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Thema: 2034 - Das neue Sternentor (Ein Spinn-off zu TGE)

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  1. #1
    Autor der ungelesenen FF Avatar von Protheus
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    Standard 2034 - Das neue Sternentor (Ein Spinn-off zu TGE)

    Hiermit sei beschlossen, dass ich mich ab sofort schwerpunktmäßig auf eine Weiterführung der Nyx-Geschichten konzentrieren werde. Es wird ab und zu noch neue Texte für meine normale TGE-Fanfiction geben, aber ich will vor allem versuchen in Abständen von einer bis anderthalb Wochen hier neue Kapitel einzubringen. Ich versuche mich damit zum ersten mal an längeren Handlungssträngen und bitte daher um Nachsicht, wenn etwas nicht so gut funktionieren sollte . Das ganze ist nun auf eine Serie mit Staffeln ausgelegt. Pro Staffel sind 20 Folgen eingeplant und ich werde die Folgen kürzer halten, als die Kapitel in der bisherigen FF. Angepeilt sind Längen von 12 bis 15 Seiten (Der Pilot liegt bei 13). Feedback ist wie immer erwünscht und viel Spaß beim Lesen.

    Organisatorisches:

    Anmerkung des Autors:
    Die einzelnen Folgen dieses Spinn-Offs werden nicht regelmäßig ins Forum gestellt, sondern in unregelmäßigen Abständen, die keinem bestimmten Muster folgen. Sie werden mit Billigung von Atlan und Colonel Maybourne geschrieben. Die Spinn-Offs sind kein Teil der Serie TGE.

    Disclaimer:
    Stargate: SG-1 und Stargate: Atlantis und alle Stargate-Charaktere und alles, was dazu gehört ist Eigentum von MGM/UA, Double Secret Productions, Gekko Productions und dem SciFi Channel.
    Die Rechte an selbst erfundenen Charakteren und die Story gehören dem Autor.
    Diese FF ist nur aus Spaß geschrieben worden, nicht, um Geld zu verdienen.

    Charaktere:
    Die gezeigten Charaktere variieren von Folge zu Folge, einige treten öfters in Erscheinung als Andere. Die Charaktere von Stargate: The German Experience sind geistiges Eigentum von Atlan und Colonel Maybourne.

    Anregungen:
    Ich nehme jederzeit gerne Anregungen für neue Geschichten entgegen. Der Pilot ist auch auf diese Art entstanden. Ich kann nicht versprechen alle zu verwerten und habe bereits eine generelle Richtung für die Entwicklung der Handlung festgelegt, werde aber versuchen so weit wie möglich darauf einzugehen. Vorschläge per Forennachricht direkt an mich.




    Pilotfolge: Entwicklungspfade

    Mit einer zaghaften Bewegung rückte Harry Maybourne sich den Kragen seiner Uniform zurecht, während er darauf wartete, dass die Aufzugtüren vor ihm sich öffneten. Anders, als die Uniformen bei der Allianz, hatten Offiziersuniformen der EU immer noch einen Stehkragen und obwohl die meisten Hemden, die er Zeit seines Lebens getragen hatte, ebenfalls einen gehabt hatten, fühlte er sich nach 16 Jahren in der Uniform der Allianz in der europäischen etwas unwohl. Die Aufzugtüren öffneten sich, wobei auf der Anzeige neben der Tür die Symbole U20 aufleuchteten und er trat auf den Gang hinaus. In der Basis herrschte ein auf den ersten Blick unübersichtliches Chaos, das erst bei genauerem Hinsehen als sorgfältig durchorganisiertes System zu erkennen war. Es waren noch zahllose Arbeiten zu verrichten, bevor die Anlage ihren Betrieb aufnehmen konnte. Etwas, das Maybourne – mittlerweile sehr zu seinem Bedauern – General Fayolle und dem Generalstab für den morgigen Tag versprochen hatte. Ermutigt von der rasanten Geschwindigkeit, mit der die Tiefbaumannschaften die Räume in das niedrige Bergmassiv unweit von Wolgograd getrieben hatten, hatte er die Zeit für den Ausbau der Anlage schlicht unterschätzt. Kein guter Anfang für ein neues Kommando…

    Er duckte sich unter den Armen eines Elektrikers hindurch, der gerade einen Signalverteiler des internen Überwachungssystems installiert und verplombt hatte und gerade eine solide Verschalung montierte. Dabei stolperte er beinahe über einige Kabel eines abgestellten Schweißgerätes. Am Ende des Ganges bog er nach rechts in Richtung der Stabsbüros und des Konferenzraumes ab. Eine Gruppe von Soldaten salutierte vor ihm, als er an ihnen vorbei ging und er erwiderte den Gruß beiläufig. Im Moment hatte er zu viele andere drängende Dinge im Sinn, als dass er sich mit protokollarischen Feinheiten aufhalten konnte. Als er sein Büro betrat, war der ihm zugewiesene Adjutant dort gerade damit beschäftigt einige Kisten mit Akten auszuräumen. Noch etwas, das ihm bei der Allianz fremd geworden war: Papierkram, bei dem das Papier wörtlich zu nehmen war. Während praktisch die ganze restliche Welt – selbst die zentralafrikanische Republik und Mikronesien – sich auf voll elektronische Datenverarbeitung umgestellt hatte, hatten die Bürokraten der EU in beispielloser Fortschrittsverweigerung auf ihrem Papier beharrt, was ihm nun den etwas nostalgisch anmutenden Anblick von Leitzordnern im Regal hinter seinem Schreibtisch bescherte. Letztlich sollte es ihm recht sein, waren die meisten Geheimdienste der Welt doch mittlerweile besser im Hacken selbst der bestgesichertsten Computersysteme, als im Diebstahl eines Notizzettels, zumal die Verbannung des Papiers aus den Amtsstuben keinesfalls die Verwaltungsarbeit verringert hatte.

    Zudem war noch ein Rohrschlosser damit beschäftigt einige Wasserohre des Feuerlöschsystems zu verbinden. Er setzte gerade eine ziemlich schwer aussehende Presse an und drückte damit die als Verbindungsstück dienende Muffe zusammen. Das Werkzeug gab dabei ein knatterndes Geräusch von sich, das in den Lärm aus den Korridoren einzustimmen schien. Der Adjutant salutierte vor Maybourne und sagte: „General, mir wurde befohlen ihnen auszurichten, dass…“ „Ist mir im Moment scheißegal, Gefreiter. Merken sie es sich und sagen sie es mir in zwei Stunden.“ „Gen…“ „Mund halten. Und jetzt alle raus hier.“ Er komplimentierte beide Männer mit einer harschen Geste hinaus. Als er allein war, ging er hinter den Schreibtisch und setzte sich auf den Drehsessel dahinter. Das alte, abgewetzte Leder, mit dem er bezogen war, schmiegte sich weich an ihn an und der herbe Geruch gab ihm das Gefühl zu Hause zu sein. Er besaß diesen Sessel seit fast dreißig Jahren und hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ihn aus Amerika hier her schaffen zu lassen. Nach seinem Verrat auf Magellan hatte Minister Kinsey, so hatten Freunde ihm erzählt, ziemlich lautstark seinen Kopf gefordert und zeitweilig sogar auf eigene Faust versucht Attentäter auf ihn anzusetzen. Ein Vorhaben, das letztlich nur an den besonnenen Reaktionen des inneren Zirkels um den Präsidenten gescheitert war, die entschieden hatten, dass es besser war die ganze Angelegenheit unter den Teppich zu kehren, als noch durch unüberlegte Vergeltungsakte Aufmerksamkeit darauf zu lenken.

