A/N: Pünktlich zum Wochenendausklang habe ich heute ein neues Kapitel für euch. Ich hoffe, dass es euch gefällt, und freue mich auf eure Meinung.
Viel Spaß beim Lesen!
Liebe Grüße
eure Moni
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Kapitel Sieben
„Torren, beeil Dich, sonst kommst Du zu spät zur Schule“, hörte John Teyla in den Flur hineinrufen, und fast im selben Moment ertönte die Antwort des Jungen aus dem Obergeschoss.
„Ich komme gleich.“
Teyla seufzte, und John versteckte sein Grinsen, so gut es ging, hinter seiner Tasse, als er genüsslich einen großen Schluck Kaffee nahm, doch Teyla bemerkte das verräterische Zucken seiner Mundwinkel und warf ihm einen grimmigen Blick zu.
„Ich finde das überhaupt nicht komisch, John“, erklärte sie streng. „Ein solches Verhalten ist nicht akzeptabel.“
„Entschuldige bitte“, erwiderte John schuldbewusst, konnte sich ein Schmunzeln aber dennoch nicht verkneifen. Teyla verdrehte die Augen, schüttelte den Kopf und hätte vermutlich etwas gesagt, wenn nicht in diesem Augenblick die Tür zum Schankraum aufgegangen und Torren hereinspaziert wäre.
„Du liebe Zeit“, stieß Teyla verzweifelt aus, als sie ihren Sohn erblickte, erhob sich und eilte zu ihm. Kopfschüttelnd betrachtete sie den Jungen von Kopf und Fuß. Die dunklen Haare standen ihm am Hinterkopf zu Berge, das Hemd hing ihm aus der Hose und er war barfuß. „Komm her“, befahl sie ihm streng und zog ihn zu sich. „Wie siehst Du nur wieder aus?“; schimpfte sie mit ihm und starrte dann auf seine nackten Füße. „Und wo, um Himmels Willen, sind Deine Schuhe?“
Torren wackelte mit den Zehen.
„Ich habe sie ausgezogen, bevor ich in die Kutsche von Mrs. O’Neill kletterte. Ich wollte nicht, dass sie dreckig werden.“
„Und wo sind die Schuhe jetzt?“, fragte Teyla und sah ihn streng an.
Ihr Sohn ließ zerknirscht den Kopf hängen und friemelte am Saum seines Hemds herum.
„Das weiß ich nicht“, nuschelte er. „Ich glaube, ich habe sie verloren.“
Teyla seufzte tief, sagte aber nichts und steckte sie ihm das Hemd ordentlich in die Hose. Ahnend, dass seine Mutter aufgebracht war, ließ Torren die Prozedur stillschweigend über sich ergehen; nur als sie seinen Kopf an ihre Brust zog, sträubte er sich und versuchte sich aus ihrem Griff zu befreien.
„Igitt… Mama“, jaulte er und zappelte, als Teyla seine Haarwirbel mit Spucke zu glätten versuchte.
„Halt jetzt still“, zischte sie und kämmte mit den Fingern durch Torrens widerspenstige Haare, die wie immer wild in alle Richtungen abstanden.
„Mama…“
Neugierig und belustigt zugleich verfolgte John das Geplänkel zwischen den beiden, bis es Torren gelang, sich loszureißen.
„Los, geh jetzt Deine anderen Schuhe holen“, wies Teyla ihn an und rief, als der Junge schon beinahe wieder zur Tür hinaus war: „Und vergiss Deine Schulsachen nicht!“ Torren murmelte ein paar unverständliche Worte als Erwiderung und verließ den Raum.
Seufzend kehrte Teyla auf ihren Platz zurück.
