereden.“

    Die Japaner hatten die Ansprache eher mit gedämpfter Begeisterung aufgenommen, was wohl nicht zuletzt daran lag, dass die meisten von ihnen am liebsten auf Kyoto abgesetzt worden wären. Jules wusste, dass es sie einige Mühen kosten würde allen klar zu machen, dass die Koreaner einen solchen Schritt zu verhindern gewusst hätten und dass sie zumindest für zwei, drei Jahre auf dieser Welt würden bleiben müssen. So lang liefen Gideons Verträge mit dem koreanischen General, die dieser Kolonie Schutz vor Übergriffen zusicherten, wie Kyoto sie immer wieder durch koreanische Raumschiffe erfahren musste. Sie schlenderte nun den äußeren Bereich des Zeltlagers ab und beobachtete ein wenig den Sternenhimmel. Dabei bemerkte sie Naumer, der damit beschäftigt am vorgesehenen Siedlungsplatz Areale abzustecken. Sie ging zu ihm und begrüßte ihn: „Hallo, Naumer. Was machen sie hier?“

    „Das, woran offenbar niemand gedacht hat. Ich die beste Position für Verteidigungsstellungen.“ „Warum? Auf dieser Welt gibt es außerhalb des Wassers keine größeren Tiere, als Tausendfüßler.“ „Ich rede nicht von Tieren.“ Er warf einen Blick auf seinen PDA, der Höhenprofile der geplanten Siedlung zeigte. Dann deutete er gen Himmel, wo die Avis, die die nächsten Tage noch einiges an Fracht ausladen würden, zu sehen waren. „Wenn ein Flieger die Stadt angreifen will, würde er bei der vorherrschenden Windrichtung und dem Gelände von dort her kommen. Also müssen wir Raketenwerfer aufstellen, die diese Schneise abdecken können.“ „Rechnen sie mit Luftangriffen?“ „Diese Gegend ist mehr als gefährlich. Ich bin von ihrem Gatten ja einiges gewöhnt, aber dass er diese Leute hierher schickt… Das ist brutal. Unsere beste Verteidigung wird sein, dass niemand hier von uns weis.“ „Sie haben scheinends schon einiges mit Gideon erlebt.“ „Ich bin seid Ganymed für ihn tätig.“ Sie beäugte ihn für einen Moment misstrauisch. Dann hielt sie ihm jedoch die Hand hin und meinte: „Wir hatten einen schlechten Start. Ich bin Julia.“ Nach einigem Zögern ergriff er die dargebotene Hand und erwiderte. „Armin.“ „Gut, Armin. Einigen wir uns darauf diese Kolonie gemeinsam am Leben zu erhalten.“
    Die Freiheit des Bürgers heißt Verantwortung.

    (Joachim Gauck)


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  6. #46
    Gehasst, Verdammt, Vergöttert Avatar von Colonel Maybourne
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    Gideon scheint ja ein noch viel mieserer Typ zu sein und wenn Jules alles erfährt, kann es auch sein, dass sie ihn einfach umlegt.
    Oder sie verzeiht ihm und kümmert sich um seine Geschäftspartner aber so oder so, sie wird da noch einiges an Blut fließen lassen.
    Es ist sowieso an der Zeit, dass die Öffendlichkeit erfährt, dass da jemand wieder unter ihnen weilt, der sich den Mist nicht gefallen lässt...

    Und die Koreaner greifen immer mal wieder die Kyotokolonie an... aber denke mal, dass die Japsen dort eine gute Verteidigung haben.
    Oder werden sie von der UNO geschützt?

    Was mir ebenfalls gefallen hat, ist wie die neuen Raumfahrer so leben und was sie von der Freiheit halten.

    Bis dann.
    Das Leben ist ein Schwanz und wir die Eier, die mitgeschleift werden.


    Meine aktuellen Fanfiction:


    TGE Combined Season 1 Fire of War:

    http://www.stargate-project.de/starg...ad.php?t=11836




  7. #47
    dumm geboren und nix dazugelernt:P Avatar von Santanico Pandemonium
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    Fand ich sehr schön wie du das Leben der modernen Entdecker beschrieben hast. Hat irgendwie so ein Flair von B5 oder Firefly in ihren komischen Kisten, nicht wie in Stagtae mit den stylischen Raumschiffen.... was vllt realistrischer als die Serie.

    Soll das heißen dass die Erde Kolonien im gesamten Lokalen Cluster unterhält, also neben der Pegasus-Galaxie auch noch Andromeda und andere? vielleicht haben die Menschen ja sogar auf einer früheren Asgardwelt eine Kolonie n der Ida-Galaxie, die dürfte ja auch in der lokalen Gruppe liegen nehme ich mal an, obwohl sie ja fiktionan ist...

    Ich denke auch dass Jules noch ziemlich srinkig wird wenn sie raus riegt was ihr ach so tolle Ehemann so alles verbrochen hat.
    WEIR: ... putting your life and other people's lives at risk. You destroyed three quarters of a solar system!
    McKAY: Well, five sixths. It's not an exact science.
    WEIR: Rodney, can you give your ego a rest for one second?

    Ein Jahr später:
    Spoiler 
    CARTER: About a year ago, your brother came across an abandoned alien experiment called Project Arcturus.
    CARTER: It was an attempt to generate zero point energy.
    JEANIE: That would be virtually limitless power. What happened?
    McKAY: A slight problem. It was the creation of exotic particles in the containment field.
    CARTER: He destroyed a solar system.
    JEANIE: Meredith! (She smacks his arm.)
    McKAY: It was uninhabited!

  8. #48
    Autor der ungelesenen FF Avatar von Protheus
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    So, Entschuldigung bitte für die lange Wartezeit, aber ich hatte einiges um die Ohren. Zum letzten Kapitel:

    @Santanico Pandemonium: Das mit dem lokalen Cluster ist ein Missverständnis. Ich meine die lokale Blase, also die direkte Umgebung der Sonne im Umkreis von ca. 2000 Lichtjahren. Das schließt zum Beispiel das Sternbild Schütze mit ein.

    @Colonel Maybourne: Kyoto ist natürlich nicht völlig wehrlos. Tatsächlich wagen die Koreaner sich nur mit reichlich Feuerkraft und großen Einheiten dort hin. Warum wird in einer der nächsten Geschichten verraten.

    @all: Logisch, dass Jules nicht besonders glücklich sein wird, wenn sie herausfindet, in was Gideon wirklich verwickelt ist. Und wie es ausgeht, wenn sie unglücklich ist, sollte ja allgemein bekannt sein . Ansonsten Danke für alle Rückmeldungen.

    Und nun zum neuen Kapitel: Wie gesagt etwas verspätet, aber trotzdem gut. Eine genaue Länge habe ich dieses Mal nicht, weil ich mit WordPad schreiben musste (=> keine Seitenzählung). Und wie immer an dieser Stelle viel Spaß beim Lesen.

    Episode 12: Kanaan


    Mit leicht erbostem Blick fixierte Rodney McKay die Zitronenscheibe am Rand des Wasserglases, das die Produktionsassistentin ihm gereicht hatte. Mit einer unmerklichen Handbewegung klemmte er sein Mikro ab und flüsterte: „Hätte ich gewusst, dass man hier versuchen würde mich unter die Erde zu bringen, wäre ich nicht gekommen.“ Er sah auf und schenkte der jungen Frau einen nämlichen Blick. „Ich wollte ein Glas Wasser und keinen Giftcocktail.“ „Es ist Wasser“, antwortete die Angesprochene, die während laufender Sendung wirklich besseres zu tun hatte, als sich die Marotten eines Studiogastes anzutun und folglich etwas ungeduldig wirkte. „Ja, Wasser mit reichlich Zitronensäure. Haben sie überhaupt eine Ahnung, was dieses Zeug einem Menschen antun kann?“ Mit einer ruckartigen Bewegung, bei der ein Teil des Wassers auf den Boden schwappte, entriss sie Rodney das Glas wieder und ging ein anderes zu holen. Dabei murmelte sie leise Flüche auf Irisch vor sich hin, die Rodney zwar nicht verstand, deren Wortlaut ihm aber eine grobe Vorstellung davon verlieh, welche Plagen sie ihm an den Hals wünschte. Doch die Worte verloren sich schnell im Stimmgewirr der hitzigen Debatte, die gerade im Studio geführt wurde.

    Ohne dem Wortgefecht, das sich ein Sprecher des Kommissariats für Verteidigung und ein Admiral der alliierten Raumstreitkräfte gerade lieferten, sonderliche Bedeutung beizumessen, sah er noch einmal verstohlen auf seine Uhr und ließ den Blick danach durch das Studio wandern. Noch eine Stunde, bis diese Farce endlich beendet war. Einige Tage zuvor, nachdem die groß angelegte Militäroperation des STK gegen Systemlord Dumuzi de Facto beinahe zur Katastrophe geraten wäre, waren einige Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes an ihn heran getreten und hatten ihn für diese Show rekrutiert. Nur kurz danach war in einem sorgfältig lancierten Manöver einem schweizerischen Reporter, der weltweite Reputation als unabhängig und fair besaß, gefälschtes Material über ein Projekt namens Chimaira zugespielt worden, in dem die EU angeblich eine Superwaffe von verheerender Wirkung konstruiert hatte, die das Gleichgewicht im All zu ihren Gunsten zu kippen konnte. Zunächst hatte es einen sorgfältig inszenierten Sturm öffentlicher Entrüstung in China und gewaltige Friedensdemonstrationen in den alliierten Staaten und der EU gegeben, dann waren Männer wie Patrick Beckett auf den Plan getreten.

    Patrik Beckett galt gemeinhin als renommierter politischer Talkmaster und moderierte eine Sendung, die zu den Aushängeschildern der Europäischen Rundfunkwelle, kurz einfach EW, gehörte. In McKays Augen war er jedoch nur ein kleiner Mann mit wahnsinnig hölzernem Moderationsstil und der journalistischem Kompetenz eines Fox-Nachrichtensprechers, zumal er sich doch ebenso auf das Täuschungsmanöver hereingefallen war, wie jeder, der in den letzten Tagen Transparente tragend und Friedensparolen skandierend durch die Straßen gezogen war. Denn es gab keine Neutronenkanone, keine Superwaffe. Es gab nur eine Illusion selbiger, die irgendein Beamter mit krankem Sinn für Humor als Chimäre bezeichnet und diesen Namen auf die Akten gesetzt hatte. Und nun erwartete man von ihm, dass er dem ganzen etwas Anschein von Wahrhaftigkeit verlieh, den dieses Projekt brauchte, damit die Welt die Legende tatsächlich glauben konnte. Es war einer der Momente, in denen er an der Dummheit der Welt verzweifelte, die gerade in einer enormen Ballung um ihn herum inkarniert schien.

    Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch. Bis jetzt hatte es für ihn nicht viel zu sagen gegeben, da sich die Politiker und Militärs über die Sache gestritten hatten. Gerade rief der Admiral, dessen hochroter Kopf den Eindruck vermittelte, dass er gerade auf einem Kasernenhof Rekruten zusammen schrie, dem Kommissariatssprecher, der ihm gegenübersaß, lautstark zu: „Man sollte meinen, dass diese Welt schon oft genug am Rande der Vernichtung gestanden hat und dass die Menschheit es gelernt hat, aber wenn Europa auf dieser Art von Barbarei besteht, dann werden sie schon sehen, wie weit sie damit bei uns kommen. Oder glauben sie ernsthaft, dass wir den Zusammenhang nicht sehen, wenn zwischen unseren Ländern Kriegsgefahr herrscht und wie kurz darauf eine Sensationswaffe testen?“ „Verzeihung“, erhob Rodney die Stimme, wobei er hörbar amüsiert klang. „Verzeihung, aber hier muss ich wirklich lachen.“ Der Offizier sah zu ihm und fragte: „Was soll das bitteschön heißen?“ „Es heißt, was es heißt, Sir. Letztlich sollte es mich nicht wirklich überraschen, wenn die Bürstenköpfe mal wieder den Überblick verlieren und am Ende das Denken einzig und allein den Wissenschaftlern zufällt, aber das hier sprengt wirklich alles, was ich bis Dato erlebt habe.“

    „Nun“, unterbrach ihn der Talkmaster, „dann erklären sie sich bitte, Professor McKay.“ „Liebend gerne. Was unser geschätzter Herr Admiral dezent ignoriert, ist dass es keinen Zusammenhang zwischen Chimaira und den jüngsten politischen Krisen geben kann. In diesem Waffenprojekt stecken acht Jahre Entwicklungs- und ein Jahr Konstruktionszeit. Das es erst jetzt zum Einsatz kam ist ganz anderen Umständen geschuldet, als irgendwelchen Sandkastenspielen der Militärs im Amazonasbecken.“ „Acht Jahre Entwicklungszeit sagen sie?“ „Ja. Wobei das ganze eigentlich ein Nebenprodukt ziviler Forschung war. Wir haben Forschungen fortgeführt, die während der Atlantis-Mission in der Pegasus-Galaxie begonnen wurden und ursprünglich der Energieerzeugung dienen sollten. Im Grunde genommen ging es dabei um einen Versuch antikische Potentias nachzubauen.“ „Und wie kommen sie dabei auf eine Anwendung als Waffe?“ „Wir sind früh mit den Problemen von Elementarteilchen und Fremdpartikeln konfrontiert worden, die keinen uns bekannten Naturgesetzen gehorchen und die Testanlagen immer wieder zerstört haben. Wir haben die Problematik schließlich einfach in andere Universen abgeschoben, indem wir die Partikel dort hin umgelenkt haben. Bei einem Forschungsunfall ist allerdings die Raum-Zeit-Brücke, die wir dafür benutzt haben, wieder in unser Universum zurückgeleitet worden. Auf demselben Prinzip basiert Chimaira, nur das wir gelernt haben den Endpunkt der Brücke gezielt zu verschieben.“

    Der Admiral schnaubte verächtlich. „Unsere Experten haben mir versichert, dass das unmöglich ist.“ „Unter diesen Umständen würde ich sie sofort feuern, denn wir haben den Gegenbeweis erbracht.“ „Und wie?“ McKay wollte dazu ansetzen etwas zu sagen, doch der Kommissariatssprecher schnitt ihm das Wort ab. „Diese Information unterliegt strenger Geheimhaltung. Wir können keine Verbreitung einer Waffentechnologie riskieren, gegen die es keine Verteidigung gibt.“ „Es gibt immer eine Verteidigung.“ „Nun, auch hier muss ich ihnen widersprechen“, meinte Rodney. „Abgesehen davon, dass es keinen Weg gibt zu verhindern, dass man durch den Tunnel beschossen wird, machen sie sich offenbar keine Vorstellungen von den potentiellen Energiemengen, die dabei freigesetzt werden können. Ich habe bei einem Fehlschlag auf einer Forschungsstation in der Pegasus-Galaxie ein ganzes Sonnensystem vernichtet, als ein ähnliches System außer Kontrolle geraten ist. Wie wollen sie sich dagegen verteidigen?“ Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah, sehr zu seiner Freude, dass ihm ein neues Wasserglas gebracht wurde. Dieses Mal war keine Zitrone darin. Gut. Schließlich bemühte er sich gesund zu leben um irgendwann das Vergnügen zu haben seinen Schwiegervater zu Grabe zu tragen, der sich trotz bald neunzig Lebensjahren im Moment noch an seine Existenz klammerte, als sei sie eine Wodkaflasche.

    Der Admiral sah ihn offenbar mühsam um Fassung ringend an. Schließlich fragte er: „Wie kann ein zivilisiertes Wesen nur so etwas bauen?“ Der Kommissariatssprecher ergriff wieder das Wort: „Aus einem einfachen Grund. Verzweiflung. Wir stehen derzeit in der Galaxie mit dem Rücken zur Wand. Trotz aller Feuerkraft, die unsere Flotte besitzt, und trotz aller Hoffnungen auf mögliche Verbündete, egal wie begründet oder unbegründet sie sein mögen, hat die Schlacht von Elysium uns vor Augen geführt, dass wir einem Feind gegenüberstehen, der uns technisch derart überlegen ist, dass er uns mit dem kleinen Finger den Todesstoß versetzen könnte. Alles, was dort zwischen unserer Kolonie und dem Aggressor stand, waren die tapferen Männer und Frauen unserer Truppen und eine Superwaffe, die wir im Wrack eines alten Antikerschiffes gefunden hatten und nicht zu reproduzieren vermochten. Deshalb haben wir seit dieser Schlacht die Forschung an Chimaira forciert, nachdem wir sie zuvor aus exakt den Gründen, die sie bereits angeführt haben, Herr Admiral, auf Eis gelegt hatten. Denn wir haben Verpflichtungen gegenüber unseren Bürgern, die unseren Schutz verlangen und gegenüber unseren Soldaten. Denn wie könnten wir guten Gewissens von ihnen verlangen einem Feind gegenüber zu treten, den sie nicht besiegen könnten?“

    Corinna Silkermann presste den Kolben des Maschinengewehrs, das sie hielt, fester gegen ihre Schulter und gab einen weiteren Feuerstoß ins Unterholz des angrenzenden Waldstreifens ab. Das Gewehr bockte auf und ein halbes Dutzend Schüsse jagten den Kämpfern entgegen, die sie aus ihrer Deckung heraus behakten. Sie hörte einen wütenden Schrei, der ihr verriet, dass sie irgendetwas getroffen hatte. Doch das Gegenfeuer wurde keineswegs schwächer. Mehr noch schien der Gegner nun auch noch mehrere Schnellfeuerwaffen klar gemacht zu haben, denn eine Stellung gut hundert Meter weiter wurde von mehreren davon unter Feuer genommen, so dass die Soldaten dort die Köpfe einziehen mussten. Trotzdem wurden zwei getroffen. Einer schien nur verwundet zu sein, doch der zweite wurde von zwei Projektilen am Halsansatz getroffen, die die linke Hälfte seines Halses und Teile seiner Schulter bis zur Unkenntlichkeit verbrannten. Corinna fluchte und rief den Soldaten, die mit ihr in der Stellung lagen, zu: „Einnebeln!“

    Neben ihr sprangen zwei Soldaten, eine junge Spanierin und ein vernarbter Tscheche, der bereits zu den Veteranen der Truppe gehörte, auf und schmissen Rauchgranaten in Richtung der bedrohten Stellung. Gleichzeitig wechselte Corinna bei ihrem Gewehr von Salven- auf Dauerfeuer und legte von links nach rechts Sperrfeuer in das Unterholz hinein. Was sie nicht beabsichtigt hatte passierte: Alles Feuer wurde auf einmal auf sie umgelegt. Der Tscheche schaffte es gerade noch rechtzeitig seine Kameradin zu Boden zu reißen und langte mit hastigen Bewegungen nach seinem Gewehr, das ihm aus der Hand gefallen war. Er rief Corinna irgendetwas zu, was sie jedoch über den Lärm des Feuerkampfes hinweg – das Maschinengewehr schien neben ihrem Ohr so laut, dass ihr die Trommelfelle zu platzen drohten – nicht verstand. Ihr schoss lediglich der grimmige Gedanke ‚sollen sie nur kommen’ durch den Kopf. Plötzlich spürte sie jedoch einen durchdringenden Schmerz an der Schulter. Ihr linker Arm versagte ihr den Dienst und sie glaubte auf einmal Blut zu riechen, das viel zu nahe war, um einem angeschossenen Gegner gehören zu können.

    Kräftige Arme packten sie von hinten und zogen sie in die Deckung der aufgeschichteten Sandsäcke. Der Tscheche entwand ihr das Gewehr und ging selbst in Feuerposition, während die Spanierin in eine ihrer Gürteltaschen griff und eine Tube mit medizinischem Gel herausholte. Sie sah an ihrem rechten Arm hinunter und sah Blut daran hinab laufen. Als sie den Blick zu ihrer Schulter wandern ließ, erkannte sie, dass ein Treffer ihre Rüstung durchschlagen und ihre Schulter verletzt hatte. Es war eine übel blutende Wunde, die nur einen Finger breit vom Schlüsselbein und der darunter verlaufenden Arterie entfernt lag und die keinesfalls von einer gewöhnlichen Stabwaffe verursacht worden war. Die Spanierin forderte sie auf still zu halten und begann das Gel auf die Wunde zu bringen, nachdem sie sie mit einem sterilen Tuch gesäubert hatte. Corinna fluchte indessen wütend und zog mit der Rechten ihre Pistole. Das Gel verschloss die verletzten Blutgefäße schnell und versiegelte die Wunde, so dass sie nicht verbluten würde, aber ein Gewehr halten würde sie mit diesem Arm vielleicht für Tage nicht mehr können.

    Stattdessen schaltete sie die Pistole auf die Zielerfassung des HUD ihres Helmes, warf sich gegen die Sandsäcke und zielte hinüber. Sie gab mehrere Schüsse gegen Ziele ab, die sich bestenfalls schemenhaft aus ihrer Deckung abhoben und brüllte ihren Leuten zu durchzuhalten. Fiel ihre Stellung, fiel ein vorgeschobener Außenposten der Kolonie. Einige Minuten lang wogte das Feuergefecht immer wieder hin und her. Zwei europäische Soldaten und fast ein Dutzend ihrer Gegner fanden den Tod. Mit jedem Toten wurde die Lage für die Verteidiger kritischer. Es hieß nicht umsonst, dass es eine Niederlage für sie darstellte, wenn sie zehn Gegner töteten und dabei selbst einen Mann verloren. Doch endlich, nach mehreren quälend langen Minuten, vernahm sie die Stimme, auf die sie gewartet hatte und die Rettung verhieß: „Stellung Ekron, hier Major Degenhardt. Wir schließen mit Trupps der neunten Kompanie zu ihnen auf. Halten sie die Stellung bis zu unserer Ankunft.“ Es dauerte nicht lange, bis die Stellung des Gegners unter heftiges Feuer aus Gewehrgranatwerfern genommen wurde. Dann stießen mehrere Trupps von Korpssoldaten aus Richtung eines anderen Waldausläufers vor. Mit Maschinengewehren, Raketenwerfern und Railguns drängten sie ihre Kontrahenten schnell zurück, so dass der Außenposten wieder gesichert werden konnte.

    Kurz nachdem der Angriff auf den Außenposten zerschlagen worden war und einige Einheiten den Gegner noch Richtung Südosten – von dort aus war er gekommen – verfolgten, stieg Nicole Degenhardt über die Sandsäcke einer der Schanzen hinweg und inspizierte den angerichteten Schaden. Der Anblick raubte ihr alle Illusionen. Dieses Mal war es knapp gewesen. Wäre die von ihr geführte Einheit nur eine Stunde später eingetroffen, hätten sie den Außenposten überrannt vorgefunden. Sie wurde bei alledem einfach nicht schlau aus der Lage auf diesem Planeten. Kanaan war eine jener Welten, auf denen die Thollaner wieder zaghafte Versuche unternahmen Fuß zu fassen, nachdem ihre Welt während des Goa’uld-Krieges und der Ori-Feldzüge wiederholt verwüstet worden war. Eine kleine Kolonie mit kaum zweitausend Einwohnern existierte hier nun schon seit fast zehn Jahren und war über diesen Zeitraum hinweg weitgehend unbehelligt geblieben. Nur einige Sklavenjäger hatten einmal einen Angriff gewagt, hatten aber im Angesicht der Ionenkanonen, die zur Verteidigung in Außenposten wie Ekron um die zentrale Siedlung aufgestellt worden waren, schnell den Rückzug angetreten.

    Doch mit der Sicherheit, in der die Kolonie sich gewiegt hatte, war es vorbei. Vor mehreren Wochen waren Soldaten von Systemlord Dumuzi in einer Hügelkette südlich der Kolonie gelandet und hatten sich dort verschanzt. Zunächst hatten beide Seiten einander nur misstrauisch belauert, doch als die Thollaner schließlich Aufklärungssonden in das Gebiet geschickt hatten, um die Absichten ihrer Kontrahenten auszuspähen, war die Konfrontation unvermeidlich gewesen. Truppen des Systemlords begannen die Außenposten anzugreifen und die Kolonie direkt zu bedrohen. Das kleine Freiwilligenkorps und die wenigen Sicherheitskräfte, welche die Einwohner hatten aufstellen können, hatten sich schnell in einer taktisch wie strategisch aussichtslosen Situation wieder gefunden. An jenem Punkt war die Kurie schließlich aktiv geworden und hatte Europa um Hilfe gebeten.

    Nun standen zwei Kompanien der Infanterie und eine Einheit Kampfflieger seit fast fünf Wochen ununterbrochen in Gefechten. Sie hatten es geschafft die Belagerung der Kolonie aufzubrechen und sämtliche Außenposten zurück zu erobern, waren danach jedoch unfähig gewesen den Feind auch aus den Hügeln zu vertreiben, so dass sich ein zermürbendes Wechselspiel aus Angriffen und Rückzügen entwickelt hatte. Doch nunmehr schien General Maybourne wild entschlossen die Entscheidung zu suchen. Er hatte kurz nach dem Ende der Operation Nachtwache, wie Ernst Allert die Offensive gegen Dumuzis Versorgungsbasen genannt hatte, zwei zuvor daran beteiligte Kompanien und drei EKS-Teams zusätzlich in die Schlacht geworfen und Nicole mit Nachdruck zu einem Erfolg gedrängt. Während sie sich die Kampfspuren bei den Schanzen von Ekron besah, bezweifelte sie jedoch, dass die Operation mit der selben Einfachheit würde ablaufen können, die Maybourne offenbar im Sinn gehabt hatte.

    „Es ist mir egal, auf welchen Widerstand sie vielleicht stoßen werden… Will in spätestens einer Woche den Sternenkranz über dem Hügel sehen… Na du mich auch, Harry“, kam es ihr leise über die Lippen. Sie sprang wieder von der Barrikade herunter und ging die restlichen Stellungen ab. Dabei hörte sie auf einmal eine Stimme, die ihr zurief: „Frau Major, Oberfeldwebel Silkermann meldet sich zur Stelle.“ Sie drehte den Kopf so ruckartig in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, dass es beinahe weh tat. Dort sah sie Corinna an eine Schanze gelehnt sitzen, während ein Sanitäter ihre Schulter verarztete. Mit einem Lachen auf den Lippen ging sie zu ihr und kniete neben ihr nieder, so dass sie einander kurz in die Arme schließen konnten. Corinna war am Vortag während Kampfhandlungen vom Team getrennt worden und hatte sich im Alleingang nach Ekron durchkämpfen müssen, so dass Nicole froh war sie relativ unbeschadet wieder zu sehen. „Alles in Ordnung?“, fragte sie, während sie den Sani kurz musterte. Als dieser jedoch keinen Anstoß an der Vertrautheit zu nehmen schien, die sie an den Tag legten, schenkte sie ihm keine weitere Beachtung.

    „Alles bestens“, antwortete Corinna. „Nur eine Fleischwunde in der Schulter. Das ist in Null Komma nichts wieder in Ordnung.“ „Ja“, murmelte der Sani. „In Null Komma nichts plus vier Tage.“ Sie sah ihn erschrocken an. „Was?“ „Sie haben mich schon verstanden, Oberfeldwebel. Der Schuss hat ihre Schlüsselbeinarterie angerissen. Das Geweberegenerationsgel, was ich auf die Verletzung gegeben habe, braucht mindestens vier Tage, um alles sicher zu verschließen. Bis dahin nichts mit starkem Rückstoß für sie.“ Sie schien einen Moment zu brauchen, um diese Diagnose tatsächlich zu begreifen. Dabei stützte sie ihre Stirn auf die gesunde Hand und sah zu Boden. Erst nach fast einer Minute meinte sie: "Wir sind hier hoffnungslos unterbesetzt. Wir können es uns nicht leisten Leute zurück zu lassen." Nicole schmunzelte. Sie hatte einmal gesagt Corinna sei aggressiv und kampfeslustig, aber das traf den Kern der Sache nicht ganz. Sie liebte weniger den Kampf, als dass sie Untätigkeit oder Gefühle von Ohnmacht hasste. Aber das tat der Sache keinen Abbruch. "Und ob ich das kann. Du bleibst hier und koordinierst die Verteidigung. Ich rücke mit drei Kompanien weiter vor. Sie sind im Moment auf dem Rückzug. Wenn wir eine Chance haben sie in Bewegung zu halten, will ich das ausnutzen."

    Nach einem dreistündigen Gewaltmarsch hatten Nicole und ihre Soldaten schließlich die Ausläufer der Hügel erreicht. Vor ihnen erstreckte sich eine ausgedehnte Landschaft aus von Wald überwucherten Erhebungen, zwischen denen sich in den Senken ein System aus Niedermooren gebildet hatten, die auch zu dieser fortgeschrittenen Tageszeit noch von Nebelschwaden umwabert wurden. Als sie den Waldrand erreicht hatten, hatte Nicole die Männer und Frauen ausschwärmen lassen, so dass sie in weit aufgefächerter Formation vorwärgerückt waren. Ihre Gegner hatten auf dieser Welt schon einige Verhaltensweisen an den Tag gelegt, die diese Vorgehensweise nahe legten. Der Einsatz von Scharfschützen wie dem, der Corinna angeschossen hatte, waren nur eine davon. Sie kämpften insgesamt mehr wie Kommandoeinheiten, als wie Jaffa und sie hatte auch nicht den Eindruck, dass es welche waren. Diese Männer waren Menschen. Doch nichtsdestoweniger standen sie der Elite des Heeres von Dumuzis Vielvölkerreich gegenüber. Es gelang ihnen fast drei Kilometer weit ohne Feindberührung in das Areal vorzustoßen. Sie stand gerade in einem der Moorabschnitte bis zu den Knien im brackigen Wasser, als einer der Späher ein Warnsignal absetzte. Nur wenige Augenblicke später schlugen Plasmageschosse um sie herum ein. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich zu Boden fallen lassen.

    Beim Versuch dem Beschuss zu entgehen verlagerte sie ihr Gewicht ungünstig, so dass sie im Fall ausrutschte und in eine Drehung geriet. Mit dem Rücken voran landete sie im Wasser, während um sie herum die Soldaten nach Zielen suchten. Sie zog das Gewehr dicht an den Körper und wälzte sich herum. Als sie sich wieder aufrichtete, schlug ihrer Einheit, massiver Beschuss entgegen. Sie glaubte auf Anhieb mindestens zwanzig Schützen zu zählen. Schnell richtete sie sich wieder auf und brüllte ihren Leuten zu: "Los, vorrücken und im Wald Deckung beziehen!" Dabei begann sie loszulaufen. Im Moor gab es kaum Deckung und das wenige, was es gab, taugte bestenfalls als Sichtschutz. Sie mussten in den Wald kommen, ansonsten saßen sie wie auf dem Präsentierteller. Sie erreichte den Fuß des nächsten Hügels und lief so schnell ihre Füße sie trugen einige Meter in den Wald hinein, wo die Bäume Schutz boten. Dort schaltete sie die Zielortung ihres Helmes von optischer Erfassung auf Infrarot um. Bei allen Vorteilen, die man Plasmawaffen zusprechen mochte, ein Problem hatten sie alle: Sie generierten Hitze, dass ein Flammenwerfer daneben wie ein laues Lüftchen wirkte. Manche waren sogar nur knapp unterhalb der Schwelle dazu die Luft um sich herum zu entzünden. Es bedurfte so nur weniger Blicke, um die Angreifer ausfindig zu machen. Es waren mehrere Gestalten, die sich zwischen den Felsen eines Hanges postiert hatten, wo sie ein Grundmaß an Deckung besaßen. Sie entsicherte ihr Gewehr und stürmte los. In einem schnellen Zick-Zack-Lauf gelangte sie in eine günstige Schussposition. Ohne zu zögern riss sie dort die Waffe hoch und feuerte. Sie erwischte in der ersten Salve einen Gegner und schoss einen zweiten leicht an. Es brachte die anderen dazu die Köpfe einzuziehen und nach ihrer neuen Position zu suchen, so dass die anderen Europäer nachrücken konnten. Sie umzingelten die Felsen entlang des unteren Ende des Hanges und verwickelten ihren Gegner in einen heftigen Schusswechsel.