    Mit einem seufzen riss er sich von jenem wunderbaren Moment der Ruhe – es drang kaum ein Laut durch die geschlossene Tür – los und lehnte sich zum Schreibtisch vor. Erst gestern hatte eine Intelligenzbestie aus dem Kommissariat für Verteidigung ihn mit der Idee überfahren die Inbetriebnahme des Stützpunktes als Medienspektakel aufzuziehen. Sieben große Fernsehsender aus der EU, zwei aus China und einer aus Südamerika hatten sich bereits mit Kamerateams angemeldet. Was natürlich bedeutete, dass er eine Rede halten und sich vor Ehrenkompanien mit Politikern die Hände wundschütteln musste. Im allerersten Augenblick hatte er den starken Drang verspürt dem Mann ein paar Zähne auszuschlagen. Auch jetzt kochte er beim Gedanken daran, dass man ihm dies aufgeladen hatte, schluckte seine Wut jedoch herunter und machte sich ans Schreiben einer Rede. Er tat sich schon mit den ersten Sätzen schwer und war kaum über einige einleitende Worte hinaus, als es an der Tür klopfte. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass die Stunde, die er seinem Adjutanten genannt hatte, noch nicht um war, so dass er sich als erstes entschloss das Klopfen zu ignorieren. Doch nachdem der Störenfried auch beim dritten Mal noch nicht aufgegeben hatte, sagte er:

    „Herein.“ Die Tür öffnete sich und er hörte zwei Männer eintreten. Mit einem grimmigen Gesichtsausdruck sah er von seiner Rede auf und fragte: „Was zur Hölle ist so wichtig?“ Dann stutzte er, als er sein Gegenüber erkannte. Es war ein Mann von gut eins Achtzig Körpergröße, der von schlanker Statur war und dessen Gesicht mit seiner markanten Hackennase und der hohen Stirn von einem Dreitagebart eingerahmt wurde. Seine Haare waren kurz geschnitten, der Haaransatz lag relativ hoch und er hätte beinahe schäbig anstatt einfach nur lässig gewirkt, wäre nicht konzentrierter Blick gewesen, der einen aufgeweckten und scharfen Verstand verriet. Mayborune stand auf. „Léon Mathieu.“ Für einen Moment sah der Mann ihn verwundert an, dann hellte auch sein Gesichtsausdruck sich auf. „Harold Maybourne. Wie zur Hölle kommst du hier her?“ Mayborune lachte. „Ist eine lange Geschichte. Außerdem wollte ich gerade dasselbe fragen. Der Franzose zuckte mit den Schultern. „Eigentlich nichts besonderes. Ich hab mich hier her versetzen lassen, weil das in der Chefetage gut ankommt. Drei Jahre hier, dann werde ich bei Versetzungen an die Côte d’Azur bevorzugt behandelt. Maybourne kam um den Schreibtisch herum und nahm die ihm dargebotene Hand. Er schüttelte sie herzlich und gab Mathieu dabei einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Und was führt einen Beamten von Europol in meinem Stützpunkt?“

    „Ein kleiner Höflichkeitsbesuch und eine Möglichkeit mich vorzustellen. Ich bin als Regionalleiter für das ganze Gebiet bis rauf nach Saratow verantwortlich. Die Soldaten der Garnison machen gern Probleme ich kann kein weiteres Regiment gebrauchen, das an Lagerkoller leidet.“ Maybourne grinste. „Keine Sorge, der wird bei dieser Einheit nicht aufkommen. Dafür werde ich schon sorgen.“ Mathieu zog eine Augenbraue hoch. „So?“ Er deutete auf den Soldaten, den er mit hergebracht hatte und der bisher beharrlich geschwiegen hatte. „Dieser tapfere Vaterlandsverteidiger hier scheint anderer Meinung zu sein. Die Ortspolizei von Wolgograd hat ihn aufgegriffen, als er mit zwei Kameraden in einer Kneipe randaliert hat.“ Maybourne kniff misstrauisch die Augen zusammen. „Was ist passiert?“ „Tja, laut den Zeugenaussagen sind die drei Herren gestern Abend um acht Uhr in der Kneipe erschienen und haben angefangen zu trinken. Als der Besitzer um ein Uhr nachts schließen wollte, weigerten sie sich zu gehen. Er rief die Polizei, woraufhin sie sich im Gastraum verbarrikadierten. Sie hielten dort gegen zwanzig Polizisten bis fünf Uhr morgens die Stellung. Dann waren sie allesamt so hackesturzendicht, dass sie aufgeben mussten.“ Er sah den Soldaten an. „Beim Alkohol hatten sie sich aus den Vorräten des Wirts bedient. Es sind ein Dutzend Stühle, vier Tische, mehrere Fensterscheiben, ein schmiedeeisernes Treppengeländer, sechs Schutzhelme und elf Schlagstöcke der Polizei und eine noch nicht genau bestimmte Anzahl an Gläsern und Flaschen zerstört worden. Außerdem haben elf der Polizisten leichte Verletzungen erlitten. Willst du die vorläufige Schätzung der Schadenssumme hören?“

    „Nein danke, kein Bedarf.“ Mayborune wandte sich dem Soldaten zu und fragte: „Name und Rang?“ „Major Elias Falkner, Herr General.“ „Was haben sie dazu zu sagen, Major?“ „Ich habe dem nichts hinzuzufügen, General. Ich möchte jedoch zu bedenken geben, dass wir unter Alkoholeinfluss standen und daher nicht zurechnungsfähig waren.“ Maybourne glaubte ein angedeutetes Schmunzeln im Gesicht des Majors zu erkennen. Es musste wirklich eine tolle Nacht gewesen sein. Er konnte sich noch daran erinnern, wie er selbst während seiner Ausbildungsjahre bei der US-Airforce mit Freunden die Nächte durchzecht hatte. Nein, er erinnerte sich lieber doch nicht. Der unweigerlich folgende Kater und die resoluten Vorstellungen ihres Ausbilders von Disziplin hatten den Spaß an der Sache eindeutig geschmälert. Außerdem war es für diesen Fall unwichtig. „Von Angehörigen dieser Truppe erwarte ich vorbildliches Verhalten, Major. Solche Eskapaden werden hier nicht toleriert. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ „Jawohl, Herr General.“ „Gut. Dann melden sie sich mit ihren gestrigen Begleitern bei Oberst Allert für eine disziplinarische Maßnahme. Wegtreten.“

    Major Falkner salutierte und verließ den Raum. Zurück blieben Harry und Mathieu, der ihn zufrieden angrinste. „Diese Sache ist mir ziemlich unangenehm, Léon. Morgen soll dieser Stützpunkt seinen Betrieb aufnehmen und die Sache wird einige Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wenn also irgendeine Möglichkeit besteht sich gütlich mit den Geschädigten zu einigen…“ Mathieu winkte ab. „Keine Sorge. Wir kehren die Sache fachgerecht unter den Teppich. Hat schließlich damals in Toulouse auch geklappt.“ „Danke.“ „Kein Problem.“ Er zückte eine Visitenkarte und reichte sie Maybourne. „Wenn du Zeit hast, ruf an. Ich kenne da eine gute Kneipe an der Wolga.“ Maybourne nickte. „Ich werde dran denken.“ „Gut. Au revoir .“ „Bye.“ Der Kriminalbeamte verabschiedete sich, indem er die Rechte Hand an die Krempe seines nicht vorhandenen Hutes legte und verließ den Raum. Maybourne setzte sich wieder an den Schreibtisch und dachte nach. Manchmal führte das Leben Menschen auf seltsamen Wegen wieder zusammen. Und er war dankbar dafür. Ein anderer Polizist, der unter Umständen weniger besonnen reagiert hätte, wäre in dieser Situation genau das Richtige gewesen, um ihm den Tag, der sowieso schon bescheiden angefangen hatte, endgültig zu verhageln. Er machte sich daran weiter an seiner Rede zu schreiben, doch er driftete immer wieder in Erinnerungen an sein erstes Aufeinandertreffen mit Léon Mathieu ab. Damals…


