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Reziwelten

Fünf

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„Der Drudenfuß ist ein zutiefst heidnisches Zeichen! Geh mir weg mit diesem Teufelszeug, Johann!“, rief Anna und wandte sich von mir ab, das Kreuzeszeichen schlagend. „Du glaubst doch nicht, dass ich weiter mit dir zu tun haben will, wenn du dem Bösen auf diese Art und Weise huldigst!“ fügte sie fast schon hysterisch hinzu.

Mit dieser heftigen Reaktion hatte ich nicht gerechnet. So stand ich einen Moment nur verdattert da, das Buch in den Händen, das ich der Dombibliothek entliehen hatte, und wusste nicht, was ich sagen sollte. Obwohl ich eben noch freudestrahlend von meinem Plan hatte erzählen wollen, weil ich darin nichts Böses sah.

„Der Krieg ist schon schlimm genug. Er hat uns den Vater genommen und Mutter arbeitet jetzt im Krankenhaus, damit wir noch weiter zur Schule gehen können. Wir müssen mehr denn je auf Gott vertrauen, und du willst so etwas „einfach mal“ ausprobieren?“ Sie schüttelte heftig den Kopf. „Ja bist du denn von Sinnen? Damit lockst du das Verderben und Unheil doch nur noch mehr an.“

„Keine Sorge, ich lasse es sein“, erwiderte ich und klappte das Buch zu, weil ich wusste, dass meine Schwester sich jetzt und hier wissenschaftlichen Erklärungen nicht öffnen würde. Sie hatte sich ganz dem Glauben ergeben, und das musste ich wohl akzeptieren. Wenn es ihr die Stärke und die Kraft gab, die bitteren Kriegszeiten zu überstehen, dann sollte das so sein.

Ich dagegen … vertraute auch dem Wissen alter Zeiten und war dazu bereit, herauszufinden, ob es funktionierte. Eine Zeitlang hatte ich auch wie sie gedacht, aber eigene Beobachtungen und dieses alte Buch hier hatten mich zu einer neuen Sicht der Dinge verleitet.

Warum hatten die gotischen Baumeister dem Pentagramm und seinem Goldenen Schnitt beim Bau ihrer Kathedralen vertraut ? Warum fand es sich noch heute in der großen Fensterrosette im Dom? Und anderer berühmter Kirchen?
War es nicht im Gegenteil ein Schutzzeichen gegen das Böse in all seinen Formen, das auch im Glauben der mittelalterlichen Menschen eine Rolle gespielt hatte, die so Dämonen und Teufel davon abhielten, über ihre Türschwelle zu treten.

Konnte ich dann nicht einfach genau so handeln und unserem Haus den Schutz geben, den es brauchte, nun, da die Kriegsfront langsam näher rückte. Das war doch eine gute Idee, ein Versuch, der nicht schaden konnte, oder?

Aber ich wusste auch, durch die Gespräche mit Pater Anselm, meinem Philosophielehrer, dass alles durch im Herzen verderbte Menschen wie den Okkultisten Eliphas Levi zum Gegenteil verkehrt werden konnte. Dass aus dem Schutz auch eine Anrufung des Bösen werden konnte, wenn man nur ein paar kleine Dinge änderte und ihre Bedeutung damit pervertierte. Der alte Mann hatte nur ein paar Andeutungen gemacht, aber die reichten aus …

Ein kalter Schauer rann über meinen Rücken, als mir bewusst wurde, wie fließend die Grenzen waren und wie leicht ich einen Fehler machen konnte.

Ich wurde unsicher, weil ich mich fragte, ob die alten Baumeister vielleicht nicht eher von der Perfektion des Pentagramms und der Exaktheit des Goldenen Schnitts fasziniert gewesen waren, dabei aber weniger an die Magie des Zeichens gedacht als als logisch nachvollziehbar gehandelt hatten, weil es ihrem eigenen Streben entgegen kam.
Und war es nicht so, dass die Menschen, die einen Drudenfuß an den Türen ihres Haus angebracht hatten, wirklich aus tiefstem Herzen geglaubt hatten, dass er ihnen helfen würde, so wie sich auch die Zahl fünf in den Wundmalen Christi wiederfand und in der Zeichenzahl seines Namens in griechischer Schrift?

Ich dagegen wollte nur herum experimentieren, ohne wirklich zu … so wie Goethes Faust, der Mephistopheles vielleicht eine Zeitlang in den Bann geschlagen hatte, aber nicht auf ewig.

Nun verstand ich die abwehrende Reaktion meiner Schwester und vor allem ihre letzten Worte besser. Sie hatte nicht nur das Zauberzeichen selbst verdammt – sondern eher meinen leichtfertigen Umgang damit.

Ihre Worte hatten mich daran erinnert, dass Magie keine Angelegenheit des Verstandes war, sondern eines des Herzens und der Seele. Nur wer fest in seinem Glauben war, würde auch die positive Kraft erwecken, die in den Symbolen ruhte. Jeder Zweifel, jede Unsicherheit würde dem Unheil Tür und Tor öffnen.

Und das konnte ich nicht ertragen – ebenso wenig wie die damit verbundene Verantwortung.

Deshalb beschloss ich ganz schnell, das Buch wieder in die Bibliothek zurückzubringen und meiner Schwester zu vertrauen. Denn sie und ihr Gottvertrauen war unser Schutz und unser Schild in diesen dunklen Tagen im Winter 1914.
Stichworte: story
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