    Binnen weniger Minuten war es vorbei. Als der letzte Kämpfer gefallen war, kletterte Nicole die Felsen hinauf und sah sich die Leichen an. Als Elias Falkner, dessen Team ebenfalls mit von der Partie war, zu ihr kam, meinte sie: "Ein völlig sinnloser Angriff." Er nickte und deutete auf einige Leichen, die sich bereits zur Flucht abgewandt hatten, als sie getroffen worden waren. "Die Stellung war so gewählt, dass man sich leicht hätte zurückziehen können. Was sie dann ja auch versucht haben. Die wollten uns nicht aufhalten, sondern nur verlangsamen." "Jede Wette, dass uns am Ziel irgendwas unangenehmes erwartet." "Wie käme ich dazu darauf einzugehen?" Sie schmunzelte. "Ok, das ist der Plan: Wir nehmen sie gepflegt in die Zange. Nimm die elfte Kompanie und weich nach Westen aus. Den Sensordaten der Thollaner nach sind sie knapp neun Kilometer nördlich von uns zu Gange. Wir greifen sie frontal an und du fällst ihnen in die Flanke." Er nickte. "Wird erledigt. Ich will endlich wissen, was die hier überhaupt wollen."

    Einige Kilometer entfernt am Ekron-Außenposten:

    Es fiel Corinna schwer die Gefühle zu beschreiben, die sie hatte, nachdem sie dazu verdonnert war den Außenposten in Ekron zu bewachen, während der Rest der Truppe im Feuerkampf stand. Zu behaupten es sei Enttäuschung, unterdrückte Energie oder Langeweile wurde dem nicht Gerecht. Es war vielmehr das Gefühl ihre geschworene Pflicht nicht erfüllen zu können. Der Sani mochte sagen was er wollte, ihre Schulter fühlte sich gut an. So gut zumindest, wie es möglich war, nachdem sie von einer Plasmaladung getroffen worden war. Aber das war schließlich nicht das erste Mal, dass sie angeschossen wurde. In Afrika hatte sie bei der Verteidigung von xxx zwei Tage lang mit einem durchschossenen Bein gekämpft. Es war ihr also nur schwer möglich diese Verbannung in die zweite Reihe zu akzeptieren. Zuerst hatte sie es an den Soldaten 'ihrer' Schanze ausgelassen und sie eine Alarmübung nach der nächsten durchführen lassen, doch schließlich hatte der Leutnant, der am Außenposten das Kommando führte, dem einen Riegel vorgeschoben. Er wusste, was seine Leute in den letzten Wochen geleistet hatte und wollte Corinna nicht die kurze Atempause ruinieren lassen, die sich gerade bot. So saß sie nun in der Schanze und sah missmutig in Richtung der Hügel. Doch nach einiger Zeit riss eine Funkmeldung sie aus ihrer Lethargie.

    Die Sensorstation der Kolonie, die als Feuerleitstelle für die Ionenkanonen diente, meldete sich mit einem offenen Funkspruch an den Außenposten: "Kontrolle Ekron, hier Sensorzentrale. Wir haben ein unidentifiziertes Flugobjekt in ihrer Nähe geortet. Scheint etwas absetzen zu wollen. Flieger der Tau'Ri sind in der Luft. Gehen sie in Alarmbereitschaft und warten sie weitere Befehle ab." Sowohl der Kommandeur der Thollaner, als auch der Leutnant bestätigten die Befehle und Corinna witterte eine Chance. "Leutnant Svenson," gab sie über Funk durch, "hier Oberfeldwebel Silkermann. Ich möchte vorschlagen einen Spähtrupp loszuschicken, um die Lage vom Boden aus zu beurteilen." "Und lassen sie mich raten: Sie bieten sich an den Trupp anzuführen?" Ein Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht. "Sie haben mich ertappt." Svenson schwieg einen Moment und schien nachzudenken, dann meinte er: "Also gut. Nehmen sie drei Mann mit und sehen sie sich um. Ich erwarte ihre Meldung in einer halben Stunde." "Wird erledigt, Herr Leutnant." Sie sprang förmlich auf und rief: "Sastre, Prodi, Divo, mitkommen!" Sie überprüfte noch einmal ihre Pistole - diese zu führen hatte ihr niemand untersagt - und führte die Gruppe dann in die von den Sensoren angezeigte Richtung.

    Als sie in die Nähe der Landestelle ankamen, merkten sie bereits, dass hier tatsächlich etwas gelandet war. Am Himmel über ihnen sah man immer noch den lang gezogenen Kondensstreifen eines schnell eingetretenen Raumschiffes und die schwächere Vegetation war vom dabei auftretenden Luftdruck plattgedrückt worden. Außerdem lag ein schwacher Geruch von Ozon in der Luft. Doch das Schiff schien schon längst wieder gestartet zu sein. Sie untersuchten die Landestelle und fanden schließlich einige Spuren, die in Richtung der Hügel führten. Wer immer auch hier gelandet war hatte nur wenige Minuten vorsprung, so dass sie mit schnellen Schritten die Verfolgung aufnahmen. Nach kurzer Zeit riss jedoch Emilia Sastre warnend die linke Faust hoch und gab damit den Hinweis sofort stehen zu bleiben. Alle hielten augenblicklich inne und sie sah konzentriert auf die Spur. Dann zog sie ihre Waffe. "Was ist los", wollte Corinna wissen. "Einige von denen sind stehen geblieben. Sie müssen ganz in der Nähe sein." Corinna zog nun ebenfalls ihre Pistole und sah sich die Fährte genauer an. Die andere Gruppe hatte sich im Gänsemarsch fortbewegt, was es schwierig gemacht hatte ihre Größe abzuschätzen, doch bei genauem Hinsehen war zu erkennen, was die Spanierin gesehen hatte: Mindestens zwei Personen, deren Schuhgrößen etwas kleiner waren, als die der restlichen Gruppe, waren stehen geblieben. Die anderen hatten danach versucht ihre Schrittfrequenz und -länge zu ändern und damit den Eindruck zu erwecken die Gruppe sei noch vollzählig. Vorsichtig sah Corinna sich um, hielt nach möglichen Verstecken Ausschau. Dabei griff sie langsam nach ihrem Funkgerät und begann eine Nachricht im Morsecode zu senden. Sie schaute sich weiter um und sah plötzlich in den Lauf eines Gewehres. Der Mann, der es trug, war unverkennbar ein Soldat, wenn auch keiner einer Truppe, die ihr bekannt gewesen wäre. Er trug eine schwarze Rüstung aus einer Art Aramid, seine Waffe hatte keinen Auswurfschlitz für vebrauchte Hülsen und er wirkte seltsam angespannt. Seine Pupillen waren geweitet, sein Gesicht leicht gerötet und an einer Ader an seinem Hals konnte Corinna erkennen, das sein Pulsschlag erhöht war. Aber trotzdem wirkte er völlig ruhig, als er sagte: "Wir sind nicht hier, um mit ihnen zu kämpfen, also jagen sie die, die wirklich ihre Feinde sind, Tau'Ri. Wenn sie jetzt ohne Widerstand wieder in ihre Stellung abziehen und uns in Ruhe lassen, muss hier niemand sterben." "Wer sind sie und warum sind sie hier?", fragte Corinna. "Das geht sie gar nichts an. Und jetzt hauen sie ab." "Für wen arbeiten sie?" Ihr Gegenüber lud gut sichtbar und hörbar seine immer noch auf ihren Kopf gerichtete Waffe durch und meinte: "Letzte Chance." Sie blieb mit stoischem Gesichtsausdruck stehen, woraufhin er seufzte und meinte: "Es ist nichts Persönliches." Doch bevor er schießen konnte, rasten auf einmal zwei J305er heran. Mit donnernden Triebwerken stießen sie aus dem Himmel herab, bremsten ihren Sinkflug und kamen im Schwebeflug über ihnen zum stehen. Die Railguns an ihren Rümpfen richteten sich dabei auf die beiden Fremden. "Also", meinte Corinna mit einem siegessicheren Grinsen, "was wollten sie mir doch gleich sagen?" Der andere sah sie grimmig und auch etwas unschlüssig an. Und plötzlich schien über den Hügeln der Himmel zu explodieren.

    In den Hügeln:

    Nicole sah, wie einer ihrer Leute getroffen zu Boden ging und schreiend liegen blieb. Sie fluchte und wollte los, um ihn zu holen, doch eine mächtige Pranke legte sich von ihnen auf ihre Schulter. Sie sah sich um und blickte in Guvs ernstes Gesicht. Der Engländer nickte nur einmal kurz in Richtung des Verwundeten und stieg dann über sie hinweg. Außerhalb der Deckung warf er sich sofort zu Boden und robbte so schnell er konnte auf sein Ziel zu. Die Soldaten der beiden Kompanien, die Nicole hierher geführt hatte, waren unweit des vermuteten Ziels in eine gut vorbereitete Falle des Gegners getappt. Oder zumindest wären sie hinein getappt, hätte Nicoles Intuition sie nicht nach dem Angriff am Rand des Moores vorgewarnt. Doch das Ergebniss war mehr oder weniger das Selbe geblieben. Der Feind hatte ihnen an einer günstigen Stelle aufgelauert, an der Kluftkarren in einem Kalksteinmassiv seinen Schützen Deckung boten. Nur knapp hatte Nicole ihre Leute davor bewahren können direkt in die Feuerlinie des Gegners hinein zu laufen. Aber trotzdem hatte sie schon sechs Leute verloren. Während Guv den Verwundeten holte, gab sie selbst ihm Deckungsfeuer und brüllte den OICW-Schützen zu den Gegner mit einer Granatsalve zu belegen. Der Schusswechsel dauerte noch einige Zeit an, bis schließlich die von Falkner angeführten Männer die Szenrie erreichten und den Kampf beendeten.

    Kurz darauf hatten sie das Areal gesichert und entdeckt, was die Männer des Goa'uld mit solcher Vehemenz gegen sie verteidigt hatten. Zunächst sah es wie ein ganz gewöhnlicher Mienenschacht aus, den jemand in die Felsen getrieben hatte, doch bei einer genaueren Erkundung gab dieser Ort sein erstes großes Geheimnis preis. Der Schacht war nur ein Durchbruch in eine Art Talkessel, der durch den Einsturz einer Tropfsteinhöhle im Kalkstein entstanden zu sein schien. Aber es gab eindeutige Spuren der Bearbeitung. Das Wasser aus den umliegenden Hügeln, das den Hohlraum eigentlich hätte ausfüllen müssen, war in Kanäle umgeleitet worden, aus denen es sich nun in mächtigen Wasserfällen die Felsen herunter ergoss. Zugleich waren einige der Hänge terrassiert und es waren Anzeichen alter Bebauung zu erkennen. Uralte Häuser, von denen nur noch kleine Reste standen, denen man allerdings noch ansah, wie fortschrittlich die Zivilisation, die sie errichtet hatte, einmal gewesen sein mochte. Nicoles und Falkners Teams waren als erste hinunter gegangen und hatten begonnen die Ruinen zu durchsuchen. Nach ersten Erkundungen trafen sie sich nahe des Durchganges. Nicole sah in die Runde und fragte: "Irgendetwas Interessantes herausgefunden?" "Unwesentlich", antwortete Abrams, der als erster das Wort ergriff. "Ich habe einige Spuren von Technologie entdeckt. Übrig gebliebene Computerterminals, Energieleitungen und so. Außerdem scheint es hier irgendetwas zu geben, das ein Kraftfeld induziert, das vermutlich dafür da ist Beschuss durch Energiewaffen und Transporterstrahlen zu zerstreuen." "Wie gut ist die Technik?" "Sehr gut. Mindestens der Stand der Asgard, vielleicht sogar noch weiter. Ich glaube, dass die Furlinger diesen Ort angelegt haben könnten, aber ich kann es nicht genau zuordnen." Nun erhob Nikolai Poliakov, Falkners Linguist, das Wort: "Man kann aber noch etwas anderes sagen. Aus Anordnung und Art der Gebäude lässt sich schließen, dass das hier wohl mal eine Kultstätte war. Ich vermute eine Art Kloster." Nicole legte die Stirn in Falten. "Ein Kloster?" "Durchaus möglich", meinte Julius von Sachleben. "Wir haben Berichte über ähnliche Orte der Antiker in der Pegasus-Galaxie. Ich glaube, dass sie sich an diesem Ort auf den Aufstieg vorbereitet haben." "Und was will Dumuzi dann von diesem Or..."

    Sie kam nicht dazu die Frage zu Ende zu stellen. Plötzlich traten mehrere kleine, schwarze Kampfflieger in die Atmosphäre ein, die Nicole sofort als Schiffe von Nyx erkannte. Nur einen Augenblick später materialisierte sich genau über der Anlage ein mächtiger Kreuzer von mehreren hundert Metern länge. Für einen Augenblick starrten die Tau'Ri nur gebannt gen Himmel, dann rief Nicole: "Falkner, sichern sie die Anlage. Ich schicke ihnen so schnell wie möglich Leute." Sie rannte gefolgt von ihrem Team los und brüllte Befehle an die Thollaner ins Funkgerät den Kreuzer mit den Ionenkanonen unter Feuer zu nehmen. Falkner ging mit seinen in Ruinen unweit des Zuganges zum Tal in Stellung, von denen aus sie den Durchgang beschießen und gleichzeitig möglichst weite Teile der Anlage überblicken konnten. Für einige Minuten tat sich nichts, außer dass von oben heftige Kämpfe zu hören waren. Dann tauchten auf einmal einige der hageren Krieger der Goa'uld im Durchgang auf und schienen das Gelände vor sich erkunden zu sollen. Der Beschuss durch die Verteidiger überrumpelte sie völlig und streckte sie nieder. Doch nur kurz hinter ihnen kamen auf einmal mehrere bullige Kreaturen durch den Gang gerannt. Sie waren über zwei Meter hoch, außerordentlich breitschultrig, hatten derbe Raubtierschnauzen in den Gesichtern und trugen schwere Rüstungen und Waffen. Die Europäer schossen aus allen Rohren auf sie, doch die Kugeln, selbst jene, die ihre Panzerung durchschlugen, schienen sie nicht zu beeindrucken. Erst als Falkner eine Granate auf einen von ihnen abfeuerte, konnte er ihn damit zum Stillstand bringen. Doch die anderen drei zeigten sich davon reichlich unbeeindruckt.

    Anstatt inne zu halten, stürmten sie vorwärts und stürzten sich auf das Team. Falkner wurde als erster erreicht. Ein kräftiger Schlag, von der Kreatur beinahe beiläufig ausgeführt, schleuderte ihn mehrere Meter durch die Luft. Ohne seine Rüstung wären ihm dabei wahrscheinlich mehrere Knochen gebrochen worden. Als er auf dem Boden aufschlug, rappelte er sich sofort wieder auf und schob eine neue Granate in die auf das Gewehr aufgesetzte Pistole. Seinen Soldaten erging es derweil nicht besser. Er sah, wie seine Sanitäterin von einem Schuss aus der Waffe einer der Kreaturen getroffen wurde und wie die dritte sich Nikolai geschnappt hatte, danach aber ins Straucheln geraten und einen Abhang hinunter gestürzt war. Das letzte, was er sah, war wie der Russe dem Wesen aus nächster Nähe die Kugeln in den Kopf jagte. Dann war sein Gegner auch schon wieder bei ihm. Er kam nicht mehr dazu seine Waffe abzufeuern, sondern musste sich statt dessen unter einem Hieb hinweg ducken. Dann schoss er aus nächster Nähe. Die Granate explodierte und die Druckwelle schleuderte ihn von den Füßen. Als er wieder auf die Füße sprang, sah er, dass der Schuss seinem Gegner einen Arm abgerissen hatte, er aber offenbar noch stand. Und wäre es nur das gewesen. Mit einem Urschrei stürzte die Kreatur sich auf ihn. Gerade noch rechtzeitig schaffte er es sein Messer zu ziehen und rammte es ihr tief in die offene Wunde, die aber sehr zu seiner Überraschung kaum geblutet hatte. Erneut wurde er zu Boden geworfen und sah, wie die Kreatur mit dem verbliebenen Arm ausholte, um ihn zu töten, schaffte es jedoch noch sich zur seite zu Rollen und wieder auf die Füße zu kommen. Doch dieses Mal ließen seine Reflexe ihn im Stich. Das Wesen erwischte ihn mit einem Hieb am Kopf, bei dem ihm ohne Rüstung wahrscheinlich selbiger abgerissen worden wäre.

    Er wurde von der Wucht des Schlages herumgeworfen und fiel zu Boden, wo er benommen liegen blieb. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sein Kopf zu zerplatzen drohte und spürte einen stechenden Schmerz. Er rechnete damit, dass man ihm nun den Rest geben würde, doch da hatte er sich getäuscht. Er hatte kein Zeitgefühl mehr, doch es schien nur eine kurze Weile zu vergehen, bis plötzlich jemand vor ihm stand, der so rein gar nicht wie einer der anderen Nyxkrieger wirkte. Er war von deutlich kräftigerer Statur, hatte gesunde Hautfarbe und entbehrte jegliche Tätowierungen, die die anderen so sehr schätzten. Nur seine Rüstung verriet seine Zugehörigkeit. Der Mann sah auf ihn herunter und sagte irgendetwas, das Falkner nicht verstand. Sein Gehör funktionierte nicht mehr richtig. Doch dann kniete der Kerl sich einfach nieder und nahm Falkner den Helm vom Kopf. Er spürte dabei einen umso durchdringenderen Schmerz, den er mit letztem Bewusstsein als Zeichen eines Schädelbruches identifizierte. Doch dann durchströmte ein wohliges und warmes Gefühl seinen Körper, das plötzlich von heftige Krämpfen und Orientierungslosigkeit abgelöst wurde. Als sich sein Geist einen Augenblick später wieder klärte, erkannte er, dass alle Verletzungen gewichen schienen. Und über ihm schwebte das Gesicht dieses Mannes. "Was für Narren seid ihr Tau'Ri," begann er, "dass ihr euch uns ständig in den Weg stellt. Wir sind nicht euer Feind." Überrascht dass der Mann Deutsch oder doch zumindest etwas, das sein Verstand dafür hielt, zu beherrschen schien, aber auch wütend über die Worte, sagte Elias in unüberhörbar scharfem Tonfall: "Sag das den Siedlern von Heureka." Der andere blinzelte. "Ach so ist das... Na dann sind Worte wohl überflüssig." Er legte erneut eine Hand auf Falkners Kopf. "Dann musst du es fühlen. Alles, was ich gefühlt habe."

    Plötzlich strömten Bilder und Gedanken auf ihn ein, die nicht seine waren. Es war zuerst befremdlich, dann beängstigend. Nichts davon ergab einen Sinn. Es war nur schieres Chaos. Und es schien mehr zu sein, als ein Mensch in seinem ganzen Leben durchmachen konnte. Er begann zu zittern und sagte: "Nein." Dann brüllte er es immer lauter heraus, begann um sich zu schlagen. Doch sein Körper war zu geschwächt, als dass er sich wehren könnte. Sein Geist versagte ihm erneut den Dienst, als er die Flut der Eindrücke nicht mehr bewältigen konnte. Das letzte was er sah, bevor ihm schwarz vor Augen wurde, war wie die Schilde des Schiffes am Himmel anfingen aufzuleuchten, als die Thollaner das Feuer eröffneten und wie plötzlich Nikolai verwundet, aber dennoch am Leben, zusammen mit Julius und Arya auf ihn zugestürmt kam und die letzte Kreatur mit einer Granate fällte, während die anderen beiden den Mann angriffen. Dann wurde ihm schwarz vor Augen. Er merkte nicht mehr, wie seine Leute ihn nach draußen trugen.
    Die Freiheit des Bürgers heißt Verantwortung.

    (Joachim Gauck)


    "You may belong to any religion[...] - that has nothing to do with the buisness of the state. We are starting with this fundamental principle, that we are all citizens and equal members of one state." (Sir Mohammed Ali Jinnah)

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  9. #49
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    Etwas ungewöhnlich war es schon, vor allem da die Nxykrieger meinten, dass sie nicht die Feinde der Erde seinen.
    Ich kann mir den Eindruck nicht ganz erwähren, dass die eigentlich nur ganz scharf auf die Antiker aus dieser speziellen Region sind.

    Und was McKay angeht, er war wieder mal klasse, auch wenn er ja dazu gezwungen wurde, ordentlich zu bluffen.
    Aber das Ergebnis wird ihm recht geben.

    Bis dann.
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    TGE Combined Season 1 Fire of War:

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  10. #50
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    Ja, McKay zu Beginn war wirklich klasse, schon spaßig wie er da dem Soldaten die Meinung gegeigt hat:G
    Die Nyx haben also nichts gegen die Erdlinge, das sah in der Vergangenheit doch irgendwie anders aus. Hab ich das richtig verstanden dass die Soldaten, die im Wald geladnet waren, auch Nyx waren? Frag mich dann nur warum es 2 Arten von Nyx gibt oder gar 3 wenn man noch diese "Bestien" dazu zählt.
    WEIR: ... putting your life and other people's lives at risk. You destroyed three quarters of a solar system!
    McKAY: Well, five sixths. It's not an exact science.
    WEIR: Rodney, can you give your ego a rest for one second?

    Ein Jahr später:
    Spoiler 
    CARTER: About a year ago, your brother came across an abandoned alien experiment called Project Arcturus.
    CARTER: It was an attempt to generate zero point energy.
    JEANIE: That would be virtually limitless power. What happened?
    McKAY: A slight problem. It was the creation of exotic particles in the containment field.
    CARTER: He destroyed a solar system.
    JEANIE: Meredith! (She smacks his arm.)
    McKAY: It was uninhabited!

  11. #51
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    So, dann will ich mal eine Kleinigkeit bei der ganzen Sache auflösen. Aber zuerst zu den Antworten:

    @Colonel Maybourne: Jup, die Sache mit Rodney gefiel mir auch sehr. Und es sei auch angemerkt, dass deine Überlegung bezüglich der Absichten der Nyxkrieger in eine ganz richtige Richtung geht. Sie haben an sich kein Interesse an der Erde oder Kriegsherren, wie Dumuzi. Aber was sie wirklich suchen... Tja, da wird die Auflösung noch ein wenig auf sich warten lassen. Nur so viel: Es ist kein Zufall, dass sie in der letzten Geschichte gerade jenen Ort aufgesucht haben.

    @Santanico Pandemomium: Selbiges zu Rodney. Seinen Dialog mit den anderen Gästen der Show zu schreiben hat besonderen Spaß gemacht. Und wie ebenfalls bereits angemerkt haben Nyx Leute tatsächlich nichts gegen die Erde. Sie sind nur recht... zielstrebig und direkt in ihren Methoden, wenn sie etwas erreichen wollen. Und Heureka haben sie ja auch nur angegriffen, weil der dort abgestürzte Antiker geglaubt hatte sich bei der Kolonie verstecken zu können.

    Und jetzt zu der angekündigten Auflösung: Die Soldaten, die Corinna aufgegriffen hat, gehören nicht zu Nyx. Wie ein Leser meiner vorherigen FF, der sich im Besitz von etwas befindet, das man umgangssprachlich als Gedächtnis bezeichnet, vielleicht erinnert, gab es da schon einmal Leute, auf die diese Beschreibung passte . Nein, Spaß beiseite, die Jungs sind tatsächlich schon mal dabei gewesen. Es sind Überlebende von Salvar, einer Welt deren Schicksal hier und in den darauf folgenden Stories beschrieben wird. Viele der Überlebenden sind Söldner und auch die, die sich hier auf Kanaan rumgetrieben haben, arbeiten für eine Hand von Kleingeld für jemand anderes. Aber wer das ist, das verrate ich erst in der nächsten Geschichte.
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  12. #52
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    Und hier die Fortsetzung. Die Folge erzählt zwei Handlungsstränge, von denen der eine die Haupthandlung vorantreibt, der andere eine Charakterfolge für eine Protagonistin darstellt. In der nächsten Folge wird dann entweder der Haupthandlungsstrang aus dieser Folge wieder aufgegriffen oder der Spot wird wieder auf Jules geschwenkt.

    Gesamtlänge dieses mal 11,5 Seiten. Viel Spaß beim Lesen.


    Episode 13: Interludium

    Im Delirium schlug Elias Falkner heftig um sich. Sein Handrücken traf Nikolai, der ihn zusammen mit Julius durch das Sternentor schleifte. Nach dem Kampf um die Furlingerruinen auf Kanaan war er zuerst bewusstlos gewesen, doch kurz vor dem Tor – ein Skimmer hatte sie hingeflogen – war er wieder aufgewacht und hatte angefangen wirres Zeug zu reden, zu schreien und sogar seine eigenen Leute angegriffen. Nur zu zweit waren sie fähig gewesen ihn zu bändigen, aber auch so hatten sie große Schwierigkeiten. Nikolai stieß nur einen wütenden Fluch auf Russisch aus, als der Schlag ihn traf, packte den Arm seines Majors umso fester und zerrte ihn mit zum Tor. Während sie hindurchgingen, gab Arya, die den Abschluss der Gruppe bildete, über Funk eine Beschreibung von Falkners Zustand durch. Auf der anderen Seite waren im Torraum gerade dutzende Transportfahrzeuge und hunderte Soldaten der Kolonialtruppen, Ausrüstung und Besatzung für eine neue Fremdweltbasis, zusammengezogen gewesen, deren Verlegung sie unterbrochen hatten, so dass sie sich zuerst durch ein recht dichtes Gedränge kämpfen mussten, doch einige Offiziere erkannten die Situation schnell und halfen eine Gasse für sie zu bilden. Als sie das andere Ende des Torraumes schließlich erreicht hatten, kam ihnen Doktor Loeb mit einem zweiten Mediziner und zwei Pflegern entgegen, die eine Trage mit sich führten.

    Der Chefarzt warf einen einzelnen Blick auf den Major, der gerade etwas brüllte, das wie Kauderwelsch klang, dann meinte er: „Auf die Trage mit ihm.“ An die beiden Soldaten gewandt fügte er hinzu: „Ziehen sie ihm irgendwie die Rüstung aus.“ Es war ein ziemlich seltsam anmutendes Bild, als sie Falkner zu viert auf die Trage zwangen, so dass die Pfleger seine Beine mit Riemen festschnallen konnten. Danach begannen sie ihm die Oberteile der Rüstung abzulegen. Kaum dass sie einen seiner Arme frei hatten, signalisierte Loeb Julius diesen festzuhalten und zog eine Medikamentenampulle samt Spritze aus der Tasche. Während er die Spritze aufzog, murmelte er leise etwas vor sich hin. Dann setzte er die Spritze. Er musste nicht lange nach einer Ader suchen, da Falkners Blutdruck in jenem Moment so hoch war, dass die Adern über den angespannten Muskeln des Armes deutlich hervortraten. Es dauerte danach einen Augenblick, doch dann wurde der Major deutlich ruhiger. Loeb rieb sich mit der freien Hand den Nacken, während er mit der anderen Medikament und Spritze wieder einsteckte und fragte an die Soldaten gerichtet: „Wie zur Hölle ist er in so einen Zustand gekommen?“

    „Keine Ahnung“, antwortete Arya, die mit ängstlichem Blick auf Falkner starrte, dessen Atmung sich langsam wieder beruhigte. Sie war Falkners Stellvertreterin und schien einen Augenblick zu brauchen, um mit dieser Situation zu Recht zu kommen. Schließlich fuhr sie fort: „Wir wurden angegriffen und kurz voneinander getrennt. Als wir dann wieder bei ihm waren, lag er vor einem der Angreifer am Boden. Der Kerl hat ihm an den Kopf gefasst“ – sie untermalte die Beschreibung, indem sie sich selbst die Rechte an den Kopf setzte – „und der Major hat geschrieen. Als wir ihn dann rausgeholt hatten, ist er zuerst ohnmächtig geworden.“ Loeb nickte. Er hatte schon genug Gefechtsneurosen gesehen, um zu wissen, dass das hier etwas anderes war. „Ok, bringen sie ihn in die Ambulanz und bereiten sie ihn für eine Untersuchung vor. Behalten sie seinen Blutdruck im Auge. Wenn sein Kreislauf wieder anfängt verrückt zu spielen, stabilisieren sie ihn.“ Der andere Mediziner nickte und meinte: „Ich packe ihn sofort unter einen Biomonitor.“ „Einen Teufel werden sie tun. Ich will ein volles Elektroenzephalogramm und eine Blutuntersuchung.“ Der andere sah zunächst etwas pikiert drein, war es doch scheinbar nicht gewohnt so vor aller Augen zurechtgewiesen zu werden, nickte dann jedoch einfach und machte sich mit den Pflegern zusammen auf den Weg. Danach sah der Doktor zu den anderen. „Wie viele Verwundete haben sie da draußen noch?“ Arya schüttelte zur Antwort den Kopf. „Ich hab sie nicht gezählt, aber wir wurden ziemlich hart getroffen, bevor wir den Gegner wieder vertreiben konnten. Knapp ein Dutzend Tote. Verwundete ungleich mehr.“ Er nickte und machte sich dann mit den Worten: „Wir kümmern uns darum“ auf den Weg.

    Einige Stunden später verließ er einen der Operationssäle. Sein sonst so fester Gang war nach vier Operationen in Folge mehr zu einem Schlurfen geworden und als er sich mit einer müden Bewegung die Handschuhe auszog und sie in einen Mülleimer warf, merkte er, dass seine Hände dabei ein wenig zitterten. In seinem Zustand würde er heute keine Eingriffe mehr durchführen können, soviel stand fest. Wie die Soldaten angedeutet hatten, waren sie knapp zwanzig Minuten, nachdem sie den Major gebracht hatten, mit Verwundeten förmlich überfahren worden. Vierzig Soldaten mit mehr oder weniger schweren Verletzungen waren binnen weniger Minuten reingekommen, so dass er und seine Ärzte alle Hände voll zu tun gehabt hatten. An sich hatten sie die nötigen Kapazitäten für ein mehrfaches dieses Aufkommens, doch da General Maybourne seine Männer im Moment auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzen ließ – oder mit anderen Worten: Er ließ sie den Gegner auf einem Dutzend Welten gleichzeitig in die Mangel nehmen – war fast die Hälfte des medizinischen Personals in Feldlazaretten auf Fremdwelten im Einsatz. Aber glücklicherweise war das Meiste, womit der Krieg um die Freiheit der Galaxie ihn heute konfrontiert hatte, für einen erfahrenen Militärarzt reine Routine gewesen. Alles, bis auf einen Fall.

    Major Falkner gab ihm immer noch einige Rätsel auf, obwohl er schon angestrengt darüber nachgedacht hatte, was mit ihm passiert sein könnte. So ging er, nachdem er den OP-Kittel ausgezogen hatte, zum Büro jenes Arztes, den er mit dem EEG beauftragt hatte. Ohne anzuklopfen stieß er die Tür auf und fand besagten Mediziner gerade konzentriert über die Resultate der Analyse gebeugt vor. Mit beiläufigem Tonfall fragte er: „Na, irgendetwas Interessantes?“ Dabei schenkte er sich einen Kaffee aus einer Kanne ein, die auf dem Schreibtisch stand, und setzte sich auf einen der Stühle im Raum. Der andere sah mit missmutigem Blick auf und antwortete: „Durchaus. Sehen sie sich das mal an.“ Er schob die Papiere über den Tisch. Loeb nahm zuerst einen großen Schluck Kaffee. Als er spürte, wie das Koffein seine Lebensgeister neu weckte, nahm er sich schließlich das EEG und warf einen Blick darauf. Was er sah, ließ ihn die Stirn runzeln. „Um welchen Faktor sind die Gamma-Wellen vergrößert?“ „Das ist es ja gerade: Gar nicht.“ Loeb schwieg für einen Moment. Dann fragte er: „Und die Blutuntersuchung?“ „Keine Fremdstoffe oder Viren. Aber die Hormonpegel im Blut weisen auf eine starke Panikreaktion hin.“

    Loeb nickte. Die abnormal hohe Aktivität im Bereich der Gamma- und Betawellen ließen auf starke Stresszustände und enormen Informationsfluss im Gehirn schließen. Er hatte von ähnlichen Fällen gelesen, in denen solche Zustände durch Kontakt mit außerirdischer Technologie, wie Datenspeichern der Antiker, verursacht worden waren, aber in keinem dokumentierten Fall war die Reaktion so schnell und so heftig ausgefallen. „In welchem Zustand ist der Patient im Moment?“ „Nicht ansprechbar. Wir haben ihm ein Beruhigungsmittel gegeben, aber er spricht nur sehr schlecht darauf an. Wenn das so weiter geht…“ „Wird es nicht. Hoffe ich zumindest.“ „Wie meinen sie das?“ „Meine Hypothese ist, dass ihm eine so große Menge an Informationen eingegeben wurde, dass er sie einfach nicht verarbeiten kann. Deshalb beobachten wir ihn erst einmal und warten ab, ob sich sein Zustand von selbst verbessert.“ „Und wenn nicht?“ „Fragen sie mich das, wenn es soweit ist.“ Er stand auf und ging, ohne die Zettel zurück zu legen zur Tür. „Was haben sie jetzt vor, Doktor Loeb?“ „Rauchen.“

    Am folgenden Morgen, unweit von Frankfurt an der Oder:

    Corinna Silkermann hatte Untätigkeit immer verabscheut. Zu leben bedeutete für sie aktiv zu sein und der Schlaf war in ihren Augen ein Bruder des Todes. Der Dienst in der Armee war für sie nie ein Problem der Erschöpfung oder der Überanstrengung gewesen. Selbst nach wochenlangen Einsätzen hatte sie stets noch die Kraft gehabt ihren Dienst zu versehen. Die Herausforderung hatte für sie im Warten bestanden. Jenes Interludium zwischen dem Goa’uld-Krieg und den neu aufgeflammten irdischen Konflikten, das das zweite Jahrzehnt dieses Jahrhunderts dargestellt hatte, war ihr mit dem endlosen und monotonen Kasernendienst wie ein Albtraum vorgekommen. Eine Hölle der Wiederholung. Und auch am gestrigen Vormittag hatte sie noch über die Aussicht geflucht fünf volle Tage hinter die Front verbannt zu werden. Aber jetzt kam die Zwangspause ihr fast wie eine Erlösung vor. Denn sie bot eine Möglichkeit Deutschland wieder zu sehen.

