Ist mal wieder etwas länger geworden (18 Seiten). Ich muss mich bemühen das nicht zur Gewohnheit werden zu lassen. Ansonsten hoffe ich, dass ihr Spaß beim Lesen habt. Dieses Mal wird auch das Geheimnis um Jules Schicksal gelüftet.
Episode 5: Die freie Armee
Bei jedem Schritt, den sie auf den ausgetrockneten Schotterstraßen durch den Wald machten, knirschte der sandige Boden ihren Füßen und sie wirbelten feinen Staub auf, der sich fast einen Meter hoch in die Luft erhob, um dann wieder zu Boden zu sinken. Fast achttausend Soldaten marschierten im Schatten der gewaltigen Eichen und Birken in scharfem Tempo durch den Wald, immer der im Osten untergehenden Sonne entgegen. Die Sonne stand bereits tief und ein kalter Boreas ließ sie frösteln, so dass die meisten ihre schweren braunen Mäntel bis oben zugeknöpft und die schwarzen Stehkragen aufgerichtet hatten. Sie marschierten nun schon seit mehr als zwei Tagen ohne nennenswerte Pause, angetrieben von ihrem Offizier, der möglichst zügig die Frontstädte erreichen wollte. Sie wurden an den Rand der Straße gedrängt, als ein kleines Regiment Dragoner im scharfen Trab an ihnen vorbei ritt. Ihre stämmigen kleinen Pferde waren sehr ausdauernd und erlaubten es ihnen die Strecke sehr viel schneller zurück zu legen, als die Infanterie, die sich mit der mitgeführten Artillerie abmühte, deren Zugmaschinen immer wieder liegen blieben, so dass sie die fast acht Tonnen schweren Haubitzen immer wieder mit reiner Körperkraft vorwärts schieben mussten.
An der Spitze des Heereszuges marschierte der Mann, der die Truppe derart antrieb. Er trug am Kragen seines Mantels die roten Abzeichen eines Leutnants. Sein wettergegerbtes Gesicht kaschierte seine Jugend und ein Blick in seine Augen zeigte, dass er in seinem Leben schon sehr viel mehr gesehen hatte, als die Seele eines Menschen es eigentlich verkraften konnte. Ein unangenehmer Druckschmerz in der rechten Schulter ließ ihn sein Gewehr auf die linke Schulter nehmen und mit der freien Hand die schmerzende Stelle ein wenig massieren. Dabei sah er zu den hünenhaften Gestalten hinüber, die mit ihm zusammen die Spitze des Zuges bildeten. Auch sie steckten in langen Mänteln, die jedoch von bescher Farbe waren. Zudem trugen sie schwere metallische Panzerplatten, die an einen Kavalleriekürass erinnerten und Brüst, Rücken und Schultern schützten, einen schweren Stahlhelm und Atemmasken, die ihr gesamtes Gesicht bedeckten und über einen Schlauch mit dem Luftaufbereiter auf ihrem Rücken verbunden waren.