„Alles in Ordnung?“, fragte John besorgt, als sie sich zu ihm an den Tisch setzte. Sie sah immer noch mitgenommen aus und wirkte erschöpft. Müde nickte sie, doch die dunklen Schatten, die unter ihren Augen hingen, straften sie Lügen. Beunruhigt ließ er seinen Blick über sie gleiten und bemerkte erst jetzt, bei genauerem Hinsehen, wie blass sie war. Ihr Anblick versetzte ihn in Sorge und er begann sich zu fragen, warum ihm nicht schon viel früher aufgefallen war, wie schlecht sie aussah. Lag es an ihm? Belastete sie seine Gegenwart so sehr? Oder war es etwas anderes?
John wagte es kaum, nach dem wahren Grund zu fragen, in der Angst, dass sie ihn wieder aus dem Haus jagen würde. Die Stimmung zwischen ihnen war an diesem Morgen wieder deutlich angespannter und er hatte das Gefühl, sich für das, was gestern Abend vorgefallen war, entschuldigen zu müssen. Er hatte nicht geplant, sie zu küssen, und es war auch nicht seine Absicht gewesen, sie dadurch in eine unangenehme Situation zu bringen. Es war einfach so geschehen und er konnte sich im Nachhinein auch nicht erklären, warum oder wie es dazu gekommen war. Er fühlte sich schuldig, aber zugleich auch verwirrt. Sie hatte den Kuss zugelassen und schließlich sogar erwidert und das obwohl sie ihm noch vor ein paar Tagen im übertragenen Sinn die Pest an den Hals gewünscht hatte. Hatte sich daran jetzt, da er von Torren wusste, etwas geändert?
Nachdenklich musterte er sie. Sie hielt die Hände im Schoß, die Finger fest ineinander verschränkt, und schaute aus dem Fenster auf die staubige Straße hinaus.
„Teyla“, sprach er sie an, doch erst als er ein zweites Mal leise ihren Namen rief, reagierte sie, holte tief Luft und sah ihn an.
„Ja?“
„Teyla“, begann er und legte die Hände vor sich auf den Tisch, „ich werde das Gefühl nicht los, dass ich mich bei Dir entschuldigen sollte.“
„Wofür?“, fragte sie, und John sah, wie einer ihrer Mundwinkel nervös zuckte.
„Für gestern Abend“, antwortete er. „Es sind… Dinge geschehen, die besser nicht hätten geschehen dürfen, und ich möchte, dass Du weißt, dass es mir leid tut. Es war ganz gewiss nicht meine Absicht, dass so etwas passiert.“
„Soweit ich mich erinnere, ging die Initiative von uns beiden aus“, rief Teyla ihm in den Sinn, „und in diesem Fall sollte ich mich auch bei Dir entschuldigen.“
John schüttelte den Kopf.
„Nein, Teyla, Dich trifft keine Schuld. Ich hätte nicht-“
„Schon gut, John“, fiel sie ihm ins Wort, zog ihre Hand unter dem Tisch hervor und legte sie auf seine. „Du brauchst Dich nicht zu rechtfertigen“, sagte sie. „Wir waren beide gestern etwas durcheinander. Wir haben uns geküsst und mehr nicht.“
„Das heißt, Du bist mir nicht böse?“, schlussfolgerte John.
Teyla verneinte.
„Ich bin Dir nicht böse“, sagte sie, „aber bitte, lass uns nicht mehr darüber sprechen. Es ist besser so, glaube mir.“
John nickte, und die Erleichterung in seiner Stimme war mit Händen zu greifen. „In Ordnung.“
„Danke“, flüsterte Teyla und schenkte ihm ein scheues, zurückhaltendes Lächeln. Ihre Blicke trafen sich sekundenlang, bis das Geräusch von Schritten Teylas Blick zur Tür lenkte.
„Ich habe leider nur diese Schuhe gefunden“, verkündete Torren, als er den Raum betrat, und blickte auf seine Füße hinab, die in einem Paar alter brauner Lederstiefel mit abgelaufener Sohle steckten. Stirnrunzelnd begutachtete John das Schuhwerk seines Sohnes und schüttelte den Kopf.
„Gibt es in Athos Creek einen Schuhmacher?“, wandte er sich fragend an Teyla.
