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Reziwelten

Dreizehn

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Am Vorabend des Luzientages herrschte emsiges Treiben im Dörfl, hoch droben in einem der schmalen Täler der Alpen. Die Haustüren standen weit offen, damit die jungen Mädchen und Frauen die Stube ordentlich auskehren konnten. In den Ställen und Schobern waren die Männer und Burschen zu Gange. Vorbei war es mit dem Müßiggang – im Haus und auf dem Hof wurden Stroh, Heu und alles andere zusammengekehrt, was bisher nur herumgelegen hatte.

„Es muss zur Nacht alles recht und ordentlich sein!“, pflegten die Alten zu sagen, zupften Schultertücher und Joppen zurecht, um den Schauder zu verbergen, der ihnen über den Rücken lief, wenn sie mit erhobenem Zeigefinger hinzufügten. „Denn wenn's dem nicht so ist, dann wisst's ihr sehr wohl wer kommen wird!“

Nur in einer kleinen Kate am Rande des Dorfes blieb die Tür geschlossen und warmes Licht fiel durch die Butzenscheiben, so als wolle sich der Bewohner dem Treiben nicht anschließen. „Ach das Reserl!“ Ein Mann, der das sah, schüttelte sein weißes Haupt. Mit dem faulen Maderl wird’s nicht gut enden!“
„Das sagst's was. Aber wir können es nun einmal nicht ändern, die Erfahrung muss sie selbst machen“, erwiderte seine Frau ruhig. „Nun komm hinein in die warme Stube. Schau, die Gipfel der Berge sind schon ins Dunkel gehüllt!“

Und wie die beiden, zogen sich auch die anderen Bewohner des Dorfes in ihre Häuser zurück, als sie ihre Arbeit getan hatten. Sie fanden sich in den warmen Kaminstuben zusammen, um den Geschichten zu lauschen, die sie in den Schlaf lullen und mit guten Gedanken und Träumen füllen würden.
Nach und nach verloschen so auch die Kerzen in den Fenstern, bis auf eine, damit die heilige Luzia zu ihnen finden konnte, die den braven Maderl an ihrem Ehrentrag Geschenke bringen würde, so wie einige Tage zuvor der heilige Nikolaus es bei den Burschen getan hatte.

Nur in einem Haus brannte auch weiterhin das Licht und dampfte der Kessel über dem offenen Feuer des Kamins. Das Reserl oder die Resi, wie sie im Dorf genannt wurde. füllte sich erneut den Teller mit dem warmen Griesbrei und streute braunen Zucker darüber, ums sich's gut gehen zu lassen.
Sie streckte ihre Beine inmitten der Unordnung der guten Stube aus und sah sich zufrieden um. Sie kümmerte es nicht, dass die Wäsche offen herumlag. Wozu sollte sie Röcke und Blusen in die Truhe räumen, wenn sie die doch bald wieder anzog? Reisig, Blätter und Stroh auf dem Boden wärmten die Füße nun im Winter… und außerdem wen scherte es, wann sie die Töpfe und Kessel schrubbte, wenn es nur selten nötig war.
Und auch im Stall, der sich gleich an den Raum anschloss, hatte sie zwar die Tiere so weit versorgt, wie es nötig war … aber mehr als dass musste es auch nicht sein.

Sie seufzte zufrieden. Ach, seit der selige Herr Vater im Sommer von ihr gegangen war, genoss sie das faule Leben mit vollen Zügen. Er hatte sie immer zur Ordnung und Zucht getrieben, gewollt, dass aus ihr ein anständiges, fleißiges Maderl wurde, das bald einen feschen Burschen fand, der gut für sie sorgen würde.
Aber wozu sollte sie sich dafür anstrengen, wenn sie doch zu etwas viel Höherem geboren war mit ihrem hübschen Gesicht, den kornblumenblauen Augen ihren strohblonden Locken und dem prallen Busen über den ausladenden Hüften.
Bald würde der Graf ins Dorf geritten kommen und sie zu sich ins Schloss holen. Das tat er in jedem Frühling mit einem der Hübschen des Dorfes. Und diesmal würde sie sich fein genug heraus putzen, um sein Herz zu gewinnen. Und dazu aß sie jetzt genug, um wohl genährt zu sein, wenn die Zeit gekommen war.
So stand es schließlich auch in dem Buch auf ihren Schoße, der wahrhaftigen Geschichte der Komtess Lieserl, die von einem Bauernhof direkt in die Arme eines stattlichen Edelmannes gelaufen war …