Doch sie zeigten nur noch einen schwachen Abglanz des imposanten Anblicks, den ihresgleichen in diesen Rüstungen wohl einmal geboten haben mochte. Ihre Mäntel waren abgewetzt, selbst das Innenfutter. Das Metall der Rüstungen war von einer rostigen Patina bedeckt und man konnte nur noch an wenigen Stellen metallischen Glanz erahnen. Und auch die Aufbereiter und Gewehre waren so oft repariert worden, dass der alte Zierrat, der daran einmal gehaftet hatte, nicht mehr zu sehen war. Nur ihr Anführer trug als Schmuck eine grüne Schärpe, die seinen Rang anzeigte. Aber trotz des abgerissenen Eindrucks, den sie vermittelten, war er froh sie bei sich zu wissen. Mit einem Blick auf eine Frau aus ihrer Gruppe, die als einzige die Atemmaske abgenommen hatte, konnte er erkennen, dass sie nach diesem langen Marsch kaum schneller atmeten und auch sonst lediglich erste Anzeichen von Erschöpfung zeigten, während sich einige seiner Soldaten kaum auf den Beinen halten konnten. Er beobachtete die Frau mit ihrem wohlgeformten Gesicht und ihren geschmeidigen Bewegungen für einen Moment. Obschon ihr Körper unter ihrer Uniform kaum zu erkennen war, konnte man erahnen, wie sie mit weniger Stoff am Leib aussehen mochte. Nicht wenige der einfachen Soldaten hatten sie während des Marsches Stunden lang lüstern angestarrt, und in wilder Fantasie ergänzt, was sie nicht zu sehen vermochten. Doch keiner von ihnen würde eine Chance erhalten sie näher kennen zu lernen. Es hätte nicht ihren eugenischen Idealen entsprochen sich mit einem von ihnen einzulassen. Er riss sich also wieder von ihrem Anblick los und sah die Straße, die sich schnurgerade durch den Wald schnitt, entlang gen Osten in die untergehende Sonne. Das Licht blendete ihn etwas, so dass er den Blick niederschlug. Dabei sah er plötzlich etwas Metallisches vor sich in den Steinen des Bodens begraben liegen. Er verstand sofort und brüllte: „RUNTER!“
Kaum das ihm das Wort über die Lippen gekommen war, leuchtete die Blendgranate zu seinen Füßen auch schon hell auf und raubte ihm die Sinne. Er merkte noch, wie er auf dem Boden aufschlug. Das nächste, was er spürte, war ein heftiger Schlag in die Magengrube, der ihn zurück in die Wirklichkeit holte. Er öffnete die Augen und sah mit immer noch glasigem Blick die Frau über sich stehen. Sie hatte sich in einem blitzartigen Reflex rechtzeitig ihre Schutzmaske aufsetzen können und ihm dann einen heftigen Tritt verpasst, während er sabbernd im Dreck der Straße gelegen hatte. Als sie merkte, dass er wieder wach war, sprang sie mit einem Satz über ihn hinweg und stürzte sich in den Kampf. Wie ein entferntes Gewitter hörte er das Krachen von Gewehren und das Aufheulen von Plasmawaffen, als sein Gehör zurückkehrte. Dann drückte er sich vom Boden hoch und griff nach seinem Gewehr, das neben ihm im Staub gelegen hatte. Obwohl er nur für wenige Sekunden weg gewesen war, war in der Truppe heilloses Chaos ausgebrochen. Hunderte Soldaten an der Spitze des Zuges waren von vergrabenen Granaten ausgeschaltet worden und die verbliebenen wehrten sich verzweifelt gegen die Angreifer. Die Angreifer… Zuerst sah er sie nicht, doch dann bemerkte er die Schüsse aus Stabwaffen und schweren Stabkanonen, die aus dem Unterholz des Waldes abgefeuert wurden und große Lücken in die Reihen seiner Soldaten rissen. Er pflanzte das Bajonett auf sein Gewehr und rannte los.
So schnell er konnte lief er zum nächsten Haufen Soldaten, die noch kämpften. Doch bevor er sie erreichte, wurde ihre Gruppe von einer Stabkanone getroffen und zerfetzt. Er selbst wurde zu Boden geworfen und musste sich schnell wieder aufrappeln. Er lief weiter und gab dabei immer wieder Schüsse auf die Positionen ab, an denen der den Gegner vermutete. Nach zwei Schüssen warf er sich hinter ein Zugfahrzeug eines Geschützes, wo sich noch fast zweihundert andere Soldaten drängelten. Er fingerte Patronen aus einer Gürteltasche und schob sie in das leer geschossene Magazin des Gewehrs. Im Kampfgebiet hörte er die Pulsergewehre der Eugenier heulen, während sie die Angreifer bekämpften. „Hört ihr das“, rief er den verängstigten Soldaten zu. „Wir sind nicht allein. Und wir werden uns nicht vor dem Kampf drücken. Also, Maschinengewehre nach vorn!“ Zuerst zögerten die Soldaten noch, zuckten bei jedem Stabkanoneneinschlag in der Nähe ängstlich zusammen, doch als er brüllte „Na wird’s bald?!“, setzten sich mehrere Trupps in Bewegung, die schwere Maschinengewehre trugen. Anstelle die Waffen wie normal auf Lafetten aufzustellen, stützte ein Soldat das vordere Ende des Gewehres mit der Schulter ab, während der andere zielte. Als sie in Stellung waren, brüllte er: „Angriff!“