    Boston am 11.Juni 2012, fast ein Jahr nach dem Angriff der Ori auf die Erde:

    Colonel Harry Maybourne stieß die Tür zum Vorzimmer des Büros des Ministers auf, der ihn nach Boston zitiert hatte. Mit wütendem Gesichtsausdruck legte er die vier Meter zum Schreibtisch der reichlich eingeschüchtert wirkenden Sekretärin zurück und knallte ihr seine Uniformjacke auf den Schreibtisch. „Sorgen sie dafür, dass das hier gereinigt wird.“ Mit diesen Worten wandte er sich der Tür zu, die in das eigentliche Büro führte. Als er sie öffnen wollte, stellte die Frau sich ihm jedoch in den Weg. „Einen Moment“, sagte sie, wobei sie offenbar bemüht war eine feste Stimme zu bewahren, „ich kann sie da nicht einfach hinein lassen. Haben sie überhaupt einen Termin?“ Er sah die Frau mit einem schiefen Lächeln an, dass jedoch eher spöttisch und abschätzig war, als freundlich. Sie war bestenfalls Mitte zwanzig, von zierlicher Gestalt und trug einen eng anliegenden feinen Wollpullover zu einem nicht minder figurbetonten Rock, Seidenstrumpfhosen und hochhackigen Lackschuhen, ein Aufzug, der sie wie eine Mischung aus ernsthafter Vorzimmerdame und billiger Gespielin des Ministers wirken ließ. Dabei war ihm klar, dass er selbst im Moment keinesfalls für einen Termin bei einem Bundesminister adäquat gekleidet war. Er trug immer noch seine Felduniform, die teilweise mit Blutflecken gesprenkelt und total verschwitzt war, so dass sie speckig an seinem Körper klebte. Sein Gesicht war ungewaschen und seine Haare wirkten zerzaust. Wäre er an ihrer Stelle gewesen, hätte er wahrscheinlich erst einmal versucht sich unter eine Dusche zu zerren.

    „Sie scheinen ein nettes Mädchen zu sein. Deshalb will ich versuchen es freundlich zu sagen: Mein Name ist Harrold Maybourne und ihr Chef hat mich gerade direkt aus einem Kriegsgebiet herzitieren lassen. Man hat mir nicht einmal die Zeit gelassen zu duschen, geschweige denn im Kampfgebiet meinen Stellvertreter ordentlich zu instruieren. Entsprechend ist meine Laune. Wenn sie jetzt also nicht aus dem Weg gehen, mache ich eine Ausnahme von meiner Regel keine Frauen zu schlagen.“ Sie schluckte und machte mit einem ängstlichen Gesichtsausdruck einen Schritt zur Seite. Harry hatte keinen Zweifel daran, dass sie die Sicherheit rufen würde, kaum dass er im Büro verschwunden war. Er öffnete die Tür und trat in Minister Abraham Kinseys Büro. Der ganze Raum war mit Edelholz vertäfelt, mit dicken Perserteppichen ausgelegt und die Wände von Regalen voller alter Bücher und Devotionalien gesäumt, auch wenn Maybourne auf den ersten Blick erkannte, dass einige der Bücher nur Attrappen waren. Kinsey Sr. war ein kultivierter Mann gewesen und das verlangen seines Sohnes diesem Vorbild nachzueifern war unübersehbar. Auch wenn dieser Anspruch sich derzeit noch als zu hoch erwies. Mayborune ging zum Whiskeyschrank, der an der der Tür gegenüberliegenden Wand zwischen zwei Räumen stand. Er schenkte sich ohne zu fragen einen Whisky ein, schmiss drei Eiswürfel ins Glas und setzte sich auf einen der Clubsessel im Raum.

    Er blieb für einen Moment schweigend sitzen, wobei er sich das Glas an die Stirn hielt, um sich ein wenig abzukühlen. Dabei sah er mit grimmigem Blick zum Minister hinüber. Abraham Kinsey schien auf den ersten Blick allem gerecht zu werden, was man über ihn erzählte. Hatte seine Militärzeit auf einem Zerstörer im indischen Ozean abgeleistet, fernab jedweder Gefährdung durch Kampfhandlungen und dabei, so erzählte man sich in der Navy, mit einheimischen Schönheiten mehr uneheliche Kinder in die Welt gesetzt, als alle anderen Matrosen des Geschwaders zusammen. Danach, während seiner Zeit an einer sündhaft teuren Privatuniversität, hatte er sich bevorzugt für Frauen und Alkohol interessiert und weniger fürs Studieren. Im besten Fall ein Lebemann, der seine Zeit auf Erden genoss, im schlimmsten Fall ein verantwortungsloser Playboy, der versuchte den biederen und vertrauenswürdigen Staatsmann zu geben. Harry brauchte nur einen Moment, um zu beschließen, dass er ihn nicht mochte. „Na, wo liegt ihr Problem, Herr Minister?“ Er nippte am Whisky und verzog das Gesicht. „Ich meine abgesehen davon, dass dieses Gesöff ziemlich scheußlich ist? Sie sollten sich wirklich angewöhnen den Whisky nicht zu lange offen stehen zu lassen.“

    Kinsey stand hinter seinem Schreibtisch, einem aufwändig verzierten Monstrum im viktorianischen Stil, auf und sah Maybourne verwirrt an. „Ich sollte wohl besser fragen, wo ihr Problem liegt. Und wie laufen sie hier überhaupt herum?“ „Mein Problem?“ Harry lachte leise. Dann sagte er: „Heute Nacht haben die Konföderierten uns vor Richmond drangekriegt. Sie haben uns zusammengeschossen, bevor wir auch nur realisiert hatten, dass sie meinen Flugplatz eingekesselt hatten. Nicht einen einzigen Raptor haben wir in die Luft bringen können. Wurden alle zerstört, kaum dass sie auf der Startbahn waren. Wir haben gekämpft und dabei dreihundert Mann verloren, bis diese Knallchargen von den Marines und endlich raus gehauen haben. Und dann taucht plötzlich einer ihrer Botenjungen auf und sagt mir, dass ich in vier Stunden bei ihnen sein soll. Wollen sie mich jetzt noch einmal fragen, worin mein Problem besteht?“ Kinsey schüttelte nur den Kopf und schaffte es fast sofort wieder das souveräne Gesicht aufzulegen, mit dem er dem amerikanischen Volk im Vorwahlkampf der Republikaner von den Plakaten entgegengelacht hatte. Ihm war klar, dass er auf Maybournes letzte Frage lieber nicht eingehen sollte.

    Der Angriff der Ori und die Zerstörung Washingtons hatten die USA in geradezu bürgerkriegsartige Zustände gestürzt. Präsident Obama hatte sich vor dem Angriff geweigert sich evakuieren zu lassen, um für das Volk ein Zeichn der Zuversicht im Angesicht des Feindes zu setzen und im weißen Haus auszuharren. Er hatte seine Tapferkeit mit dem Leben bezahlt. Danach war der amtierende Präsident Biden kaum in der Lage gewesen die Nation zusammen zu halten. Im Machtvakuum, das durch den Tod der meisten Kongressabgeordneten und die Vernichtung der Zentralen verschiedener großer Bundesbehörden entstanden war, hatten mehrere Gruppierungen Anspruch auf die Führung der Vereinigten Staaten erhoben. Es war eine bizarre Situation, die seltsame Konstellationen erzeugte. Kinsey war das Produkt einer davon. Unfähig seine Regierung alleine zu konsolidieren, war Biden eine Koalition mit Elementen der Republikanischen Partei eingegangen, die ihm halfen die Kontrolle wiederzuerlangen. Dazu gehörte unter anderem auch die Annexion der neu formierten Bundesregierung, die in San Francisco zusammengekommen war, sowie der CSA, der Südstaaten, die sich in dieser Situation für unabhängig erklärt hatten, um nicht in den Strudel von Desorganisation und Chaos im Norden, den der Angriff ungleich härter getroffen hatte, hineingezogen zu werden.