„Nein, nicht mehr. Mr. Rush musste sein Geschäft vor ein paar Monaten aufgeben“, antwortete sie. „Aber Mr. Zelenka verkauft hin und wieder welche in seinem Laden.“
John nickte. „Gut. Dann werden wir, sobald ich wieder in der Stadt bin, ein ordentliches Paar Schuhe für den Jungen kaufen.“
„Er besitzt bereits ein ordentliches Paar Schuhe“, erwiderte Teyla pikiert.
„Du meinst diese da?“, fragte John und deutete mit dem Finger auf Torrens zerschrammte und an der Sohle bereits eingerissene Stiefel. „Oder sprichst Du von denen, die er verloren hat?“ Er wusste, dass Teyla niemals auf sein Angebot, dem Jungen ein neues paar Schuhe zu kaufen, eingehen würde, aber dass sein Sohn weiter in diesen kaputten Stiefeln herumlief und sich schlimmstenfalls eine Erkältung holte, erschien John inakzeptabel.
„Wir werden ihm ein neues Paar Schuhe kaufen“, wiederholte er daher entschieden, mit Nachdruck in seiner Stimme. „Schon morgen.“
„Bleibst Du etwa nicht hier?“, meldete sich da auf einmal Torren zu Wort und sah ihn mit großen, verunsicherten Augen an.
„Nein, mein Junge“, antwortete John, „ich muss zurück nach Pegasus‘ Hill.“ Torrens Unterlippe begann zu zittern, seine Schultern sackten nach unten, und er ließ enttäuscht den Kopf hängen.
„Oh.“
„Aber ich komme wieder“, versprach John, erhob sich, ging zu seinem Sohn hinüber und kniete vor ihm nieder, sodass sie auf Augenhöhe waren. „Es gibt ein paar Dinge, die ich erledigen muss, aber wenn ich damit fertig bin, verspreche ich Dir, dass ich wiederkomme.“
Torren hob den Kopf zaghaft wieder etwas an. „Wirklich? Du versprichst es?“
John nickte und fasste ihn bei den Schultern.
„Ich verspreche es“, sagte er und schielte kurz zu Teyla hinauf. „Aber wir müssen auch Deine Mutter fragen, ob sie damit einverstanden ist.“
Der Blick des Jungen huschte zu seiner Mutter.
„Darf er wiederkommen, Mama?“, fragte er. „Bitte, darf er wiederkommen?“
Teyla seufzte lang anhaltend, schloss die Augen und nickte.
„Natürlich darf er wiederkommen“, antwortete sie, woraufhin Torren ein freudiges Glucksen von sich gab und seinem Vater überschwänglich um den Hals fiel. Überrascht legte John ebenfalls seine Arme um den Jungen und ließ sich von ihm umarmen. Vom allerersten Augenblick an war klar gewesen, dass Torren begeistert von ihm war und ihn akzeptierte, und sie hatten gestern Abend lange miteinander geredet, aber eine derart stürmische Aktion hatte John zu diesem Zeitpunkt nicht erwartet und es war ihm, zugegeben, in Teylas Gegenwart noch etwas unangenehm.
„In Ordnung“, sagte er daher und löste sich von seinem Sohn, strich ihm übers Haar und erhob sich. „Deine Mutter hat Recht; Du solltest Dich jetzt besser beeilen, sonst kommst Du wirklich noch zu spät zur Schule.“
„Kannst Du mich nicht heute zur Schule bringen?“, bettelte Torren.
„Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist“, erwiderte John und schüttelte den Kopf. „Zumindest jetzt noch nicht“, vertröstete er ihn.
Torren zog einen Flunsch, denn die Antwort schien ihm ganz und gar nicht zu gefallen.
„Aber warum denn nicht?“, wollte er wissen und setzte einen traurigen Blick auf. „Grace wird auch von ihrem Pa zur Schule gebracht.“
John seufzte und ging wieder in die Knie.
