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Reziwelten

Vierundzwanzig

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Mit einem Lächeln blickte die festlich gekleidete Hausherrin aus dem Fenster und sah den beiden dick eingemummelten jungen Mädchen nach, die fröhlich miteinander schnatternd durch den leise rieselnden Schnee von dannen zogen, um ihre Familien zu besuchen.

Wie sie nun sah, hatten die beiden jungen Mädchen aus dem Ort, die bei ihnen in der Stube und Küche arbeiteten, ihre neuen Mäntel angelegt, neben Rock und Bluse, die sie im letzten Jahr geschenkt bekamen. Und Marthe, ihre Haushälterin und Köchin, hatte ihnen natürlich auch ein großes Bündel mit Leckereien mitgegeben: Nüsse, Äpfel und natürlich allerlei Gebäck, die sie mit ihren Geschwistern und Eltern teilen konnten. Sicherlich auch ein Stück vom Früchtebrot, dessen Duft noch immer die Flure durchzog.

Den jungen Ansgar konnte sie nirgendwo entdecken. Aber vermutlich war der Hausbursche, der auch im Garten zur Hand ging schon längst mit seinen langen Beinen davon geeilt, um noch rechtzeitig bei seiner Schwester und ihrer Familie zu sein.

Genau so, wie die gute Frau Anna, die sich um die Kinder kümmerte schon am Vortag zu ihrer Mutter in der Nachbarstadt gereist war, damit diese nach dem Tod ihres Mannes nicht all zu allein in ihrem Häuschen bleiben musste, sondern so wenigstens eines ihrer Kinder an ihrer Seite hatte, weil der Sohn, ein Rheinschiffer im Moment fern von hier, in den Niederlanden, weilte.

„So ist es recht!“ murmelte sie und ließ den Vorhang zurückfallen. Langsam drehte sie sich um und musterte die festlich geschmückte Stube. Neben dem Tannenbaum, der auf der anderen Seite des Fensters stand, mit Gebäck und golden gefärbten Nüssen geschmückt war, befanden sich überall im Zimmer noch viele Stechpalmenzweige und Efeuranken, um die Schatten und Ängste der Raunächte fernzuhalten, auch die obligatorischen Misteln über der Tür dürften nicht fehlen. Das gehörte in diesem Haus unbedingt mit dazu, weil sie ihnen viel bedeutete … seit damals, seit jener Reise …

Der Weihnachtsscheit aus Eichenholz brannte schon im Ofen und verbreitete eine wohlige Wärme. Ihr Gemahl selbst hatte ihn zusammen mit Marthes Mann Gottfried in die gute Stube getragen und am Morgen vorbereitet.
Auf dem Kamin standen die beiden Vasen mit den Barbara- und Lucienzweigen und verbreiteten einen betörenden Duft, der schon jetzt an den Frühling erinnerte. Und daneben hatte ihr Gemahl wie in jedem Jahr schon seit dem Beginn des Advents die Krippe aufgestellt. Ein Schmunzeln huschte über ihr Gesicht. Ja, in diesem Jahr lag das Christuskind besonders weich, weil ihre Kinder so fleißig gewesen waren. Dafür fehlte aber einem der Schafe ein Bein … vermutlich weil ihre Jüngste es abgebrochen hatte. So stand es ein wenig schief da, gestützt von ein wenig Moos.

Sie selbst hatte gerade eben die vielen roten und weißen Kerzen entzündet, die den Raum nun in ein warmes goldenes Licht hüllten und auch den Schmuck auf den in Papier und Stoff gepackten Geschenken immer wieder aufblitzen ließ.

War auch alles da? Da sie sich nicht sicher war, nahm sie sich kurzerhand die Zeit, noch einmal alles durchzuzählen und zuzuordnen, dann nickte sie zufrieden. Und ja es war auch schon so weit, denn es wurde im Flur laut.
Sie hörte das Trappeln von Kinderfüßen auf der Treppe und aufgeregte Kinderstimmen, die von einer etwas dunkleren unterbrochen wurde.Ihr Gemahl hatte also den richtigen Zeitpunkt abgepasst. Nachdem er ihnen die Weihnachtsgeschichte vorgelesen hatte, um sie abzulenken, war jetzt endlich Zeit für die Bescherung.