    San Francisco hatte sich Bidens neuer Koalitionsregierung in Boston schnell untergeordnet und man hatte damit gerechnet, dass die alten Verhältnisse schnell wieder hergestellt werden könnten, doch die CSA (Confederate States of America) hatten die Wiedervereinigung verweigert. Eine Reaktion, durch die sich die neue Regierung zu einer Kriegserklärung gezwungen gesehen hatte. Der Krieg tobte nun schon ein halbes Jahr und war immer noch weit davon entfernt sich einem Ende zuzuneigen. Kinsey überging dieses Thema und baute sich in voller Größe vor Maybourne auf. „Ja, ich habe sie rufen lassen. Es geht um eine Angelegenheit von äußerster Wichtigkeit für die Sicherheit der Vereinigten Staaten.“ In diesem Moment flog die Bürotür auf und zwei Stiernacken der Sicherheit stürmten mit gezogenen Pistolen hinein. Maybourne prostete ihnen mit seinem Glas zu, als wolle er ihnen sagen, dass er sie früher erwartet hätte und Kinsey drehte sich genervt zu ihnen um. „Herr Minister, un…“ „Es ist alles in Ordnung. Und jetzt raus mit ihnen.“ Die beiden sahen sich noch einmal im Zimmer um, um sich zu überzeugen, dass wirklich keine Gefahr bestand, dann nickten sie und verließen den Raum wieder. „Eifrige Wachhunde haben sie da.“

    Kinsey schien für einen Moment verwirrt. „Ja, ja. Aber das ist jetzt nicht von Belang. Wie schon gesagt, der eigentliche Grund für ihr Hiersein ist eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit.“ „Ich bin Offizier der Airforce.“ – Eine Aussage, die nur bedingt richtig war. Zumindest hatte man ihn wieder dazu gemacht, als der Generalstab im Pentagon draufgegangen war, doch offiziell war er noch dem NID unterstellt. „Ich verteidige die Sicherheit unserer großartigen Nation im Moment in Virginia. Zumindest hat man mir das gesagt.“ „Ich rede von einer deutlich wichtigeren Angelegenheit. Ist ihnen dir derzeitige Lage in Europa bekannt?“ „Im Groben. Die Wirtschaft steht kurz vor dem totalen Zusammenbruch, mehrere Mittelmeeranrainer sind in den Staatsbankrot hinein geschlittert und es gibt heftige zivile Unruhen. Die Regierungen sind nicht in der Lage sie Situation in den Griff zu bekomme.“ Er zögerte für einen Moment. „Na ja, wenigstens schießen sie nicht aufeinander.“ Kinsey nickte. „Gerade diese von ihnen erwähnte Schieflage der europäischen Wirtschaft ist für uns sehr bedrohlich. China nutzt die Gunst der Stunde, um sich in strategische Schlüsselindustrien einzukaufen. Unter anderem bei EADS.“ „Und das ist problematisch, weil… ?“ „Seien sie nicht so kurzsichtig, Colonel. EADS war an der Fertigung von modernem Kriegsmaterial unter Verwendung von Alientechnologie beteiligt. Technologie, die China nicht in die Hände fallen darf.“

    „Die Patente liegen bei den Staaten.“ „Ja. Aber die Ingenieure von EADS haben damit gearbeitet und verstehen die Technologie. Die Chinesen wollen alle Arbeitsverträge mit übernehmen. Was denken sie, wie lange die brauchen werden, bis sie selbst in der Lage sind F301er, Panzer mit Stabkanonen oder Railguns zu bauen?“ „Und was soll ihrer Meinung nach passieren?“ „Nicht nur meiner Meinung nach.“ Kinsey ging zu seinem Schreibtisch und nahm ein Schriftstück auf, das er Harry reichte. „Präsident Biden sieht die Lage genauso, wie ich. Die CIA hat für uns eine Schlüsselperson in diesem Vorgang ausfindig gemacht. Sein Name ist Victor Ligne, ein Belgier. Er ist Leiter der ingenieurswissenschaftlichen Abteilung für die Integration außerirdischer Technologie bei EADS. Seine Fähigkeiten sind für die Chinesen mehr wert, als die der ganzen restlichen Abteilung zusammen.“ Harry las sich das Schriftstück durch. Es war eine offizielle Dienstanweisung mit dem Siegel des Präsidenten. Er stutzte auf einmal, als er die eigentliche Kernaussage las. Er sah Kinsey sehr finster an und gab ihm das Papier zurück. „Das kann nicht ihr Ernst sein.“ „Oh doch, das ist es. Wir möchten, dass sie diesen Ligne eliminieren.“

    „Die Tötung von Nicht-Kombattanten, insbesondere Bürgern verbündeter Länder, ist Soldaten der untersagt. Sowohl nach amerikanischem, als auch nach internationalem Recht.“ „Wir brauchen sie auch nicht in ihrer Eigenschaft als Colonel der Airforce, sondern als Mitarbeiter des NID.“ „Das letzte mal, als ich nachgesehen habe, war der NID ein Geheimdienst zur Überwachung von militärischen Operationen.“ Kinsey zuckte mit den Schultern. „Wenn sie es unbedingt so sehen wollen: Der NID hat die Defense Intelligence Agency überwacht und dabei festgestellt, dass die es verbockt haben. Also werden sie diese Sache jetzt in die Hand nehmen.“ Maybourne schwieg. „Ich hatte nie den Eindruck, dass sie ein Mann mit besonders vielen moralischen Skrupeln wären, Colonel. Sie haben schon deutlich schlimmere Dinge für den NID erledigt. Sie haben entführt, gemordet und gefoltert.“ „Das ist lange her.“ „Nein, nicht wirklich. Außerdem wird ihnen hier eine direkte Dienstanweisung erteilt. Sehen sie also zu, dass sie sich für die Abreise nach Toulouse bereit machen.“

    Drei Tage in Toulouse:

    Am Ende hatten alle Einwände, die Maybourne noch gegen die Operation erhoben hatte, nichts genützt. Er war mit einem Team aus Attentätern und Agenten nach Südfrankreich geschickt worden, um ‚das Problem’, wie Kinsey es formuliert hatte, zu beseitigen. Als ihr Flugzeug auf dem Flugplatz Toulouse-Blagnac landete, fühlte er sich, als würde eine unsichtbare Hand ihm die Luft abschnüren. Mit einer gewissen emotionalen Kälte hatte er sich bereits klar gemacht, dass er helfen würde diesen Mann zu töten. Was ihm jedoch zutiefst zusetzte, war die Tatsache, dass er damit Leute hintergehen musste, die über Jahre hinweg mit ihm zusammen Leib und Leben im wahrscheinlich am weitesten reichenden Krieg der Menschheitsgeschichte riskiert hatten. Wenn es eine positive Eigenschaft gab, die ihn in all den Jahren ausgezeichnet hatte, in denen er im Namen der Vereinigten Staaten Verbrechen verübt hatte, dann war es bedingungslose Treue gewesen. Und nun wurde er gezwungen auch diese letzte Tugend noch aufzugeben. Er verließ mit dem Team den Flugplatz und sie begaben sich zu einer Wohnung in der Altstadt von Toulouse. Die ‚rosarote Stadt’, wie sie von vielen Leuten aufgrund ihrer zahlreichen alten Backsteinbauten auch genannt wurde, zeigte sich an diesem Tag von ihrer schönen Seite. Unweit des alten Hauses, in dessen erstem Stock die CIA ein getarntes Büro unterhielt, ragte die gewaltige Basilika Saint Sernin in den Himmel und erfüllte die abendliche Luft mit dem Klang des Glockenspieles in ihrem Turm, während die Bürger sich in den Cafes der Stadt versammelten.