„Torren“, begann er und erklärte mit sanfter, aber sehr bestimmter Stimme, „bitte versteh‘ mich nicht falsch. Ich freue mich wirklich sehr, dass ich Dich endlich kennenlernen durfte, und ich würde liebend gern so viel Zeit wie nur irgendwie möglich mit Dir verbringen, aber es gibt da noch ein paar wichtige Dinge, die ich unbedingt vorher klären muss. Verstehst Du das?“
Torren schob schmollend die Unterlippe vor und nickte, also fuhr John fort.
„Einige Leute würden es bestimmt falsch verstehen, wenn man uns jetzt zusammen sieht-“
„Aber warum?“, fiel sein Sohn ihm ins Wort. „Ich verstehe das nicht. Du bist doch mein Pa!“
John rieb sich seufzend den Nacken.
„Das ist eine lange, lange Geschichte, Torren“, antwortete er und blickte zu Teyla auf, die der Unterhaltung lauschte. „Die Leute mögen mich nicht, weil ich Dich und Deine Mutter damals allein gelassen habe, und es würde ganz bestimmt Gerede geben. Und das möchte ich nicht. Ihr seid meine Familie“, sagte er, nahm Torren bei der Hand und griff auch nach der von Teyla, „und ich möchte nicht, dass man schlecht über meine Familie redet.“
Während sein Sohn das Gesagte noch zu verarbeiten versuchte, spürte John, wie Teyla ihre Hand in seine schob. Lächelnd verwob er seine Finger mit ihren, drückte ihre Hand und strich mit dem Daumen sanft über ihr Handgelenk, fühlte ihren Puls, der sich ein klein wenig beschleunigte, als er die zarte Haut berührte.
„Ich habe verstanden“, erklärte Torren schließlich.
„Das ist gut. Ich bin sehr stolz auf Dich, mein Junge“, sagte John, ließ Torrens als auch Teylas Hand los und richtete sich auf. „Ich verspreche Dir, dass ich Dich eines Tages zur Schule bringen werde“, meinte er zu Torren, als Teyla und er den Jungen zur Tür begleiteten.
„Ganz bestimmt?“, hakte sein Sohn nach, blieb in der offenen Haustür stehen und blickte mit funkelnden Augen zu ihm auf.
„Ganz bestimmt“, bestätigte John, wuschelte ihm liebevoll durchs Haar und trat einen Schritt zur Seite, damit Teyla sich von ihrem Sohn verabschieden konnte.
„Viel Spaß heute in der Schule“, sagte sie, ging in die Knie und verstaute ein sorgfältig in Papier eingeschlagenes Stück Brot in seiner Schultasche. Dann küsste sie ihn auf die Stirn. „Wir sehen uns nachher. Ich hab‘ Dich lieb bis zum Mond und wieder zurück, mein Schatz.“
„Und ich Dich doppelt so viel“, griente Torren, verabschiedete sich mit einem Winken und rannte über die Straße, wo bereits eine Gruppe Kinder auf ihn wartete.
„Wer ist die Kleine?“, fragte John, als er sah, wie sein Sohn zielgerichtet auf ein etwa gleichaltriges Mädchen mit blonden Engelslocken und wachen blauen Augen zusteuerte.
„Das ist Sarah-Grace McKay“, erklärte Teyla ihm mit einem seligen Lächeln auf den Lippen. „Sie ist die Tochter von Jennifer McKay und ihrem Mann Rodney und nur ein paar Monate älter als Torren.“
John schmunzelte und beobachtete mit stolz geschwellter Brust, wie sein Sohn das Mädchen in dem roten Kleid zum Lachen brachte. „Er scheint sie zu mögen.“
„Erwähne das bloß nicht Rodney gegenüber“, warnte Teyla und drehte sich um, um ins Haus zurückzugehen. „Sarah-Grace ist sein Ein und Alles und er wacht mit Argusaugen über sie.“
„Verständlich“, meinte John und sah ein letztes Mal zu den Kindern hinüber, ehe er Teyla ins Haus folgte. „Sie ist ein hübsches kleines Ding. Der Junge hat Geschmack.“
Teyla verdrehte die Augen und schüttelte leicht den Kopf, sagte aber nichts.
