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Reziwelten

Dreiundzwanzig

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Nach dem Sturm folgte eine unheimliche Stille der Sturm erstarb und die Segel hingen schlaff von den Rahen. Die Männer taten, was sie konnten, um die Löcher in der Leinwand zu stopfen, aber ihre Bewegungen waren langsam und schwer.
Denn jeder wusste, was das bedeutete – sie waren nicht nur dazu verdammt, zu warten, sondern auch dem Tod ins Auge zu sehen. Denn dichte Wolken verdunkelten den Himmel und machten es unmöglich, nach den Sternen zu navigieren – geschweige denn, dass es etwas genutzt hätte bei der Flaute.

Die launische Meeresgöttin hielt sie hier fest – verdammte sie zum Sterben, wenn sich in den nächsten zwei Tagen nichts tun würde, denn die Wasservorräte gingen zur Neige. Dass wussten nicht nur die Matrosen, sondern auch ihr Kapitän, der seine Hände auf das Steuerrad gelegt hatte und hinaus in die Dunkelheit starrte. Seine Lippen bewegten sich, als spreche er ein Gebet.

Die Männer wagten nicht, ihn anzusprechen, wussten sie doch, was der da gerade versuchte. Aber würde sie den Sohn einer ihrer größten Priesterinnen erhören wollen? Würde die Göttin sich von seinen Bitten umstimmen lassen? Sie bezweifelten es … denn auf Männer hörte sie seit den letzten Gräueltaten gegen ihre Dienerinnen nicht mehr – auch wenn die so unschuldig waren wie ihre Mannschaft.

Schuld an der Misere waren nur Lord Voldron und seine Schlächter, der sich einen Spaß daraus gemacht hatte, Meerjungfrauen zu jagen und sich mit ihren Häuten zu schmücken … aber er stand in der Gunst der Leviathane der tiefen See …

* * *

Jenseits des Horizontes stand eine alte Frau auf den Klippen an denen der Tempel endete und ließ sich von der Gischt nass sprühen, Ihre Augen waren ruhig auf das Meer gerichtet, ihre Arme ausgestreckt, als wolle sie ein Kind in die Arme nehmen.

Sorgenfalten umwölkten ihre Stirn, während sie ganz persönliche Worte zu ihrer Herrin sprach. „Ich bitte dich, o Gebieterin der Wellen, höre mich an. Dort draußen sind Unschuldige, gefangen in deinem Groll. Unter ihnen ist mein Sohn … und damit auch dein Kind. Sie alle haben deine Gebote immer mit treuem Herzen erfüllt, darum flehe ich dich an, ihnen die Gnade einer sicheren Heimkehr zu gewähren.“

„Und was willst du mir dafür geben?“ Für einen Moment schälte sich die geisterhafte Gestalt einer Nixe aus den Fluten. „Du weißt … dir zürne ich nicht, aber den Männern ...“

„Ich weiß, aber warum sollen die sterben, die dir helfen könnten, Lord Voldron aus deinen Wassern zu vertreiben. Er mag zwar die Gunst der Tiefen See besitzen … aber auf der anderen Seite missbraucht er die ihm verliehene Macht aufs grausamste.“ Die Priesterin lächelte. „Was ich dir geben kann. Mich selbst, Herrin ...“

Die Göttin verharrte. „Aber du hast viele Kinder, die deiner bedürfen, kannst noch viele Töchter auf den rechten Weg zu mir begleiten. Deine kluge Stimme wird in allen Ländern gehört. Wenn ich dich aber fordere, dann ...“

„Dann kann ich genau dies an anderer Stelle tun. Aber eines meiner Kinder ist in Gefahr … und die Kinder anderer Mütter, die dir treu gedient haben. Deshalb lass mich ihr Leitstern und ihr Wind sein, um sie nach Hause zu führen, damit sie die Gezeitenwende mit ihren Familien feiern können.“ Sie löste die Spangen und ließ das leichte Gewand von ihren Schultern gleiten. „Ich bin bereit, dir auch weiterhin zu dienen, wenn du mir diesen Wunsch erfüllst.“

Die Göttin streckte sich vor. So sei es ...“

* * *

Der Kapitän hatte den Kopf auf das Holz gelegt und jede Hoffnung verloren, als ihn plötzlich eine Stimme aufschreckte. „Da seht!“ Die Wolkendecke reißt!“
„Und ein Wind kommt auf!“ rief ein anderer.
Ein Dritter fügte genau so baff hinzu: „Ich sehe den Nordstern … nein ein Licht, das in eine ganz bestimmte Richtung weist. Das kann uns aber auch in die Irre führen. Was sollen wir tun?“ Die Matrosen in seiner Nähe blickten zu ihm hoch.