    Doch auch hier waren Spuren der jüngeren Ereignisse zu sehen. Als Maybourne kurz nach ihrer Ankunft im Büro wieder nach draußen ging, um sich die Stadt ein wenig anzusehen – vor allem wollte er von den anderen Agenten weg, in deren Gegenwart er sich gerade sehr unwohl gefühlt hatte – fiel ihm auf, das viele Häuser leichte Beschädigungen aufwiesen. Straßenlaternen waren zerschlagen, Autos leicht verbeult, Mülltonnen rußgeschwärzt, als hätte man sie in Brand gesteckt und die Polizisten, die auf den Straßen unterwegs waren, ließen sich grundsätzlich nur in Gruppen von sechs oder mehr Beamten blicken und waren allesamt bewaffnet. Die Unruhen, die nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa in Atem hielten, waren auch hier zu spüren gewesen. In einigen Ländern in Osteuropa herrschte zur Zeit pure Anarchie, während in Städten wie Athen und Paris jene, die von der Wirtschaftskrise am schwersten getroffen worden waren, ihrem Unmut in gewaltigen Demonstrationen und Ausschreitungen Luft machten. In letzter Zeit war es sogar in Deutschland wiederholt zu Unruhen gegen die wirtschaftsfreundliche Politik der neuen Bundesregierung gekommen. Die einfachen Bürger fühlten sich in einer Krise, in der sie allein die Zeche für die Fehler des Managements der Wirtschaft zahlen mussten, allein gelassen und angesichts der Zerstörung mehrerer Großstädte durch die Ori nicht genug beschützt. Und wenn sogar die Deutschen schon aus ihrer obrigkeitshörigen Lethargie erwachten, dann war die Lage schlimm, soviel war Maybourne klar. Er nutzte den Abend, um zu versuchen ein wenig Abstand von den Geschehnissen der letzten Tage zu gewinnen, versuchte den Bürgerkrieg und Kinsey zu vergessen und freute sich für einen Moment einfach nur am Frieden in Frankreich, dessen Bewohner das seltsame Kunststück vollbrachten im einen Moment in einer gefühlten Revolution aufzublühen und im nächsten wieder das Leben zu genießen. Ils savent le vivre.

    Einige Tage später hatten die Agenten auf Maybournes Anweisung hin mit der Observierung der Zielperson begonnen. Anfangs war er schockiert gewesen, wie schlampig diese Operation vorbereitet gewesen war. Es waren keine Persönlichkeits- und Bewegungsprofile von Ligne angelegt worden, es lagen bestenfalls lückenhafte Informationen über sein privates Umfeld und seinen Wohnort vorhanden und alles, was über seine Arbeit bekannt war, war im Zuge einer Überwachung von EADS und nicht der Person Victor Ligne ermittelt worden. Es war, als habe man ihn auf einen spontanen Jagdausflug geschickt und nicht auf eine Mission im Namen der nationalen Sicherheit. Harry saß in einem Cafe in der Innenstadt von Toulouse und wartete auf die Rückkehr seiner Leute. Auf dem Tisch vor sich hatte er einen starken Kaffee stehen und in den Händen hielt eine Regionalzeitung. Sein Französisch war ziemlich eingerostet, aber er konnte trotzdem die meisten Artikel entziffern. Er las gerade einen Artikel über wiederholte Ausschreitungen in den Vororten von Paris, als er hörte, wie sich jemand zu ihm an den Tisch setzte. Er senkte die Zeitung und blicke in das Gesicht eines ihm unbekannten Mannes. Er bemühte sich ein überraschtes Gesicht aufzulegen, was ihm in diesem Moment tatsächlich nicht einmal schwer fiel, und fragte, nachdem er noch einen Schluck von seinem Kaffee genommen hatte: „Est-ce que je peux faire quelque chose pour eux ?“

    Der Mann schwieg für einen Augenblick, dann antwortete er: „Nein, Monsieur Maybourne. Nicht für mich.“ Harry zog einen Mundwinkel zu einem spöttischen Lächeln hoch. Dieser Mann schien zwar zu wissen, wer er war, sich nicht bewusst zu sein, in welche Lage er sich damit brachte. Unterm Tisch hatte er eine schallgedämpfte Beretta schussbereit. Vorsichtig ließ er die rechte Hand auf die Armlehne des Stuhles gleiten, nicht wirklich in die Nähe der Pistole, aber doch so, dass er sie blitzschnell ziehen konnte. Es waren nicht einmal Polizisten auf dem Platz unterwegs. Die meisten Beamten der Stadt waren gerade auf dem Werksgelände von Airbus im Einsatz, wo aufgebrachte Arbeiter gegen die jüngste Entlassungswelle ‚demonstrierten’, indem sie die Werkshallen besetzt hielten und ihre Manager als Geiseln nahmen. Harry würde diesen Mann also im Zweifel ohne weiteres erschießen können und damit davonkommen. „Bitte“, meinte der Mann, der mit deutlichem französischem Akzent sprach, „ich würde es bevorzugen, wenn wir uns einfach nur unterhalten könnten.“ Er zog die Augenbrauen hoch. Offenbar war dieser Mann doch intelligenter, als er aussah. „Dann nehme ich erst einmal an, dass sie mir etwas voraus haben.“

    Der Mann griff mit der linken Hand in die Innentasche seiner Jacke und holte eine Brieftasche heraus, aus der er einen Ausweis herausfingerte. Er hielt ihn Maybourne hin, wobei er ihn zugleich mit der Brieftasche gegen potentiell neugierige Blicke Dritter abschirmte. „Léon Mathieu, Europol.“ Für einen Moment war Harry unsicher, wie er auf diese Situation reagieren sollte. Er hatte nicht mit einer Begegnung mit ‚örtlichen’ Polizisten gerechnet. Bestenfalls hätte er eine Einmischung von Seiten der Chinesen in Betracht gezogen, denen klar sein musste, dass die USA nicht tatenlos zusehen würden, wie sie Technologie der Erdallianz, falls jenes lose Bündnis ehemaliger Sternentorstaaten diesen Namen noch verdiente – erlangten. Schließlich fragte er: „Und was wollen sie, Mister Mathieu?“ „Es ist eigentlich ganz einfach. Ich weis, dass man sie geschickt hat, um Victor Ligne zu töten. Ich habe die Polizei von Toulouse um Personenschutz für ihn gebeten, bin damit aber nur auf taube Ohren gestoßen. Also liegt es bei mir etwas zu unternehmen.“ „Und wie wollen sie das bewerkstelligen? Mich festnehmen?“ „Nein. Ich möchte sie vielmehr warnen. Diese Angelegenheit hat deutlich mehr Facetten, als ihnen klar ist.“ Maybourne zuckte mit den Schultern. „Und? Ich habe meine Befehle und die lauten zu verhindern, dass China sich die Technologie von EADS aneignet.“ „Glauben sie wirklich, dass diese Gefahr besteht?“ Harry beugte sich auf seinem Stuhl vor und stützte beide Ellenbogen auf den Tisch. „Wissen sie etwas, dass ich nicht weis?“