    Doch der Anlass für ihr Hiersein – sie hatte keine Urlaubstage übrig gehabt und Maybourne deshalb um einige Tage Freistellung vom Dienst bitten müssen – war kein angenehmer. Sie sah in das aufgetane Grab zu ihren Füßen hinab. Der Sarg darin enthielt einen Mann, der ihr letztlich nichts bedeutet hatte, dessen Tod sie aber auf eine ganz eigene Art berührte, denn er zeigte ihr, was in diesem Land mehr und mehr falsch zu laufen begann. Der Mann, der hier zu Grabe getragen wurde, hatte ihr und den meisten Anwesenden auf eine Art und Weise nahe gestanden, die durch die Fahne illustriert wurde, mit der man ihn begrub. Es war ein schwarz- rot-goldenes Reichsbanner, das zumindest annähernd für jene Ideen stand, an die er geglaubt hatte. Aber auch wenn er es wohl so gewollt hätte, war es in ihren Augen blanker Hohn ihn mit dieser Fahne zu begraben, denn er war nicht für die Idee gestorben, die dahinter stand, sondern aus Dummheit.

    Im Grab zu ihren Füßen lag ein Mann, wie das rechte politische Lager ihn vor der Einigung der EU bei weiten seltener gesehen hatte, als dies mittlerweile der Fall war. Er und die Männer, die seine Einstellung teilten, waren nicht bloß Nationalisten, sondern extreme Rassisten mit faschistoiden politischen Ideen, die vor allem von Angst getrieben wurden. Insbesondere seit dem EU-Beitritt der Türkei schossen sie wie Giftpilze aus dem Boden. Männer, die das Gespenst einer Islamisierung und einer Aufgabe nationaler Identität in Europa umgehen zu sehen glaubten und für das neue System im besten Fall nur Verachtung übrig hatten. Oder wie in diesem Fall bloße Feindseligkeit. Dieser Mann war einmal Bundeswehrsoldat gewesen, hatte jedoch nicht dem Eurokorps beitreten wollen, so dass er nach 2017 zu einem zivilen Sicherheitsdienst gewechselt war. Vor einer Woche war es schließlich soweit gewesen. Als er seine Frau wieder einmal halb besinnungslos geprügelt hatte, hatten die Nachbarn die Polizei gerufen. Und im Glauben, dass die Schergen der Systempolizei gekommen waren, um ihn zu beseitigen, hatte er zu Schutzweste und Sturmgewehr gegriffen, die er zuhause versteckt gehabt hatte. Die Bilanz: Fünf tote Polizisten und ein mit elf Kugeln niedergestreckter Mann, den die Wortführer der Rechten zum Opfer repressiver Politik hochstilisierten.

    Ohne große Emotionen nahm sie etwas Sand auf die Schaufel, die in der Kiste neben dem Grab stand und warf ihn hinein. Dann ging sie weiter, stellte sich wieder zu den anderen Trauergästen. Direkt hinter ihr kam der Mann, der sie gebeten hatte zu kommen: Gustav Kollmann, ehemaliger Oberst der Bundeswehr, unter Reineke für fünf Tage Anno 2017 General, nun Wortführer der Nationalisten. Sie wusste, dass er früher beim STK gedient und ihr Bruder ihn flüchtig gekannt hatte. Und sie war vor kurzem noch eine bedingungslose Anhängerin seiner politischen Ideen gewesen. Kollmann entsprang den Hardlinern unter den Nationalisten, die Demokratie für einen Ausdruck von Dummheit hielten, daran glaubten, dass ethnische Abstammung ein Kriterium für Privilegien war. Die nationale Identität Deutschlands war ihm heilig und die europäische Einigung stellte für ihn ein Kapitalverbrechen erster Ordnung dar. Und zu allem Überfluss war er die größte Hoffnung der Nationalisten auf politischen Einfluss und einen Einzug in Regionalparlamente, nämlich jene von Sachsen-Brandenburg, Württemberg-Bayern und Österreich, seit bald zwei Jahrzehnten. Er galt als präsentabel, gebildet, traditionsverbunden und durchsetzungsstark.

    Aber vielleicht war diese Durchsetzungsstärke nicht so erstrebenswert, wie manche glaubten, ging es Corinna durch den Kopf, während Kollmann nicht ohne symbolische Wirkung eine Schippe Sand ins Grab fallen ließ. Kollmann war ein Mensch, der seinen Überzeugungen bedingungslos folgte. Aber auch wenn man diese Eigenschaft zunächst honorieren konnte, wiesen seine Überzeugungen ihm im Moment den Weg nach oben. Und um dort hin zu kommen, musste er die politische Rechte vereinen. Deshalb war die Fahne im Grab nicht schwarz-weiß-rot, wie es der Gesinnung des Toten entsprochen hätte. Deshalb hatte er angefangen Kreide zu fressen, wenn er bei politischen Veranstaltungen auftrat, um bei Konservativen salonfähig zu werden. Und deshalb bediente er sich Methoden, die nichts mehr mit politischem Anstand zu tun hatten. Und auch wenn sie wusste, dass das gediegene Image, auf das er zuarbeitete, nichts weiter als Fassade war, fühlte sie sich mehr und mehr von ihm und seiner ‚Bewegung’ entfremdet. Als er sich schließlich vor dem Grab aufbaute und anfing eine Rede zu halten, in der er das Überleben des Deutschtums in einer feindlichen Zeit beschwor – die Anwesenden zählten zu seinen radikaleren Anhängern, so dass er sich hier voll auslassen und auf zahme Rhetorik verzichten konnte – wurde es ihr zu viel.

    Sie wandte sich vom Grab ab und ging zurück auf die sorgfältig geharkten Kieswege, die über den Friedhof liefen. Die Pappeln, die entlang des Weges angepflanzt waren, spendeten angenehmen Schatten, denn die Sonne strahlte an diesem Tag, als wolle sie dem Toten das letzte Geleit geben. Oder als freue sie sich über seinen Abgang. In ihrer derzeitigen Stimmung glaubte sie eher an Letzteres. Sie spazierte ein wenig Ziellos über den Friedhof, bis sie an der Kapelle vorbei kam. Als sie davor stand, glaubte sie die Klänge einer Orgel zu hören. Als sie die beschwingte und schnelle Musik erkannte, zauberte es ihr ein Lächeln auf das Gesicht und sie betrat das Gotteshaus. Im Inneren ging sie zur Orgel, deren Spieler mit dem Rücken zu ihr saß, doch sie erkannte ihn an der Art zu spielen sofort. Sie ging zu ihm und schlang von hinten die Arme um ihn, während er unbeirrbar weiter spielte. Seine Hände flogen über die Manuale, während seine Füße sich schneller bewegten, als manch anderer mit den Händen hätte spielen können. Als er schließlich fertig war und innehielt, sagte er leise: „Hallo Corinna.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und antwortete: „Hallo Thorsten. Woher wusstest du, dass ich es bin?“ „Woher wusstest du, dass ich hier spiele?“ Sie lächelte. „Am Rhythmus. Niemand spielt so wie du.“ „Genau wie ich dich. Niemand anders bewegt sich so.“ Sie gab einen amüsierten Laut von sich, dann drehte sie seinen Kopf etwas, um ihn sanft zu küssen. „Bach, nicht wahr?“ Er nickte. „Die dorische Fuge.“ Er schüttelte kurz die Hände, dann fing er wieder an zu spielen, während sie sich auf eine Kirchenbank neben ihm setzte und lauschte.

    Dabei dachte sie an die Zeit zurück, in der sie sich kennen gelernt hatten. Es war für sie beide eine Phase des Sturmes und Dranges gewesen, in der sie mit allen Kräften gegen das neue europäische System rebelliert hatten. Sie hatten beide zu einer aggressiven Kameradschaft gehört, die – vorsichtig ausgedrückt – ein schwieriges Verhältnis zu Ausländern, Schwulen und Juden gehabt hatte und waren beide nicht besonders zimperlich gewesen. So hatten sie einander anfangs nur vom Sehen her gekannt und das erste mal wirklich miteinander gesprochen, als sie zusammen in Untersuchungshaft gesessen hatten, weil sie bei einer Kundgebung einen Polizisten zusammengeschlagen hatten. Einige Wochen später – man hatte sie laufen lassen, weil die Polizei des jungen Europas wesentlich ernstere Sorgen hatte, als einige radikale Krawallmacher – hatte sie ihn dann eines Abends eher durch Zufall im Gemeindezentrum, das sie damals als Treffpunkt benutzten, am Klavier im großen Saal spielen hören. Ertappt hatte er zuerst versucht ihr etwas vorzumachen, doch sie hatte die Sache nicht nur für sich behalten, sondern mit der Zeit auch sein Vertrauen gewonnen, so dass er ihr schließlich von seiner Kindheit erzählte, die alles andere als angenehm gewesen war und in der die Musik für ihn so etwas wie eine Zuflucht gewesen war. Mit einer solchen Offenbarung hätte er gegenüber den männlichen Mitgliedern der Gruppe, in der die Mitglieder sich mit Männlichkeitsritualen und Gewalt aufspielten, ernsthafte Anfeindungen riskiert, legten sie doch Emotionalität als Schwäche aus.

    Umso dankbarer war er ihr gewesen, weil sie sein Geheimnis bewahrte. Aber auch für sie war es zu einer völlig neuen Erfahrung geworden. Bevor sie ihn kennen gelernt hatte, hätte sie sich nie für den Typ Frau gehalten, der Musik und Gedichte mochte. Aber wenn er für sie spielte oder ihr Gedichte vortrug – gut, die wenigsten hatte er selbst geschrieben, aber ein Gedicht richtig vorzutragen hatte auch etwas mit Kunst zu tun – waren das die einzigen Momente in ihrem Leben, in denen sie so etwas wie Ruhe verspürte. So hatte sie ihm immer öfter Gesellschaft geleistet, wenn er gespielt hatte. Aus diesen Momenten, die sie geteilt hatten, war schließlich eine leidenschaftliche Beziehung entstanden, die jedoch einen ziemlich drastischen Einschnitt erlebt hatte, als sie wirklich in Schwierigkeiten gekommen waren. Während einer Demonstration hatten einige ihrer Kameraden einen Gegendemonstranten brutal zu Tode geprügelt, so dass die gesamte Gruppe ins Visier der Polizei geriet. Das war die Stelle gewesen, an der Corinnas Bruder die Notbremse gezogen hatte.

    Ralf hatte sie in die Bundeswehr geholt, die damals mehr und mehr ins Eurokorps eingegliedert wurde, während er für Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung für fünf Jahre ins Gefängnis musste. Später trafen sie einander wieder. Er war als vermeintlich geläuterter Staatsbürger aus der Haft entlassen worden, sie war Soldatin. Anders als ihr fiel ihm der Neuanfang allerdings schwer. Niemand hatte einen jungen Mann gewollt, dem das Stigma eines verurteilten Terroristen anhing. So war er letztlich wieder im gleichen Milieu gelandet, das sie nie wirklich verlassen hatte, auch wenn sie ihre rassistische Haltung beim Bund weitgehend verloren hatte. Im Schützengraben, hatte ihr Offizier ihr immer gesagt, gibt es keine Herrenrasse. Ihre Beziehung hatte noch einige Jahre angedauert und sie hatten sogar über Heirat gesprochen, aber es letztlich nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Corinna entsprach schon so viel zu wenig dem Frauenbild der politischen Rechten, in deren Augen das Weib nur etwas Wert war, die dereinst an Heim und Herd. Aber solange sie noch die junge Wilde spielen konnte, was ihr in einer von antiagatischer Medizin berührten Gesellschaft durchaus noch bis über die fünfzig hinaus möglich war, nahm niemand wirklich Notiz davon. Und schließlich hatten ihre Lebenswege sie immer weiter voneinander weg geführt, so dass sie sich immer seltener sahen. Aber trotzdem hatten sie einander nie vergessen und waren einander letztlich treu geblieben.

    Er spielte noch einige Minuten lang, bis er das Stück beendet hatte. Dann hielt er schließlich inne und meinte: „Danke, dass du gekommen bist. Hätte mir jemand bescheid gesagt…“ „Es war eine spontane Freistellung vom Dienst.“ Sie zuckte ein wenig mit der linken Schulter. „Plasmatreffer. Wird noch ein paar Tage dauern, bis sie mich wieder in den Dienst lassen.“ Er lächelte. „Ich wünschte wir hätten mehr Zeit.“ „Wieso? Wir haben noch mindestens vier Tage. Vielleicht sogar mehr, wenn ich dem Arzt weismachen kann, dass die Schulter noch nicht in Ordnung ist.“ „Leider nicht. Kollmann hat einen Auftrag für unseren Trupp.“ Sie legte fragend den Kopf auf die Seite und blickte dabei erstaunt drein.

    Thorsten arbeitete für eine Sicherheitsfirma, hinter der sich de Facto nichts weiter verbarg, als eine Organisation von Schlägern, die Kollmann zur Absicherung seiner politischen Veranstaltungen und zur Einschüchterung seiner Gegner benutzte. Mehr noch, er war Teil einer Sondereinheit, die Kollmann mit Hilfe eines ehemaligen Ausbilders des KSK auf die Beine gestellt hatte und bei der der europäische Verfassungsschutz seinen metaphorischen Arm geben würde, um Details darüber in Erfahrung zu bringen. Offiziell waren sie ein Geiselbefreiungsteam, vergleichbar solchen, die private Sicherheitsdienste beispielsweise einsetzten, um von Piraten gekaperte Schiffe zu befreien. Aber obwohl er in gewisser Weise ihr Chef war, hatte Kollmann diese Truppe noch nie für eigene Zwecke eingesetzt, wahrscheinlich um die Staatsschützer nicht zu nervös zu machen. „Und worum geht es?“ „Wir sollen jemanden in Norditalien hopsnehmen. In der Nähe von Ravenna. Ich kenne noch keine Details, aber die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass wer immer auch es ist ihm irgendwie im Weg steht.“ „In Ravenna?“

    Er nickte, woraufhin sie aufstand und sich neben ihn auf die Orgelbank setzte. Sie lehnte sich ein wenig an ihn an und meinte: „Was ist bloß aus unserem großen Führer geworden? Haben wir nicht mal ein Unrechtssystem angeprangert?“ „Er hat Höhenluft geschnuppert. Und auf dem Weg nach oben ist ihm jedes Mittel recht.“ „Hm. Pass auf dich auf, ok?“ „Keine Sorge. Das wird schon alles irgendwie. Am Samstag sind wir wieder zurück. Ich schreib dir auf eine Karte.“ Sie lachte. Danach saßen sie nur noch für fast eine halbe Stunde schweigend beieinander, bis Aufhur draußen ihnen verriet, dass Kollmann endlich mit seiner Rede fertig war. Dann verließen sie die Kapelle getrennt voneinander.

    Corinna verbrachte die folgenden Tage mit der Pflege von Familienangelegenheiten. Letzten Sommer, als sie in Afrika stationiert gewesen war, hatte ihr Vater das Zeitliche gesegnet, so dass aus ihrer Familie nur noch ihre Mutter und ein Bruder, der seit Jahren nichts mehr von sich hatte hören lassen, am Leben waren. Folglich war es nicht gerade die angenehmste Tätigkeit. Sie vertröstete sich allerdings die ganze Zeit über mit dem Gedanken an den kommenden Samstag, an dem Thorsten zurück sein wollte. Als er am Mittag des fraglichen Tages allerdings noch nichts von sich hatte hören lassen, wurde sie nervös. Er hatte ihr auf dem Friedhof noch versprochen sich melden zu wollen, sobald sie wieder zurückfuhren und es war nicht seine Art versprechen zu brechen. Auf irgendeine Art hätte er sich bei ihr gemeldet und wenn es eine Mail aus einem Internetcafe oder ein kurzes Anklingeln auf dem Handy gewesen wäre. Als es später Nachmittag geworden war, wurde sie schließlich ungeduldig. Egal was sie ihm gesagt hatte, Loeb war nicht der Arzt, der einem Soldaten half ein paar Tage blau zu machen. Ganz zu schweigen davon, dass die Entscheidung darüber, ob sie zum Stützpunkt zurück musste, oder nicht, bei Maybourne lag.

    Sie griff sich also ihre spärliches Gepäck, um im Zweifelsfall doch wieder rechtzeitig auf dem Stützpunkt sein zu können, und verließ die Wohnung der Mutter in Richtung des Bahnhofes. Ihre Mutter lebte in Saarbrücken, während die Firma in Erfurt ansässig war, was aber nicht bedeutete, dass sie zuerst durch halb Deutschland hätte fahren müssen. Stattdessen machte sie sich auf den Weg zum örtlichen Vorsitzenden der Partei. Sie fuhr dazu mit einem Taxi in den Vorort, in dem er lebte. Auf dem Weg versuchte sie ihn telefonisch zu erreichen, wurde jedoch jedes Mal abgewimmelt. Als sie die Vorstadt erreichten, ließ sie sich an einer Straßenecke absetzen und ging den Rest des Weges zu Fuß. Die Häuser hier waren relativ neu, groß und schrieen dem Betrachter den Wohlstand ihrer Bewohner entgegen. Sie meinte zwar die ein schlechtes Leben gehabt zu haben, aber bei diesem Anblick kamen unweigerlich Guvs Tiraden über Wohlstandsgefälle in den Sinn. Am entsprechenden Grundstück angekommen sah sie, dass er tatsächlich zu Hause war, gerade aber Gäste empfangen zu schien. Sie klingelte an der Tür. Als die Frau des Hausherren ihr schließlich öffnete, bat sie: „Verzeihung, ich würde gerne mit Herrn Behles sprechen. Es ist wichtig.“ „Es tut mir leid, aber er ist im Moment unabkömmlich.“ „Tja… ich muss leider drauf bestehen.“ Mit diesen Worten schob sie die Frau zurück und trat in die Diele des Hauses. „Wenn sie ihm jetzt bitte bescheid sagen könnten. Ich wäre ihnen sehr verbunden:“

    Als er schließlich zu ihr kam, wirkte er sehr ungehalten. Er war äußerlich ein Mann von knapp fünfzig Jahren mit schütterem Haar, Ansätzen zum Dickwerden und der körperlichen Haltung eines Geistesarbeiters. Sie kannte ihn von Veranstaltungen der ‚Bewegung’, wie Kollmann es immer so gerne nannte. „Frau Silkermann“, begann er, „ich muss sie bitten zu gehen. Ich habe Gäste und habe jetzt wirklich keine…“ „Doch, sie haben Zeit für mich.“ Er schwieg für eine Schrecksekunde. Offenbar hielt er es für unangemessen, wenn eine Frau einen Mann auf diese Art unterbrach. „Ach ja?“ „Ja. Ich brauche nur eine Auskunft von ihnen.“ „Ja, das hatten sie mir bereits am Telefon gesagt. Und ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum die Sache sie so interessiert.“ „Wie gesagt, ich bim mit Mitgliedern des Teams befreundet und mache mir Sorgen.“ „Und wie kommen sie auf den Gedanken, dass ich etwas darüber wissen könnte?“ Sie seufzte. Dann machte sie einen plötzlichen Ausfallschritt, packte seinen Arm und drehte ihn ihm auf den Rücken. Dabei hielt sie sein Handgelenk mit eisernem Griff fest, dass sie ihm fast die Knochen darin brach. „Also schön, sie Möchtegerngauleiter. Wir wissen beide, dass sie im Parteivorstand sitzen. Außerdem habe ich nicht vergessen, dass sie Miteigentümer der Firma sind. Sie können es also für mich herausfinden. Und wenn nicht, dann bekommen ihre Gäste gleich eine sehr unschöne Szene zu sehen.“

    „Verdammt, sie brechen mir den Arm.“ „Noch nicht ganz. Aber das lässt sich bewerkstelligen, wenn es sein muss.“ „Ok, verdammt noch mal. Ich weis bescheid. Sie sollten jemanden entführen, aber die Sache ist schief gegangen. Wir haben seit gestern nichts mehr von ihnen gehört.“ Erschrocken löste sie ihren Griff wieder und machte einen kleinen Schritt zurück. „Was?“ „Die Sache war ihm wichtig. Deshalb hatten wir ja auch ein die Elite losgeschickt und nicht irgendwelche Schläger von der Straße. Aber aus irgendetwas ist passiert. Wir wissen nicht was, aber wir handeln das Team als Verlust.“ Für einen Moment war sie wie gelähmt. Als er jedoch in Richtung der Tür schielte, packte sie ihn wieder und rammte ihn mit dem Rücken gegen die Wand. „Wer, wo und warum?“ „Es ging um eine Frau Namens Lewin. Lebt in Ravenna.“ „Die Adresse.“ „Den Nachnamen gibt es nur ein Mal in der Stadt.“ „Und warum?“ „Das weis niemand außer Kollmann selbst. Er sagte nur, dass es zum Wohl der Bewegung sei.“ Sie ließ ihn wieder los. „Also gut. Ich hoffe, dass sie die Wahrheit gesagt haben. Um ihretwillen.“

    Am selben Abend in Paris, Sitz des EuroMND:

    Michail Wladimirowitsch Alpatow klopfte einmal kurz an die Tür vor sich und trat aus dem Flur in das Büro dahinter ein. „Herr Oberst, ich habe hier eine Kopie des Berichtes von Doktor Loeb über Major Falkner.“ Der alte Franzose, der konzentriert über einige Dokumente gebeugt hinter dem Schreibtisch saß, sah in Richtung der Tür auf und fragte mit bitterem Tonfall: „Und was sagt der Doktor? Warum ist unser bester Soldat verrückt geworden?“ „Er ist der Auffassung, dass der Verstand des Majors mit mehr Informationen überschwemmt wurde, als er verarbeiten konnte. Er vergleicht den Vorfall mit ähnlichen Geschehnissen während des ersten Sternentorprogrammes, in denen außerirdische Technologie involviert war und vergleichbare Krankheitsbilder auftraten.“ Der alte Mann warf seinen Stift beiseite und murmelte: „Und was schlägt er vor?“ „Die Sache auszusitzen.“ Alpatow klappte die Aktenmappe des Berichts wieder zu und faltete die Hände hinter dem Rücken. „Mit Verlaub, Herr Oberst“, sagte er, „ich würde der Sache gerne weiter nachgehen.“ „Und warum?“ „Nun, wir gehen von der Annahme aus, dass wir den Mann, der für den Zustand des Oberst verantwortlich ist, identifiziert haben.“ „Und wer ist er?“ „Wir kennen seinen Namen nicht, aber Aufklärungsdaten der Tok’Ra bestätigen, dass er der ranghöchste Offizier des Gegners in diesem Teil der Galaxie ist. Wahrscheinlich einer der ranghöchsten überhaupt.“

    Der Mann nickte, wobei er den Mund zusammenkniff, dass seine Lippen nur noch als schmaler Strich zu sehen waren. „Und wie vollen sie weiter vorgehen?“ „Ich möchte Arik darauf ansetzen. Er könnte sicherlich etwas Licht in die Sache bringen.“ Der Oberst griff wieder nach seinem Stift und drehte ihn etwas zwischen den Fingern. Dann sagte er: „Nein.“ „Herr Oberst, darf…“ „Ja, dürfen sie. Er ist zu wertvoll für uns, als dass ich ihn für eine Phantomjagd wie diese einsetzen könnte. Es gibt da eine andere Aufgabe, für die wir ihn sehr viel dringender brauchen.“ Alpatow hielt die Arme in einer Geste der Resignation von sich und erwiderte: „Klären sie mich bitte auf.“ Der Alte nickte. „Sie haben die Berichte über Kanaan gelesen?“ „Natürlich.“ „Hm… Dann wird sie das hier interessieren.“ Er zog einen Datenträger unter den Papierstapeln auf dem Schreibtisch hervor und warf ihn Alpatow zu. „Wir haben die Männer befragt, die beim Außenposten Ekron aufgegriffen worden sind. Es waren sozusagen alte Bekannte.“

    Der Agent fing den Datenträger mit der Linken aus der Luft und sah seinen Vorgesetzten fragend an. „Vor knapp dreißig Jahren hatte das Sternentorkommando Schwierigkeiten mit Überlebenden einer Welt Namens Salvar, die sich als Söldner verdingten.“ „Darf ich aus ihren Worten schließen, dass diese Leute auf Kanaan Salvari waren?“ „Sie dürfen. Und wie es scheint wissen diese Leute Kontinuität zu schätzen, denn sie arbeiten immer noch für die gleiche Organisation. Eine Gruppierung, die man den Senat nennt.“ Alpatow zog fragend die Augenbrauen hoch. „Und welches Interesse hat diese Gruppe an der Sache?“ Der Oberst beugte sich etwas vor, stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und deutete mit der Hand, in der er den Stift hielt, auf sein Gegenüber. „Und genau das herauszufinden, wird ihre Aufgabe sein, Michail. Wir haben aus den Leuten den Aufenthaltsort ihres Kontaktmannes mit dem Senat herausbekommen. Sie werden sich mit ihm treffen und herausfinden, welche Position diese Organisation einnimmt. Und ich will, dass sie Arik zu dem Treffen mitnehmen. Gewissermaßen als Rückversicherung.“ Alpatow nickte. „Wird erledigt, Herr Oberst.“

    Am folgenden Mittag in Ravenna:

    Ihr Hang zu impulsiven Reaktionen hatte Corinna mehr als ein Mal in Schwierigkeiten gebracht. Doch am vergangenen Abend hatte sie darüber nicht nachgedacht, sondern kurzerhand den nächsten Zug nach Ravenna genommen. Die zwischen Straßburg und Rom verkehrende Magnetschwebebahn hatte sie bis Bologna gebracht und von dort aus war es nur noch eine kurze Fahrt mit einem Regionalzug bis zu ihrem Ziel gewesen. Noch im Zug hatte sie ein Internetterminal in ihrem Abteil benutzt, um im Telefonbuch die Adresse der Frau Levin, Siva mit Vornamen, in Erfahrung zu bringen, der die Operation gegolten hatte. Jeder weitere Versuch etwas über sie zu Tage zu fördern hatte sich allerdings als schwierig herausgestellt. Das Internet gab buchstäblich nichts über sie her, so dass sie das Gefühl hatte in einer digitalen Welt einem analogen Menschen nachzustellen. Deshalb mietete sie in Ravenna zunächst ein Motorrad von einem ziemlich zerknirscht wirkenden Italiener, der keineswegs begeistert darüber gewesen war in der Nebensession schon vor neun Uhr früh aus dem Bett geholt zu werden, und legte sich dann in der Nähe des Hauses auf die Lauer.

    Das Haus war in einem alten Vorort der Stadt gelegen, der vielleicht mal eine Art Fischerdorf gewesen sein mochte. Das adriatische Meer keine zwei Kilometer entfernt und mehrere geschützte Buchten schufen eine malerische Landschaft. Vor allem empfing die alte Stadt der gotischen Könige sie an diesem Morgen mit strahlendem Sonnenschein. Die Szenerie schien derart friedlich, dass sie selbst kaum glauben konnte, dass sie hier versuchte Licht ins Dunkel des möglichen Todes ihres Geliebten zu bringen. Trotzdem hängte sie sich der Frau an die Fersen, als sie an diesem Morgen ihr Haus verlies und in die Stadt fuhr.

    Siva Lewin wirkte auf den ersten Blick wie eine Frau von knapp fünfzig Jahren. Sie machte den Eindruck einer gewöhnlichen Dame, die aus irgendeinem Grund ausgesorgt hatte und nun ihren vorgezogenen Ruhestand im schönen Italien genoss. Aber ein unbestimmtes Gefühl sagte Corinna, dass dieser Schein trog. Die Einrichtung, die sie bei einigen flüchtigen Blicken durch die Fenster des Hauses hatte sehen können, passte nicht zu diesem Bild. Es war eine abstruse Mischung aus Chaos und Disziplin gewesen, die sich auch durch das Auftreten der Frau Lewin zog. Ihr Gang wirkte beschwingt und fröhlich, zugleich war sie aber völlig korrekt gekleidet und ihr Verhalten während sie ihr Haus verließ, in ihren Wagen einstieg und schließlich losfuhr… Sie schien sich ihrer Umgebung die ganze Zeit bewusst gewesen zu sein und auf jede noch so kleine Veränderung zu achten. Sie hatte sogar unter dem Vorwand ihr sei etwas unter das Fahrzeug gefallen den Unterboden des Wagens kontrolliert. Nein, das Verhalten passte nicht.