Gleichzeitig berührte auch etwas anderes die verborgenen Sinne des Kapitäns. *Folge mir, mein Sohn. Folge mir, denn ich will dich sicher nach Hause geleiten. Deine Frau und deine Kinder warten auf dich.*
„Mutter?“, wisperte der Kapitän tonlos. Seine Hände schlossen sich um das Steuerrad.
*Du wirst verstehen, was ich getan habe, wenn du zu wieder Hause bist, doch nun säume nicht, denn die Herrin ist immer noch traurig und launenhaft.*

„Wir folgen dem Licht, so wie einst unsere Vorfahren unter Oilidon, der Navigatorin, dem Stern in die neue Heimat folgten. Ich weiß, es wird alles gut werden!“ rief er seinen Männern zu. „Jeon, ans Ruder … Liom und Naran, kümmert euch um die Vordersegel … “ begann er die Mannschaft aufzuscheuchen und die Gunst der Stunde zu nutzen.

* * *

Aus den Fluten des Meeres heraus beobachteten zwei Nixen, wie das stolze Schiff durch die Wellen glitt. „Sie werden sich von nun an Legenden über dich erzählen … von der Priesterin, die sich der Göttin opferte, um ihren Sohn als Stern nach Hause zu führen, von der klugen und weisen Herrin des Tempels, die aus Liebe zu ihrer Familie freiwillig in den Tod ging.“
Die Göttin seufzte.
„Ich hoffe, das wird keine Schule machen. Ich habe nie Opfer an Leben verlangt, wie andere meiner Geschwister. Und schon gar keine will ich, die mir mit Gewalt gegeben werden. Dass ich deinem Wunsch entsprach, hat einen anderen Grund.“

Die ehemalige Priesterin und nunmehrige Meerjungfrau lächelte. „Ich weiß. Du hast dir erlaubt, Oilidon zu lieben, weil sie dich mit ihrem Mut und ihren Träumen so anrührte. Dein Geschenk an sie war nicht nur die Insel, die neue Heimat für sein Volk … nur wenige wissen, dass du ihr auch ein Kind gebracht hast, das aus euren Umarmungen erwachsen ist, weil sie mit ihrem Gefährten durch den Fluch Voldrons keine eigenen haben konnte.“
Sie legte eine Hand auf den Arm der Göttin.
„Und warum sollen wir, eure Nachfahren, nun nicht das vergelten, was du uns gegeben hast? Es ist an der Zeit, die Leviathane in den dunklen Fluten zu wecken und ihnen die Augen über Lord Voldron zu öffnen … und gleichzeitig zu beweisen, dass die Nachfahren Oilidons nicht länger bereits sind, die Frevel des Mannes zu dulden, der ihre Ahnen einst aus der Heimat vertrieb.“
Sie blickte noch einmal dem Schiff nach, das kaum mehr am Horizont zu sehen war. „Ich war schon immer bereit dazu … und ich weiß, meine Kinder werden es auch sein, wenn wir ihnen die richtigen Träume senden!“

Die Göttin sah sie mit großen Augen an, dass stahl sich ein Lächeln auf ihre wässrigen Züge. „In dir brennt wirklich das Licht, das mich an Oilidon so fesselte und in Liebe entflammen ließ … du bist mehr als ihr und mein fernes Kind … es scheint mir fast … als seist du ihre Seele.“

„Ja meine Liebste … “ Die alte Priesterin lächelte. Nun, da sie an keine feste Gestalt mehr gebunden war, veränderten sich ihre Gesichtszüge. „Ich wusste es selbst mein halbes Leben nicht, aber vor einigen Jahren sind die Erinnerungen an mein erstes Leben und mein altes Ich zu mir zurück gekehrt ...“ Sie beugte sich vor und küsste sie sanft auf die Stirn. „Doch nun lass uns nicht länger zögern … denn es gibt noch viel zu tun, um den Stern eines neuen Zeitalters über der Welt aufgehen zu lassen ...
Stichworte: story
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