    „So scheint es, nicht wahr? Aber um ehrlich zu sein: Wahrscheinlich nicht. Es gibt nur eines, was sie wissen sollten: Ligne und ich glauben an dieselbe Idee und haben uns derselben Sache verschworen. Einem geeinten Europa. Ich betrachte ihn deshalb als meinen Freund. Und ich weis, dass er für dieses Ziel wichtiger ist, als ich, weshalb ich mein Leben einsetzen werde, um ihn zu beschützen.“ Harry schmunzelte. „Sie haben keine exekutiven Befugnisse. Alles, was sie dürfen, ist für die nationalen Polizeieinheiten beratend tätig zu werden.“ „Das mag wahr sein. Aber ich bin nicht der einzige bei Europol, der es satt hat immer nur am Rand stehen und gute Ratschläge abgeben zu dürfen. Im Namen nationaler Gesetze werden wir in unserer Handlungsfreiheit beschnitten, weil einzelne Machthaber nicht bereit sind Kompetenzen zu teilen, selbst wenn damit etwas Großes erreicht werden könnte. Es ist eine blinde Machtgier, die mich ankotzt. Aber es gibt ein höheres Gesetz, als die Regeln ihrer Kleinstaaterei. Das Gesetz der Moral, der Vernunft und der Menschenwürde. Auf diese Werte wollten wir Europa aufbauen. Und irgendwann werden sie uns keine Steine mehr in den Weg legen können, denn dann werden wir für diese Werte kämpfen und das höhere Recht einfordern.“ „Tun sie das nicht schon längst?“, fragte Harry mit einer Geste auf die Spuren der großen Protestkundgebungen, die auch in dieser Straße zu sehen waren. „Nein. Das ist nur ein erstes Aufbegehren. Was noch auf uns zukommt, wird alles, was dieser Kontinent bisher erlebt hat, verblassen lassen.“ Mathieu stand auf. „Ich habe gesagt, was ich ihnen mitteilen wollte. Und das es keine Eindimensionalen Dinge gibt, sollten sie ja bereits wissen, oder?“ Mit diesen Worten ging er Franzose. Harry hingegen blieb auf dem Platz sitzen und wartete auf seine Agenten. Dabei dachte er über Mathieus Worte nach. Nein, es gab tatsächlich immer mehr als einen Aspekt. Es wäre dumm anzunehmen, es könnte hier anders sein und er hatte kaum Informationen über die Angelegenheit. Es war an der Zeit sich etwas genauer umzusehen.

    Noch am selben Abend fuhr Maybourne zusammen mit einem CIA-Agenten vor dem Hauptsitz von Airbus am Flughafen von Toulouse vor. Es hatte die CIA-Agenten im Büro in der Altstadt nur wenige Stunden gekostet ihnen originalgetreue Besucherausweise für das Werksgelände und die Bürogebäude zu beschaffen, in denen sich auch die Entwicklungsabteilung befand, in der Ligne arbeitete. Mit diesen Dokumenten hatten sie zwar nur die niedrigste Zugangsstufe, doch er hätte auch nicht erwartet, dass die Leute ihm sofort die Zugangskarte für die Serverräume brächten. Was er vorhatte, funktionierte auch so. Sie kamen ohne weiteres an den Pförtnern am Eingang des Werksgeländes und am Eingang des Verwaltungsgebäudes vorbei, das neben der Entwicklungsabteilung lag. Ab dort wurde die Angelegenheit jedoch komplizierter. Sie gelangten über das Treppenhaus bis zum Dach. Die Zugangstüren dorthin waren Alarmgesichert, doch sein Begleiter schaffte es dennoch sie zu öffnen, ohne das der Alarm losging. Sie gingen aufs Dach und schossen mit einem Seilwerfer, einem Gerät, dass sie in mehrere Einzelteile, die wie unbedenkliche Gebrauchsgegenstände aussahen, zerlegt mit sich getragen hatten, eine Leine hinüber. Diese sah auf den ersten Blick aus wie einfache Zahnseide, bestand jedoch aus einer hochgradig reißfesten Karbonfaser und konnte bis zu einhundert Kilogramm Gewicht halten. Maybourne zog seinen Gürtel aus der Hose und befestigte ihn an der Faser. Die Schlaufe war so konstruiert, dass man sich damit an diese dünnen Leinen hängen konnte. Dann rutschte er daran auf das niedrigere Forschungsgebäude hinüber.

    Er kam mit hoher Geschwindigkeit auf dem Dach auf. Es fühlte sich an, als würden seine Fußknöchel zerschmettert werden. Die Kameraüberwachung der Gebäude bestand aus mehreren schwenkbaren Kameras, deren Zyklen kurze Pausen von wenigen Sekunden aufwiesen, in denen der Bereich zwischen den Gebäuden nicht beobachtet wurde. Es war im Grunde genommen zu wenig Zeit, um nennenswerten Schaden anzurichten oder irgendwo einzudringen, aber wenn man schnell genug von Dach zu Dach gelangte, konnte man sich so ungesehen bewegen. Er blieb für einen Moment auf dem Dach liegen, dann lief er geduckt zum Zugang zum Treppenhaus. Der Agent kam eine Minute nach ihm auf dem Dach aus. Die Männer von der CIA hatten diesen Weg ins Gebäude schon vor Monaten ausgetüftelt, falls sie eine Gelegenheit brauchten einige Räume zu verwanzen. Nun Maybourne auf diese Weise hier hinein zu bringen war ihnen zunächst gehörig gegen den Strich gegangen, doch er hatte sich schließlich durchsetzen können. Sie betraten das Treppenhaus und liefen mehrere Etagen hinunter. Der Agent wies darauf hin, dass sie in die eigentliche Entwicklungsabteilung mit den geheimen Unterlagen nicht würden hineingelangen können, ohne Alarm auszulösen, zumal dieser Bereich voll mit Kameras, Bewegungsmeldern und Lichtschranken überwacht wurde, doch er antwortete nur: „Ich will auch gar nicht dort hin.“

    Er steuerte schnurstracks den elften Stock an, wo sich laut der Gebäudebelegungspläne, die die CIA in ihrem Besitz hatte, Lignes Büro befand. Es war ein schlichter, fast schon steriler Korridor, wie man ihn in dieser Form auch in praktisch jedem anderen Bürogebäude der selbsternannten zivilisierten Welt finden konnte. Die Wände waren mit weißer Profiltapete beklebt, der Teppichboden war hart und in mit braunen Sprenkeln versehenem Grau gehalten und die Pflanzen und Bilder, die zur Auflockerung des ganzen im Flur platziert worden waren, hatten den Anschein unwichtigen Beiwerks. Sich an den Türschildern orientierend suchte Maybourne Lignes Büro und besah sich die Tür. Sie war nur mit einem einfachen Schloss gesichert, für das man keine Codekarten oder biometrischen Merkmale brauchte. Lediglich einen Schlüssel. Letztlich gab es auch keinen Grund diesen Raum besonders zu sichern. Selbst die CIA hatte Monate gebraucht, um die Zeitpläne und Wege zu ermitteln, die ihnen ein Eindringen in dieses Gebäude ermöglicht hatten und zudem wurden in diesem Büro auch keine Konstruktionsunterlagen aufbewahrt. Es diente seinem Besitzer nur für die Verwaltungstätigkeit, die seine Position unweigerlich mit sich brachte.

    Harry kniete vor dem Schloss nieder und zog seine Dietriche aus dem Strumpfsaum und bearbeitete das Schloss. Schon nach wenigen Sekunden gab es ein hörbaren Klicken und die Tür schwang auf. Sie betraten den Raum und er machte sich sofort daran die Unterlagen auf dem Schreibtisch durchzusehen. Es stellte sich heraus, dass Ligne die Auffassung zu vertreten schien, dass nur aufräumte, wer zu faul zum Suchen war. Wie um diese Einschätzung zu unterstreichen hing an seiner Pinnwand ein Zettel mit dem Spruch „Ein Genie beherrscht sein Chaos“. Schließlich fand er in jenem Wust von Unterlagen einen Zettel, der sich auf die aktuellen Projekte bezog. Er las sich die Unterlagen durch, wobei er leise mitnuschelte, was dort stand. „Ausschreibung des amerikanischen Verteidigungsministeriums… Bau des Stratosphärentransportflugzeuges A760X ‚Helios’… Bau unter Verzicht auf naquadabasierte Technologien…“ Langsam legte er den Zettel aus der Hand. Dann ging er zu einem der Aktenschränke. Beherzt zog er einige Ordner hervor und sah sich den Inhalt durch. Im schwachen, grünlichen Licht der Nachtsichtbrille, die er trug – sie wagten es nicht Licht zu machen – brauchte er einen Moment, um die Papiere lesen zu können, doch dann kam ihm schließlich die Gewissheit. Im vierten Ordner, den er geöffnet hatte, war Korrespondenz zwischen Ligne und der Geschäftsleitung abgeheftet, in denen es um einen Bieterwettstreit zwischen Airbus und einem Konkurrenten ging, die beide um einen Auftrag vom amerikanischen Verteidigungsministerium buhlten. Und Ligne war der zuständige Chefingenieur. In aller Eile photographierte er die Dokumente mit einer kleinen Digitalkamera ab, dann verschwanden sie wieder aus dem Gebäude.