    Corinna verfolgte sie zunächst in die Innenstadt von Ravenna, wo sie über den Vormittag einige Besorgungen erledigte, eine Bank und das Rathaus aufsuchte. Dann, es war fast Mittag, stellte sie ihren Wagen in Innenstadtnähe ab und ging in die engen Straßen der Altstadt, wo keine motorisierten Fahrzeuge erlaubt waren. Um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen stellte Corinna das Motorrad ebenfalls ab und folgte der Frau zu Fuß. Es ging durch einige enge Straßen, bis sie schließlich in ein Cafe ging, wahrscheinlich um etwas zu Mittag zu essen. Corinna suchte sich ein schattiges Plätzchen in der Nähe (Erderwärmung -> brütende Hitze!) und wartete ab. Sie ließ den Eingang des Cafes keinen Moment aus den Augen. Bis ihr plötzlich siedend heiß einfiel, dass sie nicht kontrolliert hatte, ob das Haus einen Hinterausgang hatte. Sie wollte gerade aufstehen, als sie hinter sich eine Stimme hörte: „Ich hatte gehofft, dass sie irgendwann das Interesse an mir verlieren würden, aber das scheint nicht der Fall zu sein.“

    Blitzschnell drehte sie sich um und sah Siva Lewin hinter sich stehen. Sie stand mit lässig vor der Brust verschränkten Armen da, aber die Art, wie sie ihr Gewicht auf die Füße verteilte, zeigte Corinna dass sie jederzeit fluchtbereit war. Oder bereit zum Angriff. Wenn sie sie aus der Nähe betrachtete, wurde man sogar noch weniger schlau aus ihr. Sie hatte den Körper einer Athletin und zeigte keine Anzeichen fortgeschrittener Alterung, aber gleichzeitig glaubte Corinna in ihren Augen Schmerz zu erkennen, als habe sie im Leben schon zu viel gesehen. „Also“, fragte sie, „für wen sind sie hier?“ Für einen Moment suchte sie nach Worten, dann fragte sie ausweichend: „Wie kommen sie darauf, dass ich für jemanden arbeite?“ „Fangen wir einfach mal mit der Tatsache an, dass sie mich mehrere Stunden lang verfolgt haben.“ „Ja… Da haben sie wohl Recht.“ „Also?“ „Tja, man könnte sagen, dass ich in Eigenregie hier bin.“ „Ich glauben ihnen kein Wort.“ „Glauben sie, was sie wollen. Es ist so. Einer meiner Freunde ist letzte Nacht spurlos verschwunden und ich habe Grund zur Annahme, dass sie dabei eine Rolle spielen.“

    Nun lachte die ältere Frau. Zunächst nur leise, dann immer fröhlicher und ausgelassener. „Kollmann also?“ „Nein. Mir geht es um Thorsten Wegner.“ „Nie gehört. Aber ich glaube ich kann mir die Zusammenhänge denken.“ Sie deutete auf das Cafe. „Mein Mittagessen wartet und ich sehe keinen Grund diese Unterhaltung hier draußen fortzuführen.“ Corinna nickte und folgte ihr in das Cafe. Dort setzte sie sich an einen Tisch, auf dem ein Teller mit Salat, Mozzarella und Knoblauchbrot stand. Während die seltsame Frau zu essen begann, fragte Corinna: „Ich nehme mal an, sie wissen etwas über Thorsten.“ Sie winkte ab. „Nicht wirklich. Nur so viel: Ich hatte gestern ziemlich nonchalanten Besuch und habe mich entschieden meinem lieben Freund jenseits der Alpen ein deutliches Signal zu senden.“ Corinna spürte, wie ihre Eingeweide sich verkrampften. „Heißt das etwa…“ „Die Polizei wird in ein paar Tagen vier Leichen finden.“ Verdutzt hielt sie inne. „Vier?“ „Ja, vier. Irgendwie konnte ich es nicht übers Herz bringen den letzten zu erledigen. Er hatte so etwas Gütiges in den Augen.“ „W…Wer?“ „Ein Bursche mit rotbraunen Haaren. Schien die Nummer zwo der Gruppe zu sein.“ Corinnas Herz machte bei dieser Beschreibung einen Satz. Thorsten war der stellvertretende Anführer des Teams gewesen. „Und was ist mir ihm passiert?“ „Ich hab ihn angeschossen. Danach hab ich ihn vor der Ambulanz eines Krankenhauses in der Nähe abgeliefert. Die werden ihn einfach noch nicht identifiziert haben.“

    Irgendwie schien sie erleichtert auf ihrem Stuhl zusammen zu sinken, denn die Lewin grinste bei ihrer Reaktion auf diese Nachricht nur noch breiter. Dann fragte sie: „Und sie sind nur seinetwegen gekommen?“ Corinna nickte. „Eine schöne Geschichte. Könnte glatt irgendeinem schlechten Kitschroman entsprungen sein. Und verstehen sie das nicht falsch. Ich mag Kitsch.“ Sie schnaubte. „Ich nicht. Aber danke für alles. Auch wenn ich nicht begreife, wie sie alle fünf ausschalten konnten. Ich weis, wie gut das Team war.“ „Sie tragen ein Messer, nicht wahr?“ Verwundert nickte Corinna. Sie hatte die Klinge ziemlich gut versteckt.“ „Lassen sie mal sehen.“ Sie reichte der anderen Frau das Messer, woraufhin diese es mit beiden Händen nahm, eine am Griff, die andere am Messerrücken. „Was den Überfall angeht: Die Jungs waren sicherlich eine Steigerung, verglichen mit den milchgesichtigen und überambitionierten Wehrsportgruppen, die Kollmann mir die letzten Male geschickt hat. Aber…“ Anstatt den Satz zu vollenden, verbog sie das Messer über die breite seine der Klinge, als wäre es dünner Draht. „Mich haben sie nicht wirklich geschreckt.“

    Beinahe wäre Corinna erschrocken aufgesprungen. Doch stattdessen zwang sie sich ruhig sitzen zu bleiben und fragte: „Wie haben sie das gemacht?“ „Pure Kraft.“ „Wie?“ Sie schmunzelte und antwortete schließlich: „Ich war einmal beim Militär. Damals sind sie durch die Aliens auf den Trichter gekommen, dass man aus dem menschlichen Körper deutlich mehr herausholen kann, als die Natur es von sich aus zulässt.“ „Was wissen sie über Aliens?“ „Gegenfrage: Was wissen sie darüber?“ Corinna zögerte kurz, dann fischte sie ihre Hundemarke unterm Hemd hervor und zeigte sie. „Ich bin beim STK.“ Die Lewin schmunzelte vergnügt. „Tja, das war ich auch einmal. ST29 unter Major Jäger. Und später unter Leutnant Gustav Kollmann.“ „Daher also…“ Sie nickte. „Ja. Daher.“ „Und wie sind sie dabei so stark geworden?“ „Hm. Keine Ahnung warum, aber irgendwie habe ich das Gefühl einer ehrlichen Frau gegenüber zu sitzen. Ich denke mein Name verrät meine Herkunft.“ Corinna runzelte die Stirn. „Nein, nicht wirklich.“ „Ich bin Jüdin. Israeli, um genauer zu sein. Zumindest wurde ich als eine geboren. Später ist meine Familie dann nach Deutschland zurückgezogen, nachdem meine Großeltern 1945 nach Eretz Israel gegangen waren. Am Ende war die Sorge über Bomben und Raketenangriffe doch größer, als Abneigung gegen die alte Heimat. Ich selbst war damals Mitglied in einer Spezialeinheit der israelischen Armee und wurde sofort von der Bundeswehr übernommen. Und dann bin ich beim STK gelandet.“

    „Haben die dort solche Experimente durchgeführt?“ „Nicht wirklich. Um an so einem Experiment teilzunehmen war unser Team zu unwichtig. Ich erinnere daran: ST29. Unser Team bestand aus einem Vorzeigenazi, einem viel zu redseligen Grenadier, einem Techniker, der abseits seiner beruflichen Qualifikation durch konsequent gelebte Misanthropie bestach, mir und einem Kommandanten, den sie aus irgendeinem Grund von den Kampfschwimmern zur Infanterie strafversetzt hatten. Wir waren ein Team der zweiten und dritten Reihe, das die Aufträge bekommen hat, für die man Teams wie ST1 nicht einsetzen wollte. Nein, das Experiment haben andere durchgeführt.“ „Wer dann?“ „Wie gesagt: Ich war vorher bei einer israelischen Spezialeinheit gewesen. Wir waren direkt dem Mossad unterstellt gewesen. Und der ist wie die Maffia. Bei denen kündigt man nicht einfach. Ich hab ihnen damals einige Informationen über Alientechnologie beschafft, die ihnen bei der Entwicklung des Programms geholfen haben. Und was dabei rausgekommen ist… Ich denke man kann es so beschreiben: Knapp die Hälfte meiner Organe gehört nicht mehr mir selbst. Inklusive aller Hauptmuskelgruppen.“

    „Was hat man ihnen stattdessen eingesetzt?“ „Bioimplantate, gezüchtet aus meinen eigenen Stammzellen. Effizientere Organe, Muskeln, die fast das zehnfache an Kraft aufbringen können … Die Liste ist lang. Aber das Programm ist damals eingestellt worden.“ „Warum?“ „Abstoßungsreaktionen, psychologische Instabilität, Schmerzen. Die Folgen ließen sich nicht kontrollieren. Ich bin eine der letzten, die mit den Auswirkungen zu leben gelernt haben.“

    „Ist Kollmann deswegen hinter ihnen her?“ „Was? Gott bewahre, nein. Der Grund dafür ist viel profaner. Er weis nicht einmal etwas von den Implantaten.“ Corinna sah sie fragend an, woraufhin sie verschmitzt lachte und zu erklären begann: „Ich kenne ein schmutziges kleines Geheimnis über ihn, dass ihn in seiner jetzigen Lage alles kosten kann. Schließlich sind bald Wahlen.“ „Und worum geht es?“ „Um ein kleines Detail, das allen Flachpfeifen am rechten Rand, deren Stimmen er so dringend braucht, und auch dem Gros der erzreaktionären Konservativen übel aufstoßen wird.“ Ihr Blick wurde ein wenig glasig, als beobachte sie irgendetwas in weiter Ferne, als sie sich die damalige Zeit in Erinnerung rief. „Es war 2002, das vierte Jahr des Sternentorprogramms. Major Jäger war fast zwei Jahre zuvor bei einem Einsatz gestorben, so dass Kollmann das Kommando über unser Team erhalten hatte. Ich kann nicht behaupten darüber froh gewesen zu sein. Er schikanierte mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit, beschimpfte mich und schob mir seine Fehler in die Schuhe. Aber dann habe ich etwas herausgefunden, das ihn in seinen schlimmsten Albträumen verfolgt.“

    Sie lachte fröhlich und nahm einen Schluck von ihrem Mineralwasser, das sie zu ihrem Essen bestellt hatte. „Es war an einem freien Abend, den wir nach mehreren Einsätzen hintereinander bekommen hatten. Ich wollte mich ein wenig vergnügen und bin in Braunschweig um die Häuser gezogen. Ohne es zu merken habe ich mich von einem Mann in die gleiche Bar ausführen lassen, in der auch er etwas trank. Tja und dann hörte ich seine Stimme, wie er jemanden förmlich anschrie. Ich sah mich um und wurde Zeuge, wie ein warmer Bruder versucht hat ihn anzumachen. Er hat unglaublich aggressiv reagiert und ihn sofort angebrüllt, wie… Eigentlich gibt es dafür gar keine Entsprechung. Es entbrannte ein heftiger Wortwechsel, in dem er den Mann wüst beschimpft hat. Und als der nicht locker ließ, ist er auf ihn losgegangen und sie haben sich geprügelt. Die Szene hat meine Neugierde geweckt. Irgendwie schien da weniger Hass im Spiel zu sein, als etwas anderes. Und kurz darauf haben die beiden die Bar gemeinsam verlassen und sind gemeinsam in einem Hotel verschwunden.“

    Corinnas Augen weiteten sich vor Überraschung. „Was?!“ Sie rief es so laut aus, dass einige andere Gäste leicht wütend in ihre Richtung sahen und ihre Gesprächspartnerin ob ihrer Reaktion lachte. „Es kam noch besser. Der Mann, mit dem ich damals unterwegs war, hatte eine Kamera dabei, die ich mir kurz ausgeborgt habe. Und am Ende hatte ich alles auf Zelluloid gebannt. Sogar einen ziemlich innigen Kuss in einer Gasse vor dem Hotel.“ „Das glaub ich jetzt nicht.“ „Oh, glauben sie ruhig. Ich hab selten größere sexuelle Energie zwischen zwei Menschen erlebt, als während dieser Schlägerei. Zugegebenermaßen, ich konnte es zuerst selbst kaum glauben. Aber ich glaube, dass sein Verhalten etwas mit Überkompensation zu tun hat. Schließlich tropfte ihm damals der erzkatholische Mief noch aus allen Poren. Daraus schließe ich einfach mal, dass er seine… Vorlieben in seinem heimatlichen Umfeld nicht ausleben konnte.“ Corinna schüttelte den Kopf. „Kollmann? Er soll… Der Mann ist schließlich verheiratet.“ „Also zumindest ist er dem eigenen Geschlecht nicht abgeneigt. Als ich ihn später damit konfrontiert habe, hat er nichts zugeben wollen und zuerst alles abgestritten. Als ich ihm dann von den Fotos erzählt habe, hat er es auf den Alkohol geschoben. Aber danach hat er es nie wieder gewagt mir krumm zu kommen.“

    Nach diesem Gespräch verstand Corinna, was Kollmann zu einer derartigen Besessenheit mit dieser Frau getrieben hatte. Sie hatte ihn de Facto in der Hand gehabt. Und gerade die Tatsache, dass sie diese Machtposition nie aktiv ausgenutzt hatte, musste einen Menschen wie ihn wahnsinnig machen. Für ihn, der daran glaubte Schulden zu begleichen, musste es sein, als stünde er permanent bei jemandem in der Schuldigkeit, der jederzeit sein Recht einfordern konnte. Und sie hatte Recht, wenn sie vermutete, dass sie ihm mit dem, was sie wusste, den Todesstoß versetzen konnte. Tatsächlich hatte Corinna sogar den Eindruck, dass sie ernsthaft darüber nachdachte, nachdem Kollmann einmal mehr versucht hatte sie aus dem Verkehr zu ziehen und bei geschlossenen Veranstaltungen gegen ihre Glaubensbrüder und –Schwestern wetterte. Doch schließlich hatte die Zeit gedrängt, so dass sie sich voneinander verabschiedet hatten. Sie hatte Corinna noch verraten in welchem Krankenhaus Thorsten lag, so dass sie nach ihm hatte sehen können, danach war sie zurück nach Wolgograd gefahren. Die Pflicht rief.
    Geändert von Protheus (13.08.2009 um 18:37 Uhr)
    Die Freiheit des Bürgers heißt Verantwortung.

    (Joachim Gauck)


    "You may belong to any religion[...] - that has nothing to do with the buisness of the state. We are starting with this fundamental principle, that we are all citizens and equal members of one state." (Sir Mohammed Ali Jinnah)

    Meine FF:

    Laufend: 2036 - A Union at War

    Abgeschlossen: 2034 - Das neue Sternentor

  13. #53
    Gehasst, Verdammt, Vergöttert Avatar von Colonel Maybourne
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    Ein schwuler Nazi... das ist ja zu schön um wahr zu sein, da dürfeten seine Kameraden sicher rausrasten.
    Und as dann ausrechnet auch ncoh eine Jüdische Exsoldatin diese Bweise gegen ihn in der Hand hat...
    Das rundet das ganze noch ab.

    Ich kann mir zudem vorstellen, dass man im Hauptquartier der EU sicher nicht begeistert von dem Zustand des Majors ist.
    Immerhin leitet der eine der wichtigsten Einheiten und ein Ausfall würde die sicher schon was kosten.
    Aber gleichzeitig ist es auch eine Chance, wenn sie erkunden können, worum es sich bei dem Thema handelt...

    Bis dann.
    Das Leben ist ein Schwanz und wir die Eier, die mitgeschleift werden.


    Meine aktuellen Fanfiction:


    TGE Combined Season 1 Fire of War:

    http://www.stargate-project.de/starg...ad.php?t=11836




  14. #54
    dumm geboren und nix dazugelernt:P Avatar von Santanico Pandemonium
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    So, Protheus,

    habe deine FF nicht vergessen, aber hatte noch Prüfungen bis jetzt.
    War wieder interessant, vor allem dass sich da im STK ein paar Rechte tummeln bzw zumindest früher mal. Kollmann als schwuler Nazi ist auch witzig, da stellt sich die Frage, ob er tatsächlich glaubt was er da so von sich gibt oder ob er alles nur erfunden hat um eine Machtposition zu erreichen.

    Die medizinischen Eingriffe bei der Israeli sind auch krass, scheint wohl sowas wie Bionic Woman zu sein, nur halt nicht mechanisch sondern biologisch.

    Würde mich interessierenw ie die Geschichte mit Kollmann weiter geht, gibt es dazu eine Fortetzung?
    WEIR: ... putting your life and other people's lives at risk. You destroyed three quarters of a solar system!
    McKAY: Well, five sixths. It's not an exact science.
    WEIR: Rodney, can you give your ego a rest for one second?

    Ein Jahr später:
    Spoiler 
    CARTER: About a year ago, your brother came across an abandoned alien experiment called Project Arcturus.
    CARTER: It was an attempt to generate zero point energy.
    JEANIE: That would be virtually limitless power. What happened?
    McKAY: A slight problem. It was the creation of exotic particles in the containment field.
    CARTER: He destroyed a solar system.
    JEANIE: Meredith! (She smacks his arm.)
    McKAY: It was uninhabited!

  15. #55
    On destinys way Avatar von Ferreti
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    So jetzt hab ich deine FF auch mal gelesen und ich muss sagen sie gefällt mir. Die welt der zukunft sieht ja ziemlich düster aus. Freu mich schon aufs nächste kapi.

    Mfg Ferreti
    Spoiler 

  16. #56
    Autor der ungelesenen FF Avatar von Protheus
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    Hm... Ein Rekord beim Feedback. Das gefällt mir

    @Colonel Maybourne: Schön, dass die Idee gefällt. Ich bin beim Tippen selbst nicht aus dem Schmunzeln raus gekommen, weil ich die ganze Zeit über diese Konstellation nachdenken musste. Und was deine Einschätzung zu Falkner angeht, liegst du ganz richtig. Hier gibt es tatsächlich einige Enthüllungen, die noch einer Entdeckung harren

    @Santanico Pandemonium: Ich denke man merkt an meiner FF, dass ich den Rechten nicht wirklich etwas abgewinnen kann. Aber gerade deshalb fand ich es reizvoll einige in die FF aufzunehmen. Auch Nicole Degenhardt ist ja bei mir Deutsch-National gesonnen und kein wirklicher Fan von Europa. Und Corinna Silkermann ist in diesem Punkt eben noch eine Ecke extremer. Aber gerade da liegt der Reiz. Diese Leute müssen mit einem Umfeld agieren, dem sie eigentlich feindlich gegenüber stehen. Das macht die Interantionen mit überzeugten Europäern, von denen es bei mir ja beileibe genug gibt, abwechslungsreicher. Außerdem wollte ich mit meinem STK ja eine Art Aufriss des gesamten neuen Europa meiner FF bieten. Und da dürfen solche Leute nicht fehlen.

    Nächster Punkt: Ja, die Israeli ist in der Tat ein wenig krass. Aber der Aspekt eines Übermenschen wird bei mir noch einige Male aufgegriffen. Nicht umsonst habe ich im dritten Kapitel Nietzsche zitiert. Und Kollmann könnte durchaus noch einmal erwähnt werden. Schließlich plane ich auch noch eine Episode, in der es um Kinseys Wahlkampf geht. Da kann man auch mal die Situation in Europa beleuchten.

    @Ferreti: Besten Dank für das Feedback. Aber mal unter uns: Es wäre doch ziemlich langweilig, wäre die Zukunft perfekt. Und auf das nächste Kapitel musst du nicht lange warten.

    Ok, jetzt in Medias res: Das neue Kapitel. Eigentlich zum Kopfschütteln. Ich und meine guten Vorsätze zur Länge. Aber zu Kürzen hätte bedeutet einen der angegangenen Handlungsstränge rauszuschmeißen. Aber das hätte die Geschichte nur nur etwas von ihrem Charme, sondern mich auch ein ganzes Kapitel gekostet. Also habe ich es bleiben lassen. Länge dieses mal 18 Seiten. Viel Spaß beim Lesen.


    Episode 14: Die auf der anderen Seite


    Menschen waren von Natur aus in Denkmustern verhaftet, die ihnen im Laufe der Evolution auf der Erde zum Vorteil gereicht hatten. Eben diese waren es, aufgrund derer sie die meisten jener Fähigkeiten, die ihnen abverlangt wurden, seit sie begonnen hatten die Erde hinter sich zu lassen, Mühsam erlernen mussten. Es verlangte ungleich größere Fähigkeiten ein Schiff durch die Weiten des Alls zu navigieren, als in der Savanne einer Herde Antilopen nachzustellen. Eins, zwei, drei, viele. Auf diese Art zu zählen war nicht mehr ausreichend. Doch zu ebensolchem Denken neigte der Mensch auf emotionaler Ebene, der die rationale doch so sehr voraus war. Denn sie ließ den Menschen das Konzept der Unendlichkeit verstehen. Und eine Reise zwischen den Sternen gab tatsächlich ein Gefühl für solche Begriffe. Deshalb hatte Kapitän Holmström das All immer geliebt. Es erweiterte das Denken des Menschen auf so wundervolle Weise.

    Nicht zuletzt deshalb hatte er sich als junger Mann für die Raummarine gemeldet. Hoffnungsvoll und den Kopf voller romantischer Vorstellungen. Und eine Zeit lang war der Dienst auf den Sternenschiffen diesen Ideen sogar gerecht geworden. Doch seit einigen Monaten verspürte er eine tiefgreifende Unzufriedenheit von eben jener Art, die sein erster Offizier immer wieder in so blumigen Worten zu beschreiben vermochte. Sie waren einander im Grunde ihrer Seelen sehr ähnlich und verabscheuten die Art, wie sie mehr und mehr in Einsätze des STK eingebunden wurden. Er hatte mehr und mehr den Eindruck, dass sein Schiff zu einem Taxi für Teams umfunktioniert wurde, die abseits der Sternentore operieren mussten. Mittlerweile sehnte er sich nur noch zu seinem letzten Kommando zurück. Wäre da nicht der Punkt, dass die alte Walhalla, auf der er gedient hatte, schon längst in diverse Hochöfen gewandert war und ihr Stahl gerade auf den Werften des Wehrs zu einem neuen Kriegsschiff verarbeitet wurde. Hätte er die ‚Eos’ doch nie übernommen...

    Er wurde von einer hohen und wohlklingenden Stimme aus seinen Gedanken gerissen, die sagte: „Anhalten.“ Er hob seinen Blick wieder und sah zu der jungen Offizierin, die am Videoschirm an der Stirnseite des Raumes stand. Bei ihrem Anblick schmunzelte er verschmitzt. In ihr fand sich die lebende Bestätigung, dass einen wirklich schönen Menschen nichts entstellte. Selbst die Uniform, die sie trug – das standardmäßige grau und blau der Union, geschnitten im Schema des Heeres – konnte ihren Reiz nicht verbergen. Sie war nicht besonders groß, vielleicht einen Meter siebzig, und hatte ihr schwarzes Haar auf zuerst einfach erscheinende aber doch kunstvolle Art um den Hinterkopf gewickelt, dass die Frisur den Vorgaben des Heeres entsprach, sie das Haar aber zugleich länger tragen konnte und ihr Gesicht wirkte in seinen feinen Zügen wie gemeißelt. Allerdings war ihr Teint etwas dunkler, als man es bei den meisten Europäern kannte. Da ihr Aussehen dennoch unverkennbar indogermanisch war, vermutete er, dass sie einen kräftigen Schuss indischen Blutes in den Adern hatte. Ihr Anblick entschädigte ihn ein wenig dafür bei diesem Flug einmal mehr zum Handlanger der Kommandoeinheiten degradiert worden zu sein, auch wenn er den Eindruck hatte, dass sie nervöser und unruhiger war, als es jemandem in ihrer Position zustand. Allerdings konnte sie es recht gut verbergen, so dass ihre Soldaten es nicht gemerkt zu haben schienen. Aber was wollte man auch von jemandem erwarten, der zum Töten ausgebildet worden war?

    Sie deutete auf den Videoschirm und die Soldaten, Männer und Frauen eines EKS- und zweier K-Teams, die sich im Besprechungsraum der ‚Eos’ versammelt hatten, beobachteten sie Aufmerksam. Einige schienen noch über die Übersetzung jener Übertragung nachzudenken, die ihnen gerade vorgespielt worden war. Es war ein Hilferuf eines Raumschiffes der Nyx gewesen. „Dieser Hilferuf ist in den letzten drei Wochen fast kontinuierlich aus einem System in der lokalen Blase gesendet worden. Flotteneinheiten konnten die genaue Ausgangsposition triangulieren. Unsere Aufgabe wird es sein der Sache nachzugehen.“ „Mit Verlaub, Hauptmann“, meldete sich der Kommandant eines der Kampfteams, ein bulliger Mann mit polnischem Akzent und brutal wirkender Schlägervisage, zu Worte, „aber warum werden wir geschickt? Die Meldung sprach von einem havarierten Erkundungsschiff. Wäre es unter diesen Umständen nicht sinnvoller einfach einen Kreuzer zu schicken, der dem Ding den Fangschuss verpasst?“

    „Das war auch der erste Gedanke des Oberkommandos“, antwortete sie. „Aber dabei haben sich etwas unerwartetes ergeben.“ Sie rief eine Darstellung des Zielsonnensystems auf, auf der zwei Punkte und ein Kurs vermerkt waren. Es war eine photographische Sternenkarte, erstellt auf der Basis von Teleskopbildern, in die zwei zusätzliche optische Aufnahmen eingebaut worden waren. „Diese Karte zeigt Aufklärungsbilder der UMS ‚Ulster’, die vor vier Tagen gemacht wurden.“ Sie vergrößerte beide Bilder. „Auf der einen Aufnahme ist nach Nachbearbeitung ein Schiff der Nyx zu erkennen, dass sich einen Schusswechsel mit einem nicht identifizierten zweiten Objekt liefert. Außerdem zeigt das zweite Bild“ , sie rief es mit einer Geste – sie trug Handschuhe, deren Bewegungen vom System erkannt und in Computerbefehle umgesetzt wurden – in den Vordergrund , „dass sich an der Ausgangsposition des Notsignals kein uns bekanntes Feindschiff befindet, sondern ein Satellit. Wir können ihn ebenso wenig zuordnen, aber es hat den Anschein, dass jemand hier gezielt eine Falle für unsere Feinde aufgestellt hat. Und wer immer auch es war, er hat Kleinholz aus dem Schiff gemacht, dass der Gegner zur Untersuchung geschickt hat. Die letzten Daten, die die ‚Ulster’ über das Gefecht sammeln konnte, zeigen deutlich, dass das Nyxschiff seine Energie getroffen ist und Atmosphäre verliert.“

    „Und warum haben die Jungs die Sache dann nicht selbst geklärt?“, hackte der Offizier noch einmal nach. Nun mischte Holmström sich ein: „Die ‚Ulster’ ist ein Schiff der Rommel-Klasse. Nach modernen Maßstäben liegt der Gefechtswert unterhalb von dem einer Fregatte. Sie war das einzige Schiff in Reichweite, aber sie war definitiv nicht in der Lage in irgendeinen Kampf einzugreifen.“ Der Mann schien einen Augenblick zu überlegen, als brauche sein Verstand einen Moment, um zu verarbeiten, was ihm gerade erklärt wurde, dann nickte er schließlich und lehnte sich auf seinen Platz wieder etwas zurück. „Ich wollte es nur geklärt haben. Irgendwie bin ich es leid, dass die uns rausjagen, ohne uns klar zu sagen warum.“ Als hättest du kleiner Wicht Grund zur Klage, ging es Holmström durch den Kopf, während er sich bemühen musste, um nicht sehr finster zu lächeln. Doch an diesem Punkt überraschte die schöne Frau ihn. Sie warf dem anderen Offizier einen strengen Blick zu und sagte: „Wenn sie nichts konstruktives zu sagen haben, Hauptmann, behalten sie ihre ärmlichen Gedanken für sich.“ Auch der Pole war von dieser Reaktion reichlich überrascht und schien für einen Moment nach Worten zu suchen. Als er schließlich dazu ansetzte etwas zu sagen, schnitt sie ihm das Wort allerdings scharf ab. „Solange uns keine Befehle gegeben werden, die eindeutig gegen Recht und Gesetz der Union verstoßen, haben wir unsere Befehle zu befolgen. Machen sie sich das klar und hoffen sie, dass ich ihnen ihre Worte nicht als Respektlosigkeit gegenüber unseren Vorgesetzten auslege.“ Holmström blinzelte überrascht. Solch ein Rückrad hätte er nie bei einer Frau wie ihr erwartet. Aber es schien ihm, als hätte sie erleichtert aufgeatmet, als der andere Offizier keine Widerworte mehr geäußert hatte. Das konnte durchaus noch eine interessante Mission werden...

    Zur gleichen Zeit, tausende Lichtjahre entfernt:

    Nachdem Michail Wladimirowitsch Alpatow durch das Sternentor getreten war, musste er zunächst die Hand schützend vor das Gesicht heben. Drei Tage hatte er auf einer Fremdweltbasis des MND zugebracht, die im diffusen Licht eines roten Zwergsternes gelegen hatte, der die Welt kaum stärker hatte erhellen können, als der Vollmond bei sternenklarer Nacht. Doch die Sonne dieser Welt brannte in so unerbittlicher Helligkeit vom Himmel, dass ihr Licht in seinen Augen schmerzte. Er klopfte mit der freien Hand die Taschen seines Mantels ab und fingerte die Sonnenbrille hervor, die er in der rechten Innentasche getragen hatte. Nachdem er sie aufgesetzt hatte, atmete er erleichtert auf und begann sich umzusehen.

    Die Aufklärung hatte Recht gehabt: Diese Welt hatte immer noch ein Sternentor besessen. Durch einen glücklichen Zufall musste es aktiviert gewesen sein, als die Ori das Netzwerk der Milchstraße zerstört hatten. Nun, ohne die anderen Tore seiner Bedeutung beraubt, stand es verlassen auf dem Gipfel eines Hügels, der über das umliegende Land blicken ließ. Nichts deutete darauf hin, dass in den letzten Jahren jemand hier gewesen war. Die einzigen Anzeichen der Zivilisation um sie herum waren eine Ansammlung halb verfallener Häuser, wahrscheinlich einmal Lager, und eine fast völlig von niedrigem Gestrüpp und Gräsern überwucherte Straße, die in Serpentinen den Berg hinunter führte. Nachdem die Bewohner dieser Welt erkannt hatten, dass sie zu keiner ihnen bekannten Adresse mehr hinauswählen konnten, hatten sie das Tor aufgegeben. Aber trotzdem schienen sich die Soldaten, die Alpatow begleiteten, nicht entspannen zu können.

    Während sie ausschwärmten um das Gelände zu sichern, konnte der Agent sich ein Lachen nicht verkneifen. Auf den fragenden Blick hin, den ihm sein Heiterkeitsausbruch vom Offizier der Soldaten einbrachte, sagte er: „Sie verhalten sich wie Eroberer. Wir sind gekommen, um hier Informationen einzuholen, nicht um den Planeten zu annektieren. Also entspannen sie sich.“ „Es tut mir leid, Leutnant. Die Anweisungen des Herrn Oberst waren sehr spezifisch.“ Bei diesen Worten deutete er in Richtung von Arik Bilenkin, der seinen leicht abwesend wirkenden Blick über den Himmel über ihnen schweifen ließ. Alpatow verzog das Gesicht zu einer spöttischen Grimasse und meinte: „Denken sie mal für fünf Minuten nach, Beckett: Je nervöser sie sich verhalten, desto eher ziehen wir irgendwelche unerwünschte Aufmerksamkeit auf uns. Wenn sie uns also nicht gleich eine Zielscheibe auf die Stirn malen wollen, versuchen sie wenigstens so zu tun, als seien sie entspannt.“ Mit diesen Worten ließ er den Offizier stehen und ging mit schnellen Schritten zu Arik. Dabei verfluchte er lautlos den Augenblick, in dem der Oberst ihm in einem nervlichen Delirium – eine andere Erklärung konnte es nicht geben – ein Kommandoteam anstelle einer Einheit von mit Schusswaffen trainierten Agenten zur Seite gestellt hatte. Irgendwie schien er seine Gefühle dabei nicht so gut im Griff zu haben, wie er es sich wünschte, denn Arik riss sich plötzlich von der Betrachtung des Himmels los und sah amüsiert in seine Richtung. In weiser Umsicht verkniff er sich allerdings die Frage, die ihm auf den Lippen zu brennen schien. Stattdessen fragte er: „Na, Stress mit dem Hauptmann?“ „Fang bloß nicht damit an. Und jetzt komm. Wir haben nicht ewig Zeit.“

    Arik gab einen bestätigenden Laut von sich und nickte. Als Alpatow sich von ihm abwandte, sah er jedoch wieder in den Himmel hinauf. Der Agent merkte, dass sein Schützling ihm nicht folgte und drehte sich noch einmal zu ihm um. „Irgendetwas interessantes zu sehen?“ „Ja. Eine sterbende Sonne.“ Er nahm sein Fernglas und wollte es an die Augen ansetzen. „Ich war noch nie so nah an so etwas dran.“ „Ach, und woher willst du das nun wieder wissen? Spricht sie mit dir?“ Ein breites Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Ukrainers. Die Lachfalten, die sich dabei bildeten, konnten die feinen Narben und Falten, Spuren eines schweren Lebens, fast verbergen oder nahmen ihnen doch zumindest die Härte. „Nicht auf die Weise, an die du vielleicht denkst. Sieh dir den Planeten um uns herum an.“ Alpatow blickte sich um. Die Landschaft um das Tor herum war von niedrigen Bergen geprägt, auf denen üppige Regenwälder standen. Obwohl der Sonnenstand vermuten ließ, dass es Mittagszeit war, stand noch dicker Hochnebel über den Tälern.