Johanna ging zur Tür und öffnete sie langsam. „Kommt hinein in die gute Stube, meine Lieben. Das Christkindl war da und hat euch, weil ihr so brav gewesen ward, auch viele Gaben dagelassen“, sagte sie sanft zu ihren Kindern.

Heinrich, Sophie und Friedrich konnten sich kaum noch vor Aufregung halten und sahen flehend zu ihr auf, während ihre Backen glühten. Und sie sprangen gleich zum Baum, als ihre Mutter den Weg freigab.

Die kleine Mariele schaute mit großen Augen von den Armen ihres Vaters in den Raum. Sie nahm zum ersten Mal bewusst das Fest wahr, staunte über das Licht, über den glitzernden Schmuck und streckte die Hand nach einem Gebäckanhänger aus, der so verführerisch nah bei ihr hing, als sich Friedrich neben den Tannenbaum stellte.

Während die Kinder jauchzten und jubelten, als sie sich auf die Geschenke stürzten, das kleine Mädchen zufrieden am dem Keks, der die Form eines Eselchens hatte, lutschte, nachdem sie sich ihn mit Hilfe ihres Vaters erobert hatte, sahen sich die beiden Eheleute nur an.

„Mein größtes Geschenk, bist immer noch du, Johanna – und das Glück, das wir miteinander teilen“, sagte Friedrich liebevoll und streckte seine Hand zu ihr aus. Sie legte ihre in die seine, als sie an seine Seite trat und nickte. „Mir geht es nicht anders, mein Liebster. Es hat sich nichts verändert, seit damals, als wir uns unter dem Mistelzweig … “

„Das hat uns Glück gebracht … genau so wie die braven Wirtsleute droben in der Alb.“ Friedrich lächelte sie an. „Und das Schicksal hat letztendlich auch ein wenig nachgeholfen.“

„Das Schicksal in Gestalt deines Vetters und meiner Schwester, willst du wohl sagen. Und unserem Entschluss, uns nicht länger trennen zu lassen.“

Sie seufzte, als sie an jenen Winter vor fünfzehn Jahren dachte, in dem sie sich auf ihrer ersten gemeinsamen Reise kennen gelernt hatten, die Tage, die ihr Leben für immer verändert hatte. Aber sie beide und ihre Liebe zueinander hatten einander die Kraft gegeben, die Prüfungen ihres Vaters Heinrich durchzustehen. Natürlich hatte er Friedrich, der ja nur der Sohn eines „einfachen Dorfpfarrers“ war, erst nicht als ebenbürtigen Gemahl für seine Tochter ansehen wollen.

Denn da war ja auch noch ein Herrn aus dem Adel gewesen, den er ins Auge gefasst hatte. Aber da war der sonst so mürrische Magister, Friedrichs Doktorvater zum rettenden Engel geworden, hatte der gute Mann den Rivalen doch als notorischen Spieler und Frauenheld entlarvt und deutlich gemacht, das dieser nur das Erbe verprasst hätte.
Und so hatte der alte Freiherr nur zur Bedingung gemacht, dass Friedrich und Johanna erst dann heiraten durften, wenn der junge Mann genug Geld verdiente, um seine Frau angemessen zu versorgen. Was auch geschehen war, denn schon kurz nachdem Friedrich seinen Doktor gemacht hatte, wurde ihm auch schon eine gute Stelle in Tübingen angeboten … und die Aussicht auf eine Professur.

Die Geburt des kleinen Heinrich und der süßen Sophie hatten den noch immer skeptischen Vater dann vollends mit Johannas Wahl versöhnt, so dass er dem jungen Paar auf dem Sterbebett seinen Segen und einen guten Tel des Erbes gegeben hatte.

Sie holte tief Luft. Ja, Gott hatte in ihrem Leben alles zum Guten gefügt … und begonnen hatte es mit der Einkehr in jener Herberge, die ihnen beiden die Augen geöffnet hatte …

Nicht nur für ihre Liebe zueinander, die bis heute unverbrüchlich hielt … auch für die Bräuche des Weihnachtsfestes, von denen sie dort oben in dem einsamen Gasthaus erstmals erfahren und verinnerlicht hatten und nun ihr Heim nicht nur für die äußeren Sinne in festlicher Pracht erstrahlen ließ, sondern auch ihre Seelen und ihren Geist mit dem warm funkelnden Glanz der einfachen Botschaft dieser Tage erfüllte …
Stichworte: story
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