Sie setzten sich in Bewegung und verließen ihre Deckung. Die ersten Soldaten um ihn herum wurden einfach vom Stabwaffenfeuer niedergemäht, doch nachrückende schlossen die Reihen schnell. Sie nahmen in zwei Reihen Aufstellung, sobald der Platz es zuließ, und feuerten massierte Salven ins Nahe Unterholz. Irgendetwas schienen sie zu treffen, denn insbesondere, als die Maschinengewehre anfingen zu feuern, wurde der Beschuss gegen sie schwächer. Doch bevor sie das Blatt zu ihren Gunsten wenden konnten, erhoben sich mehrere große Angriffsdrohnen aus ihren Verstecken und eröffneten sofort das Feuer. Es waren beinahe ellipsoide Maschinen von fast zwei Metern großer Halbachse im Rumpf, von dem noch Greifwerkzeuge herabhingen, die zur Verteidigung im Nahkampf dienten. Sie gaben ein lautes Brummen von sich, während sie sich erhoben, das man in der Magengrube spürte und bewegten sich sofort auf die Soldaten zu. Zwischen beiden gepanzerten Hälften, aus denen sie bestanden, lief wie ein Band eine Anordnung von Schnellfeuer-Plasmawaffen um den Rumpf herum, die einen tödlichen Geschosshagel entfesselten. Fast vierzig Mann wurden in den ersten Augenblicken allein direkt um den Leutnant herum getötet. Er stürzte so schnell er konnte zur schweren Haubitze und griff sich die Panzerbüchse, die schwenkbar daran befestigt war. Er richtete sie auf die nächste Drohne aus, überprüfte noch einmal, ob sie geladen war und schoss. Das schwere Projektil erwischte die Drohne an der oberen Panzerung und schleuderte sie zu Boden, doch sie kam im nächsten Moment wieder hoch. Er musste die ungepanzerten Waffen treffen, um sie zu zerstören. Noch während er am Repetiermechanismus der Waffe zu, wurde die Drohne jedoch von einem Geschoss aus einer anderen Richtung getroffen.
Das Geschoss war kaum zu sehen. Nur ein weißer Blitz schoss durch das Sichtfeld des Leutnants und einen Augenblick später wurde die Drohne getroffen. Die massive Panzerung wurde einfach durchschlagen und das Geschoss trat noch auf der anderen Seite wieder aus. So groß war seine Wucht, dass es sich sogar noch in eine uralte Birke bohrte und deren Stamm in einer Wolke aus Holzsplittern zerfetzte. Dann hörte er noch weitere Waffen, eine rasende Kadenz von Schüssen abgaben, die durch das Unterholz fetzten und die Angreifer erledigten. Er sprang vom Geschütz herunter und lief zu seinen Soldaten zurück. „Bajonette“, befahl er. Gleichzeitig zog er seinen Revolver und richtete ihn auf den Wald. Dann tauchten aus dem vom Kampf geschundenen Unterholz plötzlich vier Gestalten auf. Sie trugen Rüstungen, die in Grün- und Brauntönen gehalten waren und sich kaum von der Vegetation abhoben. In ihren Händen trugen sie schwere Waffen und ihre Gesichter waren von Helmen nur schwach durchsichtigen Visieren verdeckt. Er richtete seine Waffe auf die Krieger, offenbar drei Männer und zwei Frauen, und wollte ihnen zurufen stehen zu bleiben, doch in diesem Moment packte ihn ein Eugenier, der lautlos bei ihm aufgetaucht war, und hielt ihn zurück. Er deutete auf die Gestalten und sagte nur: „Tau’Ri.“
Einer ihrer Retter trat vor und nahm seinen Helm ab. Darunter kamen ein kantiges Gesicht zum Vorschein, das vielmehr charismatisch wirkte, als gut aussehend und ein hellbrauner, militärisch kurz geschnittener Haarschopf zum Vorschein. „Ich bin Major Elias Falkner, Sternentorkommando. Wer trägt hier die Verantwortung?“ Der Leutnant machte einen Schritt vor. „Leutnant Qunan. Bundesinfanterie, einhundertelftes Regiment.“ Zu seiner großen Überraschung sprach der irdische Soldat die Sprache seines Volkes fließend, obwohl es sich so anhörte, als würde er die Worte zunächst in einer anderen Sprache aussprechen, worauf sie einige Sekundenbruchteile später in seiner Sprache folgten. „Wir müssen dem Rest ihrer Leute helfen, Leutnant“, sagte Falkner mit bestimmtem Tonfall. Qunan nickte hastig und befahl seinen Leuten sofort dem hinteren Teil des Zuges zu helfen. Falkner nickte ihm zu und lief mit seinen Leuten voran.