    Der Anblick ließ ihn leicht deprimiert dreinblicken. Normalerweise fiel seine Stimmung mit dem Barometer und hier hatte er das überdeutliche Gefühl, dass der Nachmittag ziemlich verregnet werden würde. Schließlich fragte er: „Was soll damit sein?“ „Die Wälder. Sie sind grün. Wenn sie hier so gut wachsen, muss dieser Stern sein Strahlungsmaximum im grünen Spektrum haben. Das hat er aber nicht. Außerdem ist er recht groß. Dort oben sehen wir gerade die Geburt eines roten Riesensterns.“ Alpatow sah Arik sehr finster an. Der andere war vor seiner Zeit beim MND, oder vielmehr einer dem Dienst unterstellten Einheit, Astronom gewesen und liebte die Sterne. Doch Alpatow konnte ihnen nichts abgewinnen. Für ihn waren es nur Lichtpunkte am Himmel, oder bestenfalls brennende Gaskugeln irgendwo in der Galaxie und auf jeden Fall weit genug weg, um sein Leben nicht zu beeinflussen. „Und das bedeutet für uns was?“ „Für uns? Oh, äh… Nun, dieser Prozess ist noch nie aus derartiger Nähe beobachtet worden. Wenn wir etwas Zeit erübrigen könnten, um…“ „Wie lange dauert so was?“ Arik nahm das Fernglas an die Augen und sagte, als sei es das normalste der Welt: „Knapp eine Million Jahre.“ Alpatow musste um Beherrschung ringen, um nicht unleidlich zu werden. „Ach? Eine Million? Dann läuft er dir ja nicht weg und du kannst noch mal wieder kommen.“ Mit diesen Worten nahm er ihm das Fernglas weg, packte ihn am Arm und schob ihn nicht unsanft, aber doch mit Nachdruck in Richtung des Teams.

    Einige Stunden später hatte seine Einschätzung der Gegend sich bewahrheitet. Sie waren der Straße eine Weile die Berghänge entlang gefolgt, bis es angefangen hatte zu schütten, als zürne irgendein Gott mit diesem Planeten und wolle alle Sünder auf ihm in einer Sintflut ertränken. Die Soldaten nahmen es relativ klaglos hin und marschierten einfach weiter. Mehr als einmal hatte Alpatow sie mit unverholenem Neid für ihre Fähigkeit die Wetterkapriolen einfach zu ignorieren beobachtet. Er selbst hatte sich einen Regenponcho übergeworfen, hatte aber trotzdem den Eindruck, dass das Wasser ihm bis auf die Haut durch jedes einzelne Kleidungsstück ging. Nur um Arik machten alle Regentropfen einen Bogen. Seine Kleidung war bestenfalls leicht feucht geworden und er machte mehr den Eindruck, als laufe er durch einen leichten Schauer, als durch Sturzbäche von Regen. Mit welcher Spielart seiner seltsamen Fähigkeiten ihm dieses Kunststück auch gelang, Alpatow hätte in diesem Moment viel darum gegeben sie zu erlernen. Je weiter sie der Straße folgten, desto offensichtlicher wurde, dass auf dieser Welt noch so etwas wie Zivilisation existierte. Um sie herum erstreckten sich weite Tee- und Baumwollplantagen über die Hügel und es war ein verzweigtes System von Wegen zwischen den Feldern angelegt worden. Auch einige Bewässerungsgräben liefen über die Äcker, so absurd sie beim derzeitigen Wetter auch wirkten. Für Alpatow waren sie nur ein weiterer Beleg dafür, wie unfähig die Leute der Planungsabteilung in Paris waren, dass sie ihn während der Regenzeit auf diesen Planeten geschickt hatten.

    Gen Abend schließlich – der Regen hatte nachgelassen und war mit Einbruch der Dämmerung ganz abgeflaut – erreichten sie etwas, was wie eine Kleinstadt aussah, die von ausgedehnten Gutshöfen umgeben war. Auf einen Wink ihres Anführers hin hatten die Soldaten Mäntel aus ihren Rucksäcken geholt und sie übergeworfen, so dass ihre Waffen nicht sofort zu sehen waren und auch die anderen beiden Tau’ri hatten allzu offensichtliche Zeichen ihrer Herkunft unter ihrer Kleidung verborgen. Als sie in die Stadt kamen, fühlten sie sich ins neunzehnte Jahrhundert zurück versetzt. Die Häuser waren in einem Stil errichtet, der am ehesten an den früher viktorianischer Zeit erinnerte, die Straßen waren nur teilweise gepflastert und die Kleidung der Leute schien einem Historienfilm entsprungen. Die Frauen trugen Bodenlange Röcke, auch wenn manche Kleider durchaus figurbetont waren. Vornehmere Damen schützten sich mit Schirmen vor der Sonne und die Gentlemen – Alpatwo meinte, dass diese englische Bezeichnung den Männern hier am ehesten entsprach – trugen vornehmlich Fracke mit hohen Zylinderhüten. Auch Aplatow und Arik waren ähnlich ausstaffiert, so dass sie wirkten wie zwei Gentlemen mit einem Gefolge aus Leibwächtern.

    Der MND hatte diese Welt als Ziel der Mission ausgewählt, weil sie die am wenigsten technisierte von allen bekannten Planeten des Senats war. Aber dennoch waren Einflüsse fortschrittlicherer Welten überall sichtbar. So patrouillierten Soldaten in den Straßen, deren Ausrüstung durchaus an moderne Standards angelehnt war. Sie trugen einfache Uniformen in Tarnfarben, Splitterschutzwesten aus Leder und Waffen, die an alte russische PPS43 und britische Sten-Guns erinnerten. Außerdem waren am Rand der Stadt Landefelder für Raumschiffe angelegt worden und zuweilen entdeckte man Stücke von Goa’uld-Technologie, die wie selbstverständlich Verwendung im Alltag fanden. Der Trupp aus Tau’Ri ging über die schmutzigen Straßen der Stadt, die dort wo sie gepflastert waren nach dem Regen teilweise mit öligen Schlieren bedeckt waren, in eines der besseren Viertel, das an der großen Bucht lag, an deren Ufer die Stadt sich schmiegte. Dort suchten sie unter den vielen Häusern mit ihren weis getünchten oder teilweise auch marmorverkleideten Fassaden das Haus eines Herrenclubs auf.

    Es war ein seltsamer Ort, an dem die Portiers kein Wort mit den ein und ausgehenden Herrschaften wechselten und an dem niemand wirklich fröhlich zu sein schien. Der gefangene Salvari-Söldner, der im Verhör angegeben hatte, dass sein Auftraggeber hier oft verkehrte, meinte dieser Club nehme nur die am wenigsten geselligen Männer auf, die überall sonst abgelehnt würden. Konsequent gelebte Misanthropie war Aufnahmekriterium. Alpatow wandte sich schließlich an den Portier und meinte: „Verzeihung, wir würden gerne Senator Lions sprechen.“ Der Mann schlug in einem Buch nach, dann rümpfte er ein wenig die Nase und meinte: „Es tut mir leid, doch der Senator hat für die gesamte Woche keinen Besuch angekündigt. Ich kann sie nicht vorlassen.“ „Nun, dann nehme ich an, dass sie für uns eine Ausnahme machen werden. Es wird ihn wirklich interessieren, was ich zu sagen habe.“ Bei diesen Worten zeigte er dem Mann die Hundemarken des gefangenen Salvari, die unverkennbar die eines Offiziers waren. Dieser warf einen kritischen Blick darauf, dann nickte er und meinte: „Warten sie bitte einen Moment. Ich werde den Senator informieren.“ Während er ging, fragte der Hauptmann: „Warum habe ich bloß das Gefühl, dass er plant auf uns schießen zu lassen?“

    Zur selben Zeit im wilden Raum auf der Kolonie Yi Shinkyō:

    Jules zählte an und auf drei stemmten sich alle in das Seil, an dem der im Schlick des Flussufers festgefahrene Traktor steckte. Gleichzeitig gab der Fahrer Gas. Der knapp drei Tonnen schwere Stahlkoloss bewegte sich nur widerwillig, kapitulierte jedoch schließlich vor den geballten Kräften von dreißig Leuten. Mit einem Ruck kam er frei und der plötzlich wegfallende Widerstand ließ Jules und die Japaner ins Straucheln geraten. Während es ihr noch gelang das Gleichgewicht zu halten, stürzten einige auf den schlammigen Boden. Sie blieben für einen Moment liegen und lachten lauthals. Auch Jules konnte nicht anders, als in das fröhliche Gelächter mit einzustimmen. Nachdem der Traktor auf festeren Untergrund gefahren war, sah sie sich zu den Japanern und den Söldnern um, die mitgeholfen hatten ihn frei zu bekommen und scheuchte sie mit einigen kurzen Worten wieder an die Arbeit. Danach sah sie mit einem fröhlichen Grinsen zu Naumer. „Na, was habe ich gesagt: Wir schaffen es auch ohne Zugmaschine.“ Der lächelte nicht minder vergnügt und deutete spielerisch eine Verbeugung an, wie die Japaner sie untereinander pflegten. „Natürlich, Sensei. Wie konnte ich auch nur einen Moment daran zweifeln.“

    Sie ging in Richtung des Feldweges los und versetzte ihm dabei im vorbeigehen einen leichten Stoß mit dem Ellenbogen in die Rippen. „Hören sie beim nächsten Mal einfach gleich auf mich.“ Er nickte und bedeutete seinen Leuten ihr zu folgen. Gemeinsam gingen sie zurück auf den Weg und schließlich in Richtung der Zeltstadt. Dabei kam Julia nicht umhin etwas wie Stolz ob des hier geschafften zu empfinden. In den letzten Wochen – es war bald zwei Monate her, dass sie auf diesem Planeten abgesetzt worden waren – hatten die Japaner mehr und mehr akzeptiert, dass dieser Planet auf absehbare Zeit ihre Heimat sein würde und sich mit einer Schaffenskraft, wie Jules sie nur selten erlebt hatte, daran gemacht ihn in etwas zu verwandeln, was diese Bezeichnung auf verdiente. Zwar hatte keiner wirklich Ahnung von Landwirtschaft gehabt, aber Jules hatte einige Leute eingeteilt sich die theoretischen Grundlagen anzulesen und unter den Kolonisten einige ehemalige Landschaftsgärtner ausgemacht, die nun zwar keine Parks im Herzen von Tokio mehr pflegen konnten, mit ihren Kenntnissen aber dennoch von unschätzbarem Wert waren.

    Mit vereinten Kräften hatten sie entlang des Flusses Reisfelder angelegt. Der mächtige Strom führte genug Wasser für ausgedehnte Bewässerung und nachdem sie den Boden zunächst aufgelockert und danach mit Bodenverbesserern behandelt hatten, schlugen die Setzlinge, die sie ausgebracht hatten, gut aus. Außerdem hatten sie ein nahe gelegenes Binnenmeer untersucht und darin tierisches Leben gefunden. Das meiste waren primitive Arthropoden, Gliedertiere, die war nicht besonders appetitlich aussahen und dazu neigten die Fischer, die ihnen in den Küstengewässern nachstellten, als potentielle Beute zu betrachten, aber die Köche machten daraus ein recht schmackhaftes Sushi und brauchbare Suppen. In größeren Tiefen gab es auch große Kopffüßer, die meisten davon Endocerida, deren Fleisch im Geschmack dem irdischer Tintenfische ähnelte. Um sie zu fangen, benutzten die Kolonisten einen Skimmer, der zur Ausrüstung der Söldner gehörte. Mit einem daran befestigten provisorischen Schleppnetz konnte er im Tiefflug auch größere Fänge aus dem Wasser holen.

    Insgesamt schritt die Arbeit erfreulich gut vorwärts. Die Arbeit an der grundlegenden Infrastruktur war mittlerweile so weit fortgeschritten, dass Jules optimistisch war bald mit dem Bau der Häuser beginnen lassen zu können. Sie selbst hatte bei allen Arbeiten nach Kräften mit angepackt und war überall mit gutem Beispiel voran gegangen. Außerdem halfen ihr die Ältesten der Kolonisten, die ihr als eine Art Delegierte zur Seite gestellt worden waren, Naumer und seine Leute und Gerüchte über ihre berüchtigten Wutanfälle während des Krieges, die der Söldneranführer unter den Leuten gestreut hatte, so dass niemand außer den Ältesten es wirklich wagte sie zu provozieren. Es lief so gut, dass sie mittlerweile sogar schon davon zu träumen wagte in ein oder zwei Jahren zu ihrer Familie und ihrem geliebten Mann auf die Erde zurückkehren zu können. Doch es sollte ihr offenbar nicht vergönnt sein.

    Als die Gruppe sich gerade auf halbem Weg zurück zur Zeltstadt befand, scholl eine Meldung aus Naumers Funkgerät: „Captain, die Sensoren zeigen ein unidentifiziertes Flugobjekt in einer Distanz von zwei Lichtminuten vom Planeten. Die Flugbahn ist linear. Die Geschwindigkeit konnte noch nicht genau bestimmt werden, wird aber als hoch eingeschätzt.“ Jules sah ihn an und fragte: „Was ist da los?“ Naumer, der unterdessen etwas blass im Gesicht geworden war, um nicht zu sagen schreckensbleich, antwortete: „Das, was ich die ganze Zeit befürchtet habe. Die KI der Argo hat einen Eindringling im System bemerkt. Wir müssen zum Arsenal.“ Er beschleunigte seine Schritte bis hin zu einem Sprint. Jules und die anderen Söldner folgten ihm so gut es ging, aber er war trotzdem mit einigem Abstand als erster am Ziel. Das Arsenal, wie sie es nannten, war im Moment das einzige feste Gebäude in der Zeltstadt. Es beherbergte den Versammlungsraum, in dem Jules sich mit den Ältesten beriet, das Rechenzentrum der Kolonie und die Waffenkammer der Söldner. Es war ein fast ein halber Kilometer in schärfstem Lauftempo dort hin gewesen, so dass Jules sehr schwer atmete, als sie ihn fragte: „Was ist da los?“

    „Sklavenjäger“, lautete seine lakonische Antwort, während er die Türen der Waffenkammer öffnete. „Woher wollen sie das wissen?“ „Weil dieses System seit mehr als zehn Jahren als unbewohnt eingestuft wurde. Bei unserer Ankunft war die älteste Ionenspur hier acht Jahre alt. Und jetzt taucht auf einmal irgendein schneller Einzelflieger hier auf. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand. Wahrscheinlich sind die schon seit der Erde an uns dran.“ Jules dachte kurz nach. Dann ging es ihr selbst auf. Kapitän Bartok hatte ihr auf der ‚Akkan’ gesagt, dass ihr Konvoi die größte Kolonisation seit vielen Jahren darstellte. Gleichzeitig waren sie kein Teil eines Regierungs- oder Firmenprogramms gewesen. 300000 Menschen, ohne nennenswerten Schutz auf dem Präsentierteller. Wie hatte sie auch nur für einen Moment annehmen können, dass sie unbehelligt bleiben könnten. Aus dieser Überlegung heraus machte auch Naumers übermäßige Vorsicht bei der Verteidigung der Kolonie einen Sinn. Sie fluchte im Stillen und reihte sich in die Menschenkette ein, die die Söldner vor der Waffenkammer gebildet hatten.

    Naumer reichte aus dem inneren eine Waffe und eine Rüstung nach der anderen heraus. Die Waffen erschienen Jules fremdartig und futuristisch, auch wenn sie schon recht abgenutzt waren. Man merkte, dass sie nicht nur Friedenszeiten gesehen hatten. Alle begannen sich sofort die Rüstungen anzulegen. Es waren recht eng am Körper anliegende Aramidanzüge, auf denen metallische Platten angebracht waren, die Torso, Arme und Beine schützten. Hinzu kam ein metallischer Helm. Als Jules ihre Rüstung anzog, stellte sie jedoch fest, dass die Metallplatten nur sehr dünn waren. Schützwirkung würden sie gegen moderne Sturmgewehre kaum bieten. Sie hatte den Eindruck, dass sie vielmehr im Nahkampf gegen Stichwaffen und anderes helfen sollte, was durch das Aramidgewebe stechen konnte. Einige der Männer und Frauen legten einander zusätzlich noch schwer aussehende Apparate an, die knapp über Hüfthöhe an die Rüstungen gesetzt wurden. Zwei davon standen rechts und links an gebogenen Trägern gute vierzig Zentimeter vom Körper ab, während der dritte, der direkt auf dem Rücken saß, etwas größer war und dichter am Körper saß. Sie verkabelten die Geräte mit ihren Rüstungen, schnappten sich ihre Gewehre, beziehungsweise in einem Fall einen tragbaren Raketenwerfer, und liefen aus dem Arsenal hinaus.

    Draußen dröhnten bereits die Alarmsirenen der Kolonie. Man hatte mit den Ältesten besprochen, dass die Menschen sich bei Alarm in unwegsamem Gelände um die Kolonie herum verstecken sollten, doch da sie noch keine Alarmübung gemacht hatten, war heilloses Chaos ausgebrochen. Doch wenigstens hatten einige der Männer, die für die Verteidigung eingeteilt waren, sich am Arsenal eingefunden, um Gewehre zu bekommen. Die Söldner ließen sich jedoch nicht von dem Aufhur um sich herum irritieren. Sie teilten sich in Gruppen auf, peilten kurz die Distanz zu ihren Zielpositionen ab und aktivierten dann die Geräte, die sie an ihren Rüstungen trugen. Die Sprunggeschirre heulten auf und schossen sie förmlich in die Luft. Einige von ihnen flogen über die gesamte Zeltstadt hinweg, bevor sie wieder landeten. Jules, die ihnen gefolgt war, sah ihnen nur staunend hinterher. Sie hatte gewusst, dass die militärische Technologie einige Sprünge gemacht hatte. Aber das hier…

    Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie sah, wie Naumer in einen der neben dem Arsenal abgestellten Raumjäger stieg. Es waren keine Flieger der J/MIG-Reihe, sondern Maschinen vom Typ Mercury. Jules wusste, dass diese Flieger von den Söldnern während des Konzernkrieges auf Ganymed benutzt worden waren, hatte sich aber entschlossen keine Fragen danach zu stellen. Sie hörte, wie er rief: „Gefechtsbeobachter!“ Einer seiner Leute wollte zu ihm in die Maschine steigen, doch sie war schneller. Sie hielt ihn an der Schulter fest und kletterte an ihm vorbei ins Cockpit, wo sie erhöht hinter dem Piloten platz nahm.

    Naumer sagte zuerst: „Mach die Railguns klar, Vitali. Das wird ein heißer Tanz.“ Als es nicht etwa sein Copilot, sondern Jules war, die ihm antwortete, fuhr er erschrocken herum. „Was zur Hölle machen sie hier?“ „Ich helfe die Kolonie zu beschützen.“ „Raus aus diesem Cockpit.“ „Nennen sie mir einen guten Grund.“ „Weil sie so eine Maschine noch nie bedient haben.“ „Ich lerne schnell.“ „Weil… ach, verdammt. Weil die Panzerung dieser Dinger nicht viel stärker ist, als eine Coladose. Und ich nicht zulassen werde, dass sie ihr Leben wegwerfen.“ Sie lächelte ihn süffisant an und meinte: „Hindern sie mich dran.“ Er fixierte sie für einen Moment, dann drehte er sich leise Verwünschungen murmelnd wieder um und verschloss das Cockpit. Während er die Triebwerke warmlaufen ließ, sagte er: „Nehmen sie den Helm ab und schließen sie sich an den Shunt an. Das Kabel hinter ihnen.“ Sie sah über die Schulter zurück und entdeckte ein kleines Gerät an einem Kabel, das aus einer Spule in der Wand abgespult werden konnte. Sie zog daran und setzte sich das Gerät, insgesamt zwei Sensoren, nach seinen Anweisungen an die Stirn. Schließlich meinte er noch: „Und denken sie daran: Sie wollten mitfliegen.“ „Natürlich.“ „Oh nein, sie verstehen nicht. Aber ihnen wird noch klar werden, warum Vitali den Shunt nicht benutzt.“ Mit diesen Worten drehte er die Triebwerke voll auf und ließ die Maschine an der Spitze der anderen sieben Flieger in den Himmel steigen.

    Sie hatten den Orbit gerade erst erreicht, als die KI – sie flog die Argo derzeit auf automatik im tiefen Orbit – sich erneut meldete. Sie hatte die Klasse des sich nähernden Schiffes mittlerweile identifizieren können. Naumer sah sich die Daten an und gab dann durch: „Ok Leute, das wird hart. Das Ziel ist ein Drohnenträger der Sova-Klasse. Wenn die in Aufklärungskonfiguration unterwegs sind, dürfen wir keine der Drohnen entkommen lassen. O’Haare, Volkov, Abdal, Salim, ihr kümmert euch um Aufklärungs- und Hyperraumdrohnen. Osburg und Djomin, ihr greift den Träger direkt an. Omori kommt mit mir. Wir nehmen uns die Kampfdrohnen vor. Ihr kennt das Prozedere. Also los!“ Das Ziel war mittlerweile keine tausend Kilometer mehr entfernt. Sie lösten die Formation auf, gaben Vollschub und stürzten sich darauf, wie ein Rudel Wölfe.

    Die einzigen Insignien, die der Träger zeigte, war ein stilisierter Wolfskopf, offenbar eine Art Einheitsabzeichen. Man konnte allerdings noch erkennen, dass an jener Stelle zuvor das Logo des Aufsichtsrates, sprich der Konzernregierung von Ganymed, gesessen hatte. Kaum dass das Schiff die sich nähernden Jäger bemerkte, löste es insgesamt zwölf Drohnen aus. Diese waren etwas kleiner als die Jäger, doch zumindest die vier Kampfdrohnen strotzten nur so vor Waffen. Der Träger selbst schien nur eine Autokanone am Bug zu besitzen. Naumer sagte während des Anfluges zu Jules: „Sie haben die Kontrolle über die Chaffs und die Täuschkörper. Halten sie uns also die Raketen vom Leib. Um alles andere kümmere ich mich.“ „Wie löse ich sie aus?“ „Per gedanklichem Kommando über den Shunt.“ Er steuerte den Jäger an der Seite des zweiten, der von Hakeru Omori gesteuert wurde, in einem schnellen Kurs auf das Ziel zu. Schon auf große Distanz eröffnete er das Feuer mit den Railguns, was wohl vor allem die Flugbahn freimachen sollte. Dann begann das eigentliche Gefecht. Während vier der Jäger die Aufklärungsdrohnen angriffen, bevor sie den Planeten scannen konnten, warf Naumer sich auf zwei der Kampfdrohnen. Er feuerte eine Rakete auf die eine ab, dann setzte er sich hinter die zweite. Es hatte fast den Anschein, als würden sie eng miteinander tanzen, während sie auf eng beieinander liegenden Flugbahnen versuchten einander auszutanzen. Das ganze hatte dabei kaum Ähnlichkeit mit Kurvenkämpfen in einer Atmosphäre. Im All konnten Maschinen radikale Kurswechsel vollführen, rückwärts fliegen und Manöver fliegen, die in einem Medium zum Strömungsabriss geführt hätten. Es war ein rasendes Duell.
    Die Freiheit des Bürgers heißt Verantwortung.

    (Joachim Gauck)


    "You may belong to any religion[...] - that has nothing to do with the buisness of the state. We are starting with this fundamental principle, that we are all citizens and equal members of one state." (Sir Mohammed Ali Jinnah)

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  17. #57
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    Jules verlor das Zeitgefühl, während vor dem Cockpitfenster die Sterne wild herumgewirbelt zu werden schienen und sich alles drehte. Der einzige Fixpunkt war die immer wieder vor ihnen auftauchende Drohne. Plötzlich gab es Annährungsalarm. Die zweite Drohne war wieder da und hatte sich hinter sie gesetzt. Jules sah auf den Schirmen eine auf sie abgefeuerte Rakete und dachte: „Chaffs.“ Es war, als fahre ein leichter Stromstoß durch ihren Kopf, als der Shunt auf das Signal reagierte. Nur Nanosekunden später feuerte die Maschine einen Kannister aus reaktivem Düppel hinter sich ab. Es war eine Ladung aus kleinen Sprengkörpern, die ein wenig den Anschein von Knallfröschen hatten und die Sensoren des Gegners blendeten. Die Rakete verlor das Ziel und zerstörte sich selbst. Dann erbebte der Flieger noch einmal unter dem Abschuss der Railguns und Naumer stieß vor ihr ein Siegesgeheul aus. Die eine Drohne war erledigt.

    Er wendete, indem er die Maschine einfach kippte, so dass sie rückwärts und auf den Verfolger gerichtet flogen. Dann feuerte er zwei Raketen ab. Das Ziel und die Geschosse flogen aufeinander zu, so dass die Drohne nicht ausweichen konnte. Sie wurde zu einer Wolke aus Schrapnell zerschmettert. Jules warf in dieser kurzen Atempause einen Blick auf den Sensorschirm und merkte, dass der Träger schon schwer beschädigt war. Dann kam jedoch eine Meldung von einem anderen Piloten: „Captain, hier Volkov. Eine der Drohnen ist durchgebrochen und hat die Kolonie gescannt. Eine Kampfdrohne hat jetzt Kurs auf die Zeltstadt genommen.“ „Ich bin dran!“

    Er lenkte seine Maschine wieder auf den Planeten zu. Dabei dachte Jules darüber nach, welches Ziel die Drohne haben könnte, wenn dieses Schiff tatsächlich ein Späher für Sklavenjäger war. Die Antwort war einfach: Das Arsenal. Es war die einzige nennenswerte Energiequelle in der Zeltstadt und seine Zerstörung würde sie praktisch wehrlos zurücklassen. Auf der Jagd nach der Drohne drangen sie steil in die Atmosphäre ein. Naumer feuerte ein paar Mal, doch das Ziel war noch zu weit weg. Außerdem feuerte die Drohne zwei Raketen auf sie ab, die Jules mit Täuschkörpern abwehren musste. „Das Ding registriert unsere Triebwerke und weicht aus, sobald wir auf Angriffsdistanz heran kommen. Ich muss etwas anderes probieren.“ Er brachte den Jäger fast direkt über die Drohne, dann richtete er ihn direkt nach unten und gab Vollschub. Nach einigen Sekunden schaltete er die Triebwerke dann ab. Jules merkte sofort, wie die Maschine träger reagierte und von Turbulenzen ergriffen wurde. „Naumer“, sagte sie mit vorsichtiger Stimme, doch er sagte nur: „Klappe halten!“ Sie hatten die höhere Startgeschwindigkeit und das höhere Gewicht als die Drohne, die schon dabei war abzubremsen. Dadurch holten sie auf. Als sie knapp vor ihr waren, merkte Jules schon, wie die G-Kräfte ihr das Blut in den Hinterkopf drückten. Rasender Kopfschmerz flammte dort immer wieder auf. Gleichzeitig merkte sie, wie ihre Reaktionen langsamer wurden. Als sie schließlich nur noch hundert Meter von der Drohne trennten, zog Naumer einen Hebel für die mechanische Auslösung der Bomben für Bodenziele. Die beiden gelandenen Sprengköpfe wurden herausgeschleudert und fielen auf die Drohne zu. Der Mercury wurde aufgrund seines höheren Gewichts schneller herunter gerissen, so dass im Moment der Explosion unter der Drohne waren.

    Die Druckwelle versetzte den Flieger ins Trudeln. Jules merkte, dass Naumer nichts tat, um ihren Sturz abzufangen. Sie stieß ihn an, doch er bewegte sich nicht mehr. Verzweifelt sandte sie Befehle, wie ‚Kontrolle an Copiloten übergeben’ in den Shunt. Die Reaktionszeit des Systems lag dieses Mal bei mehreren Sekunden. Dann, der Boden war schon so nahe, dass sie jedes einzelne Zelt der Stadt zu erkennen glaubte, gelang es ihr die Triebwerke durchzustarten. Mit Mühe schaffte sie es die Maschine abzulenken und in der Steppe am Fluss zu landen. Auch wenn es mehr mit Aufschlagen als mit Landen zu tun hatte. Dann zog sie den bewusstlosen Naumer aus dem Cockpit und schleifte ihn in Richtung der Siedlung mit, bis zwei der Söldner zu ihnen kamen und sie auflasen.

    Am Abend desselben Tages hatte sie die Ältesten im Arsenal zusammen gerufen. Sie wusste, dass die Lage übel war. Der Angriff war abgewehrt worden, doch einer der Jäger war nun irreparabel beschädigt und wer immer auch den Träger geschickt hatte würde nicht lange brauchen, um die Position der Kolonie ausfindig zu machen. Letztlich lag die Entscheidung, die nun gefällt werden musste, für sie auf der Hand. Es gelang ihr den Ältesten klar zu machen, dass es nur einen Weg gab weitere Angriffe zu unterbinden: Sie ließen zwanzig Mann und so viele Waffen wie möglich da, nahmen den Träger und suchten Kontakt zu den anderen Kolonien. Es war kein Geheimnis, dass sie unter Piratenangriffen zu leiden hatten. „Mit der Hilfe der anderen Kolonien“, sagte sie den Japanern, „können wir vielleicht herausfinden, wer uns dieses Schiff geschickt hat. Und wenn wir es wissen, wird er den Tag verfluchen, an dem der es gestartet hat.“

    Unterdessen knapp dreihundert Lichtjahre entfernt:

    Das Licht, das Arya Akunin in die Augen fiel, war irgendwie unwirklich. Kein Schritt, den sie über die helle und von der Sonne ausgebrannte Erde machte, hinterließ einen hörbaren Laut oder vielleicht einen Abdruck am Boden. Wenn sie sich umsah, sah sie die Gesichter der Soldaten des ersten Zuges ihrer Kompanie, jedes einzelne wie gemeißelt scharf. Doch über die Einheit und die Ebene hinaus war da nichts. Der Horizont war nur eine staubgraue Linie zwischen Himmel und Erde, als dehne die Ebene sich endlos aus. Sie hatte das Gefühl, sie seien schon Stunden lang durch diese endlose Ödnis aus knorrigen Bäumen, niedrigem Gestrüpp und vereinzelten Ruinen vor Jahrzehnten aufgegebener Häuser gelaufen, ohne dass sich die Umgebung verändert hatte. Das Land schien mit ihnen zu wandern. Dann waren die Leute plötzlich da. Dutzende vermummter Gestalten, die Gewehre schwangen und ihnen Hassparolen entgegen riefen. Sie rief das Feuer zurück zu halten, doch niemand schien auf sie zu hören. Und auch sie selbst zog den Abzug durch und schoss auf die Menschen. Dann war plötzlich alles vorbei und da waren keine Waffen und keine Tücher um den Kopf mehr. Nur noch Leichen im Staub der Ebene. Und plötzlich wuchsen Soldaten aus der Erde, voll gerüstet und bewaffnet. Sie riefen wütende Anschuldigungen. Und dann begann das Gemetzel. Schüsse, Explosionen, Schreie. Dann war plötzlich alles vorbei.