    Vier Tage später traten drei Männer vor die Wohnungstür von Victor Ligne in Toulouse. Während einer die Umgebung im Auge behielt, klingelte ein anderer. Es dauerte einen Moment, dann machte ein Mann die Tür auf, auf den die Beschreibung ihres Ziels passte. Einer attackierte ihn sofort mit einem Elektroschocker und setzte ihn damit außer Gefecht. Sie packten ihn, so dass er nicht zu Boden fallen konnte und zogen ihn in die Wohnung. Dort legten sie ihn auf den Boden und zogen ihm einen Schuh aus. Während einer eine Spritze mit einem Gift aufzog, das zum Herzstillstand führen würde und das sie ihm zwischen den Zehen spritzen würden, machte ein anderer sich auf die Suche nach dem Medikamentenschrank. Doch plötzlich flog eine Tür zu einem Nachbarraum auf und drei Männer mit Schusswaffen stürzten heraus. Sie trugen Zivilkleidung, doch unter der geöffneten Jacke des einen konnte man eine schusssichere Weste sehen. Sie eröffneten ohne weitere Vorwarnung das Feuer. Zwei der Männer, die gekommen waren, um Ligne zu töten, starben sofort. Der dritte schaffte es noch hinter ein Sofa in Deckung zu hechten und eine Waffe zu ziehen, doch als er auf der Suche nach einem Ziel hinter seiner Deckung hervorschaute, wurde er sofort von einer präzise gezielten Kugel in den Kopf getroffen.

    Keine hundert Meter von der Wohnung entfernt stand Harry Maybourne an eine Hausecke gelehnt. Als er die Schüsse hörte, lächelte er zufrieden. So einfach würde ein Mitglied der Familie Kinsey seine Seele kein zweites Mal bekommen. Er drehte einen Zettel zwischen den Händen, den er erst gestern von einem Kurier bekommen hatte. Während seine Männer in der Wohnung durch die Waffen von Europol-Beamten starben, tauchte Léon Mathieu hinter einer Häuserecke auf. Er lächelte schwach, als er Maybourne sah und kam zu ihm. „Ich danke ihnen für ihren Hinweis, Monsieur Maynourne.“ Er nickte und meinte: „Nennen sie mich Harry.“ Am vorangegangenen Abend hatte er einem Fahrradkurier einen Briefumschlag mit einem einzelnen Zettel darin und der Anweisung gegeben, ihn beim örtlichen Büro von Europol in den Briefkasten zu werfen. Darauf hatten nur neun Worte gestanden: Morgen 17 Uhr, Rue de Bac; drei Mann, bewaffnet. Glücklicherweise hatte Mathieu den Zettel erhalten und verstanden. „Danke.“ Er hielt Harry die Hand hin. „Léon.“ Er ergriff die dargebotene Hand und schüttelte sie. „Was hat deine Meinung geändert?“

    Harry hielt den Zettel hoch. „Ich habe herausgefunden, dass Ligne der verantwortliche Ingenieur für die Entwicklung eines Truppentransportflugzeuges ist, das von der Airforce ausgeschrieben wurde. Die Dinger sollen mit Raumstreitkräften zusammen operieren und binnen zwei Stunden von Nordamerika an jeden Ort der Welt gelangen können. In dem Auftrag steckt richtig Geld drin. Der einzige ernstzunehmende Mitbewerber war Boeing, aber deren Entwurf basierte auf integrierter Goa’uld-Technologie. Und nun, wo die Sternentore zerstört sind, können sie kein neues Naquada mehr beschaffen, das sie für den Bau bräuchten. Zuerst hatten sie darauf gehofft, dass die Unruhen hier Airbus aus dem Rennen werfen würden, so dass sie mehr Zeit hätten die Entwürfe zu ändern, aber während die Leute hier das Werksgelände besetzen, wird in Hamburg noch produziert. Airbus hätte das Rennen gemacht.“ Er seufzte. „Deshalb habe ich einen meiner Freunde beim NID darauf angesetzt nach Verbindungen zwischen dem Minister, der mir diesen Auftrag erteilt hat, und Boeing zu suchen. Und sie da: Einer seiner größten Wahlkampfspender ist mit zwölf Prozent Teilhaber in Chicago. Der Rest erklärt sich von selbst.“

    Mathieu pfiff, als er das hörte. „Mann, hätte ich das gewusst.“ Harry sah ihn überrascht an. „Du wusstest nicht davon?“ „Nein. Wir hatten nur vom britischen MI6 erfahren, dass ein Attentat auf Ligne verübt werden sollte, damit er keine technologischen Geheimnisse weitergeben kann. Und ich wusste, dass das nicht passieren wird.“ „Und woher?“ „Ich weis es, weil wir bald unser Recht einfordern werden, Harry. Und wenn es soweit ist, wirst du davon hören.“ Die Sirenen von Einsatzwagen der Polizei hallten von der nächsten Hauptstraße herauf. Mathieu sah zuerst in jene Richtung, dann wieder zu Harry und meinte: „Du solltest besser verschwinden. Wir kümmern uns um die Polizei. Und noch mal: Danke.“ Harry nickte. Dann lief er die Straße hinunter in Richtung der Garonne. Er nahm noch am selben Tag einen Flieger zurück nach Amerika, wo er Kinsey einen Bericht ablieferte, aus dem hervorging, dass Ligne wegen Verrats von Firmengeheimnissen von der örtlichen Polizei überwacht worden war und dass die für die Observation eingesetzten Beamten eingegriffen hatten, als sie den Überfall auf die Wohnung des Ingenieurs bemerkten. Der Minister kochte vor Wut, glaubte Maybourne die Geschichte jedoch schlussendlich. Mathieu hatte sich entsprechend revanchiert, indem er dafür gesorgt hatte, dass die Agenten der CIA in Toulouse bei ihrer Untersuchung des Vorfalles zu Schlüssen kommen mussten, die Maybournes Geschichte bestätigten.

    Eine Woche später erfuhr Harry schließlich auch, auf welche Weise der Franzose sein Recht einforderte. Und nicht nur er, sondern Europa an sich. Am 24. Juni 2012 besetzten Streitkräfte unter dem Befehl der europäischen Kommission und des Europarates die wichtigsten Verwaltungs- und Militäreinrichtungen in Europa. Ihr Erfolg wäre in dieser Form nicht möglich gewesen, hätten sie nicht die Technologie für Victor Lignes Transportflieger gehabt, die dieser ihnen zusammen mit einigen überzeugten Europäern bei Airbus in Form mehrerer Prototypen zugespielt hatte. Léon Mathieu und seine Kollegen und Freunde von Europol gehörten zu den Männern, die halfen wichtige Polizeidirektionen unter Kontrolle zu bekommen. Es war der erste Schritt in Richtung des Systems der drei Machtblöcke, dass sie in den zwanziger und dreißiger Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts kannten und damit auch der Anfang einer Entwicklung, die Harry über eine verworrene Odyssee nach Wolgograd gebracht hatte.