„Und Du willst wirklich jetzt schon nach Pegasus‘ Hill zurückkehren?“, fragte sie schließlich, als sie sich unschlüssig im Schankraum gegenüberstanden. „Bist Du sicher, dass das eine gute Idee ist?“
„Ich befürchte, mir bleibt keine andere Wahl“, antwortete John und seufzte tief. „Entweder ich stelle mich meinem Bruder freiwillig oder er wird sich anderenfalls aufmachen, um sich selbst ein Bild zu machen.“
„Aber wäre das nicht besser?“, gab Teyla zu Bedenken. „Wenn er es selbst sieht, anstatt es nur von Dir erklärt zu bekommen?“
John schüttelte den Kopf und setzte sich, begleitet von einem weiteren schweren Seufzer, an einen der leeren Tische.
„Du kennst ihn nicht“, sagte er und bedeutete ihr, ebenfalls Platz zu nehmen. „Mr. O’Neill tat gut daran, mir zu empfehlen, nicht mit ihm nach Pegasus‘ Hill zurückzugehen. Mein Bruder ist ein tüchtiger Geschäftsmann, aber er neigt, wie unser Vater, zum Jähzorn. Er ist bestimmt außer sich, weil ich ihm die Wahrheit verschwiegen habe.“
„Das heißt“, meinte Teyla und ließ sich auf den Stuhl ihm gegenüber sinken, „dass Du ihm und Deiner Familie nichts von Deiner Zeit hier erzählt hast.“ Es war keine Frage, es war eine einfache Feststellung, und John seufzte zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit.
„Nein, ich habe ihnen nicht von meiner Zeit hier berichtet“, gestand er ihr, und Teyla runzelte die Stirn.
„Sie wissen also nichts von… uns?“, fragte sie leise. Wieder schüttelte John den Kopf und schloss schuldbewusst und voller Bedauern für einen Moment die Augen.
„Sie hätten es nicht verstanden“, beteuerte er, „und außerdem haben sie nie danach gefragt.“
„Was wäre, wenn ich Dich danach fragen würde?“, erkundigte Teyla sich auf einmal, neigte den Kopf zur Seite und sah ihn an. „Würdest Du es mir erzählen?“
John zuckte mit den Achseln.
„Das kommt darauf an“, meinte er. „Es ist keine besonders spannende Geschichte.“
„Ich würde sie trotzdem gerne hören“, erwiderte Teyla und griff plötzlich unvermittelt über den Tisch hinweg nach seiner Hand. „Ich habe mich immer gefragt, wie es Dir damals, nach Deinem Weggang, ergangen ist.“
John runzelte die Stirn und musterte sein Gegenüber abwägend. „Willst Du das wirklich, Teyla?“
Sie nickte. „Es zu wissen, würde mir wenigstens etwas von meinem Seelenfrieden zurückgeben.“
„Nun gut-“ John setzte sich etwas aufrechter hin und holte tief Luft. Er war sich nicht sicher, ob es Teyla wirklich interessierte, aber allein schon die Bereitschaft, ihm Gehör zu schenken, war ihm eine Wohltat, die er nicht missen wollte.
„Wie gesagt, es ist keine spannende Geschichte“, begann er zu erzählen und lehnte sich mit den Unterarmen auf den Tisch. „Ich war in Richtung Osten gereist und rund einen Monat unterwegs, als ich in eine größere Stadt namens Sateda City kam. Dort habe ich eine Weile auf der Farm eines gewissen Mr. Dex als Zureiter und Stallbursche gearbeitet“, erinnerte er sich. „Es war keine gute bezahlte Arbeit, aber der Lohn reichte für das Nötigste, und Mr. Dex gewährte mir ein Dach über dem Kopf und Verpflegung. Ich blieb für rund drei Monate bei ihm.