    Sie schlug die Augen auf und schreckte hoch. In der Bewegung griff sie nach ihrem Sturmgewehr, das neben ihr gelegen hatte, und nahm es an die Schulter. Doch als sie sich in kalten Schweiß gebadet umsah, war sie nicht auf dem Golan, sondern in den Wäldern jener Welt am Rande des wilden Raumes, auf der ihr Team gestern abgesetzt worden war. Die anderen Soldaten, Nikolai und die beiden, die sie zum Ausgleich der Verluste bekommen hatten, lagen friedlich schlafend einige Meter von ihr entfernt. Nur Julius, der gerade Wache hatte, saß in der Nähe auf einer Baumwurzel und schaute in ihre Richtung. Während er selbst einen Helm trug, sah er ihr angsterfülltes Gesicht. Er stand auf, kam zu ihr und setzte sich neben sie. Dabei nahm er den Helm ab. Im fahlen Mondschein sah er sie an und fragte: „Was ist los?“ „I… Ich… Zurück auf ihren Posten, Feldwebel.“ „Sicher? Ich habe nämlich das Gefühl, dass sie jemanden zum Reden brauchen könnten.“ Sie sah ihn wütend an. „Ich habe nur schlecht geträumt.“ Doch er schüttelte den Kopf. „Ich weis, wie es aussieht, wenn jemand schlecht träumt. Und es sieht selten aus, als müsste derjenige Todesängste ausstehen.“

    Sie schien noch etwas sagen zu wollen, seufzte dann jedoch. Die Schärfe wich aus ihrem Blick. Nach fast einer Minute, in der sie schwieg und die Schultern hängen ließ, sagte sie: „Ich will dieses Kommando nicht.“ Julius runzelte die Stirn. „Sie sind die Stellvertreterin des Majors. Es…“ „Ja, ich weis“, unterbrach sie ihn. „Aber… Das ist nicht mein erstes Kommando.“ Wieder schwieg sie, bis er nachfragte: „Gibt es eine Geschichte dahinter?“ Mit gequältem Lächeln meinte sie: „Sozusagen.“ „Dann würde ich sie gerne hören.“ Sie atmete ein paar Mal tief durch und fuhr dann fort: „Als Leutnant während der Libanon-Intervention hatte ich eine ganze Kompanie unter mir. Meine Einheit sollte die Grenze entlang der Golanhöhen zwischen Shab’a und der israelischen Grenze kontrollieren. In der fünften Woche des Einsatzes habe ich dann eine Patrouille im Grenzgebiet angeführt. Dabei haben wir eine Gruppe von ungefähr dreißig Leuten ausgemacht, die nahe der Grenze unterwegs waren. Ich wusste, dass die Hisbollah in unserem Gebiet sehr aktiv war, also habe ich die Einheit vorrücken lassen, um die Sache zu untersuchen. Und dann, als wir näher ran gekommen sind, haben die uns bemerkt und sind auf uns zu gerannt. Sie waren bewaffnet und es sah so aggressiv aus… Ich hab die Nerven verloren und den Feuerbefehl gegeben. Wir haben sie auf anderthalb Kilometer zusammengeschossen.“

    Sie vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte. Er legte ihr die Hand auf die Schulter und fragte: „Es waren keine Hisbollah-Kämpfer?“ Sie schüttelte den Kopf. „Es waren Zivilisten, die versucht haben aus dem Kampfgebiet zu flüchten. Als wir die Leichen untersucht haben, hatten sie nur fünf Gewehre und nicht mal Munition dabei. Und um die Läufe hatten sie weiße Tücher gewickelt.“ Sie vergoss bei dieser Erinnerung einige Tränen. Dann meinte sie: „Wir wollten die Leichen bergen. Ich dachte sie lägen schon auf der libanesischen Seite der Grenze. Aber dann sind auf einmal ein paar Israelis aufgetaucht. Sie haben behauptet wir seien auf ihrer Seite der Grenze. Während wir noch darüber gestritten haben, haben sie einen Hubschrauber gerufen. Als er da war habe ich mich ergeben. Sechs Tage lang waren wir in Gefangenschaft und wurden wie Trophäen vor den Kameras herumgezeigt. Die finsteren Europäer, die die Grenze verletzt hatten.“ Sie drehte den Kopf etwas, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte. Obwohl sie traurig aussahen und Tränen darin standen, konnte er nicht anders als ihre Schönheit zu bemerken. Mit zittriger Stimme erzählte sie weiter: „Die Diplomaten haben uns rausgehauen. Danach hat der General mich dafür zusammengefaltet, dass ich die Grenze verletzt und einen diplomatischen Zwischenfall verursacht hatte. Die Diplomaten waren genauso drauf. Inklusive der Typen, die direkt aus Brüssel gekommen waren. Keiner dieser Kerle hat auch nur ein Wort über die Zivilisten verloren. Solche Leute sind dort jede Woche zu Dutzenden gestorben. Also hat es sie nicht interessiert.“

    Sie schüttelte noch einmal den Kopf. „Ich will dieses Kommando nicht führen. Ich kann es nicht führen. Ich hätte damals die Konsequenz ziehen und die Truppe verlassen sollen.“ Julius dachte einen Moment lang nach. Dann deutete er ein Kopfschütteln an und meinte: „Nein. Wir alle machen Fehler. Und wir können nur lernen damit umzugehen, wenn wir uns ihnen stellen.“ „Erzählen sie keinen Blödsinn.“ „Mache ich nicht. Auch an meinen Händen klebt eine Menge Blut. Und mich hat es Jahre lang nicht einmal interessiert.“ „Wie meinen sie das?“ „Tja“, erklärte er, „ich komme aus… sagen wir schwierigen Verhältnissen. Mein Vater gehört zum alteuropäischen Adel und unsere Familie war nie wirklich arm. Aber er hat es schließlich geschafft den Reichtum ins fast schon unermessliche zu steigern. Die Sachlebens sind im Moment eine der wohlbetuchtesten Familien Europas. Als Junge hab ich mich in diesem Glanz gesonnt. Ich war mindestens so materialistisch, wie jedes andere Kind auch, und es hat mir gefallen mich für etwas Besseres zu halten. Und dabei hatte ich damals nur Umgang mit der Klientel, die mein Vater für die Richtige hielt. Mit Leuten aus der Mittel- oder Unterschicht hatte ich bestenfalls dann zu tun, wenn sie unsere Dienstboten waren. Und… Nun, ich wusste schon früh, dass mein Vater einen Großteil seines Geldes auf Ganymed gemacht hatte. Ich wusste auch in welchem Ruf dieser Ort stand. Aber es hat mich nie interessiert. Für mich war es normal und die Leute, die dort gelitten haben, waren in meinen Augen nichts wert. Ich schäme mich es zu sagen, aber es hat Jahre gedauert, bis ich endlich begriffen habe, an was ich da Teil hatte. Als es mir dann endlich bewusst wurde, habe ich alle Verbindungen mit der Familie abgebrochen. Ich habe den Lebensweg verlassen, der für mich geplant gewesen war und bin abgehauen. Ich wurde exkommuniziert und enterbt. Aber es hat mich nicht mehr interessiert. Ich wollte einfach nur noch weg.“ Sie schniefte noch einmal und fragte dann, während sie sich einen Träne aus dem Auge blinzelte: „Und wie ging es weiter?“ Er lachte. „Danach bin ich mit einem Freund durch die Welt gereist. Wir hatten nicht mehr als das, was wir am Leib trugen. Wir sind dabei zwei Jahre lang in Bangkok hängen geblieben, wo wir in den Slums gelebt haben. Danach sind wir bei ein paar Piraten in der Straße von Malakka gelandet, von denen aus es uns auf ein Schiff nach Kolumbien verschlagen hat. Und dort sind wir dann einer kommunistischen Rebellengruppe beigetreten. Drei Jahre lang haben wir mit ihnen gekämpft, bis er getötet wurde. Danach bin ich nach Europa zurück und ins Korps eingetreten. Das Korps hatte Ganymed befreit und es fühlte sich richtig an dazu zu gehören.“ Er schmunzelte. „Außerdem hat es meinem Vater gar nicht gefallen.“

    Nun lachte auch sie, auch wenn es noch ein wenig gequält klang. Er stand wieder auf und sagte: „Jeder von uns hat seine eigene Schuld zu tragen. Manche eine kleinere, andere eine größere. Was uns auszeichnet ist, wie wir damit umgehen. Und ich glaube daran, dass sie dazu in der Lage sind. Und…“ Er nahm Haltung an und salutierte. „Ich glaube daran, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen werden. Sie sind unsere Herrin und Anführerin.“ Als sie dieses Mal lachte klang es fröhlich. Sie machte eine abwehrende Bewegung und sagte: „Zurück auf den Posten, verrückter Kerl.“ Er lächelte ihr noch einmal zu und machte dann kehrt, um sich wieder auf die Wurzel zu setzen. Sie selbst legte sich wieder hin und schloss die Augen. Bevor sie jedoch einschlafen konnte, hörte sie ein Geräusch, das auch ihn aufschreckte. Während sie sich aufrichtete und nach ihrer Waffe griff, verschwand er im Gebüsch. Dann hörte sie etwas, dass wie ein Schlag eines schweren Gegenstandes gegen eine Rüstung klang und eine Betäubungsgranate rollte in die Mitte der Lagerstelle.

    Das erste was sie sah, als sie wieder zu sich kam, waren Gitterstäbe. Sie musste einmal blinzeln, um sich zu vergewissern, dass es wirklich so war, aber dann wurde ihr klar, dass sie in einer Gefängniszelle saß. Sie sah sich um. Der Raum war schmucklos und hatte keine Fenster. Allerdings sahen die Wände aus, als sei es ein Fertigbau, wie er bei Kolonisationen oder bei manchen Armeen Verwendung fand, um schnell kleine Siedlungen oder Basen aus dem Boden zu stampfen. Sie ging zu den Gitterstäben und versuchte hinaus zu sehen. Vor dem Raum lag ein einfacher Flur, der auf dieselbe Art erbaut war, wie die Zelle und von dem, legte man eine symmetrische Verteilung der Räume zu Grunde, fünf andere Zellen abgingen. Während sie sich gegen die Stäbe drückte, um besser hindurch sehen zu können, hörte sie auf einmal Schritte den Flur hinunter kommen. Sie sah in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und sah eine Frau in einer geschlossenen Kampfrüstung den Gang entlang kommen. Beim Anblick der metallisch schimmernden Platten der Rüstung, lief es ihr eiskalt den Rücken runter. Sie kannte dieses Design. Es war Ausrüstung der Konzerntruppen von Ganymed. Die Frau sah sie an und hieb ihr dann mit einem Schlagstock auf die Finger.

    Der Schmerz ließ sie zurückzucken. Aber Zugleich weckte er auch eine kalte Wut in ihr. Es war egal, wer diese Leute waren. Es war egal, dass sie sie aufs Kreuz gelegt hatten. Was sie bis jetzt gesehen hatte reichte ihr, um diese Kerle als Feinde zu sehen. Und dieses Mal würde sie ihre Leute selbst wieder aus dem Schlamassel holen, in den sie sie geführt hatte. Sie trat wieder an das Gitter und legte die Hände um die Stangen. Dabei funkelte sie ihre Peinigerin wütend und herausfordernd an. Diese gab einen Laut von sich, der durch den Helm hindurch amüsiert klang und holte erneut mit dem Stock aus. Als sie zuschlug, umarmte Arya den Schmerz, lachte beinahe deswegen. Der Schlag traf ihre linkte Hand und sie hatte den Eindruck, dass ihr die Fingerknochen zerschmettert wurden, aber gleichzeitig hatte sie eine Sekunde Zeit, um mit der rechten zu reagieren. Sie packte die Söldnerin am Handgelenk, das zur Hand gehörte, die den Stock hielt, und drehte sie mit einer ruckartigen Bewegung herum. Dabei legte sie ihr den Stock über den Hals und zog fest an.

    Sie versuchte noch sich zu befreien, nachdem sie gegen das Gitter gezogen worden war, aber Arya stützte sich mit voller Kraft am Gitter ab und presste ihr den Stab gegen den Hals. Der Todeskampf der Söldnerin dauerte fast eine Minute, dann verkrampfte sie sich zuerst und wurde dann schlaff. Sie ließ sie am Gitter zu Boden gleiten und tastete ihren toten Körper danach auf der Suche nach etwas ab, mit dem sie die Zelle öffnen konnte. Tatsächlich fand sie eine Schlüsselkarte und ein Lesegerät neben dem Gitter. Sie musste sich ziemlich unangenehm verrenken, um mit dem Arm daran zu kommen, aber es gelang ihr. Die Zelle öffnete sich und sie trat auf den Flur. Dabei stieg sie über die Leiche hinweg und warf dabei einen Blick auf sie. Der Helm war der Frau vom Kopf gerutscht, als das sich öffnende Gitter sie zur Seite geschoben hatte. Ihr Gesicht war vernarbt und wirkte, als hätte sie ein sehr schweres Leben gehabt. Aber Arya hatte kein Mitleid mit ihr. Ihresgleichen hatte auf Ganymed verbrechen begangen und Verbrecher beschützt, die mit nichts gleichzusetzen gewesen waren, was die Erde zuvor gesehen hatte. Sie hatten nicht aus ideologischen oder religiösen Gründen gemordet, sondern nur um des Profits willen. Das einzige Gericht, das Ihresgleichen noch verdient hatte, war das Weltengericht des jüngsten Tages.

    Sie fand Nikolai und Julius in zwei der anderen Zellen. Als sie ihnen öffnete, sagte Nikolai nur: „Verdammt Hauptmann, tut gut sie zu sehen.“ Julius hingegen salutierte lediglich mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Sie sah die beiden an und fragte: „Wissen sie, was mit Müller und Potazzi passiert ist?“ „Die Wärterin sagte die Granate habe sie nicht sofort erwischt und sie seien beim Versuch uns zu beschützen erschossen worden.“ Arya schloss kurz die Augen und murmelte mit Schmerz, aber auch brennender Wut im Herzen ein leises Totengebet für beide. Dann sagte sie zu den Überlebenden: „Lassen wir diese Bastarde bezahlen.“ Sie wollte sich schon abwenden, fügte dann aber noch hinzu, als hätte sie es fast vergessen: „Ach ja, und finden wir heraus, was die hier überhaupt suchen. Bei einer Operation in dieser Größenordnung bin ich mir ziemlich sicher, dass sie etwas mit dem gefälschten Notsignal zu tun haben.“

    Sie verließen den Zellentrakt und traten auf einen größeren Korridor hinaus. Die Anlage, in der man sie gefangen hielt, schien größer zu sein, als sie zuerst angenommen hatten. An einer Wegkreuzung fanden sie aber glücklicherweise einen Übersichtsplan, durch den sie den Weg zur Waffenkammer finden konnten. Im Erdgeschoss, wo die Kammer lag, mussten sie mehrmals Söldnern ausweichen, die in der Anlage unterwegs waren. Vor der Kammer selbst standen zwei Mann mit Lasergewehren Wache. Sie signalisierte ihren beiden Soldaten sich in Wandnischen zu verbergen und stieß einen Spind um, der im Flur stand. Dann kletterte sie an einem Wasserrohr hoch, das die Wand hoch verlief. Einer der Wachmänner kam angelaufen, um nachzusehen, was los war. Er bemerkte nicht, wie die Soldatin sich unter der hohen Decke festhielt. Bevor er den anderen rufen oder Alarm auslösen konnte, sprang sie auf ihn hinunter und riss ihn zu Boden. Das war für die beiden anderen das Signal. Julius schnappte sich das Gewehr, das dem Söldner aus der Hand gerutscht war, und lief um die Biegung des Ganges, wo der die zweite Wache erschoss, während Kolja sich den ersten packte und ihm mit einer kräftigen Bewegung das Genick brach. Schließlich gelangten sie mit dem Sicherheitsausweis eines der Getöteten in die Waffenkammer.

    Darin standen in Regalen und Spinden Waffen für eine ganze Kompanie, bei deren Anblick Julius flau im Magen wurde. Es war typische Ausrüstung der Konzernsöldner, wie sie im Kampf gegen die Blauhelme eingesetzt worden war. Aber während die meisten der Waffen und Rüstungen Überreste aus eben jenem Krieg zu sein scheinen, mit dem sie in Verbindung gebracht wurden, waren einige praktisch fabrikneu. Außerdem trugen die Rüstungen teilweise noch frische Einheitsabzeichen. In was immer sie hier auch hinein geraten waren, es war groß. Und es dürfte nach der Befreiung des Sklavenmondes gar nicht mehr existieren. Und er sprach diese Gedanken auch aus. Arya schenkte der Überlegung jedoch keine besondere Beachtung. Stattdessen ging sie zu einem Ständer, auf dem Rüstungen aufgehangen waren, und suchte sich eine raus, die in etwa ihre Größe hatte. Dabei sagte sie: „Es ist egal, ob es diese Einheit noch geben dürfte oder nicht. Tatsache ist, dass es sie gibt. Aber das werden wir heute korrigieren.“ Mit diesen Worten streifte sie den Gefangenenoverall ab – man hatte sie alle in graue Overalls gesteckt, als sie noch bewusstlos gewesen waren – und begann die Rüstung anzuziehen. Als sie damit fertig war, ging sie an den Waffenregalen entlang, nahm sich ein Lasergewehr, diverse Pistolen und Granaten. Dabei sah sie die beiden Männer an und meinte: „Worauf wartet ihr noch?“ Eine weitere Aufforderung war nicht nötig. Sie taten es ihr gleich, rüsteten und bewaffneten sich. Als sie sich jedoch Helme aufsetzen wollten, sagte sie: „Nein. Heute kämpfen wir mit offenem Visier. Sie sollen wissen, wer sie getroffen hat.“ Dann traten sie auf die Gänge hinaus und begannen ihr blutiges Handwerk.

    Eine gute halbe Stunde später hatten sie sich durch die halbe Basis gekämpft, bis der Gegner sich organisiert und ihnen eine Gruppe in Zugstärke entgegen geworfen hatte. Sie waren allerdings in der Lage gewesen sich in der Kommandozentrale zu verschanzen. Während Nicolai die Tür hielt – er hatte sie mit einigen davor geschobenen Möbeln und Computerkonsolen verbarrikadiert – hatte Julius einen Blick auf die Dateien der Computer geworfen. Nach einigen Minuten sagte er schließlich: „Es stimmt. Diese Leute haben das Signal aufgesetzt. Irgendjemand hat sie beauftragt Proben von Nyx Technologie zu beschaffen. Also haben sie sie neugierig gemacht und einige ihrer Schiffe hierher gelockt, um sie abzuschießen. Sie haben Trümmerstücke geborgen und einen Gefangenen gemacht, den sie hier befragt haben.“ „Wie haben sie das angestellt? Nyx Leute haben nicht die Angewohnheit jemanden zurück zu lassen. Vorher überrennen sie jeden Gegner mit einem Dutzend Angriffswellen, als dass sie ihm einen Gefangenen lassen.“ „Ich verstehe nicht alles, was in diesen Dateien steht, aber es gibt in diesem System eine Anomalie, die dafür sorgt, dass die interdimensionale Technologie des Gegners nicht funktioniert. So hindern sie sie daran Verstärkung zu rufen.“ Arya nickte. „Uns aber nicht. Ich habe genug gehört. Geben sie ein Signal an die ‚Eos’. Sie soll die Kampfteams absetzen und helfen diese Basis einzuebnen. Bringen wir diese Sache zu Ende.“

    Etwas zuvor, mehrere tausend Lichtjahre entfernt:

    Alpatow und seine Leute waren in den Club vorgelassen worden. Im inneren des Gebäudes herrschte eine noch seltsamere Atmosphäre, als davor. Die Männer, die hier in den Räumen saßen und Musik hörten, lasen, rauchten oder anderen Beschäftigungen nachgingen, sprachen nicht miteinander. Sie sahen einander nicht einmal direkt ins Gesicht. Schon die wenigen Minuten, die er in den Fluren des Gebäudes zubrachte, weckten in Alpatow das Bedürfnis zu schreien. Er konnte sich keinen deprimierenderen Ort im Universum vorstellen, als diesen. Selbst in einem irakischen Foltergefängnis, in dem er einmal gesessen hatte, war die Stimmung fröhlicher gewesen. Der Portier hatte sie schließlich in einen Raum im vierten Stock des Hauses gebracht, von dessen Balkon aus man die ganze Bucht überblicken konnte. Auf dem Balkon hatte ein hagerer Mann von schätzungsweise fünfundsiebzig Jahren in einem Sessel gesessen, Zigarren geraucht und den Anblick genossen. Als sie den Raum betraten, hatte der Portier ihnen mitgeteilt er sei Senator Lions.

    Bei diesen Worten hatte Alpatow allerdings Arik angesehen, der daraufhin andeutungsweise genickt und die metallischen Geräte abgenommen hatte, die er an Hinterkopf und Schläfen trug. Sie hatten ausgesehen, wie extravaganter Schmuck, waren aber sehr viel mehr gewesen. Nachdem er sie abgenommen hatte, hatte Arik für einen Moment regungslos verharrt, dann schienen seine Augen zu beginnen ein wenig von innen heraus zu leuchten. Er sah den Mann an, dann sagte er: „Er ist es nicht. Das ist eine Falle.“ Als wäre dies ihr Stichwort gewesen brachen im selben Moment Männer mit Schnellfeuerwaffen oder Totschlägern aus verborgenen Wandnischen oder hinter Vorhängen hervor und stürzten sich auf die Tau’Ri. Doch die Soldaten waren durch Ariks Worte vorgewarnt. Blitzschnell warfen sie die Mäntel beiseite und zogen ihre eigenen Waffen. Alpatow selbst zog eine Stetschkin unter seinem Frack hervor und richtete sie auf zwei der Gegner, bevor diese eine Chance hatten ihre Waffen in Anschlag zu bringen. Gleichzeitig ließ einer der Soldaten einen Gegner, der auf Arik zustürmte, gegen seinen ausgestreckten Arm laufen, so dass er von den Füßen gerissen wurde. Dabei packte er ihn, drehte ihn auf den Kopf und ließ ihn einmal kräftig mit selbigem voran auf den Boden donnern. Im selben Augenblick schlugen der Hauptmann und einer seiner Leute jeweils einen Gegner nieder und der letzte Soldat feuerte den Gegnern eine Salve aus seiner Schallgedämpften MP vor die Füße. Binnen weniger Sekunden war der Kampf, so man denn von einem Sprechen wollte, vorbei.

    Die Angreifer, offenbar keine wirklichen Soldaten, sondern Mitglieder der eigenen Sicherheitsmannschaft des Clubs, hatten ziemlich schnell die Lust daran verloren weiter zu kämpfen. Alpatow sah einmal in die Runde, wobei er seine Waffe immer noch auf die beiden Gegner vor sich gerichtet hielt, und sagte: „Also, Herrschaften, das hier muss nicht in einem Blutbad enden. Die Waffen weg und runter auf den Boden. Wenn ihr euch für die nächsten Minuten konzentriert die Furchen im Parkett anseht, kommen wir gut miteinander aus. Nach und nach taten die Männer, wie ihnen geheißen, einige eher zögerlich, andere deutlich schneller. Als sie alle mit hinter dem Kopf verschränkten Händen darknieten, sah Arik noch einmal in die Runde. Dann streckte er auf einmal wortlos einen Finger in die Richtung von einem. Alpatow sah ihn fragend an, woraufhin er auch mit dem Kopf einmal in die Richtung des Mannes wies und mit den Lippen lautlos das Wort ‚Knarre’ formte. Alpatow ging zu dem Kerl hin und sagte: „Ok, Freundchen, her damit.“ Der Wachmann stellte sich zuerst dumm, aber als der Agent ihm den kalten Stahl der Stetschkin in den Nacken presste und sagte „Wird’s bald?“, zog er eine versteckte Waffe unter seinem Hosenbein hervor und reichte sie ihm. Nachdem die Gruppe nun vollends entwaffnet war, meinte Alpatow an den Portier gewandt: „So und jetzt würden wir gerne mit Senator Lions sprechen.“

    „Im Nebenzimmer“, meinte Arik und deutete auf eines der Regale an einer Wand. Alpatow grinste, ging darin und zog am Regal es Schwang beinahe mühelos zur Seite und gab den Weg in einen Nebenraum frei. Darin fand er, ebenfalls in einem Sessel sitzend und rauchend, einen Mann vor, der nicht unterschiedlicher vom Lockvogel hätte sein können, den man ihnen vorgesetzt hatte. Er war klein, untersetzt – um nicht zu sagen fett – und hatte bis auf einen grauen Haarkranz alle Haare verloren. Entgegen der üblichen Mode seiner Welt trug er keinen schwarzen Anzug, sondern einen weißen. Der Blick, mit dem er den Agenten musterte, zeigte indess keine Anzeichen von Furcht oder einer ähnlichen Emotion. Sich seines martialischen Auftretens mit den vom Kampf in Unordnung gebrachten Haaren und der großkalibrigen Waffe in der Hand bewusst fragte Alpatow: „Senator Lions, nehme ich an.“ „Eben der. Ich freue mich sie kennen zu lernen, Michail Wladimirowitsch.“

    Für einen Moment sah Alpatow ihn erschrocken an, bevor er seine Souveränität zurück gewann. Doch nun war klar, wer bei diesem Gespräch in der überlegenen Position war, denn der Mann lachte nur schallend ob der Miene seines Gegenüber. „Ja, ich bin Lions. Und ja, ich habe den Rang eines Senators inne. Aber ich muss zum Ausdruck bringen, dass ich nicht mit Leuten von ihrer Welt gerechnet hatte. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Tau’Ri noch nennenswertes Interesse an dieser Ecke der Galaxie hatte.“ „Hm. Sagen wir einfach, dass wir gehofft hatten unter die Affäre mit dem Senat einen Schlussstrich gezogen zu haben.“ „Oh ja, dass hatten sie. Sie haben unserer Organisation großen Schaden zugefügt. Aber es gibt uns immer noch. Aber ich würde sie erst einmal bitten ihre Waffe wegzustecken. Es gibt schließlich keinen Grund, warum wir uns nicht zivilisiert unterhalten sollten.“ „Seltsame Worte von einem Waffenhändler und Sklavenhalter.“ Der Alte winkte ab. „Ach, ersparen sie mir ihre Selbstherrlichkeit, Erdling. Ich kenne die Horrorgeschichten, die sie sich über den Senat zusammengereimt haben und weis, dass nicht einmal die Hälfte davon der Realität entspricht. Ihre Geheimdienste haben damals schlampig gearbeitet und jede Menge Gerüchte, die die Goa’uld über uns gestreut hatten, für bare Münze genommen. Aber letztlich unterscheiden wir uns nicht besonders. Unsere Methoden mögen andere sein, aber auch wir wollen nur unsere Welten verteidigen. Und wenn Wohlstand eine Möglichkeit dazu ist, dann tun wir es. Ja, wir beschäftigen Söldner, halten Sklaven, verkaufen Waffen an beide Seiten, stoßen ihnen in finsterer Nacht einen Dolch in den Rücken. Aber ganz ehrlich: Ist das so viel anders, als das, was sie tun? Ist der Dolch in der Nacht amoralischer, als die Bomben, die sie aus ihren Fliegern werfen? Ich glaube nicht.“

    Unschlüssig, was er auf eine solche Argumentation antworten sollte, enthielt Alpatow sich eines Kommentars und meinte: „Wenn sie so viel über uns wissen, können sie sich wahrscheinlich auch denken, warum wir hier sind.“ Bei diesen Worten steckte er seine Waffe weg. „Ja, durchaus. Sie haben dem Portier die Marke des armen Leutnant Yaran gezeigt. Ich schätze deshalb einmal, dass seine Mission mit ihren Kampfhandlungen bei jener Thollaner-Kolonie in Konflikt geraten sind.“ „So ähnlich, ja. Ihre Leute leben allerdings noch. Wir sind bereit sie frei zu lassen, wenn sie ihre Informationen mit uns teilen.“ „Das würde ich in der Tat begrüßen. Gute Söldner sind heutzutage schwer zu finden. Um also ihre Frage vorweg zu nehmen: Meine Männer hatten auf Kanaan die Mission herauszufinden, ob unsere Hypothesen über die Absichten jener neuen Streitkräfte richtig sind, die in den letzten Monaten vermehrt aufgetaucht sind.“

    „Sie meinen die Leute von Nyx?“ „Ja, sie sollen in ihren Diensten stehen. Nun, sie sollten wissen, dass die Rolle des Senats sich geändert hat, seit wir das letzte Mal Kontakt mit ihnen hatten. Wir sind nun von einer Schattenregierung unserer Heimatwelten mehr und mehr zu einer realen geworden. Wir zeigen uns dem Volk, nehmen offen Einfluss auf die Politik und rüsten die Armeen aus. Es ist der einzige Weg gewesen uns gegen Dumuzi zu stellen, da wir ihn nicht mehr gegen andere Systemlords ausspielen können. Einfach, weil es keine anderen mehr gibt. Aber eines hat sich nicht geändert: Die mächtigste Waffe ist immer noch die Information. Deshalb haben wir versucht möglichst viel über Nyx heraus zu finden und dabei festgestellt, dass ihre Verhaltensmuster sich seit 7000 Jahren kaum geändert haben. Man kann sagen, dass sie an uns gar nicht interessiert ist. Ihr einziges Augenmerk liegt auf Hinterlassenschaften alter Völker, vornehmlich solcher mit großer technologischer Macht. Oder auch solchen, die aufgestiegen sind. Wer ihr also aus dem Weg gehen will, muss ihr den Zugang zu solchen Orten gewähren. Und wer sie bekämpfen will genau dort warten. Aber ihre wirkliche Motivation… Tja, die kennt nur sie selbst.“

    Einen Tag später auf der Erde im STK, nahe Wolgograd:

    Nachdem Alpatow und sein Team von ihrer Mission zum Tor zurückgekehrt waren – in der Tasche eine schriftliche Zusammenfassung der Erkenntnisse des Senats über Nyx und die Kopie einer Absichtserklärung die gefangenen Salvari wieder frei zu lassen – hatte er sie direkt das STK und nicht etwa die Fremdweltbasis anwählen lassen, von der aus sie gestartet waren. Sein Kalkül dahinter war aufgegangen. Es war ihm gelungen im STK das Sondereinsatzteam, mit dem er unterwegs gewesen war, abzuschütteln und sich eine Kopie der Akte über das Programm zu verschaffen von dem Arik ein essentieller Teil war. Damit hatte er schließlich Maybourne aufgesucht.