    Zweiundzwanzig Jahre später saß Harry an seinem Schreibtisch im neuen Sternentorkommando bei Wolgograd und dachte über die Worte nach, die Léon damals zu ihm gesagt hatte. Dann fing er wieder an die Rede zu schreiben. Moral, Vernunft und Menschenwürde? Er war nicht Idealist genug, um wirklich daran zu glauben, dass sie solch hehre Ziele würden verwirklichen können. Doch er konnte die Soldaten daran erinnern, dass es sich lohnte dafür zu kämpfen. Wenn man nach den Sternen griff und sie verfehlte, erreichte man trotzdem noch den Gipfel. Er schrieb noch fast zwei Stunden lang, wobei er seinen unglücklichen Adjutanten noch ein zweites Mal aus seinem Büro heraus schmiss. Als er schließlich fertig war, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und sah durch die Fenster des Büros hinaus. Es war kein Blick auf die Flusstäler der Wolga und des Don, die man vom Eingang des Stützpunktes aus sehen konnte, sondern einer in einen benachbarten Raum. Es war eine große Nachrichtenzentrale, wo Meldungen von allen Außenposten und Einheiten eingingen, die die EU im All verteilt hatte. Wenn sie erst einmal in Betrieb war, würden hier dutzende Kommunikationsoffiziere die eingehenden Datenströme verarbeiten, welche ein komplettes Bild der Lage in der Galaxie vermitteln sollten. Es sah dort schon fast präsentabel aus. Die letzten Techniker schlossen noch diverse Computer und die großen Anzeigetafeln an den Wänden an, doch bis morgen würde es fertig sein. Ja, der große Tag, an dem sie das Sternentor wieder öffnen würden, konnte kommen.

    Am nächsten Tag:

    Am Nachmittag dieses Wintertages des Jahres 2034 waren zweitausend Soldaten des neu aufgestellten ersten Sternentorregiments im gewaltigen Torraum des Stützpunktes angetreten. Sie standen in ihren Kompanien beisammen und bildeten zusammen mit Technikern und Stützpunktpersonal ein Spalier von den Fenstern des Kontrollraumes bis zum Tor. Als Harry den Raum betrat und zusammen mit einer Ehrenformation, die die Fahnen des Regiments trug, zum Rednerpult ging, das man vor dem Tor aufgestellt hatte, waren mehrere Kamerateams im Raum unterwegs und filmten die Zeremonie aus allen Perspektiven. Vor dem Rednerpult standen Honoratioren, angefangen von Generälen der Streitkräfte bis hin zu Regierungsvertretern und eine Marschkapelle spielte die Europahymne. Während Maybourne die Reihen der Soldaten abschritt, konnte er seinen Stolz über das erreichte nicht verbergen. In einem halben Jahr seit der Schlacht um Elysium hatten sie eine neue Einheit geschaffen, die alle Teilstreitkräfte mit einander verband und einen Stützpunkt aufgebaut, der zum Zentrum einer Operation werden sollte, wie die Welt sie in dieser Form noch nicht gesehen hatte. Der Torraum war deutlich größer, als der im alten STK. Seine Decke, die sich annähernd halbkreisförmig über ihnen wölbte, war an ihrer Scheitellinie zehn Meter hoch und der Raum selbst war etwas mehr als hundertzwanzig Meter lang. Zur Verteidigung waren Kasematten in den Wänden angebracht, von denen aus Angreifer unter Beschuss genommen werden konnten und in der Decke versenkbare Geschütze konnten den ganzen Raum in eine Todeszone verwandeln. Die Größe war nicht nur aus repräsentativen Zwecken gewählt worden, sondern hatte auch einen ganz praktischen Grund. Sie hatten neue Jumper bekommen, die völlig auf der Basis von irdisch adaptierter Technologie gebaut worden waren und fast achtzig Meter Platz brauchen, um von voller Geschwindigkeit abzubremsen. Zudem konnten so Fahrzeuge, wie Panzer und Geländewagen durch das Tor gebracht werden.

    Er hatte dafür gesorgt, dass die ganze Veranstaltung so wenig Pomp wie möglich beinhaltete. So hatte er durchgesetzt, dass seine Soldaten nicht in Paradeuniform, sondern in Einsatzkleidung angetreten waren. Wenn die halbe Welt ihnen schon zusah, wollte er ihr kein Bild sinnloser Prachtentfaltung, sondern eines der Bereitschaft bieten. So trug auch er nur den großen Dienstanzug. Als er das Pult erreichte, beendete die Kapelle gerade die letzte Strophe der Hymne. Maybourne, der in Gedanken mitgesungen hatte, formulierte lautlos die Worte:

    Seid umschlungen, Millionen!
    Diesen Kuß der ganzen Welt!
    Brüder! über'm Sternenzelt
    muß ein lieber Vater wohnen.
    Seid umschlungen!
    Diesen Kuss der ganzen Welt!
    Freude schöner Götterfunken!
    Tochter aus Elysium!
    Freude, schöner Götterfunken! Götterfunken!

    Obwohl zu dieser Hymne kein Text intoniert wurde, verspürte er immer den Drang sie laut mitzusingen. Er schüttelte kurz den wichtigsten Ehrengästen die Hand, dann stellte er sich vor das Pult. Er sah die Reihen der Soldaten vor sich. Sie alle standen noch stramm und hatten die Hand zum Salut an die Stirn gehoben. Er sprach ins Mikrophon: „Stehen sie bequem.“ In einer synchronen Bewegung nahmen alle die Füße einen Schritt auseinander und verschränkten die Hände hinter dem Rücken. „Soldaten“, begann er, „als vor sechsunddreißig Jahren die Geheimnisse des Sternentors entschlüsselt worden waren, sagten viele, dass man es verschlossen lassen sollte. Sie sagten, dass es Wissen gäbe, dass besser niemals erlangt werden solle und dass es Türen gäbe, die man niemals aufstoßen sollte. Doch vor mittlerweile wurden wir eines besseren belehrt. Heureka und Elysium haben uns gezeigt, dass Blindheit, dass Ignoranz gefährlich ist. Deshalb werden wir ab heute Augen und Ohren der Erde sein. Wir werden das Tor wieder öffnen und die Galaxie erkunden. In den letzten Monaten haben Raumschiffe der europäischen Flotten Sternentore quer über die Milchstraße verteilt, haben sie auf Planeten oder mitten im All ausgesetzt, während wir hier unsere Truppe zusammenzogen. Jetzt stehen uns über tausend Tore offen und wir haben zehntausend Mann, zweihundert Flieger und die geballte Macht Europas hinter uns. Doch wir haben noch mehr. Wir haben unseren gemeinsamen Glauben an eine gerechte Sache. Wir glauben daran die Geheimnisse dieser Galaxie zu entdecken. Wir glauben daran die Erde zu schützen, wie die Verteidiger der freien Menschen dieser Galaxie vor dreißig Jahren, in deren Tradition wir stehen. Wehe denen, die sich uns in den Weg stellen. Öffnen wir das Tor ein neues Mal.“

    Mit einer Geste befahl er Ernst Allert fortzufahren. Der Oberst trat einen Schritt aus der Formation der Offiziere vor und brüllte mit von Mikrophonen verstärkter Stimme: „Sternentor anwählen!“ Aus dem Kommandoraum kam eine Bestätigung und der innere Ring des Tores setzte sich in Bewegung. Erster Glyph, zweiter Glyph… Das Wurmloch wurde gebildet und das erste Erkundungsteam trat hindurch.
    Die Freiheit des Bürgers heißt Verantwortung.

    (Joachim Gauck)


    "You may belong to any religion[...] - that has nothing to do with the buisness of the state. We are starting with this fundamental principle, that we are all citizens and equal members of one state." (Sir Mohammed Ali Jinnah)

    Meine FF:

    Laufend: 2036 - A Union at War

    Abgeschlossen: 2034 - Das neue Sternentor

  2. Danke sagten:


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