Eines Tages kam ein hochrangiger Politiker von der Ostküste in die Stadt und sprach mich während einer Bürgerveranstaltung im Rathaus an. Ich erinnere mich nicht mehr an seinen Namen, aber sehr wohl daran, wie aufgeregt er war. Er erzählte mir Dinge, Dinge, die nur jemand wissen konnte, der mich wirklich kannte. Ich wurde neugierig und wollte mehr wissen, also nahm ich seine Einladung an, ihn zwei Tage später nach Boston zu begleiten.“
„Boston“, wiederholte Teyla, die ihm bis jetzt aufmerksam zugehört hatte. „Du stammst also ursprünglich aus Boston?“
John nickte und setzte fort. „Kurz nach meiner Rückkehr erzählte mir mein Bruder, dass ich im Auftrag unseres Vaters auf dem Weg zu einer großen Industriemesse in Cheyenne gewesen war. Wie bekannt ist, bin ich dort allerdings nie angekommen, weswegen meine Familie mich nach einem Monat als vermisst meldete.“
„Du bist tatsächlich in der Nähe der Straße gefunden worden, die nach Cheyenne führt“, erinnerte Teyla sich. „Jeder ging damals davon aus, dass Du von Wegelagerern überfallen und zum Sterben zurückgelassen worden bist.“
„Das kann sein, aber ich weiß bis heute nicht, was damals wirklich geschah“, erklärte John und kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf, bevor er seine Geschichte fortsetzte. „Zwei, drei Wochen nach meiner Rückkehr nach Boston begann ich mich langsam an alles zu erinnern. An meinen Namen und auch an meine Familie und mein altes Leben.“
Teyla lächelte. „Es war sicher schön für Dich, Deine Familie und Freunde wiederzusehen.“
„Ja, das war es, aber…“, John hielt inne und suchte nach den richtigen Worten.
„Aber es war nicht dasselbe“, sagte Teyla plötzlich. John sah sie an und nickte langsam.
„Hätte ich damals geahnt, dass Du…“ Er brach erneut mitten im Satz ab und schüttelte seufzend den Kopf. „Hätte ich gewusst, wie sehr Du mich brauchst, wäre ich nie gegangen. Ich wäre geblieben, bei Dir und dem Kind. Ich wäre Torren ein guter Vater gewesen.“
„Ich weiß, John.“ Teylas Stimme war nur noch ein Flüstern, und Tränen standen in ihren Augen. „Ich weiß.“
„Ich war so dumm…“, sagte er, doch Teyla schüttelte den Kopf und fiel ihm ins Wort.
„Nein, John, das stimmt nicht! Hör auf so etwas zu sagen.“
„Ich hätte viel eher zurückkommen müssen. Ich hätte Dich nicht mit der ganzen Verantwortung alleinlassen dürfen.“
Teyla seufzte. „Du wusstest es doch nicht.“
„Ich hätte es wissen müssen“, erwiderte John. „Ich hätte mich vergewissern müssen, dass es Dir gut geht, aber… aber ich habe mich zu sehr geschämt. Und ich hatte… Angst. Ich hatte Angst davor, dass Du mich hasst.“
Nachdem er den Satz ausgesprochen hatte, wurde es still. Teyla blinzelte und starrte auf ihre Hände, die ineinander verkrampft vor ihr auf dem Tisch lagen.