Resi gähnte herzhaft und ließ die Augen geschlossen. Sie stellte sich lieber den Grafen vor als jetzt den ihr ohnehin bekannten Text, weiterzulesen. Sie tauchte damit ein in eine Traumwelt, die sie gar nicht mehr verlassen wollte.
So schreckte sie regelrecht auf, als jemand ungestüm an die Tür klopfte. Polternd fiel die Schüssel mit dem kalten Brei zu Boden. Das Buch konnte sie gerade noch festhalten, ehe es von ihrem Schoß rutschte.

„Hallo? Wer ist da?“, fragte sie zaghaft. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie angespannt lauschte, doch außer dem Wispern des Windes, war nichts zu hören, oder … war das vielleicht ein Scharren, ein Rascheln?

Resi quietschte, als sich eine Maus zwischen trockenen Blumen in einer umgefallenen Vase an der Wand hervor zwängte, als wollte sie sich an dem auf dem Boden verspritzten Brei gütlich tun. Sie verschwand erschreckt, als es erneut an der Tür polterte.

Jetzt war es aber wirklich genug. Was für ein unhöflicher Besucher – antwortete nicht, sondern machte nur weiter Lärm. So ging das nicht weiter!

Resis Schrecken verwandelte sich nun in unbändigen Zorn. Sie kämpfte sich hoch und stampfte zur Tür. Sie würde dem unverschämten Wicht, der sie mitten in der Nacht störte, schon die Meinung geigen! Wenn sie die anderen schon sonst nicht beachteten, so konnten sie sie auch jetzt in Ruhe lassen!
Schnell war der Schlüssel im Schloss gedreht und die Tür aufgerissen. Resi, die den Mund schon geöffnet hatte, um einen Schwall an Schimpfwörtern frei zu lassen, klappte diesen verdattert wieder zu, während sich ihre Augen weiteten.

Die in mehrere Schichten von Lumpen und Fell gehüllte Greisin vor ihr war klein und hutzelig, stützte sich gebeugt auf einen knorrigen Stab, aber die hohe Kiepe war reich gefüllt mit Steinen und Stroh. Dessen Halme ragten auch zwischen den Knöpfen der Joppe, aus den Ärmel, dem Kragen und unter dem Rock hervor.
Ein keckerndes Lachen entfuhr dem runzeligen Mund. Die tief in den Höhlen liegenden Augen blitzten böse auf, als sie Resi musterte. „Bist nicht brav gewesen, Maderl. Weißt's, was dir nun blüht?“

Resi sank auf die Knie und rang die Hände. „Ach bitte … bitte, habt noch einmal Gnade gute Muhme. Ich werd' alles wieder gut machen!“, flehte sie mit zitternder Stimme, nun da sie ihr Schicksal vor Augen sah, denn sie wusste sehr wohl, wer die Alte auf ihrer Schwelle war – kein Hirngespinst, kein Scherzbold, sondern wahrhaftig das Lutzelweib, der dunkle Geist der Winterzeit.

Auch sie war mit den Geschichten aufgewachsen, in denen die boshafte und grausame Luzzelbrut in der Nacht vor dem Luzientag in Stroh gehüllt durch die Dörfer tobte und all die Faulen bestrafte, indem sie ihnen den Bauch aufschlitzte und Steine, Stroh wie auch Kehricht hineinstopfte …

Die Dorfbewohner waren mit den Märchen ebenfalls wohlvertraut und so wussten sie, was geschah, als sie nur kurze Zeit später durch die gellenden Schreie der jungen Frau aus dem Schlaf gerissen wurden. Nicht wenige schlugen das Kreuzeszeichen und begannen zu beten.

Die meisten aber zogen die Decken über den Kopf, vor allem die Kinder, denn sie wussten sehr wohl, welche Stunde nun für das faule Reserl geschlagen hatte …
Stichworte: story
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