    Der General hatte in seinem Büro gesessen und Missionsberichte gegengezeichnet, als Alpatow eingetreten war. Da sie sich schon von Magellan kannten und einiges zusammen erlebt hatten, war die Begrüßung recht freundlich ausgefallen. Dann hatte er ihm die Akte gegeben und sich auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch gesetzt, während Maybourne die ersten Dokumente überflogen hatte. Schließlich sah der General von der Akte auf und meinte: „Das kann nicht ihr Ernst sein. Wieso beschäftigt sich der MND mit so etwas?“ Alpatow schmunzelte. „Weil etwas dran ist. Was wir so lange für parapsychologischen Unsinn gehalten haben, ist letztlich schon seit Jahrhunderten völlig offensichtlich zu beobachten. Wie lange gibt es schon Bericht von Menschen, die in Extremsituationen einen unerklärlichen sechsten Sinn zeigen? Sei es die Mutter, die spürt, wenn ihrem Kind etwas passiert, sei es der Soldat, der auf dem Schlachtfeld eine seltsame Vorahnung hat, die ihn vor einer Falle rettet… Manches davon ist reiner Zufall, aber anderes ist nichts geringeres, als erste Anzeichen dafür, dass die menschliche Rasse beginnt Fähigkeiten zu entwickeln, wie wir sie bei anderen Völkern da draußen beobachten können, seit wir den ersten Schritt durch das Sternentor gemacht haben.“

    „Und warum zeigen sie mir das jetzt?“ „Weil ich möchte, dass sie dafür sorgen, dass ich jemanden zu Falkner in die Zelle bringen kann. Vielleicht kann mein… Freund… dem Major helfen.“ „Was ist das für ein Kerl?“ Alpatow schmunzelte. „Arik Bilenkin ist ein Reader, wie der MND es umgangssprachlich nennt. Er ist einer der stärksten Psychokineten, die wir jemals gefunden haben und mehr noch, eine Art Telepath.“ Maybourne runzelte die Stirn und sah den Agenten fragend an. Dieser beeilte sich zu erklären: „Ähnliche Projekte während des kalten Krieges haben sich vor allem auf Telepathie gestützt und sind kläglich gescheitert. Wir hatten unseren Durchbruch erst, als wir erkannten, dass Psychokinese eine ungleich einfacher herbeizuführende Fähigkeit darstellt.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Alpatow winkte ab. „Ach, sie haben keine Ahnung, was bei Telepathie tatsächlich dahinter steht. Wir reden hier von der Fähigkeit im menschlichen Gehirn zu lesen. Das ist nicht nur etwas seltenes, das ist fast unmöglich. Das Menschliche Gehirn ist ein biochemischer Supercomputer mit der Fähigkeit Milliarden von Zellen zu koordinieren, Informationen über Jahrzehnte hinweg zu speichern, sie gezielt abzurufen und untereinander in Beziehung zu setzen, kreativ zu denken… Nein, wirkliche Telepathie zu erlernen ist fast unmöglich, während Psychokinese nichts weiter ist, als mittels geistiger Kräfte einem Masseklumpen einen kleinen Schups zu geben. Das eine erfordert, buchstäblich, ein Genie, das andere kann jeder mit der Prädisposition für parapsychologische Fähigkeiten erlernen.“

    Maybourne stand von seinem Platz auf, kam um den Schreibtisch herum und baute sich vor Alpatow auf. „Nehmen wir einfach mal an ich nehme diese Akte für voll: Wie konnten sie jetzt auf einmal mit diesen Erfolgen aufwarten?“ Bei diesen Worten ließ er seinem Gegenüber die Akte in den Schoß fallen. „Das Sternentor“, antwortete dieser lakonisch. „Ihnen wird in diesen Dokumenten ein Verweis auf ein Element mit dem Codenamen Psi aufgefallen sein. Das Zeug wurde vor Jahren von einem russischen ST-Team gefunden und eine Probe mit zur Erde gebracht. Wir haben damit experimentiert und irgendwann durch Zufall herausgefunden, dass es genetische Dispositionen für derartige Fähigkeiten aktiviert. Nachdem wir erkannt hatten, was wir da in Händen hielten, haben wir uns natürlich mehr davon beschafft.“ „Beschafft?“ „Sagt ihnen die Theismann-Mission etwas? Er und seine Leute haben einem übrig gebliebenen Goa’uld ein paar Kilo davon abgenommen.“ Maybournes Stimme wurde eiskalt. „Sie haben für ein paar Kilogramm davon ein ganzes Expeditionsgeschwader mit über vierhundert Leuten an Bord geopfert?“

    Alpatow schmunzelte spöttisch. „Ja, dass haben wir. Aber bevor sie uns verurteilen sollten sie sich klar machen, was der Hintergrund dieses Programms war. Der MND ist keine Organisation von Verrückten, die die Weltherrschaft anstreben oder Übermenschen züchten wollen. Was uns damals bewegt hat, war die simple Tatsache, dass die Ori uns damals mit einer Gewalt überrannt haben, die wir niemals für möglich gehalten hätten. Bein der Belagerung von Darraka haben einzelne Priore ganze Kompanien ausradiert. Dieses Programm hat uns das erste Mal eine Möglichkeit an die Hand gegeben gegen solche Leute zurück zu schlagen, seien es Priore, seien es irgendwelche Aliens mit hyperfortschrittlicher Technologie. Es ist die einzige Verteidigungslinie der Erde, vor der solche Leute sich wirklich fürchten müssen.“ „Und warum weis das Militär dann noch nichts von diesem Projekt?“ „Sie wissen ja jetzt davon. Nein, Spaß beiseite. Reader und Mover sind selten. Bestenfalls einer von hunderttausend Menschen hat die Dispositionen dazu. Wobei gesagt werden muss, dass manche ethnische Gruppen offenbar höhere Quoten aufweisen. Eine Vermutung geht dahin, dass die Disposition eine Begleiterscheinung von Eigenschaften ist, die bei Selektion durch Krankheiten in bestimmten Regionen von Vorteil waren. Andere glauben, dass da noch etwas Antiker-DNA im Spiel ist. Auf jeden Fall haben die Bewohner entlang des schwarzen Meeres, insbesondere solche Volksgruppen, die noch mit den alten Ethnien Griechenlands verwandt sind, besonders viele Leute mit dem Potential. Aber das weitaus größere Problem sind die Begleiterscheinungen. Die meisten Leute mit der Disposition sind körperlich krank. Glasknochen, Kreislaufprobleme, Muskelschwund… Und bei Readern vor allem Wahnsinn.“ Er stand auf. „Die EU hat 1,1 Milliarden Einwohner und obwohl wir angestrengt gesucht und in der Schwarzmeerregion teilweise Raumschiffunfälle inszeniert und Element-Psi großflächig über Siedlungen verteilt haben, haben wir keine fünfhundert Männer und Frauen gefunden, die körperlich wie geistig soweit aufgebaut werden können, dass sie für die Streitkräfte von Nutzen wären. Und jeder von denen hat uns in der Ausbildung das Zwanzigfache eines normalen Soldaten gekostet.“ Maybourne dachte kurz über das Gesagte nach, dann nickte er und meinte: „Wenn ihr Mann Falkner helfen kann, soll er es versuchen. Und Alpatow… ich hoffe, dass sie ihren Kopf wieder aus der Schlinge ziehen können, nachdem sie mir das hier erzählt haben.“

    Eine gute Stunde später betrat Arik Bilenkin die Zelle in der medizinischen Station, in der Falkner untergebracht war. Er betrachtete den Major, der in den letzten Tagen immer wieder von fast selbstzerstörerischer Aufregung in totale Lethargie verfallen war und keine Zeichen von Besserung zeigte und nun mit unters Kinn gezogenen Knien auf der Pritsche saß. Mit einem Anflug von Mitleid im Gesicht griff er sich an die Schläfen und nahm die Blocker ab, die seine telepathischen Kräfte in der Anwesenheit anderer Menschen im Zaum hielten. Kaum dass seine Sinne entfesselt waren, schlug eine Welle konfuser Emotionen, Ängste, aus der Richtung des Soldaten über ihm zusammen. Er taumelte einen Schritt zurück, als sei er geschlagen worden und glaubte den Schmerz des Majors körperlich fühlen zu können. Dann ging er zu ihm, kniete neben ihm nieder und legte ihm eine Hand auf die Stirn und sagte: „Lass mich sehen. Lass mich dir helfen zu verstehen.“
    Geändert von Protheus (22.08.2009 um 10:04 Uhr)
    Die Freiheit des Bürgers heißt Verantwortung.

    (Joachim Gauck)


    "You may belong to any religion[...] - that has nothing to do with the buisness of the state. We are starting with this fundamental principle, that we are all citizens and equal members of one state." (Sir Mohammed Ali Jinnah)

    Meine FF:

    Laufend: 2036 - A Union at War

    Abgeschlossen: 2034 - Das neue Sternentor

  18. #58
    Gehasst, Verdammt, Vergöttert Avatar von Colonel Maybourne
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    Sehr interessant, auch weil du es in so vielen kleieren Teilen gebracht hast, die sich sehr gut ergänzen.
    Und sie scheinen mir auch zusammen zu hängen, denn ich glaube, dass die es alle mit der selben Organisation zu tun haben.
    Das dürfte sich sicher ziemlich desaströs auswirken, wenn Jules dann aufbricht und sich die Typen vorknöpft.
    Sicher sind da auch noch ein paar Überlebene von dem Sklavenmond dabei.
    Bis dann.
    Das Leben ist ein Schwanz und wir die Eier, die mitgeschleift werden.


    Meine aktuellen Fanfiction:


    TGE Combined Season 1 Fire of War:

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  19. #59
    dumm geboren und nix dazugelernt:P Avatar von Santanico Pandemonium
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    Whoa, das war nmal wieder ein Monsterteil. Denke auch dass da alles irgendwie verwoben ist, lasse mich aber überraschen auf welche Art und Weise.

    Warum hat Jukius nichts von seiner Mutter erzählt? Da hätte das Mädel Augen gemacht
    Und: wenn das eine Tor aktiviert war, müsste es doch logischerweise ein Gegenstück geben dass ebenfalls von den Ori verschont blieb oder? Es muss alsso doch noch ein aktives Tor gben dass die Bewohner hätten anwählen können.
    WEIR: ... putting your life and other people's lives at risk. You destroyed three quarters of a solar system!
    McKAY: Well, five sixths. It's not an exact science.
    WEIR: Rodney, can you give your ego a rest for one second?

    Ein Jahr später:
    Spoiler 
    CARTER: About a year ago, your brother came across an abandoned alien experiment called Project Arcturus.
    CARTER: It was an attempt to generate zero point energy.
    JEANIE: That would be virtually limitless power. What happened?
    McKAY: A slight problem. It was the creation of exotic particles in the containment field.
    CARTER: He destroyed a solar system.
    JEANIE: Meredith! (She smacks his arm.)
    McKAY: It was uninhabited!

  20. #60
    Autor der ungelesenen FF Avatar von Protheus
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    @Colonel Maybourne: Wie du ganz richtig vermutet hast sind die Ereignisse miteinander verwoben. Wie genau wird im folgenden Kapitel hoffentlich ersichtlich. Auf jeden Fall kann ich versprechen, dass die Sache ein interessantes Finale haben wird.

    @Santanico Pandemonium: In Sachen Verbindungen zwischen den Ereignissen siehe oben. Und was das aufgegebene Tor angeht: Wer sagt, dass das Tor, das zum fraglichen Zeitpunkt angewählt war, wichtig war .

    Und nun das neue Kapitel. Länge dieses mal recht manierliche 12,5 Seiten. Vorweg sei gesagt, dass der Handlungsstrang mit Dumuzi in erster Linie dazu dient seinen Charakter zu illustrieren, weshalb ich mir eine aufwändige Beschreibung von Schlachten gespart habe. Viel Spaß beim Lesen.


    Kapitel 15: Sklavenbefreier und Sklavenjäger

    Zwei Wachen schlugen die Planen am Eingang des Zeltes zur Seite und ließen den Jaffa, der sie mit misstrauischen Blicken gemustert hatte, aus der staubigen Hitze der Wüste in das Zelt eintreten. Während er durch die Öffnung hindurch trat, umklammerte er mit der rechten fest seine Zat’n’tkel, die er am Gürtel trug. Man hatte ihm die Waffe nicht abgenommen, und gerade dieser Umstand verunsicherte ihn umso mehr. Dabei war die momentane Situation schon schlimm genug. Im Inneren des Zelts wischte er sich zuerst, sichtlich erfreut über die überraschend kühle Luft, den Schweiß von der Stirn, dann sah er sich um. Das Zelt bestand äußerlich zwar aus demselben schlichten Leinentuch, aus dem auch alle anderen Unterschlüpfe im Lager gemacht waren und das sich kaum vom hellen Erdreich der Gegend abhob, doch der Innenraum war mit dicken Teppichen ausgelegt und neben einem recht schlichten Schreibtisch standen auch mehrere kunstvoll verzierte Truhen und zwei Metallpfannen, in denen Weihrauch und wohlriechende Kräuter verbrannt wurden, darin. Was für ein Unterschied es doch zum Lager seiner Waffenbrüder war…

    Dann fiel sein Blick auf den Mann, den zu sprechen er gekommen war. Dumuzi, letzter wahrer Systemlord der Goa’uld, Feldherr und Gebieter über das bisher größte Vielvölkerreich, dass diese Galaxie gesehen hatte, saß umringt von seinen Leibwächtern auf einem Kissen am Boden. Das Schmunzeln, das seine Lippen umspielte ließ den Abgesandten trotz der Hitze des Tages frösteln. Es lagen eine Selbstsicherheit und eine Überzeugtheit darin, die keinen Zweifel daran ließen, wer in der überlegenen Position war. Der Goa’uld offerierte ihm mit einer Geste einen Platz am niedrigen Tisch, um den er und seine Getreuen herum saßen, dann gab er einem von ihnen einen Wink, woraufhin dieser eine Dienerin herbeirief, die eine Schatulle und einen goldenen Kelch brachte. Sie bot ihm diesen an, dann klappte sie den Deckel der Schatulle auf. Beim Anblick des geschroteten Eises darin weiteten sich ihm die Augen. Woher nahmen diese Leute in dieser Wüste, tausend Kilometer vom nächsten Bergmassiv und ohne dass in ihrem Lager eine Kühlanlage zu sehen gewesen war, bloß Eiswasser?

    Zufrieden beobachtete Dumuzi die Reaktion seines Gastes auf die dargebotene Erfrischung. Nachdem der Jaffa zuerst zögerte, machte er noch einmal eine einladende Geste, auf die hin der Krieger sich schließlich den Becher füllte. Danach reichte die Sklavin auch seinen Leibwächtern und schließlich ihm selbst davon. Während die Menschen, die um ihn herum saßen, allerdings zu goldenen und silbernen Bechern griffen, nahm Dumuzi nur einen schlichten aus Eisen, was ihm weitere misstrauische Blicke des Jaffa einbrachte. Er trank schließlich etwas von dem Wasser und genoss jede Sekunde davon. Die kleine Machtdemonstration hatte ihre Wirkung nicht verfehlt und die offenkundige mangelnde Fähigkeit des Jaffa das Schauspiel zu begreifen, das ihm hier geboten wurde, erheiterte ihn umso mehr. Er kannte seinen Gegenüber, der noch das Zeichen von Kronos auf der Stirn trug und der Krieger kannte ihn. Oder vielmehr kannte er die Geschichten, die die alten Systemlords über ihn erzählt hatten. „Sindar“, begann er schließlich, „es freut mich, dass du meiner Einladung gefolgt bist. Auch wenn ich gehofft hatte, dass Se’tak persönlich hier erscheinen könnte.“ „Du kannst nicht annehmen, dass er selbst ins Heerlager des Feindes spaziert.“

    „Oh doch, dass kann ich. Zumindest würde er damit Rückrad beweisen. Schließlich ist er für eure Situation verantwortlich.“ Sindar neigte vorsichtig den Kopf. „Ich werde seine Befehle nicht in Zweifel ziehen. Er ist unser Anführer und die Krieger stehen hinter ihm.“ „So? Die Männer, die sich meinen Truppen vor vier Tagen ergeben haben, sahen das anders.“ „Elende Verräter“, entfuhr es dem Jaffa. „Wenn sie nicht mehr gewillt waren ihm zu folgen, hätten sie Joma Secu fordern sollen.“ Worte, die Dumuzi nur noch mehr erheiterten, zeigten sie doch, dass diese Jaffa nichts aus den Fehlern der Goa’uld gelernt hatten. Se’tak war der stärkste Krieger der Armee, die er hinter sich versammelt hatte. Kein anderer konnte ihm im Zweikampf die Stirn bieten, so dass seine Führerschaft unangefochten bleiben musste, solange der einzig legitime Weg ihm das Kommando zu entreißen in einem offenen Kampf auf Leben und Tod bestand. Furcht war das Werkzeug der Erhaltung seiner Macht. Gleichzeitig lebte er wie ein Fürst, der er in der alten Weltordnung vor Tau’Ri nie hätte sein können.

    Das war der Grund dafür gewesen, warum Sindar so unsicher reagiert hatte, als er des Systemlords und seines Gefolges angesichtig geworden war. Wenn der Krieg gegen die Erde Dumuzi eines gelehrt hatte, dann dass es stets mehrere Wege zum Ziel gab. Der Götterkult der alten Herrscher hatte einen dargestellt, fand jedoch in einer Galaxie, in der religiöse Kriege in so kurzer Zeit solche Verwüstungen angerichtet hatten, keine Anhänger mehr. Auf Tau’Ri hingegen, jener kleinen Welt, die in ihrer Isolation für Jahrtausende einen Mikrokosmos gebildet hatte, der alle Spielarten menschlichen Wirkens gesehen zu haben schien, hatten die meisten großen Feldherren nicht von einem goldenen Thron aus regiert. Irgendwann war ein Mann nicht mehr bereit einem Herrn zu folgen, von dem ihn Welten trennten. Kämpfte ein General jedoch wie einer von ihnen, teilte Freud und Leid mit ihnen, dann folgten sie ihm überall hin. Deshalb aß Dumuzi, der eigentlich den Luxus seines Palastes auf An schätzte, von schmucklosen Blechtellern die gleichen Rationen, wie die einfachen Kämpfer, deshalb trug er einen einfachen Wollkaftan und eine Kufiya in Wüstenfarben, während seine Leibwächter in Seide gekleidet waren, verzierte Gürtelschnallen trugen und von goldenen Tellern aßen. Sindar mochte es nicht verstehen, doch wenn es der Weg zur Macht über ein goldenes Reich war, dann stieg Dumuzi von seinem Himmel herab, wurde zum Sklavenbefreier und gestattete es Menschen sich an seinen Tisch zu setzen. Die Bewunderung, die ihm von Seiten seiner Anhänger entgegengebracht wurde, ließ ihn sogar eine diebische Freude an dieser Rolle finden.

    Mit einem Schmunzeln beugte er sich vor und stützte beide Ellenbogen auf den Tisch. Dabei sah er Sindar eindringlich an. „Sie haben es aber nicht getan. Aber wenn du es nicht einsehen willst, werde ich die Dinge beim Namen benennen: Se’tak hat drei entscheidende Fehler gemacht. Erstens hat er zugelassen, dass ich davon erfuhr, dass er auf dieser Welt seine Truppen sammelt. Zweitens hat er nicht schnell genug gehandelt und mir so Zeit für eine Gegenoffensive gegeben. Und drittens hat er sich mit mir auf ein Katz- und Maus-Spiel in dieser Wüste eingelassen. Und das Resultat ist nun, dass meine Falken den Himmel über dieser Welt unangefochten beherrschen und dass meine Armee jede einzelne Wasserquelle im Umkreis von dreihundert Kilometern unter Kontrolle hat. Er hat jetzt also die Wahl: Entweder er akzeptiert meine Bedingungen, oder ich werde ihn und jeden einzelnen seiner Leute im Staub dieser Wüste begraben.“ Sindar setzte sich den Kelch an die Lippen und schien sich einen Moment lang hinter dem Eiswasser verstecken zu wollen. Er hatte auf seinem Weg durch das Lager die Landefelder gesehen, auf denen fast einhundert Horusfalken permanent startbereit gehalten wurden und wusste, dass zu jeder Zeit genug davon in der Luft waren, um jede Wasserlieferung aus dem Orbit abzufangen. Zugleich war die nächste unverteidigte Quelle so weit weg, dass kaum einer seiner Waffenbrüder den Marsch überstehen würde. So fragte er schließlich: „Und was wären deine Bedingungen?“

    „Die Auflösung eurer Armee“, antwortete Dumuzi. „Ihr übergebt jede einzelne Waffe bis hin zum kleinsten Messer und kehrt nach Hause zurück. Ich will nie wieder einen eurer Männer auf meinen Welten sehen.“ Zuerst verspürte der Jaffa nur einen kurzen Schrecken, der danach jedoch einem diffusen Gemisch aus Wut und Furcht wich. „Uns ohne Waffen nach Hause zu schicken käme dem gleich uns dem Henker zu überantworten. Wir werden uns nicht mehr Schützen können, wenn ein Feind uns angreift.“ „Du verkennst die Situation. Ich habe nicht nach deinem Anführer schicken lassen, um mit ihm zu verhandeln.“ „Man wird uns vernichten.“ „Dass ist weder mein Problem, noch interessiert es mich wirklich. Ich kann dir nur eines sagen: In meinen Plänen hat deinesgleichen keinen Platz. Eure Kriegerkaste ist ein Relikt, abhängig und schwach. Das habt ihr selbst bewiesen. Ihr hattet nach dem Fall des Rates die Galaxie in eurer Hand. Aber anstatt eure Nation aufzubauen habt ihr euch nach dem Verschwinden der Tau’Ri zuerst mit den Tok’ra und danach untereinander überworfen. Und jetzt ist alles, was von euch übrig ist, ein Haufen Kriegsherren, die sich um Ressourcen, Land und Symbionten streiten, wie Straßenköter um ein Stück verrottetes Aas. Eure Art ist mir also egal, es sei denn ich versucht wie Se’tak mich zu bekämpfen. Dann sind eure Tage gezählt.“

    Später, als Sindar gegangen war, fragte einer der Leibwächter Dumuzi: „Herr, ich möchte eine Frage stellen.“ „Dann tut es.“ „Ist es nicht unüberlegt ihnen so viel Zeit zu gewähren? Es gibt kaum eine Gruppe unter den Jaffa, die nicht euren Tod wünscht. Er könnte sich an sie Wenden, um Verstärkung zu rufen.“ Dumuzi winkte ab. „Du überschätzt diese Jaffa. Der einzige unter ihnen, der noch wirklich versucht sie zu einen ist Teal’c von Chulak, aber der hat kaum noch Unterstützer oder Macht. Und Se’taks Ende käme den meisten von ihnen nicht weniger gelegen, als meines. Also werden sie abwarten und hoffen, dass wir einander auslöschen. Aber das wird nicht passieren.“

    Hunderttausende Lichtjahre entfernt im wilden Raum:

    Mit einem wuchtigen Schlag hieb Jules auf den Boxsack ein und setzte gleich mit einer Serie von Tritten mit angewinkeltem oder gebeugten Beinen nach. Danach hielt sie für einen Moment schwer atmend inne. Sie versuchte sich im Umgang mit den Rüstungen, die die Söldner dabei hatten, und hatte festgestellt, dass es ihr schwer fiel sich darin vernünftig zu bewegen. Also hatte sie angefangen darin zu trainieren. Sie stützte die Hände auf die Oberschenkel und sah zu Naumer hinüber, der außerhalb der Reichweite ihrer Schläge auf einer Bank an der Wand des Hangars der ‚Argo’ saß. Dieser grinste ihr amüsiert zu und meinte: „Vielleicht sollten sie zuerst noch ein paar Runden auf dem Laufband einlegen.“ Sie sah ihn schief an und meinte: „Ich hab schon Leute für weniger verprügelt.“ Er lachte und erwiderte: „Kann ich mir nicht vorstellen.“ „Doch. Einen Sensationsreporter, der meinte einen dummen Spruch über meine Figur machen zu müssen. Na gut, zugegebenermaßen war ich betrunken, aber der Kerl hatte einen Tonfall am Leib, dass ich ihm die Fresse poliert hätte, egal was er gesagt hätte.“ Er grinste. „Klingt so, als hätte er es verdient.“ „Ja. Nur die Staatsanwaltschaft sah das leider anders.“ Sie überlegte kurz. „Andererseits: Hier draußen gibt es keine.“ Mit einem Lachen hob er abwehrend die Hände. „Dann muss ich wohl sehr vorsichtig sein, was ich in ihrer Gegenwart sage.“ Sie grinste. Die gelegentlichen kleinen Frotzeleien mit dem Söldnerhauptmann hatten etwas Entspannendes an sich und erinnerten sie an einige Leute, die sie aus ihrer Zeit bei der Truppe kannte. Dann begann sie wieder auf den Sack einzuprügeln.

    Nach einer guten Viertelstunde hatte sie schließlich keine Energie mehr. Sie ließ vom Trainingsgerät ab und setzte sich neben Naumer auf die Bank. Während sie ihren Blick ein wenig durch den Hangar wandern ließ und einen Schluck aus ihrer Wasserflasche nahm, fragte er: „Ist nicht ganz so einfach mit fünfzehn Kilo mehr am Leib, was?“ Sie gab einen verneinenden Laut von sich und setzte die Flasche ab. „Das Gewicht ist nicht das Problem. Die Rüstung ist nur in den Gelenken ziemlich steif. Dadurch kostet die Bewegung zu viel Kraft.“ „Aaach, das legt sich. Die hier“ – er klopfte auf den Helm der Rüstung, den Jules während des Trainings auf der Bank hatte liegen lassen – „ist einfach noch nicht eingetragen. Wenn man ein paar Tage damit rumläuft, wird das Aramid flexibler.“ Sie nickte und nahm noch einen Schluck Wasser. Dann fragte sie: „Wie lange noch bis zum Ziel?“ Naumer warf einen Blick auf seine Uhr und antwortete: „Schätzungsweise zwanzig Minuten.“ Sie nickte. „Gut. Genug Zeit für eine Dusche. Es macht sich im Zweifel nicht so gut, wenn ich beim Treffen total verschwitzt bin.“

    Gute vierzig Minuten später war die ‚Argo’ in den Orbit eines Planeten eingeschwenkt, auf dem sie eine wilde Kolonie vermuteten. Dort hatte das Warten begonnen. Sie hatten bereits versucht Funkkontakt aufzunehmen, allerdings keine Antwort bekommen. Und da sie keine Koordinaten hatten, hätte die einzige Alternative zum Warten darin bestanden den ganzen Planeten abzusuchen. Julia sah durch die Fenster in der Decke der Brücke auf den Planeten hinab und fragte die Söldnerin am Funkgerät: „Immer noch nichts?“ Die Frau, deren Gesicht von einer großen Narbe verunstaltet war, die Jules als Verletzung durch einen Granatsplitter einschätzte, schüttelte lediglich den Kopf und meinte: „Nichts. Entweder ist da unten niemand, oder die wollen nicht mit uns reden.“ Sie verzog das Gesicht. „Wie lange kann ein Mensch sich ruhig verhalten? Wir warten schon seit Stunden.“

    „Und trotzdem tippe ich auf letzteres“, meinte einer der anderen Söldner. Sie drehte sich zu dem Mann um, der seit fast einer Stunde konzentriert über einen Bildschirm gebeugt saß und kaum einen Laut von sich gegeben hatte. Mit einem ausladenden Schritt trat sie neben ihn und warf einen Blick auf den Monitor. Die Anzeige zeigte in einer Spalte auf der Linken Bildschirmseite eine Folge von Berechnungen, die recht kompliziert aussahen, denen sie jedoch keine weitere Beachtung schenkte. Für mathematische Fragen war früher Franzi Rust zuständig gewesen und Jules konnte nicht behaupten besonders viel von höherer Mathematik zu verstehen. Sehr viel aussagekräftiger war allerdings die graphische Darstellung neben den Formeln. Sie zeigte den Abschnitt des Planetenorbits, den sie überblicken konnten. Darin eingezeichnet waren mehrere Linien, die sie an Eintauchvektoren von Raumschiffen erinnerten.

    „Ist es das, wofür ich es halte?“ „Es sind Ionenspuren. Ich kann mindestens vier verschiedene identifizieren, aber es gibt noch einige mehr. Wie viele kann ich nicht sagen, dafür sind sie zu alt. Und die jüngste…“ – er gab ein kurzes Kommando ein, dass eine der Linien farblich hervorhob – „ist gerade mal 76 Stunden alt.“ „Sicher?“ „Ich hab das Alter mit einem Standardalgorithmus aus dem Auflösungsgrad berechnet. Das ist zwar nicht das genaueste Verfahren, aber genau genug für die meisten zivilen Schiffe.“ Und wo sind die runter gegangen?“ „Werden wir gleich wissen.“ Er drehte den Planeten in seiner Simulation zurück, so dass man sehen konnte über welcher Region die Schiffe gelandet waren. Es war eine große, bewaldete Senke, die immer wieder von kleinen Flüssen und zahlreichen Seen durchsetzt war. Jules lud eine Großaufnahme des Areals auf die Mittelkonsole der Brücke und warf einen Blick darauf. Dann deutete er auf einige Flecken, an denen der Wald lichter war. „Hier“, meinte er. „Das sieht mir nach Rodungen aus.“ „Felder?“ „Finden wir es raus.“ Sie manövrierten das Schiff über das Areal und setzten die optischen Sensoren ein. Tatsächlich lagen Felder unter ihnen. Bei maximaler Vergrößerung konnte man sogar die einzelnen Saatreihen des Getreides erkennen. „Okay“, sagte Jules schließlich, „wir gehen dort runter. Ich brauche ein Team an der Luke. Keine Helme, keine schweren Waffen. Ich will nicht wegen eines Missverständnisses über den Haufen geschossen werden.“

    Die Luft des Planeten schien Jules seltsam würzig. Die Bäume um sie herum, die zwar gewisse Ähnlichkeit mit irdischen hatten, deren Blattform sie aber so nicht kannte, schienen einen kräftigen Geruch abzusondern, der etwas an frischen Rindenmulch erinnerte. Auch schien es kein Gras zu geben. Die einzigen Gräser, die sie zu Gesicht bekam, waren die Getreidearten, die von den Kolonisten eingeführt worden waren. Der Waldboden und die wenigen Lichtungen waren stattdessen mit Farnen bewachsen. Während sie ihr Team – vier Mann und eine Frau – auf einen nahe gelegenen See zuführte, an dessen Ufern sie beim Landeanflug ein kleines Dorf entdeckt hatten, bemerkte sie zudem, dass es deutlich mehr Felder gab, als man aus dem Orbit erkennen konnte. Offenbar waren immer wieder Bäume auf die Äcker gepflanzt worden, um sie vor neugierigen Blicken zu verbergen. Auf halbem Wege zu den Häusern hörte sie schließlich ein Geräusch, dass sie aufhorchen ließ.

    Einer der Söldner wollte sofort zu seiner Waffe greifen, doch sie hielt ihn mit einer Geste zurück. Bis auf die Frau, die eine Waffe trug, die angeblich ein Schallgewehr war, das in den Ohren des Ziels schmerzende Tonfrequenzen abgab, hatten sie alle Lasergewehre und Nahkampfwaffen, die verdächtig an Goa’uld-Schmerzstöcke erinnerten, bekommen. Jules hatte allerdings befohlen die Waffen gehalftert, bzw. die Gewehre an Riemen um die Schultern zu tragen. Doch scheinbar war das Auftreten der Gruppe immer noch zu martialisch, denn nur einen Moment später krachte ein Schuss los. Die Kugel schlug nur einen halben Meter von Jules entfernt in einen Baum ein. Sofort schmissen sie sich hin. Sie widerstand jedoch dem Drang ihr Messer zu ziehen und rief: „Feuer einstellen!“ Zuerst durchzuckten noch einige weitere Schüsse den Wald, dann hörte es auf. Stattdessen vernahm sie Schritte, die näher kamen. Sie wollte sich wieder auf die Knie aufrichten, doch plötzlich sah sie in den Lauf einer 44.Magnum.

    Mehrere Männer und Frauen, ausnahmslos bewaffnet, waren aus dem Unterholz aufgetaucht und hatten das Team umstellt. Sie trugen großkalibrige Jagdgewehre, vereinzelt aber auch Pistolen und sogar eine alte AK-107. Jules sah sich zuerst vorsichtig um, erfasste die Position jedes einzelnen und hob dann langsam die Hände in einer Geste der Kapitulation. Dabei sprach sie – der Sicherheit halber auf Englisch – den Mann an, der sie bedrohte und den sie für den Anführer hielt. Er war der älteste. „You can lower your weapons. We have no hostile intentions.“ „Nice effort“, antwortete der Alte mit einem starken Akzent, den sie für australisch hielt. „Give me one reason not so shoot you, bastard.“ „How about that: I have a heavily armed ship and half a dozend fightercrafts onbord, but you are still alive and your settlement is still in one piece.“ Er starrte sie für einen Moment wütend an. Sie machte jedoch keine Anstalten dem Blick auszuweichen. Ein paar Augenblicke später fing er schließlich an zu blinzeln und schlug den Blick nieder. Dabei senkte er seine Waffe und sagte seinen Leuten dasselbe zu tun. Mit einigem Zögern folgten sie seinem Beispiel. Dann fragte er: „So, what do you want?“

    Zur selben Zeit auf einem nicht näher bekannten Planeten im Perseus-Arm:

    Zwei Tage waren vergangen, seit Dumuzi Sindar als Fürsprecher von Se’tak empfangen hatte. Seitdem war es um die Jaffa still geworden. Weder waren weitere Unterhändler geschickt worden, noch hatten sie versucht über ein Kommunikationsgerät mit ihm in Kontakt zu treten. Seine Späher hatten dem Systemlord allerdings berichtet, dass in der letzten Nacht immer wieder kleine Gruppen von Männern versucht hatten sich von der Streitmacht abzusetzen. Sie strebten südwärts, wo alte Brunnen in halb vertrockneten Oasen lockten. Auf einige der Gruppen war jedoch geschossen worden und andere waren wiederum wieder eingefangen und ins Lager zurück gebracht worden. Der Kriegsherr begann die Kontrolle über seine Armee zu verlieren und versuchte sie mit eiserner Faust zusammen zu halten. Aber jeder Mann, der zu flüchten versuchte, setzte ihn mehr und mehr unter Zugzwang.

    Zudem ließ Dumuzi die Situation nicht ungenutzt verstreichen. In der größten Mittagshitze des zweiten Tages tauchten einige seiner Männer auf einem der staubigen Hügel vor dem Lager ihrer Gegner auf. Zuerst waren die Soldaten in ihren Wüstenmänteln kaum auszumachen. Erst als die Staubverwehungen hinter ihnen abflauten und ihre Silhouetten sich deutlich vor dem stahlblauen Horizont abzeichneten, entdeckten die Jaffakrieger sie. Aufgeregt liefen einige von ihnen zusammen und stellten sich zu einer losen Verteidigungslinie auf. Doch die Soldaten schienen nicht daran interessiert einen Kampf zu beginnen.

    Statt dessen standen sie in der flirrenden Hitze nur da wie Trugbilder, die Stabwaffen an die Schulter gelehnt oder neben sich in den Boden gestützt und sahen auf die von der Sonne verbrannten Jaffa hinab. Se’tak hatte zu keinem Zeitpunkt vorgehabt seine Männer lange auf dieser Welt zu belassen und das Sammelgebiet hatte in den fruchtbaren Tälern eines großen Flusslaufes gelegen, so dass kaum jemand von ihnen passende Kleidung dabei gehabt hatte. Einigen hatte die Sonne derart zugesetzt, dass ihre Haut Blasen zu werfen begonnen hatte und sich ablöste, andere waren unter der Hitze schon mehrmals zusammen gebrochen. Hinzu kam die jeden Tag wiederkehrende Monotonie, seit sie in diese Wüste ausgewichen waren. Dieser Moment, in dem der Feind sich endlich blicken ließ, verhieß ihnen eine Ablenkung vom ständigen Trott, vielleicht sogar die finale Auseinandersetzung. Doch als die Soldaten schließlich unter ihre Mäntel oder an ihre Gürtel griffen, zogen sie nur ihre Wasserschläuche hervor. Dann ließen sie das kostbare Nass vor den Augen ihrer halb verdursteten Gegner in den Staub laufen. Als die letzten Tropfen zu Boden fielen, wandten sie sich ab und verschwanden wieder, während sich unter den Jaffa mehr und mehr die Verzweiflung breit machte.