„Weißt Du“, sagte sie schließlich, holte tief Luft und sah ihn wieder an, „ich habe Jahre damit zugebracht, mir einzureden, dass ich Dich hasse. Vermutlich ist das auch der Grund dafür, dass ich Torren nie von Dir erzählt habe. Ich wollte Dich hassen, John, aber… aber ich konnte es nicht. Ich habe mir eingeredet, es zu können, aber in Wirklichkeit habe ich Dich nie gehasst.“
Ihre Worte versetzten John in offensichtliches Staunen. All die Jahre hatte er geglaubt, dass sie ihn hasste, dabei tat sie es nicht. „Teyla…“
„Es tut mir leid, was ich zu Dir gesagt habe“, fuhr sie fort und verzog das Gesicht zu einer Grimasse aus Scham und Abbitte. „Ich habe das nicht so gemeint. Es war der Schock, der da aus mir gesprochen hat. Ich hatte mich bereits damit abgefunden, Dich nie wiederzusehen, und als Du dann plötzlich vor mir standest…“ Sie holte zittrig Luft und vermied es, ihm direkt in die Augen zu sehen, als sie leise flüsterte: „Auch ich hatte Angst.“
Behutsam legte John seine Hand auf ihre und schenkte ihr, als sie aufblickte und ihn ansah, ein aufmunterndes Lächeln.
„Vielleicht sollten wir aufhören, über die Vergangenheit zu sprechen, und uns auf das konzentrieren, was vor uns liegt“, schlug er vor, woraufhin Teyla erleichtert ausatmete.
„Das ist eine gute Idee“, sagte sie.
John nickte und verspürte ein angenehmes Gefühl von Zufriedenheit in sich aufsteigen und das, obwohl er wusste, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen war; nicht einmal die Voraussicht auf die unvermeidbare Konfrontation mit seinem Bruder konnte dieses Gefühl dämpfen. Er schenkte Teyla ein weiteres Lächeln und als sie es erwiderte, blitzte es zum ersten Mal so fröhlich und munter in ihren braunen Augen, wie er es von ihr gewöhnt war.
„Ich sollte jetzt besser gehen“, sagte er und es tat ihm fast Leid, sie allein zu lassen, aber er musste zurück nach Pegasus‘ Hill und mit seinem Bruder reden.
Teyla nickte, und sie erhoben sich und gingen gemeinsam zur Tür.
„Wann wirst Du wiederkommen?“, fragte sie, als sie auf die Veranda hinaustraten und unter dem Vordach des Hauses stehenblieben.
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„Sobald ich mit meinem Bruder gesprochen habe“, erwiderte John, seufzte und senkte betrübt den Kopf. „Ich wünschte nur, er hätte auf anderem Wege davon erfahren.“
„Er wird Dich verstehen, wenn Du ihm alles erklärst“, versicherte Teyla ihm, und plötzlich spürte er ihre weichen Hände auf seinem Gesicht. Sie hob seinen Kopf an, damit er ihr in die Augen sah, und fuhr sanft mit den Fingern über seine Wangen. Im selben Moment trafen sich ihre Blicke, und ohne groß darüber nachzudenken, was er tat, schlang John die Arme um ihre Taille und zog sie zu sich heran. Teylas Mund verzog sich zu einem Lächeln, und ihre Hand glitt seinen Hals hinunter, legte sich auf seine Brust, auf sein Herz. John stockte kurz der Atem, dann nahm er ihre Hand von seiner Brust und hielt das zarte Gelenk sanft umklammert.
„Ich sollte jetzt wirklich gehen“, wiederholte er, und Teyla nickte.
„Ja, das solltest Du“, flüsterte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen, um seine Wange zu küssen, überlegte es sich aber im letzten Moment anders, drehte den Kopf und presste ihre Lippen sachte auf seinen Mund. Verzaubert von der Leichtigkeit der Berührung schloss John die Augen, doch so schnell wie es zu diesem Kuss gekommen war, so schnell war er auch wieder vorbei. Gefühlt war es nur der Hauch einer Sekunde gewesen, und als John die Augen wieder öffnete, war Teyla bereits einen Schritt zurückgetreten und hatte eine Hand auf die Türklinke gelegt.
„Auf Wiedersehen, John“, sagte sie leise, bedachte ihn mit einem Lächeln und öffnete die Tür.
„Auf Wiedersehen“, erwiderte er und sah zu, wie sie lächelnd im Haus verschwand. Eine Weile starrte er auf die geschlossene Tür, dann stahl sich ein Grinsen auf seine kribbelnden Lippen.
Fortsetzung folgt…