Die Falkner und sein Team kamen über ihre Gegner, wie eine Naturgewalt. Mit überlegenen Fähigkeiten und Waffen zogen sie eine blutige Schneise durch die Angreifer und trieben sie in die Flucht. Als der Kampf vorbei war, und nur noch die Schreie der verwundeten durch den Wald hallten, ging er zu Leutnant Qunan, der über das Schlachtfeld ging und seine Augen über die dort liegenden Soldaten wandern ließ. Kurz bevor Falkner ihn erreicht hatte, zog er auf einmal erneut seine Pistole und erschoss einen der Verwundeten. Dann ging er weiter und verpasste einem zweiten eine Kugel. Falkner sah ihn zuerst erschrocken an, dann lief er mit zwei, drei schnellen Schritten zu ihm und sagte: „Was zur Hölle machen sie da?“ Qunan wandte ihm den Blick zu und er konnte sehen, dass dem Leutnant die Tränen in den Augen standen. In diesem Moment glaubte er zu erkennen, wie jung der Mann noch war. Er war höchstens 24 Jahre alt, schätzte Falkner. „Ich mache das einzig richtige. Wir haben an der Front kaum genug Verbandsmaterial und die Lazarette sind total überbelegt. Die Schwerverwundeten überleben da keine halbe Woche. Es ist humaner ihr Leiden jetzt zu beenden.“ Er erschoss einen weiteren Verwundeten. Falkner sah die ängstlichen Gesichter derer, die noch mitbekamen, was gerade passierte. „Verdammt, lassen sie das“, fuhr er Qunan an.
Eine Bemerkung, die ihm einen wütenden Blick einbrachte. „Ich habe keine Ahnung, wo sie hergekommen sind, aber wenn mir eines klar ist, dann dass sie keine Ahnung haben, was wir hier durchmachen müssen. Das ist jetzt schon die vierte Einheit, die ich zur Front führen sollte. Ich habe hunderte, tausende verrecken sehen. Wie sie im Stacheldraht verheddert verblutet sind oder von Stabwaffen zerfetzt wurden. Ich werde niemanden leiden lassen, den ich jetzt davor bewahren kann.“ Er richtete seinen Revolver auf einen weitern Verwundeten, doch dieses mal war Falkner schneller. Er stellte sich in die Schusslinie und fing die Kugel ab. Das Projektil traf auf seine Rüstung, verformte sich daran und fiel zu Boden. „Nehmen sie die Leute mit“, sagte er mit Nachdruck. „In sechs Stunden wird die Erde das nächste Sternentor anwählen und mich anfunken. Dann schicke ich ihnen eine Nachricht, dass sie uns ein Lazarettschiff schicken sollen.“ Qunan sah den fast einen Kopf größeren Falkner verwirrt an. „Ein Lazarettschiff?“ „Ein Raumkreuzer, der ein vollwertiges Lazarett an Bord hat. Wir haben vier davon. Jeder kann mehr als tausend Verwundete aufnehmen.“ „Versprechen sie mir, dass so ein Schiff geschickt wird?“ Falkner reckte das Kinn entschlossen vor. „Bei meinem ersten Kampfeinsatz als Truppführer sind sechs Mann unter meinem Kommando gestorben, weil ich unvorsichtig gewesen bin. Danach habe ich mir geschworen nie wieder einen Mann unnötig zu verlieren und habe diesen Schwur bisher eingehalten.“ Qunan sah noch einmal zu dem Verletzten, dann zu Falkner. Für einen Moment schien er zu schwanken, doch dann steckte er die Waffe wieder ein. Mit leiser Stimme sagte er: „Danke. Ich werde die Verwundeten mitnehmen lassen.“