    Im wilden Raum bei Jules:

    Was sie bei der Landung für ein paar Hütten am Rand des Sees gehalten hatten entpuppte sich beim näher Kommen als nicht einmal kleines Dorf. Die Häuser waren aus Holz und grobem Bruchstein erbaut und um eine Art Gemeindehaus herum errichtet. Alles war simpel gehalten. Wären nicht die deutlich moderner anmutende Kleidung der Kolonisten und die beiden mit improvisierten Tarnnetzen versteckten Raumschiffe am Rand der Siedlung gewesen hätte man sich direkt in ein vergangenes Jahrhundert versetzt fühlen können.

    Die Bewaffneten hatten Jules und ihre Begleiter unter den staunenden Augen der anderen Kolonisten ins Gemeindezentrum gebracht, wo man ihnen im Gemeindesaal einige um einen Tisch platzierten Stühle angeboten hatte. Danach waren sie bis auf zwei, die sich auf dem Flur vor der Tür aufstellten, alle gegangen. Jules hatte sich auf ihrem Stuhl zurückgelehnt und harrte der Dinge, die da kamen. Man hatte sie zwar nicht besonders warmherzig, nachdem ein Späher bestätigt hatte, wie schwer die am Schiff zurück gebliebenen bewaffnet waren aber zumindest aber höflich behandelt. Nachdem man sie fast eine halbe Stunde hatte warten lassen erschienen schließlich einige Männer und Frauen, an deren Auftreten man ablesen konnte, dass sie die Anführer der Kolonie sein mussten. Auch der Alte, der sie im Wald aufgegriffen hatte, war darunter. Sie setzten sich mit an den Tisch, so dass beide Gruppen einander gegenüber saßen.

    Der Alte wandte sich direkt an Jules und meinte: „This is the council of our colony.“ Nach und nach stellte er die Leute vor. Es schienen zwei Bauern, ein Jäger, ein Schlosser – Jules kam angesichts der Atmosphäre im Dorf zuerst das Wort Schmied in den Sinn – und der Arzt der Siedlung zu sein. Der Arzt wandte anschließend in gebrochenem, aber grammatisch sauberem Deutsch an sie: „Wir haben aus ihrem Akzent geschlossen, dass sie Deutsche sind. Ich bin der Sprache des Goethevolkes mächtig und werde deshalb für meine Freunde sprechen.“ Sie nickte. „Sehr angenehm, danke. Ich fürchte, dass mein Englisch für dieses Gespräch nicht ganz gereicht hätte.“ Er quittierte diese Worte mit einem angedeuteten, sehr ernst wirkenden Nicken und meinte: „Erklären sie uns bitte, wer sie sind und was sie von uns wollen.“

    „Mein Name…“ Sie überlegte kurz, ob sie sich offen zu erkennen geben sollte. Dann entschied sie jedoch, dass diese Leute sowieso kein Interesse daran haben konnten sie wegen irgendetwas belangen zu wollen, dass bald zwanzig Jahre zurück lag. „Mein Name ist Julia Thora.“ Bei der Erwähnung ihres Namens begannen ihre Gesprächspartner teils überrascht, teils einfach nur ungläubig wirkend miteinander zu tuscheln. Nachdem zwei von ihnen dem Arzt etwas zugeraunt hatten, sagte dieser: „Sie beanspruchen einen berühmten Namen für sich. Aber es ist allgemein bekannt, dass Julia Thora vor siebzehn Jahren gestorben ist.“ Sie breitete die Arme aus. „Und trotzdem sitze ich vor ihnen. Es ist eine lange Geschichte, aber ich bin es. Nehmen sie ein altes Bild von mir und sie werden merken, dass ich mich seitdem nicht einmal wirklich verändert habe. Und wenn sie es mir nicht glauben wollen kann ich sowieso nicht viel tun, um es zu beweisen, da sie nichts überprüfen könnten. Deshalb sollten wir diese Frage vielleicht außen vor lassen und darüber sprechen, warum ich hier bin.“

    Der Arzt besprach sich kurz im Flüsterton mit seinen Leuten, dann antwortete er: „Also gut. Nehmen wir an, dass sie die sind, für die sie sich ausgeben. Was wollen sie von uns?“ „Ich leite eine Kolonie knapp drei Tage Flugzeit von hier entfernt. Wir hatten vor ungefähr fünf Tagen Besuch durch einen Späher, der uns auskundschaften wollte. Als wir ihn abgefangen haben, hat er das Feuer eröffnet. Wir konnten ihn zerstören, aber schon dieses eine Schiff hat uns einige Mühe bereitet.“ Sie dachte kurz über ihre weitere Wortwahl nach, dann fuhr sie fort: „Ich war in den letzten siebzehn Jahren, vorsichtig ausgedrückt, etwas indisponiert und habe viele Entwicklungen verpasst, aber ich kenne die Kosten für den Betrieb eines Raumschiffes. Insbesondere eines Schiffes, das mit militärischen Waffen ausgerüstet ist, wie der Späher, der uns angegriffen hat. Was da nach uns gesucht hat war kein kleiner Gelegenheitspirat. Er braucht zusätzlich zu dem Späher noch ein zweites Schiff für eigentliche Überfälle und allein die Tatsache, dass der Späher nicht geflüchtet ist, als wir Widerstand geleistet haben, zeigt, dass diese Jungs genug Material haben, um sich Verluste erlauben zu können. Außerdem haben sie nicht auf unsere Funksprüche geantwortet und ihre Kolonie ist ziemlich gut getarnt. Wir brauchten eine hochauflösende Spionagekamera, um sie zu finden. Daraus schließe ich einfach mal, dass solche Überfälle in dieser Gegend ein größeres Problem sind.“

    Der Arzt schwieg und verharrte für einen Moment absolut regungslos. Mit seinen dunklen Augen und seiner scharfen Hakennase wirkte er dabei wie eine Eule, die nach Beute spähte. Im Stillen gab sie ihm bei diesem Anblick den Namen Eulenkopf. Schließlich nickte er einfach nur wortlos und wartete erneut einige Augenblicke, bevor er weiter sprach. Er atmete einmal tief durch, befeuchtete sich die Lippen, wobei er leise schmatzte und antwortete: „Ja, dass sind sie. Und vor diesem Hintergrund verzeihen sie mir hoffentlich, wenn ich ihnen nicht mit der Offenheit begegne, die sie sich vielleicht erhoffen. Immerhin sind sie und ihre Leute praktisch nicht von den Angreifern zu unterscheiden.“ „Wie meinen?“ „Sie tragen die gleichen Rüstungen, die gleichen Waffen. Ihre Begleiterin hat sogar ein Betäubungsgewehr, wie es normalerweise von Menschenhändlern benutzt wird. Dazu ihr Schiff… Alles wirkt jenen Freischärlern, die uns angreifen, sehr ähnlich.“

    Jules runzelte die Stirn und sah zu der Söldnerin, die neben ihr saß. Im Team war sie direkt nach ihr die ranghöchste gewesen und machte zudem den Eindruck schon sehr lange dabei zu sein. Diese fragte: „Wie viele Leute haben ihre Angreifer?“ Eulenkopf dachte kurz nach, wobei er die Frau aus dem Augenwinkel musterte. „Wir haben sie nie wirklich gezählt. Aber sie haben einmal vier Kolonien gleichzeitig angegriffen, jede mit mindestens vier Schiffen und über achtzig Mann.“ „Und sie sollen alle aussehen, wie wir?“ „Ausnahmslos.“ Die Söldnerin schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein. Keine so große Einheit hat den Krieg überlebt.“ Jules sah sie eindringlich an und sagte: „So, jetzt mal Klartext: Wir reden von Ganymedes, nicht wahr?“

    Die Frau nickte. „Wir – alle Soldaten, die für ihren Mann arbeiten – waren vorher bei der Konzernarmee. Naumer hat zum Beispiel drei Jahre auf dem Mond gedient. Ich selbst zweieinhalb. Im Krieg sind wir nach zwei Wochen zu einer Langstrecken-Raketenbatterie auf Kallisto versetzt worden. So sind wir der Gegenoffensive der Blauhelme entgangen. Aber die UN war nach ihrem Sieg sehr gründlich. Sie haben den Mond komplett demilitarisiert und ihre überlebenden Gegner in Hochsicherheitsgefängnisse auf dem Mars verfrachtet. Nur ein paar kleine Einheiten in Zugstärke, wie wir, sind entkommen.“ Jules erhob sich und sah die Söldner sehr finster an. „Sie haben also für diese Sklaventreiber gearbeitet? Was haben sie alles für die gemacht? Die Zwangsarbeit beaufsichtigt? Arbeitsunwillige zusammengeschlagen? Exekutionen ausgeführt?“ „Ja, verdammt ja“, sagte die Frau mit angespannt klingender Stimme, wobei sie abwehrend die Hände hob, zugleich aber Jules Blick auswich. „Die meisten von uns sind ja selbst nicht stolz drauf.“

    Sie schwieg für einen Moment, dann meinte sie in einem trotzigen Tonfall, wie Kinder ihn manchmal an den Tag legten, wenn sie sich zu unrecht gescholten fühlten: „Aber machen sie sich verdammt noch mal klar, was uns dazu getrieben hat. Gegen die Goa’uld und die Ori haben sie uns noch gebraucht. Sie haben uns in die Armeen geholt, Waffen gegeben und zum Töten ausgebildet. Und dann, als der Krieg vorbei war, haben sie uns auf die Straße gesetzt. Alle, die ihnen nicht gebildet genug waren. Politisch zu radikal. Zu undiszipliniert. Im Krieg waren wir verantwortlich für Ausrüstung im Wert von mehreren Millionen Euro und danach gab man uns nicht mal einen Job als Nachtwächter. Und dann kommt auf einmal jemand, der heruntergekommenen Kriegsveteranen unanständig viel Geld für einen Job auf einem Jupitermond bietet für den man nur mit einem Gewehr umgehen und das Maul halten können muss.“ Sie sah wieder zu ihrer Anführerin auf. Ihr stand dabei eine Träne im rechten Augenwinkel, die Jules durchaus für echt hielt. „Was ich dort getan habe verfolgt mich nachts noch im Traum. Aber Ganymed war die dunkle Tiefe, die jedes dreckige Söldnerschwein des Sonnensystems verschlungen hat. Und einige von uns sind mit einem Hurra hinein gesprungen.“

    „Das ist ja alles schön und gut“, meldete Eulenkopf sich plötzlich wieder zu Worte, „aber es hilft uns nicht weiter. Das einzige, was sie mit ihrem tränenreichen Geständnis hier erreichen ist, dass wir ihnen noch weniger vertrauen. Also geben sie uns einen Grund ihre absonderliche Geschichte zu glauben.“ Jules seufzte und drehte sich wieder zu ihm um. Sie zog einen Zettel und einen Stift aus einer Gürteltasche der Rüstung und kritzelte ihm eine Zahlenkolonne auf, die sie vor ihrem Abflug von der Erde auswendig gelernt hatte: Die Koordinaten von Yi Shinkyō. „Sie haben dort draußen doch zwei Schiffe stehen. Schicken sie jemanden zu diesen Koordinaten. Er wird dort eine Kolonie von dreihunderttausend Japanern vorfinden, die unsere Geschichte bestätigen können.“ Ein zufriedenes Schmunzeln stahl sich auf das Gesicht des Arztes, während er den Zettel mit seinen knochigen Fingern ergriff und in seiner Hand verschwinden ließ. Es schien ihm unwahrscheinlich, dass jemand so einen Bluff wagen würde. Er sah ihr – wieder ohne den Kopf zu bewegen – in die Augen und meinte: „Also gut. Warum wenden sie sich in der Angelegenheit dieser Angriffe an uns?“ „Weil ich darauf hoffe, dass sie sich diese Überfälle nicht einfach gefallen lassen, sondern sich wehren. Und in diesem Fall wollen wir unsere Unterstützung offerieren. Schließlich haben wir ein ziemlich gut bewaffnetes Schiff.“

    Eulenkopf beugte sich kurz nach links, dann nach rechts und beriet sich dabei kurz mit seinen Beisitzern. Danach sagte er: „Wir versuchen tatsächlich uns zu verteidigen. Allerdings können wir nur für uns selbst sprechen. Es gibt noch einige andere Kolonien in diesem Raumbereich, mit denen wir uns zu koordinieren versuchen. Und ich kann nicht sagen, was die daz…“ Er wurde im Satz unterbrochen, als die Tür aufflog und ein gehetzt wirkender junger Mann herein trat. Er ging sofort zu dem alten Jäger, jenem Mann, den Jules im Wald getroffen hatte und der für die Verteidigung der Kolonie verantwortlich schien, und redete auf ihn ein. Nachdem sie einige Sätze gewechselt hatten, signalisierte der Alte seinen beiden Leuten im Flur ihm zu folgen und drehte sich zu Jules und den Söldnern um. „If you wan’t to help us, this is your chance. Nazareth is under attack.“

    Jules rief die ‚Argo’ sofort zur Kolonie, um sie und das Team abzuholen. Der Träger flog mit höchstmöglichem Tempo an und ging über dem Seeufer in Stellung, wo ein Söldner mehrere Seile aus dem Hangar herabließ, an denen sie an Bord gezogen werden konnten. Gleichzeitig machte eines der beiden Raumschiffe der Kolonie sich startbereit. Während beide Schiffe die Atmosphäre verließen, übermittelten die Kolonisten der ‚Argo’ die Koordinaten der Kolonie Nazaret. Ein Notruf von dort sprach von drei Schiffen, die in den Orbit eingetreten waren und die auch schon bei Angriffen auf mehrere andere Kolonien gesichtet worden waren.

    Nach ungefähr halbstündigem Flug mit maximaler Geschwindigkeit trafen sie am Rand des Sonnensystems auf drei andere Schiffe. Alles waren kleine Frachter oder Kurierschiffe, wie jenes, mit dem zusammen sie gekommen waren, doch zwei davon schienen immerhin bewaffnet. Das eine, ein umgebauter alliierter Nahdistanzkurier, der schon deutlich bessere Tage gesehen hatte, war mit provisorisch montierten Raketenwerfern am Bug ausgestattet, das andere, eine SachlebenTechnologies ‚Firefly’, die mit der ausgedienten Railgun einer Korvette, die höchstwahrscheinlich schon in den Goa’uld-Kriegen Dienst getan hatte, bestückt worden war. Der Kapitän des letztgenannten Schiffes übernahm wie selbstverständlich den Befehl über die Gruppe. Er schien schon bei früheren Einsetzen dieser Art das Kommando geführt zu haben. Bevor sie den letzten Sprung zum Ziel ausführten, funkte der Jules noch einmal an. Die Bildübertragung, die dabei übermittelt wurde, zeigte ihn als hochgewachsenen und stämmigen Mann mit einem mächtigen Vollbart.

    „Miss Thora, wie mir gesagt wurde“, begann er die Konversation. Seine Stimme wurde dabei zwar von den Lautsprechern auf Deutsch wieder gegeben, doch das System zeigte an, dass es sich dabei um eine Übersetzung durch die KI handelte und er eigentlich Gälisch sprach. „Ganz richtig, ja.“ „Gut. Mir ist egal, ob sie wirklich sind, wer sie zu sein vorgeben. Das einzig Wichtige ist, dass Graham meinte sie seien auf unserer Seite und dass sie einiges an Feuerkraft mitbringen. Setzen sie sie ein und nageln sie die Bastarde am Boden fest. Dann sehen wir zu, dass wir die Gefangenen rausholen.“ Sie nickte. „Wie kann die Kolonie sich selbst verteidigen?“ „Gar nicht.“ „Wie meinen sie das?“ „Nazareth ist eine Kolonie von Mennoniten. Die halten auch rechte Wange hin, selbst wenn sie jemand in lebenslange Sklaverei abführen will.“ „Also sind es wirklich Sklavenjäger?“ „Definitiv. Die greifen keine Kolonien an, nur weil es ein paar landwirtschaftliche Maschinen und etwas Saatgut zu holen gäbe.“ „Dann los. Hauen wir sie raus.

    Sie beendeten das Gespräch und der ungleiche Verband ging in den letzten Sprung Richtung Nazareth. Als sie den Planetenorbit erreichten, stand dort nur ein einziges Schiff. Allerdings registrierten die Sensoren zwei frische Ionenspuren, die in die Atmosphäre führten. Die ‚Argo’ startete sofort ihre Mercurys und schoss danach eine Landekapsel, eigentlich eine wieder verwertbare Rettungskapsel, in der Jules mit einem von Naumer geführten Team saß, in die Atmosphäre. Nachdem sie gestartet waren, konnte man für einen Moment aus einem Fenster in der Kapsel das Schiff sehen, das die Sklavenjäger noch im Orbit stehen hatten. „Das ist ein ‚Apollo’“, sagte einer der Söldner mit einem Blick auf das Schiff. Naumer warf daraufhin ebenfalls einen Blick aus dem Fenster und ließ sich dann mit einem Fluch wieder zurück auf seinen Sitz fallen. Gerade noch rechtzeitig, denn nur wenige Sekunden später begann die Anziehungskraft des Planeten spürbar auf sie zu wirken. „Was ist los?“, fragte Jules noch. „Nichts… Bloß Erinnerungen.“

    Etwas später schlugen sie unweit der Siedlung der Mennoniten auf der Oberfläche des Planeten auf. Als Jules die Kapsel verließ, konnte sie sehen, wie die Schiffe der Kolonisten um das Dorf herum landeten. Nach dem, was ihr gesagt worden war, hatten sie vor zu Fuß die Umgebung zu durchkämmen und die gelandeten Schiffe anzugreifen, um ihnen gar nicht erst die Gelegenheit zu geben Sklaven einzuladen. Ihre eigene Gruppe war keine zwei Kilometer südlich der Landestelle eines der Angreifer nieder gegangen. Sie ließ einmal schnell den Blick schweifen, erfasste die Umgebung, dann befahl sie: „Ausschwärmen und zum Ziel vorrücken. Wir nehmen sie aus mehreren Richtungen in die Zange.“ Die Söldner bestätigten den Befehl mit knappen Worten und liefen dann los. Jules selbst lief mit Naumer zusammen auf direktem Weg auf das Ziel zu. Sie folgten einem steinigen Bachlauf, in dem sie schnell vorankamen. Als sie knapp die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten tauchten jedoch plötzlich mehrere bewaffnete Gestalten aus dem Unterholz auf.

    Sie trugen dieselben mit Metallplatten besetzten Aramidrüstungen und Laserwaffen der Konzerntruppen, wie auch Jules und ihre Leute. Auf der rechten Schulter jedoch hatte jeder von ihnen ein Schulterstück mit einem schwarzen Einheitsabzeichen darauf. „Halt“, brüllte ihr Anführer. „Stehen bleiben. Identifizieren sie sich.“ Jules wollte sofort auf sie schießen, doch bevor sie ihr Gewehr in Anschlag genommen hatte, trat Naumer vor. „Leutnant Armin Naumer, Charlie-Kompanie, viertes Bataillon. Nicht schießen, verdammt.“ Bei diesen Worten riss er sich den Helm vom Kopf. Jules hätte mit vielem gerechnet, aber nicht mit der Reaktion, die der Anführer der Sklavenjäger darauf zeigte. Er senkte langsam seine Waffe und sagte zuerst etwas ungläubig: „Naumer…“ Dann ging er mit freudigen Schritten auf den anderen Mann zu. „Mensch, was machst du hier?“ Die beiden umarmten sich wie Brüder. Dabei murmelte Jules Begleiter: „Meinen Lebensunterhalt verdienen.“ „In wessen Auftrag? Uns ist keine zweite Einheit angekündigt.“

    Naumer sah zu Jules hinüber. Ihr wütender Blick entging ihm dabei keine Sekunde lang. „Gideon von Sachleben.“ „Hm? Ich dachte der operiert hier nicht so offen.“ „Tja, miserabler Informationsfluss. Ich hatte auch keine Ahnung, dass du hier sein würdest, Pavel.“ Der undefinierbare Ausdruck in Naumers Augen hätte den Sklavenjäger in diesem Moment wahrscheinlich misstrauisch werden lassen müssen. Jules konnte nur ahnen mit welchen inneren Dämonen der Söldner in diesem Moment rang, doch plötzlich zog er seine Pistole und erschoss jenen Pavel aus kürzester Distanz. Nur einen Lidschlag später hatte er einen Ausfallschritt gemacht, sich den leblosen Körper gegriffen und dessen Gewehr auf seine Begleiter gerichtet. Bevor die auch nur realisiert hatten, was gerade passiert war, hatte er den Abzug durchgezogen. Der erste Söldner brach tot zusammen, bevor er auch nur seine Waffe hatte heben können.

    Jules reagierte einen Sekundenbruchteil schneller, als die anderen. Sie richtete das Gewehr auf den ersten und erschoss ihn. Dann jagte sie praktisch gleichzeitig mit Naumer dem zweiten einen Schuss in den Leib. Als der letzte von ihnen zusammenbrach, knickte Naumer in den Knien ein und sank im Bett des Baches zusammen. Den toten Körper des anderen Mannes ließ er dabei nicht los. Leise flüsterte er: „Wir hatten es geschworen, Pavel.“ „Was zur Hölle war das gerade eben?“, wollte sie wissen. Doch er sah nur mit einer kalten Wut in den Augen zu ihr auf und herrschte sie an: „Fragen sie verdammt noch mal nicht. Fragen sie niemals.“ Mit diesen Worten sprang er auf, setzte sich seinen Helm wieder auf und lief weiter. Jules sah ihm einen Augenblick lang zögerlich nach, dann sammelte sie die schwere Waffe eines der toten auf und schloss wieder zu ihm auf.

    Als sie die Landestelle erreichten waren gerade einige andere Sklavenjäger dabei Gruppen von Mennoniten zusammen zu treiben. Als einige der Täufer sich weigerten das Schiff zu betreten, zogen sie Schmerzstöcke und malträtierten sie so lange, bis sie zu Boden gingen. Dann zog einer von ihnen ein metallisches Objekt aus dem Tornister und presste es dem Opfer gegen den Kopf. Ein gedämpfter Knall wie bei einem aufgesetzten Bolzenschussgerät war zu hören und der am Boden liegende Mann schrie laut auf. „Ein Kontrollimplantat“, raunte Naumer Jules zu. Dabei sah er sich um und meinte: „Wir müssen auf die anderen warten.“ Doch sie hörte ihm kaum noch zu. Als sie sah, wie dem Mann Blut den Kopf hinunter lief und er vor Schmerzen wimmerte, während sein Peiniger wieder zum Schmerzstock griff, um die anderen anzutreiben, kochte eine brennende Wut in ihr auf, wie sie sie seit dem Sieg über die Goa’uld vergessen glaubte. Ihre Hände verkrampften sich um das Schnellfeuergewehr, das sie hielt, und schienen doch vor mühsam unterdrückter Wut zu zittern. Als der Sklavenjäger seinen Schmerzstock in den nächsten Mennoniten rammte, stand sie auf und lief los.

    Zuerst schienen die Jäger zu denken, dass eine von ihnen zurückkam, doch als sie im vollen Lauf die Waffe an die Schulter nahm und abdrückte, erkannten sie ihren Fehler. Nicht dass es ihnen viel genutzt hätte. Die ersten beiden wurden von einer gut gezielten Salve niedergemäht. Die anderen versuchten in Deckung zu gehen, wobei einige die Gefangenen als lebenden Schild zwischen sich und ihre Angreiferin stellten. Nutzen tat es ihnen freilich nichts. Sie hielt zwei mit Dauerfeuer nieder, während Naumer einen dritten mit einem gezielten Schuss aus seiner Position heraus niederstreckte. Die beiden verbliebenen Männer wollten auf Jules anlegen, doch bevor sie schießen konnten, schlug ihnen konzentriertes Feuer zweier von Jules Leuten entgegen. Dann hatte sie die beiden erreicht, die am Einstieg des Schiffes Deckung gesucht hatten. Anstatt auf sie zu schießen rammte sie dem ersten die Waffe mit solcher Gewalt gegen den Hals, dass sein Genick brach und ließ sie dann fallen. Dabei zog sie ihre beiden Kampfmesser und ging auf den zweiten los. Sie fiel gegen ihn und sie stürzten beide zu Boden. Er landete zuerst auf ihr drauf und versuchte ihre Hände festzuhalten, doch sie schlang ihr rechtes Bein um eines von seinen, drückte sich mit dem linken ab und wälzte sie beide so herum. Als sie oben lag, gelang es ihr eines ihrer Messer frei zu bekommen. Drei schnelle Stiche bereiteten dem Kampf ein Ende.

    Im Perseus-Arm:

    Mitternacht war schon vorbei und in der Ferne zauberte die aufziehende Dämmerung bereits einen roten Streifen an den Horizont, als Dumuzis Späher die Meldung brachten, dass das Heer der Jaffa ausgerückt war. Se’tak suchte in einem letzten verzweifelten Aufbäumen die Schlacht. Er führte seine Männer in Richtung des Doppelgipfels, an dessen Fuß Dumuzi sein Lager aufgeschlagen hatte und aus dem die einzigen sauberen Quellen der Gegend entsprangen, die genug Wasser führten, um Armeen jener Größen versorgen zu können, die hier aufeinander prallten. Als er vom Vormarsch seines Gegners hörte ließ Dumuzi seine Leute ausrücken und Stellungen zwischen den Gipfeln besetzen. Dabei schickte er auch starke Kontingente auf die Hügel. Als die Jaffa sie schließlich erreichten, waren viele von ihnen in Folge von Dehydration kaum noch in der Lage zu kämpfen. Hunderte waren schon auf dem Weg auf der Strecke geblieben. Der Kampf wurde so kurz und einseitig. Dumuzis Männer waren besser koordiniert, ausgeruht und hatten den Geländevorteil. Als alles vorbei war lag der vormals mächtigste unter den Kriegsherren der Jaffa tot im Staub.

    Im wilden Raum:

    Nachdem Jules und ihre Leute die eine Landestelle gesichert hatten war der Kampf recht schnell vorbei gewesen. Die Kolonisten hatten das zweite Schiff zwar nicht stürmen können, waren jedoch in der Lage gewesen bis auf sechs Leute, die bereits an Bord gewesen waren, alle Mennoniten zu retten. Gleichzeitig hatte die ‚Argo’ im Orbit das Kanonenboot aufgebracht, das zwar für die kleinen Frachter der Kolonisten einen schier unüberwindlichen Gegner darstellte, den sechs Kampffliegern des Trägers jedoch nicht gewachsen war. Nach dem Kampf und nachdem sie die Computer gefilzt hatten hatte Jules für sich sein wollen. Sie hatte die anderen Kolonisten mit der Entschuldigung man müsse sich erst um die Opfer des Angriffs kümmern vertröstet und sich dann auf die ‚Argo’ verkrümelt. Sie hatte zuerst angenommen, dass die Besatzung versuchen würde der Enge des Schiffes zu entfliehen und sich auf dem Planeten aufhalten würde. Doch als sie sich in ihr Quartier zurückziehen wollte, sah sie Naumer am Tisch in der Messe sitzen, vor sich eine Flasche Schnaps. Er schien die Erinnerung im Alkohol ertränken zu wollen. Also gab sie sich einen Ruck und setzte sich zu ihm.

    Sie schwiegen einander zuerst beharrlich an. Es dauerte mehrere Minuten, bis sie schließlich sagte: „Dort unten… Wie diese Bastarde die Kolonisten behandelt haben… Als seien sie Vieh. Ich wollte sie dafür einfach nur noch bluten sehen.“ Ein kurzer Moment des Schweigens. „Oh man, wenn ich daran denke, was mein Seelenklempner mir dazu sagen würde. Er glaubte mir die blutrünstige Psychopathin endlich ausgetrieben zu haben. Am ende unserer letzten Therapiesitzung hat er mir verraten, dass er für kurze Zeit geglaubt hatte er könne mir nur noch mit einem Exorzisten beikommen. Vielleicht sollte ich das wirklich in Erwägung ziehen.“ Für einen Moment sah es so aus, als ignoriere er ihre Worte, doch dann begann er eher widerwillig zu lachen. „Wer weis. Vielleicht bringt es ja was.“ Sie nickte mit einem schwachen lächeln auf dem Gesicht. Dann meinte sie: „Nein, jetzt ohne Flachs: Die Goa’uld waren bequeme Gegner. Sie waren Außenstehende und ich konnte sie hassen. Aber diese Leute… Die Erinnerung an das dort unten ist wie Hundescheiße, die einem am Stiefel klebt. Sie stinkt, man wird sie nicht los, egal wie viel man kratzt und man fühlt sich ihretwegen dreckig. Sicher, es ist gerade erst passiert, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das hier eine Sache ist, mit der man nicht abschließen kann. Es waren schließlich Menschen und keine Schlangen. Ich finde sie nur abstoßend.“

    Er nickte. „Es ist das richtige Wort. Aber irgendwie wird es der Sache nicht gerecht.“ Er dachte kurz nach. Dabei schien er unhörbare Worte vor sich hin zu murmeln. Dann sagte er: „Der Offizier am Bach hieß Pavel Nevskij. Wir haben Ganymed gemeinsam auf Kalipso überlebt. Als alles vorbei war hatten wir einander auf eine Regel eingeschworen: Keine Frauen, keine Kinder, keine Alten. Wir wollten uns so etwas wie unsere Seele bewahren.“ Er nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. „Ich war im Goa’uld-Krieg in der Schlussoffensive dabei. Einer der dummen Jungen, die sich für die Bundeswehr gemeldet hatten. Als sie uns auf die Straße gesetzt hatten, fühlte ich mich betrogen. Sie haben uns nur kurz zurückgeholt, als es gegen die Ori ging, aber danach haben sie uns wieder fallen lassen. Als ich nach Ganymed gegangen bin glaubte ich schließlich der einzige Grund, den man zum Töten bräuchte, sei etwas Kleingeld auf die Hand.“ Er sah sie mit müde wirkendem Blick an. „Ich wusste nicht, was uns hier erwarten würde, aber ich hatte Befehl dafür zu sorgen, dass sie bei der Kolonie bleiben. Ich sollte sie beschützen und ich wurde verdammt gut dafür bezahlt. Aber es braucht wohl doch mehr. Alles andere stellt mich auf eine Stufe mit Pavel. Und das letzte, worauf ich stolz sein konnte, war nie einen Eid gebrochen zu haben.“

    Jules schwieg einen Moment. Dann meinte sie: „Danke, dass sie es mir erzählt haben.“ Er nickte. „Aber es ist noch nicht vorbei. Achmed hat sich die Computer des Kanonenboots angesehen. Es gibt noch mindestens sieben andere Geschwader wie dieses. Wenn die alle ähnlich viele Einsätze hinter sich haben, wie diese Gruppe, können sie mehr als vierzig Kolonien komplett leergefegt haben.“ „Bei durchschnittlichen zehntausend Leuten pro Kolonialwelt…“ „Genau. Die Sache ist viel zu groß für ein paar kleine Piraten. Ich habe für mich nur eine Erklärung.“ Der unausgesprochene Gedanke, den sie teilten, hing für einen Moment in der Luft, bis sie ihn aussprach: „Ein neuer Sklavenmond.“ Er nickte. „Wissen wir mehr darüber?“ „Nein. Alles was wir haben ist ihr Umschlagplatz.“ „Und wo?“ „Aller Nachschub für die Operation geht über Kyoto.“ „Dann steht unser nächstes Ziel fest.“
    Die Freiheit des Bürgers heißt Verantwortung.

    (Joachim Gauck)


    "You may belong to any religion[...] - that has nothing to do with the buisness of the state. We are starting with this fundamental principle, that we are all citizens and equal members of one state." (Sir Mohammed Ali Jinnah)

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